SPIEGEL ONLINE: Herr Möbius, Sie gelten als einer der besten Kenner der Emerging Markets. Wie viel Geld Ihrer Kunden haben Sie während der Krise verbrannt?
Möbius: Während der vergangenen Boomjahre lag der Höchststand der von uns verwalteten Einlagen bei etwa 50 Milliarden Dollar. Nach der Lehman-Pleite fielen sie auf 15 Milliarden. Jetzt sind wir immerhin wieder bei 30 Milliarden.
SPIEGEL ONLINE: Ein großes Minus dafür, dass Sie als Aktienguru gelten.
Möbius: Viele Leute haben im falschen Moment ihr Geld abgezogen. Der Wert unserer Aktien fiel nur um 30 Prozent und hat sich zur Hälfte schon wieder erholt.
SPIEGEL ONLINE: Kleinanlegern tut das trotzdem weh.
Möbius: Wir raten den Anlegern deshalb zum Cost-Average-Verfahren - da wird jeden Monat die gleiche Summe angelegt, egal wo die Börsenkurse stehen. Unsere Kunden in Großbritannien haben damit in den vergangenen zehn Jahren trotz Krise jährlich 18 Prozent Gewinn gemacht.
SPIEGEL ONLINE: Aber wohl kaum mit US- oder europäischen Aktien?
Möbius: Die kann man tatsächlich vergessen. Wenn man den Dow oder entwickelte Märkte mit den Emerging Markets vergleicht, klafft eine riesige Lücke.
SPIEGEL ONLINE: Was also sollen Investoren tun?
Möbius: (lacht) Es klingt verrückt, aber sie müssen Aktien kaufen. Es ist so viel Geld im Umlauf, dass die Inflation bald steigen wird. Dem kann man nur gegensteuern, indem man Aktien, Sachwerte wie Immobilien oder Gold kauft.
SPIEGEL ONLINE: Wie hoch wird die Inflation werden?
Möbius: Sehr, sehr hoch. Ich gehe davon aus, dass sie zweistellig sein wird - zumindest in entwickelten Industrieländern wie den USA.
SPIEGEL ONLINE: Und in Europa?
Möbius: Deutschland war recht diszipliniert, andere Länder nicht. Das wird Konsequenzen haben.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt, die Krise ist noch lange nicht zu Ende?
Möbius: Sagen wir es so: Ich bin mir sehr sicher, dass wir die Krise hinter uns gebracht haben. Auch weil etwa in den USA alles getan wird, um jedes erneute Abrutschen zu verhindern. So sprechen Berater von Barack Obama schon von einem weiteren Konjunkturpaket - schließlich will der Präsident wiedergewählt werden.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem steigen die Arbeitslosenzahlen. Wie können Sie so sicher sein, dass das alles nicht doch in einer Depression endet?
Möbius: Es wird mit nicht zu einer Depression kommen. Die Exporte aus China und viele andere Indikatoren zeigen Wachstum an.
SPIEGEL ONLINE: Was muss geschehen, damit eine solche Katastrophe sich nicht wiederholen kann?
Möbius: Die großen US-Banken müssen zerschlagen, die Geschäftsbanken von den Investmentbanken getrennt werden. Heute gibt es schon wieder größere Kreditinstitute als vor der Krise - dabei brauchen wir Banken, die nicht mehr zu groß sind, um Pleite gehen zu können. Wenn wir da jetzt nicht handeln, erleben wir in ein paar Jahren wieder den gleichen Schlamassel.
SPIEGEL ONLINE: Warum das?
Möbius: Weil die Derivate nach wie vor ein riesiges Problem für die Weltwirtschaft sind. Ihre Summe beläuft sich auf 600 Billionen Dollar, dem zehnfachen Wert der gesamten Weltwirtschaft. Eine erschreckend große Zahl von Firmen ist an diesen Wetten zugrunde gegangen. Derivate sind nichts anderes als Glücksspiel.
SPIEGEL ONLINE: Was also muss sich politisch ändern?
Möbius: Derivate müssen verboten, die verbleibenden standardisiert und handelbar gemacht werden. Diese Dinger dürfen nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen. Das wäre ein guter Anfang, fast eine Revolution.
SPIEGEL ONLINE: Die Chinesen wirken als einzige entspannt - haben die alles richtig gemacht?
Möbius: Das täuscht. Auch die Chinesen haben Angst. Ihre Devisenreserven sind zu großen Teilen in Dollar angelegt, fast zwei Billionen. Die können sie derzeit nicht auf den Markt werfen. Also kaufen sie weltweit Minenkonzerne und Rohstoffe zusammen...
SPIEGEL ONLINE: ... während die USA sparen müssen.
Möbius: Ja - und das vor allem an Truppen und Raketenprogrammen. Die Chinesen haben ihnen wohl im Vertrauen gesagt: Wenn ihr den Mist nicht aufräumt, ziehen wir uns aus dem Dollar zurück.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das alles für die Aktienmärkte?
Möbius: Wir werden in diesem Jahr noch eine größere Korrektur sehen, es ging einfach zu schnell nach oben - aber grundsätzlich befinden wir uns in einem Bullenmarkt. Insgesamt geht es mit großer Volatilität aufwärts. Angeführt wird der Trend von den sich entwickelnden Märkten wie China, Indien, Brasilien.
SPIEGEL ONLINE: Wie lange geht das gut?
Möbius: Solange Liquidität vorhanden ist und die Produktivität steigt. Auch dabei spielt China eine wichtige Rolle. Das Land kauft US-Staatsanleihen und bietet Waren zu immer niedrigeren Preisen an.
SPIEGEL ONLINE: Gleichzeitig sollen die chinesischen Konsumenten die Welt retten, indem sie mehr kaufen. Ist das nicht widersinnig?
Möbius: Nein. In zehn Jahren wird China mit den USA gleichgezogen haben. Doch auch Europa wird nicht schlecht dastehen. Europas Vorteil ist, dass im Osten des Kontinents noch mit geringeren Lohnkosten produziert werden kann und dort ein riesiger Markt entsteht.
SPIEGEL ONLINE: Der große Verlierer der Krise sind also die USA?
Möbius: Die USA werden weiter absteigen und sich mit einer kleineren Rolle in der Welt zufrieden geben müssen.
Das Interview führte Jürgen Kremb
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