Stockholm - Die 81-jährige Svea Kneppen wurde morgens um halb fünf vom Krach eines Hubschraubers geweckt, der in großer Geschwindigkeit wenige Meter über ihrem Hausdach hinwegdonnerte. "Mein Mann Gunnar und ich bekamen Angst. Wir hatten ja keine Ahnung, was eigentlich los war." Dann sei der Hubschrauber über der nächsten Hügelkuppe verschwunden.
Im värmländischen Wald von Röjdåfors bekommen die Elche zu dieser Jahreszeit höchstens an Wochenenden Gesellschaft von Pilzsammlern - am vergangenen Samstagmorgen jedoch folgten dem Helikopterlärm Soldaten in Tarnanzügen und mit schwarz bemalten Gesichtern durchs Unterholz.
Ziel der Soldaten war der mehrere hundert Jahre alte Kotberg-Hof - ein ländliches Idyll wie in den Kinderbuchklassikern über Petterson und Findus. Das Haus befindet sich in Privatbesitz, der Eigentümer hatte es der Armee für deren Übungszwecke veräußert. "Ich kann nicht fassen, warum die ausgerechnet dieses schöne Haus sprengen sollten", meint Svea. "Aber das haben sie ja dann doch nicht, sondern das andere Haus."
Das "andere Haus" liegt über zweihundert Meter entfernt und hat außer der traditionellen roten Farbe nicht viel gemeinsam mit dem Kotberg-Hof.
Kurz nach dem Helikopter-Überflug umzingelten Soldaten das Häuschen, befestigten eine Sprengladung, gingen in Deckung und zündeten. Die Explosion zerstörte den Eingang des Hauses, die übrigen Fenster und Türen sollen von der Druckwelle aus ihren Verankerungen gerissen worden sein. Dann drangen die Einsatzkräfte unter lautem Geschrei in das Gebäude ein. Wie im Lehrbuch. Geübt wurde für den Einsatz in Afghanistan: Ziele finden und zerstören. "Was für ein Glück, dass die nicht zu uns gekommen sind. Ich wäre vor Angst gestorben!", sagt Svea Kneppen.
"Das ist eine phantastische Anlage"
Röjdåfors ist ein kleiner Ort in Westschweden kurz vor der norwegischen Grenze. Die meisten der malerischen roten Holzhäuschen werden nur noch an Wochenenden und in den Ferien bewohnt. Die wenigen verbliebenen Einwohner arbeiten in der Forstwirtschaft, oder sie sind Rentner wie Svea und Gunnar. Am vergangenen Wochenende haben sie eine kleine Ahnung davon bekommen, was sich täglich in Afghanistan zwischen Zivilisten und sogenannten Beschützern aus Europa und den USA abspielt.
Peinlicherweise gehörten die an dem Manöver beteiligten Soldaten zu einer Eliteeinheit: Den Husaren des schwedischen Leibregiments K3. Die Einheit ist auf Zielerkennung- und Markierung für Luftwaffen- und Artillerieangriffe spezialisiert und stellt einen großen Teil des schwedischen Isaf-Kontingents am Hindukusch.
Zurzeit bilden die Husaren auch afghanische Soldaten im Häuserkampf und in der Zielerkennung aus. Jens Ramhöj, Presseoffizier der Einheit, gibt sich zerknirscht über das Husarenstück: "Wir wissen natürlich, dass so ein Fehler in Afghanistan schreckliche Folgen haben kann." Daher würde diese Art von Einsatz auch wieder und wieder unter möglichst realistischen Umständen geübt.
Anfang September waren die Schweden zu Besuch in Bayern, um dort gemeinsam mit deutschen Fallschirmjägern zu üben. Ramhöj berichtet begeistert vom Übungsplatz Bonnland: "Das ist eine phantastische Anlage, ein authentisches Dorf, das Hitler damals räumen und zum Übungsort machen ließ. Wir haben so etwas nicht in Schweden."
Daher übte man jetzt auch in einem Gebiet, in dem vor allem Ferienhäuser stehen. Auf die Frage, wie es zu dem fatalen Fehler kommen konnte, halten sich die Husaren bedeckt. "Vielleicht war's der GPS-Navigator, vielleicht ein Problem mit dem Kompass - wir untersuchen das noch," so Presseoffizier Ramhöj. In jedem Fall aber seien die kleinen roten Sommerhäuschen mit ihren weißen Giebeln einander zum Verwechseln ähnlich. Und es sei ja auch keiner zu Hause gewesen. "Anklopfen und fragen konnte man also auch nicht." Ramhöj lacht etwas verlegen.
"Nicht schlimm, wir sind befreundet"
Svea und Gunnar, die beiden Nachbarn, sind besonders erbost darüber, dass das Manöver nicht angekündigt gewesen sei. Im örtlichen "Ica"-Laden drehen sich die Gespräche seit dem Vorfall um nichts anderes. Manche sind empört, andere belustigt.
Vivianne Augustsson, ebenfalls eine der Alten am Ort, antwortet im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, sie würde lieber nichts sagen: "Du kommst doch von einer fremden Macht. Da sind solche Informationen doch garantiert geheim!" Das meint sie ernst. Die Heimlichtuerei nährt jedoch auch Spekulationen, es seien tatsächlich Soldaten anderer Nationen an dem Manöver beteiligt gewesen. Für das neutrale Schweden ist das ein Thema, zu dem man aus Prinzip eher schweigt.
"Was, wenn die Soldaten noch weiter vom Weg abgekommen wären? Hinterm Wald liegt Norwegen", sagt Svea. Doch darüber machen sich die schwedischen Husaren keine Sorgen. Offizier Ramhöj: "Natürlich ist so was schon mal passiert. Das gibt dann einen diplomatischen Zwischenfall. Nicht schlimm, wir sind befreundet. Aber Norwegen gehört zu den Ländern, in die wir eher selten einrücken. Eher in Länder im Mittleren Osten. Afghanistan."
Die deutschen Fallschirmjäger, mit denen die Husaren in Bayern für den Afghanistaneinsatz übten, rückten unmittelbar nach dem Manöver nach Masar-i-Scharif ab. Die Schweden üben erst einmal weiter, zuletzt auf dem Übungsplatz Cazaux in den französischen Pyrenäen. Name des Manövers: "Combined Joint Personnel Recovery Course". Zu deutsch etwa "kombinierter vereinigter Personal-Rückhol-Kurs." Bonne chance!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen