Dienstag, 26. Februar 2008

Parade der schrillen Diven

Von Michael Lenz

Glitzernd geschminkt, mit bunten Federboas und Perücken sind Drag Queens die Königinnen der Homosexuellenszene Sydneys. Ihren großen Auftritt haben sie bei der Schwulen- und Lesben-Parade Mardi Gras. Die Veranstaltung ist unter den Diven inzwischen umstritten.

Die Australier haben ein feines Händchen dafür, politische Botschaften mit viel Witz und Ironie, schrillen Kostümen sowie viel Glimmer und Flitter unters Volk zu bringen: An diesem Wochenende feiert Australiens Gay Community mit einer großen Parade durch Sydney den 30. Mardi Gras.

Die Parade ist die große Stunde der Drag Queens. "Natürlich bin ich dabei. Ich werde in der Gruppe 'Alte Drag Queens' in der Parade mitziehen", sagt Cindy Pastel, 50, und fügt hinzu: "Ich war auch damals vor 30 Jahren dabei, als die erste Demo brutal von der Polizei aufgelöst und viele Teilnehmer verhaftet wurden."

Drag Queens – das Wort Drag ist eine Abkürzung für Dressed as a Girl - gehören zu Australien wie die Kängurus. In den Schwulen-Bars von Sydney wie dem "Stonewall" auf der Oxford Street dem "Newtown Hotel" und vor allem dem legendären "Imperial" sind Dragshows ebenso selbstverständlich wie auf den Bühnen der Clubs des RSSL, des Kriegsveteranenverbandes. Diese Clubs sind in jeder australischen Stadt das Zentrum des bürgerlichen gesellschaftlichen Lebens.

"Ich bin ein Schwanz im Fummel"

Mit ihren schillernden Persönlichkeiten irritieren Drag Queens nicht nur so manches Mal die bürgerliche Welt, sondern sorgen auch in der Gay Community für Verwirrung, wenn sie sich weigern, die Schubladen gesteckt zu werden. "Ich war eine der ersten Drag Queens ohne Titten. Natürlich steckten wir uns was für die Shows ins Kostüm. Danach nahmen wir es wieder heraus und gingen in die Lederbar", sagt Cindy Pastel grinsend, die ohne Perücke und Fummel Ritchi Finger heißt. Sie fügt lapidar hinzu: "I am a cock in frock" – "Ich bin ein Schwanz im Fummel."

Die Drag-Queen-Kultur geht auf den Ursprung Sydneys als britische Gefangenenkolonie zurück. Zum einen hatte sich auf Grund des Frauenmangels eine homosexuelle Subkultur entwickelt. Zum anderen haben die Sträflinge eine antiautoritäre, rebellische Tradition begründet, in der sich vielfältige Lebensstile und exzentrische Persönlichkeiten entfalten können.

Australien ehrt seine Drag Queens. Eines dieser Denkmäler ist der Kultfilm "Priscilla". Dann ist da "Priscilla – Das Musical", das erst über ein Jahr lang in Sydneys renommiertem Lyric Theatre und seit vergangenem Juni in Melbourne Abend für Abend vor ausverkauftem Haus über die Bühne geht.

Pose auf dem Stöckelschuh

Mit allen drei Drag-Queen-Ehrungen ist Cindy Pastel eng verbunden, die seit Ende der siebziger Jahre die Kaiserin der Drag Queens Down Under ist. Trotz der Höhen und Tiefen ihres/seines Lebens. Zehn Jahre lang, bis Sommer 2007, war Cindy/Ritchi von den Bühnen Sydneys verschwunden, um von einem Leben mit Drogen und Alkohol loszukommen. Das selbstgewählte Exil hat Cindy/Ritchi bis zum Comeback vor einem Jahr nur einmal unterbrochen, um hoch oben in einem gigantischen silbernen Priscilla-Stöckelschuh sitzend bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2000 durch das Olympiastadion als eine Ikone Australiens zu gleiten.

Die Figur der "Mitzi" im Film "Priscilla" basiert auf der Lebensgeschichte von Cindy/Ritchi. "Priscilla"-Drehbuchautor Stephan Elliott hatte Cindy Pastel bei der Recherche zu seinem Film Anfang der neunziger Jahre im "Albury" (dem inzwischen geschlossenen Mutterhaus der Drag Queens von Sydney) kennen gelernt. Cindy/Ritchi erinnert sich: "Elliott kam zu mir nach Hause. Seine gesamten Vorstellungen vom privaten Leben einer Drag Queen waren über den Haufen geworfen, als ich ihm mit meinem Sohn auf dem Arm die Tür öffnete. Er hat das ganze Drehbuch umgeschrieben."

Der Film hat so manchem jungen Aussie das Coming Out als Drag Queen erleichtert. "Wir haben Generationen von Drag Queens ermutigt und beeinflusst", freut sich Cindy. Wie zum Beispiel Jason de Santis. Der 24 Jahre alte Aborigine steht an Wochenenden im hohen Norden Australiens in Darwins erster und einziger Schwulenbar als Foxy Empire auf der Bühne. Als erste Aboriginal Drag Queen ist Foxy gar beim jährlichen Naidoc-Day, einer Art Nationalfeiertag der Aborgines, aufgetreten. Für Foxy/Jason ist Drag ein Lebensgefühl wie auch eine politische Aussage. "Drag muss roh, unangepasst, direkt und geradeheraus sein."

Kritik an Parade: Kommerziell und roboterhaft

Cindy wird nach dem Mardi Gras die Perücke an den Nagel hängen. "Ich höre auf." Die Szene ist ihm zu angepasst, zu glatt, zu kommerziell geworden und die meisten seiner Drag-Queen-Kolleginnen empfindet er als "roboterhaft", was Cindy auch als Ausdruck einer angepassten Schwulenkultur empfindet. "Die ist reglementierter, politisch korrekter als früher." Auch Mother Hell ist mit der Szene über Kreuz. Der Fummel der Höllenmutter ist das Habit der Nonnen. Sie gehört zu dem "Orden" der "Schwestern der perpetuellen Indulgenz", einer radikalen Aidsaktivistenbewegung. Mother Hell als Rik ist den Mardi Gras leid. Zu viele Gays würden auf den Partys Drogen nehmen, klagt der fast blinde Aktivist, während die Fortschritte bei der rechtlichen Gleichstellung von Lesben und Schwulen sehr schleppend seien. "Schwule sind doch für jeden Brosamen dankbar."

Dann lästert Mother Hell über die Vermarktung der Mardi Gras Parade als eines der großen Touristenereignisse Sydneys: "Nur Gott alleine weiß, warum das so ist. Ein Haufen von Lkw verpackt in buntem Plastik, von denen Tanzmusik der siebziger Jahr plärrt, ist nicht gerade die glamouröseste Reflektion des schwulen Sydney im neuen Millennium." Aber wirklich lassen kann Mother Hell alias Rik nicht von dem Mardi Gras. Wie jedes Jahr wird er in vollem Ornat samt seiner Blindenhündin Billie, deren Krallen Rik zum Mardi Gras gern rosa lackiert, dabei sein. Rik und Billie sind bei der Parade Teil des "City of Sydney" der Bürgermeisterin von Sydney, Clover Moore. "Clovers Büro hat mich angerufen und mich gefragt, ob ich wieder mitmachen will. Da konnte ich doch nicht Nein sagen."

Wer das Lebensgefühl "Drag Queen" am eigenen Leib erfahren möchte, ist bei den Stadtrundfahrten "Sydney by Diva" von Shirley Shagwell (zu Deutsch: Bumstgut) an der richtigen Adresse. Im Preis inbegriffen sind eine Perücke, ein Frauenname, Gesang und viel Sekt. Am Ende der Rundfahrt durch das nächtliche Sydney steht ein Auftritt der dann reichlich angesäuselten Reisetruppe auf der Bühne des Imperial. Fräulein Shagwell versichert: "Dadurch wird jedem seine innere Diva bewusst." Meine innere Diva hört seit der Rundfahrt auf den Namen Antoinette.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen