Ist die Online-Durchsuchung nun erlaubt oder verboten? Nachrichten zum Thema Internet verbreiten sich ebenda besonders schnell. Freilich gelang es den zahllosen Foren und ihren Usern zunächst weder, sich auf eine einheitliche Schlagzeile zum frisch ergangenen, lesenswerten Urteil zu einigen noch hatte man den Eindruck, die Netzgemeinde mache sich die lohnende Mühe, den Darlegungen des Gericht zu folgen, bevor man sie schubladisierte. So wechselten sich die Überschriften munter ab: „Gericht erlaubt Online-Durchsuchungen“ stand virtuell neben „Gericht verbietet Online-Durchsuchungen“. Vermutlich ist das keine schlechte Presse für ein Urteil, das mit so großer Spannung wie wenige erwartet wurde. Das lag weniger am konkreten Fall, dem nordrhein-westfälischen Gesetz. Angekündigt hatte sich eine Grundsatzentscheidung, und die Richter hatten in weiser Voraussicht ob der greifbaren Bedeutung des Gegenstandes ihr gesteigertes Interesse an der Materie signalisiert lassen. Beklemmender Futurismus Denn hier verdichten sich grundsätzliche Fragen der Ausbalancierung von Sicherheit und Freiheit, angewandt auf die ebenso schwindelerregende wie alltäglich gewordene Informations- und Kommunikationstechnik des Internets, des Personal-Computers und ihrer variantenreichen technischen Abkömmlinge. Sie sollen durch technisch nicht minder avancierte Mittel heimlich ausgespäht werden, von deren Existenz der normale Nutzer kaum etwas weiß: „Hardware-Keylogger“ und „Messungen der elektromagnetischen Abstrahlung von Bildschirm oder Tastatur“ listet das Urteil in seinen mitunter beklemmend futuristisch wirkenden Passagen. Heraus kam ein „ja, aber“, das unter besonders hohen Voraussetzungen des materiellen Rechts wie des Verfahrensrechts dem Gesetzgeber den Weg zu einer verfassungskonformen Regelung von Onlinedurchsuchungen weist. Das Urteil macht eine Eingriffsermächtigung insbesondere davon abhängig, „dass tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen“. Eine richterliche Anordnung soll die Interessen des Betroffenen verfahrenstechnisch absichern. Ein Meilenstein Juristen sind eher konservative Zeitgenossen, und sie meiden gerne Superlative und Dramatisierungen. Dennoch hat das Urteil kurzfristig Zeug zur Sensation und langfristig zum Klassiker. Allerdings nicht durch sein erwartbares und in gewisser Weise affirmatives Ergebnis, sondern durch den Weg dorthin. Und man sieht daran, dass auch der Mittelweg aufregend sein kann. Denn die Richter haben ein neues Grundrecht auf der Taufe gehoben. Die Bürger, so sprachen die Hüter der Verfassung, hätten ein Grundrecht „auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Das ist ein Meilenstein in der juristischen Bewältigung der Herausforderungen der technisch-wissenschaftlichen Moderne. Noch ist seine Bedeutung unabsehbar und sind seine Konsequenzen ebenso vage Zukunftsmusik wie jene Fälle, an denen es künftig in Karlsruhe und vor anderen deutschen Gerichten ausbuchstabiert werden wird. Deutlich aber wurde der Wille, ein neues juristisches Instrument zu schaffen, das einen genuinen Prüfstein für kulturelle Praktiken gibt, die historisch ohne Vorbild sind. Selbst in ihrer Summe kommen die Auskünfte traditioneller Aufschreibtechniken und Kommunikationsmedien niemals an jene computerisierte Info-Avantgarde heran, die es nun in jedem Supermarkt als Massenware gibt. Die Grenzen des Rechts auf Selbstbestimmung Das Bundesverfassungsgericht war ebenso klug wie mutig, hierfür einen neuen Weg einzuschlagen. Es formulierte in bedenkenswerter Offenheit die systembedingten Grenzen des „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“, jener bis dato eingesetzten Allzweckwaffe für alle Fragen rund um den Datenschutz und Persönlichkeitsgefährdungen. Der „grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeits- und Integritätserwartung“ füllt von nun an und für unabsehbare Zeit als neue dogmatische Figur jene Lücken, die die informationelle Selbstbestimmung ließ. Die Einleitung der Richter in die technischen Zusammenhänge, die ihre juristische Erfindung rechtfertigen, klingt hier zwar denkbar konventionell. „Das Internet ist ein elektronischer Verbund von Rechnernetzwerken“ – man denkt unweigerlich an graue, leicht angestaubte Gehäuse aus der Frühzeit der PCs denkt. Doch dahinter folgen Beschreibungen und Analysen, die den „großen Funktionsumfang“ und die „früher nicht absehbare Bedeutung“ der Systeme und ihrer Daten sachkundig nachzeichnen. Angst vor dem Späherstaat Sie nehmen die Sorge vor den Konsequenzen der digitalen Ausforschungen unter der Bedingung der Heimlichkeit ernst: Die Gesamtausspähungsangst vor dem Superausspähstaat wird mit diesem Urteil gewiss nicht beseitigt sein, aber die Bürger haben nun die Sicherheit, dass die Richter die Gefahr erkannt haben und ihr etwas Wirksames entgegensetzen wollen: Auch die rechtlichen, nicht nur die polizeilichen Instrumente müssen mit der Technik Schritt halten. Nicht nur die juristische Seite des Urteils zu den Online-Durchsuchungen verdient Aufmerksamkeit. Allerdings konnte das Gericht über die kriminalistischen Aussichten, über die praktische technische Durchführung und deren Erfolge (was auch Schwierigkeiten einschließen müsste) keine Aufklärung leisten. In der Anhörung schwiegen die obersten deutschen Kriminalisten vor dem Senat: Die Präsidenten des Bundeskriminalamts und des Bundesamt für Verfassungsschutz erhielten keine Aussagegenehmigung.
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