»Wir haben es vorhergesehen«
Vor allem junge Leute debattierten beim Attac-Kongreß über die Zukunft des Kapitalismus
Ein Sinnbild für die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus hatte jemand an den Cola-Automaten gehängt. »Ausbeuter-Limo boykottieren!« stand dort. Gleich daneben klebte ein Werbeplakat: »Fritz-Cola – alternative Energie«.
Kann sich der Kapitalismus wieder einmal neu erfinden? In welche Richtung wird dies gehen? Ist der Neoliberalismus überhaupt Geschichte? Und was heißt das für die Linke? Solche Fragen waren es, die den »Kapitalismus-Kongress« in der Berliner TU umtrieben. Vor zwölf Jahren entstand das Netzwerk gegen die neoliberale Globalisierung; nun konnten sich die »Attacis« auf die Schulter klopfen. Lange haben sie vor dem (selbst-)zerstörerischen »Turbo-Kapitalismus« gewarnt – nun ist der Crash da. »Wir haben es vorhergesagt«, meinte etwa der Berliner Politikprofessor Alex Demirovic am Samstagabend.
Noch 1980, erklärte der Bremer Ökonom Jörg Huffschmidt, hielten sich das Welt-Sozialprodukt und das Finanzvermögen die Waage. 2006 hatte das Vermögen das Sozialprodukt mehr als dreifach überstiegen. Zuletzt diente das produzierende Gewerbe der Finanzwelt nur noch als Anlageoption. Ein explodierender Anlagedruck sorgte für immer höhere Risiken – und die »Globalisierung« der Finanzen für deren weltweite Verbreitung.
Darüber bestand Einigkeit auf dem Kongress. Unterschiedlich werden aber die Folgen gesehen, selbst innerhalb des Attac-Beirates. Während der Wiener Politologe Uli Brandt von einer »tiefen Legitimationskrise« des Neoliberalismus und dem Aufziehen eines »Post-Neoliberalismus« ausgeht, der neue politische Möglichkeiten eröffne, bleibt Demirovic skeptisch: »Der Finanzmarktkapitalismus bleibt. Er sucht nach immanenten Lösungen.« Auch Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ebenfalls im Beirat des Netzwerks, warnte vor Euphorie.
Auch der Klassiker gelangte zur Aufführung: Revolution und Reform? Eine linksradikale Gruppe hatte sich an den Kongress angedockt und übte am Samstagabend Fundamentalkritik: »Die deutsche Linke will den Kapitalismus bloß reparieren«, hieß es dort.
Die 1500 Teilnehmer focht dies allerdings nur wenig an. »Wir haben das Gefühl, an so was wie einer historischen Wende teilzunehmen«, sagte etwa eine Studentin aus Münster – und traf damit die Stimmung zumindest der Umstehenden. Auch die Kaffeetassen mit Kongresslogo fanden reißenden Absatz, obwohl sie immerhin vier Euro kosteten. Kaum eine der 93 Veranstaltungen platze nicht aus allen Nähten.
Was aber tun? Auf Lenins Gretchenfrage gab es, je nach Lagebild, die unterschiedlichsten Antworten. Für Norbert Trenkle von der »Krisis«-Gruppe stößt der Kapitalismus jetzt an seine absolute Grenze. In Zukunft würden nur noch Inseln in der Gesellschaft der Verwertung unterworfen – »der Rest wird repressiv verwaltet«. Für die Linke heiße dies, sich gegen das »Krisenregime« zu stellen. Ähnlich sehen dies alternativwirtschaftliche Gruppen, die abseits des Marktes partizipatorische Versorgungs- und Solidarstrukturen aufbauen wollen.
Für andere, etwa Attac-Mitgründer Peter Wahl, ist die anstehende Formveränderung des Kapitalismus ergebnisoffen. Daher sei es möglich, ihm weit gehende, gar »wesentliche« Kompromisse abzuringen. Wieder andere, wie der ver.di-Ökonom und Linkspartei-Mann Michael Schlecht, sehen die Zeit einer keynesianischen Nachfragesteuerung zurückgekommen.
Analyse: brillant; Perspektiven: schwammig – das ewige Fazit linker Kongresskultur scheint auch diesmal zu passen. Dieser Gedanke schien auch den Teilnehmer einer Veranstaltung über Sein und Bewusstsein in der Krise des Neoliberalismus befallen zu haben, als er am Samstagnachmittag selbstironisch ausrief: »Ja sind wir denn ein Volksbildungsverein?« Ja, kann nur sagen, wer die Teilnehmer beobachtete, die selbst in nach Hunderten zählenden Veranstaltungen im Audimax so konzentriert mitschrieben, wie es in normalen Vorlesungen kaum üblich ist. Und das ist auch gut so.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen