Montag, 14. September 2009

Fernsehduell: "Yes, we gähn"

Skeptisch nehmen nationale und internationale Kommentatoren das Streitgespräch von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auf. Die Wertungen gehen von "grotesk" bis "schläfrig". Aggressivität habe einigen zwar nicht gefehlt - sie richtete sich nur gegen die Moderatoren.


"Yes, we gähn. Wollten sie nicht - oder konnten sie nicht…? Kanzler-Duell im TV - DAS Fernsehereignis des Jahres - es wurde zäh…!"

Frankfurter Neue Presse: "Das Duell, das oft ein Duett war, hatte keinen klaren Sieger. Das begünstigt an sich eher Merkel. Sie ist es schließlich, die in Umfragen führt. Steinmeier hat diesen Trend sicher nicht umkehren können. Der Herausforderer hat aber etwas Boden gutgemacht, weil er voll auf Augenhöhe mit der Kanzlerin war und sie in puncto soziale Gerechtigkeit ein wenig treiben konnte."

Nordsee-Zeitung: "Während diese Koalition bei den Wählern immer unbeliebter wird, scheinen Merkel und Steinmeier eine stille Allianz auch für die letzten Wochen des Wahlkampfes geschmiedet zu haben. Steinmeier mag sich sagen, lieber weiter Vize-Kanzler als gar nichts oder gar die Kröte Lafontaine schlucken zu müssen. Merkel denkt wohl: wer unter mir dient, ist mir egal. ... Ein wirklicher Schlagabtausch war es nicht, und inhaltlich gab es nichts Neues: Irgendwie haben sie sich doch noch lieb."

Mindener Tageblatt: "Stets blieb, und durchaus nicht nur zwischen den Zeilen, die Fortsetzung der Großen Koalition die unausgesprochene Alternative, die offensichtlich weder Merkel noch Steinmeier sonderlich schrecken würde."

Sueddeutsche.de: "Langweiliger als dieses 'TV-Duell' ist selten ein - vorher gehyptes - Aufeinandertreffen zweier Spitzenpolitiker gewesen. … Die Schlussansprache der beiden Kandidaten war der Höhepunkt dieser missratenen Inszenierung: Beide referierten br eit ihre Slogans im Stil einer Neujahrsansprache. An dieser Stelle hätte man vielleicht besser Konserven gesendet. Ein groteskes Finale einer völlig überbewerteten Sendung."

Faz.net: "Auch wenn die beiden Agenden sehr ähnlich waren, gelang es dem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier doch, seine Antworten etwas souveräner zu formulieren, wobei er andererseits auch Wiederholungen nicht scheute und die Floskel 'Begrenzung von Managergehältern' im gefühlten Dutzend zu Markte trug. … Und trotzdem war es nicht so, dass jede Aggressivität fehlte: Sie richtete sich allerdings gegen die Moderatoren."

Welt.de: "Wer sich vor der Sendung nicht sicher war, wen er wählen will, der wird es jetzt auch nicht sein. Die mangelnde Schärfe kommt auch daher, dass die kleineren Parteien nicht vertreten waren. Sie hätten Schwung in das Ganze bringen können. … Schön aber d och, dass sich in dieser Republik zwei Spitzenkandidaten miteinander messen können, ohne dass es zu dem Grobianismus kommt, der früher einmal die politische Auseinandersetzung geprägt hat. Es geht auch ohne Krawall. Doch ein bisschen leidenschaftlicher könnte es schon zugehen."

Algemeen Dagblad, Amsterdam: "Merkel und Steinmeier wollten die Atmosphäre nicht verderben, für den Fall, dass nach dem 27. September eventuell doch wieder eine Große Koalition gebildet werden muss. Merkel und der SPD-Außenminister hielten sich zurück... Dem Anschein nach waren sie nicht nervös, aber erfahrene politische Berater versicherten, dass sie so aufgeregt wie Rennpferde vor dem Start waren."

The Times, London: "Bislang hat diese r schläfrige Wahlkampf kaum politische Leidenschaft aufflackern lassen. Deutschland scheint in eine Wahl zu schlafwandeln, die nach Einschätzung der meisten Menschen Merkel wieder ins Amt bringt. Die Annahme, dass Merkel gewinnt, birgt aber eine gefährliche Selbstzufriedenheit. ... Merkel fehlt das Feuer, sie vermittelt keine Visionen und die ruppige Rhetorik einer Wahlrede ist ihr zuwider. ... Steinmeier ist beinahe ein ebenso hölzerner Wahlkämpfer wie die Kanzlerin."

Neue Zürcher Zeitung, Zürich: "Ein erster Eindruck brachte kein klares Ergebnis; auffallend war sicher, dass Merkel viel Biss zeigte und sehr erpicht darauf war, sich gegen die Moderatoren durchzusetzen. Damit versuchte sie dem Eindruck entgegenwirken, sie betreibe einen zu flauen, zu wenig engagierten Wahlkampf. Steinmeier wirkte grundsolide, sachlich und integer, blieb aber wenig mitreißend. Dass an diesem Abend die Fetzen fliegen würden, konnte allerdings niemand im Ernst erwarten. Für ein wirklich heißes Rededuell fehlten ganz einfach sämtliche Voraussetzungen."

BERLIN taz | Steinmerkel gegen Merkelmeier

Von wegen Duell: Am Sonntagabend waren zwei sich weitgehend einige Spitzenkandidaten zu sehen. Ob das die Wähler zur Urne lockt? Die Zuschauer lockte man jedenfalls nicht.

Den ersten Satz muss Frank-Walter Steinmeier zu Hause vor dem Spiegel mit Gerhardt Schröder geübt haben: Im Tonfall seines ehemaligen Herrn und Meisters knarzknödelt der SPD-Kanzlerkandidat seine erste Botschaft ans Volk und seine Gegnerin. Er will es, er kann es besser als sie – und ja, er kann es schaffen.

Oder tut er nur so?

Denn Steinmeiers Botschaft – soziales Deutschland, Arbeitsplätze, Gerechtigkeit – ist auch die von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die regiert allerdings für die CDU.

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Zwei gemäßigte Sozialdemokraten mit unterschiedlichem Parteibuch buhlen da mit nicht eben heißem Bemühen um den wichtigsten Posten im Staat. Beide tragen dunklen Zwirn, werden – zum Teil durchaus kritisch – befragt von der Dame Illner (ZDF) und den drei Herren der anderen großen TV-Parteien ARD, RTL und Sat.1.

Und am Ende gibt es sogar zwei Punkte, wo sich Merkelmeier mal nicht einig ist: Den Mindestlohn, Steinmeier will ihn flächendeckend, Merkel nicht. Und den Atomstrom, den will Steinmeier nicht, aber Merkel schon – auch wenn sie das hinter Worthülsen wie "Übergangsenergie" versteckt.

Ob so ein "TV-Duell" zur gezielten Wählervertreibung am 27. September beiträgt, wird sich zeigen. Zur gezielten ZuschauerInnen-Vertreibung hat es schon jetzt gereicht: Nur gut 14 Millionen Menschen wollten das von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 parallel übertragene Schauspiel sehen. Vor vier Jahren hatte der an nordkoreanische Verhältnisse gemahnende Senderverbund mit dem Duell Merkel-Schröder noch knapp 21 Millionen an die Bildschirme gefesselt.

Wie immer lagen die Öffentlich-Rechtlichen quotenmäßig vorne (Marktanteil ARD 22,7 Prozent; ZDF 10,3 Prozent), RTL rangierte abgeschlagen auf 6,1 Prozent. Und weil bei Sat.1 nicht mal 800.000 ZuschauerInnen (2,3 Prozent) gezählt wurden, fordern naseweise Medienexperten heute prompt, den Sender vom nächsten TV-Duell auszuschließen.

Anständiger und zielführender wäre es, man ließe den ganzen Duell-Quark nicht wie einen internationalen Frühschoppen von vier Journalisten aus fünf Sendern moderieren, sondern machte eine wirkliche Frage- und Antwortsendung draus. Das aber hieße: Keine Weichspül-Bedingungen der Kandidaten – und kein Proporz bei den Sendern.

So aber wurde kein Duell aus dem Abend.

Halten wir also fest: Angela Merkel wird auch weiterhin mit den Ackermännern dieser Welt auf Staatskosten zu Abend essen, zur Not auch an deren Geburtstag: "Ich würde wieder Abendessen machen, bei denen sich immer Menschen miteinander treffen, die sich füreinander interessieren", sagt Merkel und vor dem inneren Auge des Zuschauers erscheint schon eine Kittelschürze über Merkels Hosenanzug.

Und Steinmeier will bis 2013 einen Plan haben, wie man aus Afghanistan wieder rauskommt – auch wenn ihn RTL-Nachrichtenchef Peter Kloeppel hartnäckig missversteht und auf einen Abzug spätestens in vier Jahren festzunageln versucht. Doch dafür muss es am Hindukusch eben besser laufen als im Moment, versichert Steinmerkel ganz eins miteinander.

Weil das nicht sonderlich aufregend ist, müssen die FragerInnen ran: Maybritt Illner bleibt zahm und kommt aus ihrer Moderatorenrolle nicht heraus. Peter Limbourg, gern geschmähter Frontmann von Sat.1 und für den so genannten Nachrichtenkanal N24, ist überraschend gut, RTL-Kloeppel fragt souverän, doch findet sich selbst wie immer ein bisschen zu toll.

Frank Plasberg, anstelle der früher auf den Kanzler-Job abonnierten Anne Will für die ARD im Rennen, hat die persönliche Eitelkeit besser im Griff: Ob sich die SPD angesichts ihrer nicht gerade astronomischen Umfragewerte nicht lieber erstmal "in der Opposition reanimieren" wolle, fragt Plasberg, um sich dann schnell noch auf "regenerieren" zu verbessern und "das sollte keine Polemik sein" hinzufügt. "Das können wir diesem Land nicht antun", sagt Steinmeier und muss selber Lachen.

Denn SPD in der Opposition, das zeigt dieses "Duell", mag ja gerade noch angehn. Polemik ist in diesem Wahlkampf dagegen ausgeschlossen. Konsequenterweise heißt die Konstellation Schwarzgelb bei Maybritt Illner wenig später ja auch "Tigerenten-Koalition", und dann ist auch schon Zeit für's Schlusswort: "Ich will ehrlich sein: Wir sind mitten in der Krise und noch längst nicht über'n Berg", sagt die ehrliche Rothaut Steinmeier. Vertraut Mutti, sagt sinngemäß Angela Merkel.

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