Dienstag, 17. August 2010

Zoll entdeckt Schwarzarbeiter auf Baustelle

"Stuttgart 21"

Verdeckte Subventionen und geschönte Kostenplanung - das Milliardenprojekt "Stuttgart 21" steht massiv in der Kritik. Jetzt kommt ein handfester Skandal hinzu: Bei einer Routinekontrolle des Zolls konnten rund 80 Prozent der überprüften Arbeiter keine ordnungsgemäßen Papiere vorweisen.

Die Disponenten der Bauunternehmen waren entweder unglaublich unverschämt oder blöd. Anders lässt sich wohl kaum erklären, wie sie dazu kamen, ausgerechnet auf der derzeit meistbeobachteten und angefeindeten Baustelle Deutschlands - dem Milliardenprojekt "Stuttgart 21" - Schwarzarbeiter einzusetzen. Das Hauptzollamt Stuttgart hat einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" zufolge am Nordflügel des Bahnhofsgebäudes in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gleich mehrere Bauarbeiter aufgespürt, die weder Ausweis noch Sozialversicherungskarte vorlegen konnten. Die Zöllner ermitteln deshalb wegen des dringenden Verdachts auf Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung.

Eine nach Angaben der Polizei verdachtsunabhängige Überprüfung habe bei neun von elf Bauarbeitern Ungereimtheiten ergeben, erklärte die Behörde der Zeitung. Sollte sich der Verdacht in allen Fällen erhärten, dann betrüge die Schwarzarbeiterquote rund 80 Prozent. "Das wäre selbst im Baugewerbe eine außergewöhnlich hohe Zahl", bestätigte der Sprecher des Hauptzollamts Stuttgart, Thomas Böhme. Die Hauptzollämter prüfen bundesweit bei Baustellen-Inspektionen, ob die Arbeitnehmer sozialversichert sind und ihre sozialen Rechte wahrnehmen können, also beispielsweise Urlaubs- und Krankheitstage gewährt werden.

Die Vorwürfe decken nach Auskunft des Sprechers die ganze Palette regelwidriger Beschäftigungsverhältnisse ab. Sie reichten von Scheinselbständigkeit über Leistungsbetrug bei Empfängern von Arbeitslosengeld II, Beschäftigung unterhalb des Mindestlohns bis hin zu illegaler Arbeitnehmerüberlassung zwischen zwei Firmen. Die Verstöße ließen sich im Einzelfall schnell nachweisen, da Bauarbeiter vor der Arbeitsaufnahme angemeldet werden müssten. Ein Abgleich mit dem Register der Sozialversicherung schaffe daher sofort Klarheit. In welchem Ausmaß die Sozialkassen um Versicherungsbeiträge und Leistungen betrogen worden seien, werde noch geprüft.

 Abrissarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof: Hohe Schwarzarbeiterquote
Drohende Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht
Bei den beanstandeten Firmen handele es sich um Subunternehmen der dritten oder vierten Ebene, sagte Böhme, ohne jedoch konkrete Namen zu nennen. Der Sprecher betonte, dass die beanstandeten Beschäftigungsverhältnisse keine Besonderheit von der Baustelle am Stuttgarter Bahnhof seien. Auch lasse sich von den jetzt aufgedeckten Fällen illegaler Beschäftigung keinesfalls auf das gesamte Bauvorhaben schließen. "Es gibt innerhalb der Baubranche große Unterschiede, was die Verbreitung der Schwarzarbeit betrifft", erklärt er. Besonders anfällig seien die Bereiche, die vornehmlich Arbeiter mit geringer Qualifizierung einsetzten.

Auf einer der größten Baustellen Europas werde es daher weitere Kontrollen geben, kündigte er an.

Unbill droht dem Riesenprojekt aber auch von anderer Seite: Der Grünen-Verkehrspolitiker Winfried Hermann hat der Bahn mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gedroht, weil ihm der Einblick in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Deutschen Bahn verwehrt wurde.

"Es ist aberwitzig, dass ein Parlament die Ausgabe von Steuergeldern in Milliardenhöhe nicht kontrollieren kann", sagte Hermann in der ZDF-Sendung "Frontal 21". Sowohl die Bahn als auch das Bundesverkehrsministerium hätten die Vorlage der genauen Kosten-Nutzen-Rechnung verweigert. Die Begründung sei, dass es sich um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse handele.

Auch die Protestaktionen gegen das Bahn-Projekt, das den Abriss von Gebäuden und die unterirdische Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs vorsieht, halten unvermindert an: Am Montagabend versammelten sich rund 5000 Gegner am Nordflügel des Hauptbahnhofs. Nach der Veranstaltung gelang es laut Polizei rund 300 Menschen, auf das Baugelände zu gelangen, indem sie offenbar mit Werkzeugen einen Teil des Bauzauns entfernten.

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