Sonntag, 15. Juli 2007

"Ein ganzes Volk unter Generalverdacht"

Pressestimmen

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Wesentlichen die Kontenabfrage für rechtens erklärt, spaltet die Kommentatoren deutscher Tageszeitungen. Die Befürworter argumentieren, dass Betrüger besser aufgespürt werden können - die Gegner sehen darin nur den nächsten Schritt auf dem Weg zum gläsernen Bürger.

"Westfälische Nachrichten" (Münster):
"Mit der Möglichkeit, in den Finanzen seiner Bürger zu schnüffeln, stellt der Staat ein ganzes Volk unter Generalverdacht. Letztlich ist damit auch das Vertrauen der Bürger in den Staat erschüttert. Ein schleichender Prozess, der über Jahre hinweg in den Stuben der Finanzämter Wirkung zeigen wird. Dort, wo es möglich ist, werden die Deutschen ihre Finanzen umschichten. Stück für Stück stärkt das mangelnde Vertrauen der Politik auf diese Weise den Kapitalabfluss ins Ausland."

"Stuttgarter Nachrichten":
"Das Beispiel Kontoabfrage zeigt, wie schnell Bürgerrechte mit Hilfe einer Salamitaktik eingeschränkt werden können. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wollte der Staat Geldströme besser überwachen, um Terrororganisationen auf die Spur zu kommen. Während hier die großen Erfolge ausblieben, wurden dafür in den Jahren danach Zehntausende von Konten durchleuchtet, um nach verborgenen Zinseinnahmen zu forschen. Immerhin besteht die Chance, dass die elektronischen Trüffelschweine intelligenter eingesetzt werden. Denn heimlich, still und leise werden Möglichkeiten ausgeweitet, das Recht auf den Bezug von Sozialleistungen wie Hartz IV zu überprüfen. Hier sind die Ämter bisher meist auf die Angaben des Einzelnen über seine finanziellen Verhältnisse angewiesen. Gibt es Kontrollmöglichkeiten, schützt dies nicht nur Steuerzahler vor überzogener Belastung, sondern verhindert auch, dass der Ehrliche der Dumme ist."

"Kölner Stadt-Anzeiger":
"Der Datenschutz ist beim Bundesverfassungsgericht in guten Händen - auch wenn die Richter gestern keine Einwände gegen die Abfrage von Kontostammdaten hatten. Angaben wie die Kontonummer und der Name des Kreditinstituts sind nun wirklich keine Daten, die zur Intimsphäre der Bürger gehören. Es mag zwar nachvollziehbar sein, dass ein Steuerzahler, der seine Zinseinkünfte vor dem Finanzamt verheimlicht, die Zahl seiner Konten gerne als Privatsache behandelt sähe. Hier gehen aber die Interessen der Gesellschaft vor. Das muss auch die Kontoschutzpartei FDP akzeptieren, für die die Kontenabfrage wohl ein schlimmerer Grundrechtseingriff war als der Große Lauschangriff in der Privatwohnung, dem sie einst zugestimmt hat."

"Heilbronner Stimme":
"Bei der Steuererklärung zu tricksen, gilt in Deutschland bei vielen Menschen noch immer als Kavaliersdelikt. Allzu oft werden dem Finanzamt Konten verschwiegen. Auch bei der Sozialhilfe wird immer wieder geschummelt. Jeder ist sich eben selbst der Nächste. Doch ob von Reich oder Arm: Betrug ist Betrug. Und den Schaden trägt die Allgemeinheit. Deshalb darf der Datenschutz nicht als Unrechtsschutz missbraucht werden. Die Bundesverfassungsrichter haben das nun bestätigt. Sie haben zugleich in der Abwägung der Rechtsgüter die Balance gewahrt. Der Bürger ist keineswegs gläsern, sondern rechtsstaatlich geschützt."

"Sächsische Zeitung" (Dresden):
"Die Kontoabfrage durch die Finanzämter hat sich als sinnvoll erwiesen, weil der Staat eine Vielzahl unbekannter Konten entdeckt hat. Es ist nicht mehr so einfach, Vermögen zu verstecken und sich der Steuerpflicht zu entziehen. Eine genaue Bilanz ist das Finanzministerium aber schuldig geblieben. Womöglich sind Banken im Ausland die Profiteure."

"Nordbayerischer Kurier" (Bayreuth):
"Mit verfassungsrichterlichem Segen dürfen die Behörden in den Konten der Bürger schnüffeln. Dies beschert zunächst einmal all jenen, die es mit der Steuerehrlichkeit nicht so genau nehmen, ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Aber auch die Ehrlichen, die nicht die Dummen sein wollen und deshalb die staatlichen Kontospäher im Prinzip gutheißen müssten, beschleicht Misstrauen, ob nicht auch ihre Konten gläsern sind. Allein der Umstand, dass der Zugriff möglich ist, lässt viele Anleger nach Alternativen Ausschau halten. Die gibt es im europäischen Ausland zuhauf, und so sorgen die deutschen Kontenkontrolleure auch für eine Kapitalflucht aus ihrem Heimatland."

"Mannheimer Morgen":
"Einmal mehr bedient sich der Staat über das Bundeszentralamt für Steuern der Banken und Sparkassen, um an Daten seiner Bürger zu gelangen. Der verharmlosende Hinweis, es würden ja keine Kontostände abgefragt, führt in die Irre. Taucht ein begründeter Verdacht auf, haben die Fahnder kein Problem, auch die Kontostände zu überprüfen. Was ­ für sich allein genommen ­ nicht zu beanstanden ist. Natürlich muss der Staat versuchen, Steuerhinterzieher zu stellen. Doch die Kontenabfrage ist nur eine Maßnahme. Zusammen mit Freistellungsaufträgen, den Jahresbescheinigungen der Banken, den Kontrollmitteilungen zwischen 24 der 27 EU-Staaten, der Steuernummer für jeden Bundesbürger und den Bargeldkontrollen an EU-Binnengrenzen ergibt sich dann doch ein weiterer Pflasterstein für den Weg zum gläsernen Bürger."

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