Mittwoch, 18. August 2010

Frankreichs Aktionen gegen Roma: Sündenböcke auf die Müllkippe


Von Stefan Simons, Paris

Frankreichs Hardliner nutzen die Sommerpause, um gegen Roma und nicht legale Einwanderer Front zu machen. Das Kalkül: Die Regierung Sarkozy behält die Hoheit über das kontroverse Thema innere Sicherheit. Das rigorose Vorgehen schreckt selbst Konservative in den eigenen Reihen ab.

Razzia in Harmes, 200 Kilometer nördlich von der französischen Hauptstadt: Die Polizei räumt in der kleinen Ortschaft des Departements Pas-de-Calais ein Roma-Lager, 16 Personen werden festgenommen, um ihre Aufenthaltsgenehmigungen zu überprüfen. Gleichzeitig werden in Tremblay-en-France, unweit von Paris, 84 Roma gezwungen, ein Fläche zu verlassen, die der Stadt gehört, während in Bordeaux Wohnwagen ein städtisches Ausstellungsgelände blockieren. Dort waren die Roma am Wochenende von ihren Stellplätzen vertrieben worden. Die Aktionen haben Methode: Die Regierung Sarkozy hat beim Kampf gegen die Kriminalität neue Sündenböcke gefunden.

Innenminister Brice Hortefeux, einer der beiden Wortführer, verkündete triumphierend, man habe "40 illegale Lager in zwei Wochen geschlossen". Die Maßnahmen beträfen "700 Personen, die in ihre Abstammungsländer zurückgeführt werden". Für Hortefeux ist es eine Erfolgsbilanz. Er will hart durchgreifen gegen die Roma, die er politisch korrekt stets als "Landfahrer" bezeichnet.

Und Hortefeux ist nicht allein. Kabinettkollege Christian Estrosi, Industrieminister und im Nebenamt Bürgermeister der Hafenstadt Nizza, stimmt mit ein. "Städte, die ihre Sicherheitsauflagen nicht erfüllen, so mein Vorschlag, sollten zu hohen Geldstrafen verurteilt werden", ereiferte er sich kürzlich. Und das soll wohl heißen: Macht eine Kommune nicht mit beim unnachgiebigen Kurs gegen die Roma, gibt es Ärger. Am Montag präzisierte der Konservative und attackierte den politischen Gegner direkt: Er spreche vor allem auch jene sozialistischen Rathäuser an, die "bei der Verbrechensprävention nicht voll und ganz ihre Rolle spielen".

Der Populist und sein Hilfssheriff
Das sorgt für Schlagzeilen. Denn mit ihren kalkulierten Provokationen bringt sich das konservative Kabinettsduo in der Sommerpause immer wieder ins Gespräch: Hortefeux, ein persönlicher Freund Sarkozys, seit die beiden ihre gemeinsame Karriere bei der konservativen Parteijugend begannen, übt sich in martialischem Auftreten und predigt schärfere, wahlweise ganz neue Gesetze. Er bringt sich als "oberster Flic Frankreichs" ins Gespräch, als unnachgiebigster aller Ordnungshüter.

Es ist dasselbe Kalkül, das sich einst Staatschef Sarkozy zunutze machte, um an mediale Aufmerksamkeit zu kommen. Nun reist eben Hortefeux durch die Republik und verkündet sein Allheilmittel gegen die Kriminalität: härteres Durchgreifen.

Und Estrosi gefällt sich in der Rolle des Hilfssheriffs. Als Minister ist er bislang nur durch mäßige Leistungen aufgefallen, als Bürgermeister von Nizza als Liebhaber städtischer Überwachungskameras. Hemmungen vor markigen Worten hat Estrosi nicht. Hauptsache, seine Vorstöße sorgen für mediale Resonanz - und gefallen dem Präsidenten, der Estrosi aus dem Urlaub wohlwollend mit Lob bedachte.

Die wichtigste Aufgabe der beiden Gefolgsleute des Präsidenten scheint jedoch, die Debatte um das Dauerthema innere Sicherheit auf der politischen Agenda ganz oben zu halten. Dabei bedienen sie sich altbekannter Mittel: Sie vermengen die Angst vor Kriminalität mit fremdenfeindlichen Ressentiments, lenken zugleich von der Negativbilanz der Regierung ab und bringen damit die Opposition unter Zugzwang. Die Sozialisten wollen eigentlich erst Anfang nächsten Jahres ihr Konzept zur inneren Sicherheit vorstellen.

"Die Landfahrer stehen nicht über dem Gesetz"
Ursprünglicher Anlass für die Debatte war ein Vorfall Mitte Juli, als unter noch ungeklärten Umständen in der mittelfranzösischen Gemeinde Saint-Aignan ein junger Rom von Gendarmen getötet wurde. Daraufhin stürmten rund 50 mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete Personen die örtliche Polizeiwache. Mehrere Autos gingen im Flammen auf, in einem benachbarten Dorf wurde ein Versammlungssaal in Brand gesteckt.

Der hässliche Vorfall störte nicht nur den ländlichen Frieden, sondern schreckte auch die Regierung in Paris auf. Bei der letzten Sitzung vor der Sommerpause beschloss das Kabinett harte Sanktionen gegen illegale Roma - die Räumung von "illegalen Lagern" und die "Rückführung" von Ausländern ohne reguläre Aufenthaltserlaubnis. "Die Landfahrer stehen nicht über dem Gesetz", donnerte Hortefeux und behauptete, dass sich die "methodischen" Aktionen auszahlten.

Einen anderen Vorfall - in Grenoble war es ebenfalls Mitte Juli nach dem Tod eines Einbrechers zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen - nutzte Staatschef Sarkozy persönlich, um den "Krieg" gegen Kriminalität und Gewalt auszurufen. Das war der Startschuss zu der Sommer-Kampagne, die sich allerdings als politischer Bumerang erweisen könnte. Denn das rigorose Vorgehen gegen die Roma, von denen viele die französische Staatsbürgerschaft besitzen, sorgt nicht nur bei der Opposition für Empörung. Selbst Konservative sind aufgebracht.


Warum die Methode Hortefeux selbst Parteifreunde schockiert
Frankreichs Sozialisten rügen den Übereifer des Innenministers, die Grünen sprechen von "schändlichen Vertreibungen", und Daniel Cohn-Bendit, EU-Abgeordneter der europäischen Grünen, sieht darin einen "Populismus der Ausgrenzung, um die harten Rechten an Bord zu holen - auf Kosten von Minderheiten".

Und auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik. "Diese Politik ist schockierend", sagt François Goulard, Abgeordneter der Regierungspartei UMP aus dem bretonischen Département Morbihan. Sein Kollege Jean-Pierre Grand fühlt sich gar an die Massenverhaftungen im Zweiten Weltkrieg erinnert. Er ist entsetzt, "dass die Familien von den Sicherheitskräften aussortiert wurden - auf der einen Seite die Männer, auf der anderen Seite die Frauen, mit der Drohung, sie von ihren Kindern zu trennen".

Die Debatte zeigt auch, wie wenig Erfolg die Regierung Sarkozy bei der Bekämpfung von organisierten Banden und gewöhnlicher Alltagskriminalität hat. Zwar weist die Verbrechensstatistik insgesamt einen Rückgang auf - vor allem bei Einbrüchen und Wirtschaftsdelikten -, aber die Körperverletzungen hat nach Angaben des Nationalen Büros für Kriminalität das höchste Niveau seit 1996 erreicht.

Vertreter der Polizeigewerkschaft machen dafür vor allem den Präsidenten selbst verantwortlich. Als Innenminister hatte sich Sarkozy bei den Sicherheitskräften mit besserer Ausrüstung und Bezahlung beliebt gemacht. Als Präsident verordnete er hingegen einen drastischen Abbau der Ordnungshüter: 9121 Stellen wurden in den drei vergangenen Jahren gestrichen, bis 2012 sollen 3500 weitere Stellen verschwinden.

Demonstration der "Entschlossenheit" allerorten
Angesichts dieser Entwicklung zeigen sich nun jene sozialistischen Bürgermeister empört, die Industrieminister Estrosi so eloquent mangelnder Tatkraft bezichtigt hatte. Und selbst UMP-Mann Jacques Pélissard, Präsident der Vereinigung von Frankreichs Bürgermeistern, findet Estrosis Vorwurf überzogen. Die geplanten Sanktionen seien "weder realistisch noch anwendbar", sagte er. So viel Widerstand kam dann auch bei Estrosis Krawall-Kumpan Hortefeux an, der am Dienstag bei einem Abstecher nach Toulon leisere Töne anschlug. "Die Bürgermeister sind die natürlichen Partner des Staates, mit denen wir einen respektvollen Umgang pflegen."

Allen Höflichkeiten zum Trotz dringt die Regierung nun bei der Räumung der Roma-Lager auf ein Exempel. Nachdem Roma-Vertreter sich in Bordeaux gegen den Umsiedelung auf ein Grundstück neben einer Müllhalde gewehrt hatten und vor Gericht zogen, zeigte sich die lokale Präfektur unnachgiebig. Die staatlichen Behörden garantierten die "Achtung der öffentlichen Ordnung", versicherte Jean-Marc Falcone. Und das will er als "Botschaft des Entgegenkommens ebenso wie eine Botschaft der Entschlossenheit" verstanden wissen.

Sein oberster Dienstherr in Paris, Innenminister Hortefeux, demonstriert ebenfalls "Entschlossenheit": Er kündigte die erste "Rückführung" von Roma an. 79 Personen werden am Donnerstag per Chartermaschine "freiwillig" nach Bukarest befördert. Weitere Flüge sollen folgen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen