Schwarz-Gelb mit Überhangmandaten
Kanzlerin Merkel hat erklärt, notfalls auch mit einer schwarz-gelben Überhang-Mehrheit zu regieren. Grüne und SPD warnten die Union, die Regierung sei so illegitim und verfassungswidrig.
Die Union könnte dank der Überhangmandate bis zu 20 zusätzliche Abgeordnete ins Parlament schicken.
SPD und Grüne haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer Regierungsbildung allein mit Hilfe möglicher Überhangmandate gewarnt. Sollte Merkel nach der Wahl nur auf Basis von Überhangmandaten eine schwarz-gelbe Regierung bilden können, so verfüge sie nur über eine "illegitime Mehrheit", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, der "Frankfurter Rundschau" (Samstag). "Merkels stabile Mehrheit würde auf einem verfassungswidrigen Wahlrecht beruhen."
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr direkt gewählte Abgeordnete bekommt, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen. Das Verfassungsgericht hatte dies 2008 teils für verfassungswidrig erklärt, dem Gesetzgeber jedoch Zeit für eine Änderung bis Mitte 2011 eingeräumt. Spekuliert wird auf der Basis bisheriger Umfragen, dass die Union mit Überhangmandaten bis zu 20 zusätzliche Abgeordnete ins Parlament schicken könnte.
Merkel, die auch CDU-Vorsitzende ist, hatte am Freitag erklärt, sie werde nach dem 27. September notfalls auch mit einer Überhang-Mehrheit regieren. "Das Überhangmandat ist kein Mandat zweiter Klasse." Auch mit solchen Mandaten sei eine "stabile Mehrheit" möglich.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sagte dagegen: "Es wäre tatsächlich unanständig, wenn Schwarz-Gelb darauf spekuliert, mit einer geklauten Mehrheit zu regieren." Gleichzeitig warf Beck der SPD vor, dem Gesetzentwurf der Grünen zur Beseitigung der verfassungswidrigen Überhangmandate nicht zugestimmt zu haben. "Das haben die Sozialdemokraten vergeigt", sagte Beck.
Der Gesetzesvorstoß der Grünen für eine Änderung noch kurz vor der Wahl war am Widerstand von Union und FDP gescheitert. Forderungen aus der SPD, dabei mit Grünen und Linken zu stimmen - und so die Änderungen noch fristgerecht zum Wahltermin durchzusetzen - waren von der SPD-Spitze verworfen worden, weil dies einen Bruch des Koalitionsvertrages bedeutet hätte.
Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU), der mehrfach für eine Änderung des Wahlrechtes vor dem 27. September 2009 plädiert hatte, äußerte jetzt Verständnis für die Vertagung auf die nächste Legislaturperiode. "Leider haben manche ihr Interesse an dem Thema erst in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Wahlkampf entdeckt", sagte Lammert der Wochenzeitung "Das Parlament". Zudem habe sich bei den Beratungen des Gesetzentwurfes der Grünen gezeigt, "dass die mit dieser Lösung verbundenen neuen Probleme auch verfassungsrechtlich nicht weniger gravierend waren als die, die das Verfassungsgericht zu seiner Entscheidung veranlasst haben".
Petra Pau von den Linken hielt der Union vor, gegen eine Änderung gestimmt zu haben, "weil sie sich vom geltenden Wahlrecht Vorteile versprach". Und die FDP habe dies auch nicht gewollt, "weil sie sich von den Vorteilen der CDU/CSU Posten erhofft", sagte Pau am Sonntag in einer Erklärung. "Die SPD wollte es auch nicht. Sie beugte sich lieber bis zur Selbstverleugnung dem Koalitions-Willen der CDU/CSU." Pau: "Wer sich vordem so klein macht, wie die SPD, sollte hernach auch keine großen Sprüche klopfen."
Der baden-württembergische SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel sagte der dpa in Stuttgart, eine schwarz-gelbe Regierung allein mit Hilfe von Überhangmandaten wäre "der größte Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik".
Überhangmandate
Überhangmandate gibt es im Deutschen Bundestag immer wieder. Sie entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil Sitze zustehen.
Jeder Kandidat, der mit der Erststimme in seinem Wahlkreis direkt gewählt ist, hat natürlich das Recht, auch in den Bundestag einzuziehen. Entscheidend für die Sitzverteilung insgesamt ist aber die Zweitstimme. Normalerweise wird die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten von der Zahl der Sitze abgezogen, die einer Partei nach ihrem Zweitstimmenergebnis im jeweiligen Bundesland zusteht. Die übrigen Plätze werden dann mit Abgeordneten der Landesliste einer Partei besetzt. Wenn es aber mehr direkt gewählte Abgeordnete gibt, als der Partei nach den Zweitstimmen zustünden, entstehen diese Überhangmandate.
Diese zusätzlichen Sitze kommen meist den großen Parteien zugute, da sie in der Regel die besten Chancen haben, ein Direktmandat im Wahlkreis zu erringen. Der Bundestag wächst jeweils um die Zahl der Überhangmandate, die zu den an sich vorgesehenen 299 direkt im Wahlkreis und weiteren 299 über die Landeslisten der Parteien gewählten (also insgesamt 598) Parlamentariern hinzukommen.
Nach dem Ergebnis der Bundestagswahl 2005 entfielen auf die SPD neun und auf die CDU sieben Überhangmandate, so dass das Parlament auf 614 Abgeordnete wuchs. Die CDU holte vier Überhangmandate in Sachsen und drei in Baden-Württemberg, die SPD konnte vier in Sachsen-Anhalt, drei in Brandenburg sowie je eines im Saarland und in Hamburg erringen.
Allerdings sieht das Wahlrecht vor, dass vorzeitig ausscheidende Abgeordnete im Bundestag nicht ersetzt werden, wenn ihre Partei in diesem Bundesland Überhangmandate errungen hat. In diesem Fall entfällt das Mandat ersatzlos.
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