"Man muss nicht alles sehen", soll Dessaus Polizei-Vizechef drei Staatsschützern mit Blick auf den Kampf gegen Rechts gesagt haben. Die wunderten und wehrten sich - und wurden versetzt. Protokoll einer absurden Affäre, die bald einen Untersuchungsausschuss beschäftigt.
Dessau - Kriminalkommissar Christian Kappert, 29, versteht die Welt nicht mehr. Die Polizeidirektion Dessau hat ihn versetzt - zur Verkehrspolizei. Er darf jetzt "Autos blitzen" oder "mal einen Asylbewerber zum Flughafen begleiten", wie er es selbst beschreibt. Noch vor wenigen Wochen jagte Kappert in Dessau rechtsextreme Straftäter, als Staatsschützer im Fachkommissariat 4.
Dessau - Kriminalkommissar Christian Kappert, 29, versteht die Welt nicht mehr. Die Polizeidirektion Dessau hat ihn versetzt - zur Verkehrspolizei. Er darf jetzt "Autos blitzen" oder "mal einen Asylbewerber zum Flughafen begleiten", wie er es selbst beschreibt. Noch vor wenigen Wochen jagte Kappert in Dessau rechtsextreme Straftäter, als Staatsschützer im Fachkommissariat 4.
Bremste der Polizei-Vizechef seine Staatsschützer?
Er und seine Kollegen waren erfolgreich: Rund 600 Ermittlungsverfahren bearbeiteten sie allein im Jahr 2006, mit einem Anstieg von über 60 Prozent auf 392 Delikte verzeichnete Dessau unter den sechs Polizeidirektionen in Sachsen-Anhalt den stärksten Zuwachs rechter Kriminalität - auch weil die Staatsschützer den rechtsextremen Hintergrund vieler Straftaten überhaupt erst aufdeckten, weil Kappert und Co. genau hinsahen.
Zu genau? Wurde Kappert - und nicht nur er - abgezogen, weil er in den Augen eines Vorgesetzten zu eifrig gegen den braunen Sumpf in der Stadt vorging - ein Sumpf, so tief, dass einige womöglich nicht so gern darin herumstochern? Um diese zentrale Frage dreht sich die Affäre, mit der sich die Dessauer Polizei nun schon seit einigen Monaten herumplagt. Eine Affäre, die das Magdeburger Innenministerium so gerne für beendet erklären würde, die nun aber sogar den Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt beschäftigt. Es geht um die Rolle der Polizei im Kampf gegen Rechtsextremismus, um Vorwürfe gegen einen der ranghöchsten Polizeibeamten des Landes und um absurde Ermittlungsverfahren.
Mit Kappert verließen noch zwei weitere Kollegen unfreiwillig den Staatsschutz: Sein damaliger Vorgesetzter, Kriminalrat Sven Gratzik, 37, und dessen Stellvertreter Swen Ennullat, 31. Gratzik drängte nach Kapperts Versetzung selbst auf sein Ausscheiden, derzeit ist er freigestellt. Ennullat wollte eine Polizeihochschule besuchen, dies wurde ihm zunächst verwehrt. Mit einer einstweiligen Verfügung des Verwaltungsgerichts vom vergangenen Freitag konnte er sich vorerst gegen die Polizeidirektion durchsetzen.
"Unser Vergehen war offensichtlich, dass wir zu genau in der rechten Szene ermittelt haben", vermutet Kappert. Das schlussfolgern die drei aus einem Gespräch mit Dessaus Polizei-Vize Hans-Christoph Glombitza, 56, am 5. Februar dieses Jahres. Die etwa zweistündige Unterredung über die Arbeitsbelastung der Staatsschutzabteilung hatte Kappert, Gratzik und Ennullat derart beeindruckt, dass sie im Anschluss ein Gedächtnisprotokoll anfertigten und unterzeichneten, welches im Petitionsausschuss des Landtages landete.
"Man kann einen Bericht auch langsamer schreiben"
Denn was das Trio aus der Erinnerung zu Papier brachte, würde - wenn es sich tatsächlich so zugetragen hat - kein gutes Licht auf das Amtsverständnis des Polizei-Vizes werfen. So soll Glombitza seinen Leuten nahe gelegt haben, beim Kampf gegen Rechtsextremismus nicht zu eifrig zu sein. "Als persönliche Einschätzung merkte Herr Glombitza an, 'dass man nicht alles sehen müsse'", heißt es im Protokoll. Auf die Frage eines der Staatsschützer, ob Glombitza sie auffordere, künftig "die Einleitung von Ermittlungsverfahren zu unterlassen oder die Dienstwahrnehmung grundsätzlich zu reduzieren", habe dieser geantwortet, man könne einen Bericht "ja auch langsamer schreiben". Glombitza "gestikulierte dabei das Tippen auf der PC-Tastatur mit nur zwei Fingern", erinnern sich die Polizisten.
Weiter soll Glombitza angedeutet haben, Innenministerium, Landeskriminalamt und alle Polizeidirektionen seien "nicht glücklich" mit dem Anstieg rechter Straftaten. Dadurch werde das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich gestört und "das Ansehen unseres Landes könnte nachhaltig geschädigt werden", heißt es in dem Protokoll. Auf Nachfrage der Beamten, was denn mit der Initiative des Landes gegen Rechtsextremismus, "Hingucken!", sei, habe Glombitza abgewunken: "Aber das ist doch nur für die Galerie..."
Die Kampagne hatte die Landesregierung erst vor wenigen Monaten aufgelegt - vor dem Hintergrund mehrerer Aufsehen erregender rechtsradikaler Zwischenfälle und einer unrühmlichen Spitzenposition Sachsen-Anhalts in den einschlägigen Statistiken. Das Land hat laut Verfassungsschutzbericht auf die Bevölkerung bezogen die meisten Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund in Deutschland zu verbuchen. Spitzenreiter ist Dessau: Die Anzahl der rechtsextremer Delikte stieg hier von 141 (2004) auf 238 (2005) bis 392 (2006).
Auffällig ist, dass gerade seit Dienstbeginn der Staatsschützer Gratzik, Kappert und Ennullat im August 2004 immer mehr solcher Taten aufgeklärt wurden. Offenbar brachten die Ermittler auch Vorgänge ans Licht, die vorher nicht in die Statistik eingeflossen waren. "Ihr besonderer Verdienst war es", so glaubt Steffen Andersch, 36, von der Dessauer Civitas-Netzwerkstelle gegen Rechts, "die Straftaten mit rechtsextremen Zusammenhängen in Verbindung zu bringen". Bislang hätte die Polizei diese oft als Auseinandersetzungen unter Jugendlichen abgetan.
Polizei-Vize steht zu Aussagen
Hat Polizei-Vize Glombitza versucht, die Staatsschützer zu bremsen, um den Ruf Sachsen-Anhalts und Dessaus als braune Hochburg nicht weiter zu verfestigen? Das Innenministerium beauftragte den Rektor der Fachhochschule der Landespolizei in Aschersleben, Rainer Nitsche, den Vorwürfen der Staatsschützer intern nachzugehen. "Die Zitate stimmen überwiegend, Glombitza steht auch dazu", erklärte dieser später. Sie seien aber aus dem Zusammenhang gerissen. "Kritikwürdig und fehlerhaft" sei das Verhalten des Leitenden Polizeidirektors dennoch. Aber ein Dienstvergehen? Nein.
Dem "Tagesspiegel" sagte Nitsche, Glombitza habe "einen komplexen Sachverhalt überspitzt und verkürzt dargestellt". Deshalb könnten seine Äußerungen bei den drei Staatsschützern "falsch angekommen sein". Zum Beispiel die Bemerkung zur "Hingucken!"-Kampagne: Dass diese nur für die Galerie sei, habe Glombitza anders gemeint. Er habe sagen wollen, die Kampagne bringe nichts, wenn sie nicht durch weitere Maßnahmen, zum Beispiel Lehrerfortbildung, ergänzt werde.
Vorsichtshalber bat Dessaus Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt auch die Staatsanwaltschaft um Prüfung des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt. Doch Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sah keinen Grund zu ermitteln. Glombitza habe "alles andere bezweckt, nur nicht, Ermittlungen gegen Straftäter mit rechtsradikalen Hintergrund zu behindern", ließ der Chef der Anklagebehörde erklären und bezog sich dabei auf das Gedächtnisprotokoll der Ex-Staatsschützer. Persönlich hat der Ermittler die drei nie gehört.
Bittmann wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, Polizei oder Staatsanwaltschaft seien auf dem rechten Auge blind. "Andererseits", schränkt er gegenüber SPIEGEL ONLINE ein, müsse man nicht "wegen eines Hakenkreuzes auf einem Stromverteiler noch die getrocknete Farbe abkratzen, um zu ermitteln. Die Täter sind doch längst weg". Angeblich hätten die drei Staatsschützer ohnehin "Bearbeitungsrückstande" gehabt. Ein Vorwurf, den Kappert energisch bestreitet.
Groteske Züge nimmt die Affäre nun an, da die Staatsanwaltschaft zwar nicht gegen Polizei-Vize Glombitza, wohl aber von Amts wegen gegen den ehemaligen Staatsschützer Kappert ermittelt - wegen des untauglichen Versuchs der Strafvereitelung im Amt. Wenn Kappert die Äußerungen Glombitzas für strafrechtlich relevant gehalten habe, dann hätte er nach Verständnis des Oberstaatsanwaltes Anzeige gegen den Polizei-Vize stellen müssen - egal, ob die Anklagebehörde selbst in Glombitzas Aussagen keine Straftat erkennt. Gleichzeitig betonte Bittmann eilig, auf keinen Fall gehe es aber darum, einen couragierten Beamten für sein Engagement oder dafür abzustrafen, dass er möglicherweise Missstände aufgedeckt hätte.
Mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Staatsschützer hat die Affäre nun noch einmal eine überraschende Wende erhalten. Jüngst waren die Ex-Staatsschützer zum Kader-Gespräch ins Innenministerium bestellt. Dabei sollten die drei laut Ministerium "zukünftige Einsatzwünsche" äußern. Das Gespräch ist laut dem ARD-Magazin "Panorama" für sie nicht erfolgreich verlaufen - es gibt keine Rückkehr in den Staatsschutz.
Zudem schaltete Kappert Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad ein. Anzeigen gegen Polizeidirektorin Scherber-Schmidt wegen des Verdachtes der Verfolgung Unschuldiger und gegen Oberstaatsanwalt Bittmann wegen versuchter Strafvereitelung im Amt gingen am Montagmorgen in Naumburg ein. Die Polizeidirektion Dessau hat den betroffenen Kollegen aus dem Fachkommissariat 4 einstweilen einen Maulkorb verpasst. Keiner der Männer bekomme die Erlaubnis zu reden, hieß es aus der Behörde gegenüber SPIEGEL ONLINE. Intern gelten die drei Ex-Staatschützer inzwischen als "Nestbeschmutzer", die den "Korpsgeist der Polizei" missachten, sagt Kappert. "Doch wir brauchen die Öffentlichkeit, wir wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt."
Ein Rechtsextremer ist ein Rechtsextremer
Die Polizei in Dessau wird sich noch viele Fragen gefallen lassen müssen. Denn die Affäre um Polizei-Vize Glombitza und die drei versetzten Staatsschützer ist nicht die erste und einzige, die die Direktion belastet. Im Innenministerium in Magdeburg liegt seit einigen Tagen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen drei Beamte - und wieder geht es um deren zweifelhaften Umgang mit dem Rechtsextremismus.
Ausgangspunkt: Eine Info-Veranstaltung des von der Bundesregierung finanzierten Civitas-Mitarbeiters Steffen Andersch. Dieser referierte nach einem Überfall vermutlich durch Rechtsextreme im Örtchen Bergwitz über die rechtsradikale Szene im Landkreis Wittenberg. Dabei zeigte Andersch das Foto eines lokalen NPD-Mannes, der für die Rechtsextremen auch zur Bundestagwahl 2005 kandidierte. Ein an jenem Abend anwesender Dessauer Polizeioberrat sah sich veranlasst, auf der Wache später eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz zu verfassen - weil Andersch nicht um Erlaubnis des Betroffenen gebeten hatte, das Bild zu zeigen.
Pikant: Die absurde Anzeige delegierte der Polizeioberrat auf dem Dienstweg nach unten. Ausgerechnet Staatschützer Kappert musste die Anzeige schreiben, "auf Befehl von oben", rechtfertigt sich dieser - höchstpeinlich sei ihm das. Bei der Zeugen-Befragung soll ein Beamter den vorgeladenen NPD-Mann dann noch ermuntert haben, zusätzlich Anzeige wegen übler Nachrede gegen Andersch zu erstatten. So geht es aus den Akten hervor, die Anderschs Berliner Anwalt Volker Gerloff vorliegen. Erst ermittelte der Staatsschutz, später die Staatsanwaltschaft, die stellte das Verfahren jüngst ein, nun folgte Anderschs Dienstaufsichtbeschwerde. Es sei nicht hinnehmbar, "dass es ein Polizist es ernsthaft als üble Nachrede ansieht, wenn Rechtsextreme als Rechtsextreme bezeichnet werden", so Anwalt Gerloff.
Mysteriöser Fall Oury Jalloh
Die Affären in Dessau scheinen zur Fortsetzungsgeschichte zu werden. Längst noch nicht abgeschlossen ist auch der Fall Oury Jalloh. Das Dessauer Landgericht versucht derzeit zu klären, warum der 23-jährige Asylbewerber aus Sierra Leone im Januar 2005 in einer Arrestzelle der Polizei verbrannte. Zwei Polizisten sind wegen Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise fahrlässiger Tötung durch Unterlassen angeklagt. Das Feuer soll Jallow selbst entzündet haben - obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war.
Mehrfach platze Richter Manfred Steinhoff im Prozess der Kragen: Offen zog er die Aussagen der Dessauer Polizisten in Zweifel und drohte: "Die Polizisten, die falsch ausgesagt haben, die kriege ich. Schließlich leben wir in keiner Bananenrepublik, sondern in einem Rechtsstaat." Ein Ende des Prozesses ist nicht abzusehen.
Gleiches gilt für die Glombitza-Affäre. Die Linksfraktion im Magdeburger Landtag will die ganze Affäre von einem Untersuchungsausschuss beleuchten lassen. Es sei ein Skandal, wie mit drei Staatsschutzbeamten umgegangen werde, verkündete Fraktionschef Wulf Gallert.
Unterstützer braucht die Linke für den Untersuchungsauftrag nicht: Mit ihren 26 Abgeordneten kann sie ein solches Gremium im Alleingang durchsetzen. Doch inzwischen sollen auch Abgeordnete von CDU und SPD ernsthaft über einen Untersuchungsausschuss nachdenken, heißt es in Parlamentskreisen. Das alles dürfte Polizei-Vize Glombitza selbst kaum noch tangieren: Er hat sich in den Urlaub verabschiedet und geht ab 1. August in den Vorruhestand.
Zu genau? Wurde Kappert - und nicht nur er - abgezogen, weil er in den Augen eines Vorgesetzten zu eifrig gegen den braunen Sumpf in der Stadt vorging - ein Sumpf, so tief, dass einige womöglich nicht so gern darin herumstochern? Um diese zentrale Frage dreht sich die Affäre, mit der sich die Dessauer Polizei nun schon seit einigen Monaten herumplagt. Eine Affäre, die das Magdeburger Innenministerium so gerne für beendet erklären würde, die nun aber sogar den Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt beschäftigt. Es geht um die Rolle der Polizei im Kampf gegen Rechtsextremismus, um Vorwürfe gegen einen der ranghöchsten Polizeibeamten des Landes und um absurde Ermittlungsverfahren.
Mit Kappert verließen noch zwei weitere Kollegen unfreiwillig den Staatsschutz: Sein damaliger Vorgesetzter, Kriminalrat Sven Gratzik, 37, und dessen Stellvertreter Swen Ennullat, 31. Gratzik drängte nach Kapperts Versetzung selbst auf sein Ausscheiden, derzeit ist er freigestellt. Ennullat wollte eine Polizeihochschule besuchen, dies wurde ihm zunächst verwehrt. Mit einer einstweiligen Verfügung des Verwaltungsgerichts vom vergangenen Freitag konnte er sich vorerst gegen die Polizeidirektion durchsetzen.
"Unser Vergehen war offensichtlich, dass wir zu genau in der rechten Szene ermittelt haben", vermutet Kappert. Das schlussfolgern die drei aus einem Gespräch mit Dessaus Polizei-Vize Hans-Christoph Glombitza, 56, am 5. Februar dieses Jahres. Die etwa zweistündige Unterredung über die Arbeitsbelastung der Staatsschutzabteilung hatte Kappert, Gratzik und Ennullat derart beeindruckt, dass sie im Anschluss ein Gedächtnisprotokoll anfertigten und unterzeichneten, welches im Petitionsausschuss des Landtages landete.
"Man kann einen Bericht auch langsamer schreiben"
Denn was das Trio aus der Erinnerung zu Papier brachte, würde - wenn es sich tatsächlich so zugetragen hat - kein gutes Licht auf das Amtsverständnis des Polizei-Vizes werfen. So soll Glombitza seinen Leuten nahe gelegt haben, beim Kampf gegen Rechtsextremismus nicht zu eifrig zu sein. "Als persönliche Einschätzung merkte Herr Glombitza an, 'dass man nicht alles sehen müsse'", heißt es im Protokoll. Auf die Frage eines der Staatsschützer, ob Glombitza sie auffordere, künftig "die Einleitung von Ermittlungsverfahren zu unterlassen oder die Dienstwahrnehmung grundsätzlich zu reduzieren", habe dieser geantwortet, man könne einen Bericht "ja auch langsamer schreiben". Glombitza "gestikulierte dabei das Tippen auf der PC-Tastatur mit nur zwei Fingern", erinnern sich die Polizisten.
Weiter soll Glombitza angedeutet haben, Innenministerium, Landeskriminalamt und alle Polizeidirektionen seien "nicht glücklich" mit dem Anstieg rechter Straftaten. Dadurch werde das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich gestört und "das Ansehen unseres Landes könnte nachhaltig geschädigt werden", heißt es in dem Protokoll. Auf Nachfrage der Beamten, was denn mit der Initiative des Landes gegen Rechtsextremismus, "Hingucken!", sei, habe Glombitza abgewunken: "Aber das ist doch nur für die Galerie..."
Die Kampagne hatte die Landesregierung erst vor wenigen Monaten aufgelegt - vor dem Hintergrund mehrerer Aufsehen erregender rechtsradikaler Zwischenfälle und einer unrühmlichen Spitzenposition Sachsen-Anhalts in den einschlägigen Statistiken. Das Land hat laut Verfassungsschutzbericht auf die Bevölkerung bezogen die meisten Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund in Deutschland zu verbuchen. Spitzenreiter ist Dessau: Die Anzahl der rechtsextremer Delikte stieg hier von 141 (2004) auf 238 (2005) bis 392 (2006).
Auffällig ist, dass gerade seit Dienstbeginn der Staatsschützer Gratzik, Kappert und Ennullat im August 2004 immer mehr solcher Taten aufgeklärt wurden. Offenbar brachten die Ermittler auch Vorgänge ans Licht, die vorher nicht in die Statistik eingeflossen waren. "Ihr besonderer Verdienst war es", so glaubt Steffen Andersch, 36, von der Dessauer Civitas-Netzwerkstelle gegen Rechts, "die Straftaten mit rechtsextremen Zusammenhängen in Verbindung zu bringen". Bislang hätte die Polizei diese oft als Auseinandersetzungen unter Jugendlichen abgetan.
Polizei-Vize steht zu Aussagen
Hat Polizei-Vize Glombitza versucht, die Staatsschützer zu bremsen, um den Ruf Sachsen-Anhalts und Dessaus als braune Hochburg nicht weiter zu verfestigen? Das Innenministerium beauftragte den Rektor der Fachhochschule der Landespolizei in Aschersleben, Rainer Nitsche, den Vorwürfen der Staatsschützer intern nachzugehen. "Die Zitate stimmen überwiegend, Glombitza steht auch dazu", erklärte dieser später. Sie seien aber aus dem Zusammenhang gerissen. "Kritikwürdig und fehlerhaft" sei das Verhalten des Leitenden Polizeidirektors dennoch. Aber ein Dienstvergehen? Nein.
Dem "Tagesspiegel" sagte Nitsche, Glombitza habe "einen komplexen Sachverhalt überspitzt und verkürzt dargestellt". Deshalb könnten seine Äußerungen bei den drei Staatsschützern "falsch angekommen sein". Zum Beispiel die Bemerkung zur "Hingucken!"-Kampagne: Dass diese nur für die Galerie sei, habe Glombitza anders gemeint. Er habe sagen wollen, die Kampagne bringe nichts, wenn sie nicht durch weitere Maßnahmen, zum Beispiel Lehrerfortbildung, ergänzt werde.
Vorsichtshalber bat Dessaus Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt auch die Staatsanwaltschaft um Prüfung des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt. Doch Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sah keinen Grund zu ermitteln. Glombitza habe "alles andere bezweckt, nur nicht, Ermittlungen gegen Straftäter mit rechtsradikalen Hintergrund zu behindern", ließ der Chef der Anklagebehörde erklären und bezog sich dabei auf das Gedächtnisprotokoll der Ex-Staatsschützer. Persönlich hat der Ermittler die drei nie gehört.
Bittmann wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, Polizei oder Staatsanwaltschaft seien auf dem rechten Auge blind. "Andererseits", schränkt er gegenüber SPIEGEL ONLINE ein, müsse man nicht "wegen eines Hakenkreuzes auf einem Stromverteiler noch die getrocknete Farbe abkratzen, um zu ermitteln. Die Täter sind doch längst weg". Angeblich hätten die drei Staatsschützer ohnehin "Bearbeitungsrückstande" gehabt. Ein Vorwurf, den Kappert energisch bestreitet.
Groteske Züge nimmt die Affäre nun an, da die Staatsanwaltschaft zwar nicht gegen Polizei-Vize Glombitza, wohl aber von Amts wegen gegen den ehemaligen Staatsschützer Kappert ermittelt - wegen des untauglichen Versuchs der Strafvereitelung im Amt. Wenn Kappert die Äußerungen Glombitzas für strafrechtlich relevant gehalten habe, dann hätte er nach Verständnis des Oberstaatsanwaltes Anzeige gegen den Polizei-Vize stellen müssen - egal, ob die Anklagebehörde selbst in Glombitzas Aussagen keine Straftat erkennt. Gleichzeitig betonte Bittmann eilig, auf keinen Fall gehe es aber darum, einen couragierten Beamten für sein Engagement oder dafür abzustrafen, dass er möglicherweise Missstände aufgedeckt hätte.
Mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Staatsschützer hat die Affäre nun noch einmal eine überraschende Wende erhalten. Jüngst waren die Ex-Staatsschützer zum Kader-Gespräch ins Innenministerium bestellt. Dabei sollten die drei laut Ministerium "zukünftige Einsatzwünsche" äußern. Das Gespräch ist laut dem ARD-Magazin "Panorama" für sie nicht erfolgreich verlaufen - es gibt keine Rückkehr in den Staatsschutz.
Zudem schaltete Kappert Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad ein. Anzeigen gegen Polizeidirektorin Scherber-Schmidt wegen des Verdachtes der Verfolgung Unschuldiger und gegen Oberstaatsanwalt Bittmann wegen versuchter Strafvereitelung im Amt gingen am Montagmorgen in Naumburg ein. Die Polizeidirektion Dessau hat den betroffenen Kollegen aus dem Fachkommissariat 4 einstweilen einen Maulkorb verpasst. Keiner der Männer bekomme die Erlaubnis zu reden, hieß es aus der Behörde gegenüber SPIEGEL ONLINE. Intern gelten die drei Ex-Staatschützer inzwischen als "Nestbeschmutzer", die den "Korpsgeist der Polizei" missachten, sagt Kappert. "Doch wir brauchen die Öffentlichkeit, wir wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt."
Ein Rechtsextremer ist ein Rechtsextremer
Die Polizei in Dessau wird sich noch viele Fragen gefallen lassen müssen. Denn die Affäre um Polizei-Vize Glombitza und die drei versetzten Staatsschützer ist nicht die erste und einzige, die die Direktion belastet. Im Innenministerium in Magdeburg liegt seit einigen Tagen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen drei Beamte - und wieder geht es um deren zweifelhaften Umgang mit dem Rechtsextremismus.
Ausgangspunkt: Eine Info-Veranstaltung des von der Bundesregierung finanzierten Civitas-Mitarbeiters Steffen Andersch. Dieser referierte nach einem Überfall vermutlich durch Rechtsextreme im Örtchen Bergwitz über die rechtsradikale Szene im Landkreis Wittenberg. Dabei zeigte Andersch das Foto eines lokalen NPD-Mannes, der für die Rechtsextremen auch zur Bundestagwahl 2005 kandidierte. Ein an jenem Abend anwesender Dessauer Polizeioberrat sah sich veranlasst, auf der Wache später eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz zu verfassen - weil Andersch nicht um Erlaubnis des Betroffenen gebeten hatte, das Bild zu zeigen.
Pikant: Die absurde Anzeige delegierte der Polizeioberrat auf dem Dienstweg nach unten. Ausgerechnet Staatschützer Kappert musste die Anzeige schreiben, "auf Befehl von oben", rechtfertigt sich dieser - höchstpeinlich sei ihm das. Bei der Zeugen-Befragung soll ein Beamter den vorgeladenen NPD-Mann dann noch ermuntert haben, zusätzlich Anzeige wegen übler Nachrede gegen Andersch zu erstatten. So geht es aus den Akten hervor, die Anderschs Berliner Anwalt Volker Gerloff vorliegen. Erst ermittelte der Staatsschutz, später die Staatsanwaltschaft, die stellte das Verfahren jüngst ein, nun folgte Anderschs Dienstaufsichtbeschwerde. Es sei nicht hinnehmbar, "dass es ein Polizist es ernsthaft als üble Nachrede ansieht, wenn Rechtsextreme als Rechtsextreme bezeichnet werden", so Anwalt Gerloff.
Mysteriöser Fall Oury Jalloh
Die Affären in Dessau scheinen zur Fortsetzungsgeschichte zu werden. Längst noch nicht abgeschlossen ist auch der Fall Oury Jalloh. Das Dessauer Landgericht versucht derzeit zu klären, warum der 23-jährige Asylbewerber aus Sierra Leone im Januar 2005 in einer Arrestzelle der Polizei verbrannte. Zwei Polizisten sind wegen Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise fahrlässiger Tötung durch Unterlassen angeklagt. Das Feuer soll Jallow selbst entzündet haben - obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war.
Mehrfach platze Richter Manfred Steinhoff im Prozess der Kragen: Offen zog er die Aussagen der Dessauer Polizisten in Zweifel und drohte: "Die Polizisten, die falsch ausgesagt haben, die kriege ich. Schließlich leben wir in keiner Bananenrepublik, sondern in einem Rechtsstaat." Ein Ende des Prozesses ist nicht abzusehen.
Gleiches gilt für die Glombitza-Affäre. Die Linksfraktion im Magdeburger Landtag will die ganze Affäre von einem Untersuchungsausschuss beleuchten lassen. Es sei ein Skandal, wie mit drei Staatsschutzbeamten umgegangen werde, verkündete Fraktionschef Wulf Gallert.
Unterstützer braucht die Linke für den Untersuchungsauftrag nicht: Mit ihren 26 Abgeordneten kann sie ein solches Gremium im Alleingang durchsetzen. Doch inzwischen sollen auch Abgeordnete von CDU und SPD ernsthaft über einen Untersuchungsausschuss nachdenken, heißt es in Parlamentskreisen. Das alles dürfte Polizei-Vize Glombitza selbst kaum noch tangieren: Er hat sich in den Urlaub verabschiedet und geht ab 1. August in den Vorruhestand.
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