Mittwoch, 11. April 2007

Filbinger: Oettinger würdigt den umstrittenen Politiker

Zehn Tage nach seinem Tod haben rund 700 Menschen an der Trauerfeier für den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger teilgenommen. Regierungschef Oettinger verteidigte seinen Vorgänger gegen Kritiker.

Freiburg - "Hans Filbinger war kein Nationalsozialist", sagte Günther Oettinger. Filbinger war 1978 zurückgetreten, als bekannt geworden war, dass er am Ende des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter an Todesurteilen gegen deutsche Soldaten beteiligt war. "Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte", betonte hingegen Oettinger. Filbinger hatte als Richter zwar Todesurteile ausgesprochen; diese wurden aber nicht vollzogen.
Oettinger: "Er hatte nicht die Entscheidungsmacht und nicht die Entscheidungsfreiheit, die seine Kritiker ihm unterstellen." Der Jurist sei Gegner des NS-Regimes gewesen, habe sich den damaligen Zwängen aber beugen müssen. Dies müssten auch die Kritiker des langjährigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten einräumen.


Oettinger: Filbinger hat Baden-Württemberg geprägt
"Für uns Nachgeborene ist es schwer bis unmöglich, die damalige Zeit zu beurteilen", sagte Oettinger. "Hans Filbinger ist schicksalhaft in eine Situation hineingeraten, die den Menschen heute zum Glück erspart bleibt."
Der in Mannheim geborene Filbinger war am 1. April im Alter von 93 Jahren in Freiburg gestorben. Der CDU-Politiker hatte Baden-Württemberg von Dezember 1966 bis August 1978 regiert. Im Freiburger Münster hatten sich Weggefährten und Freunde des CDU-Politikers zu der Trauerfeier versammelt. Beigesetzt wurde Filbinger im engsten Familienkreis. Er hinterlässt 4 Töchter und 1 Sohn. An der Trauerfeier nahmen unter anderem Filbingers Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Lothar Späth und Erwin Teufel, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sowie Unions-Fraktionschef Volker Kauder (alle CDU) teil.

Lehrstück Filbinger:
  • Wie aus einem unverbesserlichen Todesrichter der Nazis
    nach seinem Ableben ein »Landesvater im besten Sinne« wird
Sie tun sich schwer, die deutschen Leit- und Nebenmedien, wenn es um die Würdigung eines Nazi-Richters geht, der es in der Bundesrepublik in höchste Ämter geschafft hatte. Die Rede ist vom früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU), der am Sonntag im Alter von 93 Jahren in Freiburg verstarb.

1978 mußte er das Amt aufgeben, nachdem beweisbar geworden war, daß er als Marinerichter mehrere Todesurteile gegen Deserteure der faschistischen Wehrmacht verhängt hatte. Die Landes-CDU hinderte das nicht daran, ihn anschließend zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit zu ernennen und 2004 zur Bundesversammlung zu nominieren.
Der CDU gelang somit zu verhindern, daß der von der PDS benannte 89jährige Hans Lauter, der 1936 vom Volksgerichtshof wegen Widerstandes gegen das Naziregime zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, dieses Ehrenamt wahrnimmt. Diesen Vorgang bezeichneten seinerzeit jüdische Organisationen und NS-Opfer-Verbände als »Schandfleck der deutschen Demokratiegeschichte«.

Baden-Württembergs aktueller Regierungschef Günther Oettinger schaffte es, in seinem Nachruf, Filbingers Verbrechen mit keinem Wort zu erwähnen und ihn als «eine herausragende prägende Persönlichkeit» und »Landesvater im besten Sinne« zu beweihräuchern. Die erfolgreiche Geschichte Baden-Württembergs sei »aufs engste mit ihm und seinen politischen Leistungen verbunden«.

Im Ländle hat derlei Lobhudelei Tradition.
Oettingers Vorgänger Erwin Teufel bezeichnete Filbinger 2003 anläßlich dessen 90. Geburtstags als »Bollwerk der Demokratie«, der »wie kein anderer gegen die Umsturzpläne der 68er angekämpft« habe. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn eines der wichtigsten Markenzeichen besagter 68er war der Protest gegen Altnazis in bundesdeutschen Führungsetagen. Und Filbinger blieb sich treu. Er engagierte sich nach seiner erzwungenen Demission in reaktionären Zirkeln wie dem »Studienzentrum Weikersheim«, einem Thinktank, der sich den Dialog zwischen Rechtskonservativen und Neonazis auf die Fahne geschrieben hat.

Doch all das spielt in den am Dienstag veröffentlichten Nachrufen – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle.
  • Die FAZ wähnt Filbinger bis ans Ende seiner Tage »von der Vergangenheit verfolgt«.
  • In der Welt heißt es: »Bis zuletzt kämpfte der CDU-Politiker um seinen Ruf«. Stets wird die »Tragik« des durch die Enthüllungen über den »furchtbaren Juristen« (Rolf Hochhuth) erzwungenen Rücktritts betont, denn: »Die Verdienste Hans Filbingers gelten als unbestritten«, so focus-online.
  • Nahezu niedlich heißt es in der Netzeitung: »Einst beliebter Landesvater in Baden-Württemberg, stolperte Hans Filbinger über seine Vergangenheit.«
  • Die offenbar von engen Getreuen gepflegte Website hans-filbinger.de beschreibt die Terrorurteile des Politikers als »verstörende Färbung« seiner Vita.
  • Und für Spiegel-online ist der Lebensweg Filbingers gewohnt staatsmännisch schlicht ein »Teil des deutschen Dramas«.
Und so mähren, barmen und wägen sie ab, daß es nur so trieft. Bis zum Ehrenbegräbnis des hochdekorierten Politikers wird das wohl so weitergehen. Ohnehin ist zu hoffen, daß Filbinger nicht so schnell in Vergessenheit gerät. Schließlich ist er nicht nur der Schöpfer der propagandistischen Allweckwaffe »Freiheit statt Sozialismus«, sondern auch ein bedeutsamer Beweis für die reibungslose Überleitung von Teilen der faschistischen Funktionselite in höchste Ämter der Bundesrepublik.

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