Dienstag, 17. August 2010

Charlie-Qualle in der Feuerhölle

Von Dinah Deckstein, Gregor Peter Schmitz, Gerald Traufetter und Volkhard Windfuhr
Ausgebranntes Wrack der Lufthansa-Frachtmaschine in Riad am 27. Juli: Warum tobten die Feuer vor allem im Laderaum so heftig und nicht an den Tanks?
Das in Saudi-Arabien verunglückte Flugzeug verbrannte, weil es gefährliche Fracht an Bord hatte. Waren auch Militärgüter der US-Armee darunter?
 
Mit äußerster Vorsicht näherte sich Johann Reuß der ausgebrannten Frachtmaschine, die neben der Landepiste im Wüstensand lag. Das Dach war weggeschmolzen in der Glut des Feuers. Das Muster des Flammenwerks gefiel dem erfahrenen Beamten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ganz und gar nicht: "Als Erstes haben wir abklären lassen, ob Gefahrenstoffe in der Ladung waren."

Sein Verdacht sollte sich bewahrheiten. Das havarierte Lufthansa-Flugzeug, das Ende vorigen Monats im saudi-arabischen Riad verunglückt war, hatte nach SPIEGEL-Informationen tatsächlich leichtentzündliche Ladung an Bord - eine Erkenntnis, die den Unfall um ein mysteriöses Detail reicher macht.

Über die Art der Fracht schweigt sich die Cargo-Tochter der Lufthansa beharrlich aus. Im Frachtraum sei "das Übliche" gewesen, "nichts Besonderes", beteuerte der Sprecher von Lufthansa Cargo, Nils Haupt, schon am Tag nach dem Unfall. Auch trat er Gerüchten entgegen, wonach das Flugzeug schon in der Luft gebrannt habe.

In ihrem Intranet schildert die Konzernleitung den Unfall so: Die Frachtmaschine vom Typ MD-11 habe zunächst normal aufgesetzt. "Es folgten zwei weitere Bodenberührungen." Dann sei das Heck abgebrochen, und nach 2400 Metern sei das Flugzeug von der Landebahn geschlittert. Nach 375 weiteren Metern sei es zum Stehen gekommen und habe angefangen zu brennen.
Nur: Warum tobten die Feuer vor allem im Laderaum so heftig - während die Tanks unversehrt blieben?

Ungewöhnlich viele Fahrzeuge mussten den Brand bekämpfen
Womit die Maschine mit dem Kennzeichen D-ALCQ, von den Technikern nur "Charlie-Qualle" genannt, beladen worden war, verrät die Lufthansa auch ihren eigenen Mitarbeitern nicht. 37 Paletten, so Lufthansa Cargo, seien an Bord gehievt worden, ehe der Frachtvogel am 27. Juli um 2.50 Uhr zu seinem letzten Flug abhob.

Klar scheint nun: Zwei Paletten waren mit Aufklebern als Gefahrgut gekennzeichnet und wurden im Mittelteil der Maschine verankert. Dort traten nach der missglückten Landung in Riad auch als Erstes dichte Rauchschwaden aus dem Flugzeugleib.

Wie aus LH-Papieren hervorgeht, befand sich in einem der beiden Frachtstücke ein Triebwerk. Auch solche Aggregate werden, ähnlich wie Autos, als Gefahrengüter eingestuft, da sich im Innern Öl und Spritreste befinden können.

Die zweite Ladeeinheit barg heikleren Inhalt: gefährliche Chemikalien, die sich beispielsweise nach einem Riss in der Treibstoffleitung und Funkenflug schnell entzünden können. Beim Abbrennen entwickeln sie große Hitze. Zeugen fiel auf, dass die Flughafenfeuerwehr in Riad mit ungewöhnlich vielen Fahrzeugen den Brand bekämpfen musste.

LH-Cargo-Sprecher Haupt lehnt "aufgrund der geltenden gesetzlichen Regelungen" jede Stellungnahme zu der Ladung ab. Man dürfe sich während der laufenden Untersuchungen nicht öffentlich äußern.

Nach Schilderung von Augenzeugen, die bei der Verladung in Frankfurt dabei waren, wurden noch andere, potentiell gefährliche Teile an Bord des Frachtflugzeugs gebracht - darunter angeblich Maschinengewehre für Saudi-Arabien und Güter des US-Militärs. Ein Pentagon-Sprecher verwies an die US-Botschaft in Berlin, die wiederum erklärte: "Kein Kommentar."

Dienste privater Transportunternehmen diskret in Anspruch genommen
Bis vor fünf Jahren betrieb die US-Luftwaffe noch eine eigene Air Base am Frankfurter Flughafen südlich der Landebahnen; von dort aus fertigte sie Fracht völlig eigenständig ab. Heute expedieren US-Militärs schwere Güter von Ramstein in der Pfalz und Spangdahlem in der Eifel aus in alle Welt - die Militärmaschinen sind aber auffällig.

Daher nehmen die Amerikaner nach Angaben von Logistikexperten auch diskret die Dienste privater Transportunternehmen in Anspruch - alles ganz legal. Betreut eine bekannte, vom Luftfahrtbundesamt zertifizierte Spedition wie Schenker oder Kühne & Nagel eine Sendung, wird diese am Flughafen nach Aussagen eines LH-Cargo-Sprechers nicht mehr geröntgt oder näher kontrolliert. Nur zehn Prozent der Frachtgüter werden gründlich gecheckt, weil sie von einem unbekannten und nicht offiziell registrierten Versender stammen.

Was sich tatsächlich in dem abgestürzten Cargo-Jet befand, versuchen die Unfallermittler zu klären. Dabei geht es auch um die Frage, ob die Amerikaner der Lufthansa womöglich heimlich Militärmaterial untergeschoben haben.

Eines scheint nach Einschätzung der deutschen Untersuchungsbeamten aber schon jetzt festzustehen: Ohne die gefährlichen Chemikalien an Bord wären nach der missglückten Landung wohl kaum so schnell Teile des Rumpfes geschmolzen.

War den Piloten klar, welche riskante Fracht sie durch die Lüfte kutschierten? Während der 39-jährige Kapitän, beinahe unversehrt, schon wenige Tage später nach Frankfurt zurückfliegen konnte, musste der 29-jährige Co-Pilot in einem Krankenhaus in Riad behandelt werden. Die beiden Männer haben Riesenglück gehabt. "Sie konnten sich über die Notrutschen retten", so Ermittler Reuß.

Notlage vor der Landung
Die MD-11 genießt einen zweifelhaften Ruf unter Luftfahrtexperten. Ihre hohe Landegeschwindigkeit und der weit nach hinten verlagerte Schwerpunkt machen ihre Steuerung sehr anspruchsvoll. Die Lufthansa trainiert ihre MD-11-Piloten deshalb besonders intensiv. Bereits mehrere Male verunglückte das Modell unter spektakulären Umständen bei der Landung.

So führte ein harter Aufprall einer FedEx-Frachtmaschine im vergangenen Jahr in Tokio dazu, dass ein Flügel abbrach. Daraufhin drehte sich die Maschine des Logistikunternehmens auf den Rücken und zerschellte in einem riesigen Feuerball.
Die Bruchlandung von Riad lief anders ab. Der Lufthansa-Flieger setzte zwar mit dem linken Hauptfahrwerk hart auf und weist dort nach Angaben der Ermittler zwischen Flügel und Rumpf deutliche Spuren der außergewöhnlichen Belastung auf. Kollabiert ist dann aber das Heck. Aufgrund dieses Unfallhergangs zirkuliert in Pilotenforen noch immer der Verdacht, die Maschine habe schon in der Luft gebrannt - mit der Folge, dass die von der Hitze geschwächte Flugzeughülle beim Aufsetzen nachgegeben habe.

Als ein weiteres Indiz für eine Notlage des Fliegers vor der Landung werten Piloten eine Aussage der saudi-arabischen Flugsicherheitsbehörden, die sich damit brüsten, bereits 35 Sekunden nach dem Unfall sei die Feuerwehr am brennenden Wrack gewesen - eine auffallend kurze Zeitspanne. In den Blogs wird das als Hinweis gesehen, wonach die Rettungskräfte bereits neben der Landebahn gewartet haben müssen.

Nach dieser Version wären die Männer im Cockpit wahre Helden, hätten sie doch eine viel größere Katastrophe verhindert.

Über zwei Wochen lang blieb das Wrack des dreistrahligen Flugzeugs im Wüstensand liegen. Nach Deutschland werden seine Überreste nicht mehr kommen. Charlie-Qualle wird vor Ort zerlegt und verschrottet.

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