Sonntag, 4. Oktober 2009

Rebellion in der Ölprovinz

Randale am saudischen Nationalfeiertag

Es begann als ausgelassene Feier und endete in einem Desaster: Am saudischen Nationalfeiertag am vergangenen Wochenende haben etwa 200 junge Männer in der Ölprovinz Dammam Läden und Restaurants attackiert. Einige Randalierer wurden bereits dafür ausgepeitscht, andere in Erziehungsheime überstellt. Wie konnte das passieren?, fragt die saudische Öffentlichkeit jetzt.

Von Esther Saoub, ARD-Hörfunkstudio Dammann

Sie tragen saudische Fahnen über den Schultern, manche auch vor dem Gesicht. Doch statt zu feiern, zerstören sie: Sie werfen Steine in Schaufenster, treten Türen ein, schüchtern die Kunden ein. Mahmoud Sabri, Filialleiter bei Starbucks direkt an der Uferpromenade von Dammam, stand in der Nacht hinter dem Tresen: "Die waren da draußen und haben den Nationalfeiertag gefeiert, hier drin war Betrieb. Plötzlich flogen Stühle durch die Luft, Tische, Steine", berichtet er. "Die Jungs haben dann die Türen aufgebrochen und das Geld aus der Kasse gestohlen." Das ganze habe nur zehn Minuten gedauert, aber diese zehn Minuten seien eine Katastrophe gewesen. "Gott sei Dank wurde niemand verletzt".

In der Familienabteilung hätten die Angestellten die Türen verrammelt. "Die Randalierer zertrümmerten das Glas, aber konnten nicht herein", berichtet der Filialleiter weiter. "Hier waren Kinder, manche Frauen sind vor Angst ohnmächtig geworden. Alle waren geschockt. Das waren 50 Jungs." Die Bilanz am nächsten Morgen: 180 Festnahmen und ein Dutzend geschädigte Geschäftsleute. Was die Randalierer nicht mitgenommen haben, haben sie zerstört.

Die Wasserpfeife - ein Stück erkämpfte Freiheit

Rauchende Männer vor einem Straßencafé in Bahrain - in Saudi-Arabien ein Stück Freiheit.

Einige Tage später wenige Kilometer weiter südlich: Hier liegt die Uferpromenade, die Corniche, von Qatif, einer Nachbarstadt. Es ist kurz vor neun Uhr abends. Einige Jungs spielen Fußball. Daneben sitzen drei junge Männer auf Klappstühlen. Die Wasserpfeife blubbert. Alltäglich in anderen arabischen Ländern, aber hier in Saudi-Arabien ein Stück hart erkämpfte Freiheit: "Wenn ich irgendwo anders sitzen würde, käme gleich die Sittenpolizei und würde sagen: 'Die Wasserpfeife ist verboten!' Weil man in der Öffentlichkeit ist, hier darf man nicht rauchen."

Die Männer sind zwischen Anfang und Ende zwanzig, zwei haben Jobs, einer sucht noch. Was sie in ihrer Freizeit machen? "Die meisten Orte in Saudi-Arabien sind für Familien, alleinstehende Männer dürfen da nicht rein. Öffentlich feiern geht auch nicht. Selbst in den Einkaufszentren, in die wir dürfen, belästigt uns die Sittenpolizei", berichten die jungen Männer. "Manche Jugendlichen machen Fehler, sie sprechen Frauen an - und wir anderen zahlen dann dafür." Wenn die Wächter sähen, dass man an einem Laden zweimal vorbeilaufe oder dass man neben einer Frau gehe, "denken sie sofort, man sei nicht zum Einkaufen hier, sondern um Frauen anzumachen".

"Es gibt noch nicht einmal Autorennen"

"Jugendliche in Saudi-Arabien haben kaum Möglichkeiten, ihre Freizeit zu gestalten", sagt der Journalist Muhammad as-Saleh "Entweder sie entladen ihre Energie am falschen Ort, oder sie suchen den richtigen, aber den gibt es kaum", sagt er. Keine Literaturclubs oder Kulturvereine, keine Menschenrechtsgruppen, keine politischen Salons. Es gebe noch nicht einmal Autorennen und kaum sportliche Aktivitäten. Auch Kinos seien verboten. "Das alles unterdrückt die Ambitionen der Jugend", so der Journalist.

Kommt eigentlich nur noch eins in Frage, unter sich bleiben. "Wir setzen uns zusammen, auf der Corniche oder bei einem von uns Zuhause", erzählen die jungen Männer an der Promenade. Sie nennen das Diwaniya - ein Treffen wie unter Dichtern. "Wir unterhalten uns, schauen Fernsehen, erzählen Geschichten."

Ob sie überhaupt Frauen kennen? "Nur meine Mutter", antwortet einer und lacht. Sogar seine Kusinen verschleiern ihr Gesicht, wenn sie ihn treffen. "Beziehungen zu Frauen sind in unserer Religion verboten. Die Familien sind der Meinung, dass ihre Töchter keine Männer treffen dürfen, und wir selbst akzeptieren auch nicht, dass sich eine Frau zu uns setzt. Unmoralische Beziehungen gehen eben nicht für uns." Das sei schon ok so, murmeln die Jungs - und lachen wieder. Hat wirklich niemand eine Freundin? "Naja, manche jungen Männer haben bestimmt verbotene Beziehungen, aber das machen sie eben heimlich", so die Antwort.

Wie feiert man ausgelassen?

Die Randalierer vom Nationalfeiertag wussten nicht wohin mit ihrer Energie und sie wussten auch nicht, wie man ausgelassen feiert - denn das ist normalerweise gar nicht erlaubt im Königreich. Als dann Restauranttüren vor ihnen verschlossen blieben, weil dort nur Familien herein dürfen, sind sie ausgetickt. 20 junge Männer haben schon bezahlt für ihren Übermut: zwei Tage später wurden sie mit 30 Hieben öffentlich ausgepeitscht.

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