Er habe kein Verständnis für jene Stimmen, die ohne Kenntnis der Sachlage frühzeitig Kritik an dem militärischen Vorgehen übten, sagt Jung der «Bild am Sonntag». «Dies wird nicht den schwierigen Situationen gerecht, in denen unsere Soldaten im Einsatz für die Stabilität in Afghanistan und damit im Interesse unserer Sicherheit in Deutschland Leib und Leben riskieren.» Es gebe weiterhin keine Erkenntnisse, dass bei dem Angriff am Freitag auf zwei von den Taliban gekaperte Tankwagen auch Zivilisten getötet worden sein. Die Opposition und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier forderten Aufklärung.
Das Kriegsministerium in Berlin wies einen Bericht über bis zu 125 Tote bei dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff entschieden zurück. «Die Zahlen sind absolut nicht nachvollziehbar», sagte Ministeriumssprecher Thomas Raabe am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin. Die Bundeswehr geht von mehr als 50 Toten aus - nach bisherigen Erkenntnissen wurden laut Jung «ausschließlich terroristische Taliban» getötet. Die «Washington Post» hatte unter Berufung auf ein NATO-Untersuchungsteam von deutlich höheren Opferzahlen berichtet. Mindestens zwei Dutzend der Opfer seien nach Einschätzung des NATO-Teams keine Taliban gewesen.
Nach dem verheerenden Luftangriff steht die Bundeswehr auch international in der Kritik.
Die Europäische Union sprach von einer «Tragödie». Der schwedische Außenminister Carl Bildt sagte für die EU-Ratspräsidentschaft am Samstag: «Wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir töten.» Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner sprach von einem «großen Fehler». «Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten statt sie zu bombardieren», sagte er. Auf die Frage, wessen Fehler der Angriff sei, sagte Kouchner: «Ich weiß nicht, ich bin kein Richter.» Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero bezeichnete den Angriff als «nicht hinnehmbar».
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte in der «Bild am Sonntag» restlose Aufklärung. «Gegen verbrecherische Terroristen muss entschieden vorgegangen werden. Gleichzeitig müssen wir aber alles tun, um unschuldige zivile Opfer zu vermeiden.» Der FDP- Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin verlangte eine ehrliche Debatte über den deutschen Afghanistan-Einsatz. Es handele sich um einen Krieg. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte die deutsche Informationspolitik: «Während in Afghanistan die toten und verletzten Zivilisten betrauert werden, versucht sich die Bundeswehrführung und das Kriegsministerium weiter im Verschleiern.»
Der Verteidigungsexperte der Grünen, Winfried Nachtwei, forderte mehr Informationen. «Wir sind bisher vom Kriegsministerium in einer Dürftigkeit informiert worden, die wir bisher von anderen Vorfällen nicht kennen», sagte er am Sonntag der Deutschen Presse- Agentur dpa. Von der Wirkung her sei der Angriff ein Rückschlag für das Engagement in Afghanistan und für den von den USA angestoßenen Strategiewechsel am Hindukusch.
Jung stellte sich hinter den verantwortlichen Kommandeur in Kundus
«Durch sehr detaillierte Aufklärung über mehrere Stunden durch unsere Kräfte hatten wir klare Hinweise darauf, dass die Taliban beide Tanklastzüge circa sechs Kilometer von unserem Lager entfernt in ihre Gewalt gebracht haben, um einen Anschlag auf den Stützpunkt unserer Soldaten in Kundus zu verüben. Wäre ihnen das gelungen, hätte es einen Anschlag mit entsetzlichen Folgen für unsere Soldaten gegeben. Deshalb halte ich die Entscheidung des deutschen Kommandeurs vor Ort für richtig», sagte Jung der «Bild am Sonntag».
Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, ob ein Ermittlungsverfahren gegen den für den Luftangriff verantwortlichen deutschen Kommandeur eingeleitet werden muss. Der leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Junker sagte der «Bild am Sonntag»: «Wir prüfen einen Anfangsverdacht wegen eines eventuellen Tötungsdeliktes gegen den deutschen Oberst, der diesen Luftangriff befohlen beziehungsweise angefordert hat.»
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