Sonntag, 24. Januar 2010

Ungewisse Zukunft für Guinea

Ethnische Spannungen sollen die Guineaer überwinden und die Demokratie unterstützen. Der Aufruf zum Frieden kommt aus unerwarteter Richtung: Präsident Moussa Dadis Camara hatte sich Ende 2008 an die Macht geputscht.
28. September 2009: Eine Großdemonstration der Opposition, im Stadion von Conakry. 50.000 Menschen protestieren dagegen, dass Moussa Dadis Camara, der Chef der Militärjunta, bei den nächsten Wahlen für die Präsidentschaft kandidieren will. Camara lässt seine Wachhunde los – die so genannten "Roten Barette". Mehr als 150 Menschen sterben, Frauen werden auf offener Straße vergewaltigt. Auch Mariama Diallo Sy war im Stadion, sie hat gesehen, wie die Präsidentengarde das Feuer eröffnet hat. "Das Geräusch der Kugeln, die an meinem Kopf vorbeirauschten, werde ich nie vergessen. Und auch nicht die Bilder der Frauen, die vor meinen Augen missbraucht wurden. Und ich frage mich bis heute, welches Wunder mich gerettet hat – davor, heute in der Moschee von Conakry beweint zu werden", sagt Mariama Diallo Sy.
Schwere Menschenrechtsverletzungen
Die Vereinten Nationen untersuchen die Vorfälle und bezeichnen sie in einem Bericht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch Jean-Marie Fardeau von der Organisation Human Rights Watch kommt zu einem erschütternden Ergebnis. Guinea habe das Stadium der abscheulichsten Barbarei erreicht, das er je erlebt habe. "Wir können beweisen, dass die Präsidentengarde und Soldaten aus dem Militärlager Camp Alpha Yaya Diallo schwer bewaffnet ins Stadion kamen und eine klare Strategie hatten. Sie haben sofort scharf geschossen und diese friedliche Demonstration mit blutigem Terror beendet", sagt er.

Anschlag auf Camara
Die scharfe Reaktion der Öffentlichkeit macht die Junta nervös. Die Europäische und die Afrikanische Union verschärfen gemeinsam mit der Westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS ihre Sanktionen, verhängen Reiseverbote. Camara und seine Gehilfen sollen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden. Die Nerven liegen blank – besonders bei Camaras Adjutanten Toumba Diakite. Bei einem nächtlichen Streit Anfang Dezember schießt er seinem Chef in den Kopf. Camara überlebt schwer verletzt – und wird nach Marokko in ein Krankenhaus gebracht, der verhinderte Königsmörder taucht unter. "Ich habe auf ihn geschossen, weil er mich verraten wollte. Er wollte mir die ganze Verantwortung für die Ereignisse des 28. September zuschieben, und da musste ich mich wehren – sonst hätte ich vielleicht eines Tages selbst dran glauben müssen", sagt Toumba Diakite.

Land ohne Führung
Guinea taumelt führungslos ins neue Jahrzehnt. Dann, Anfang Januar, ein Hoffnungsschimmer, ein Jahr nach Camaras Putsch, mehr als drei Monate nach dem Massaker: Während Camara noch im Krankenhaus liegt, öffnet die Nummer Drei der Junta, Sékouba Konaté, seinem Land einen Spalt breit die Tür zum Weg aus der Krise. "Wir müssen alle Kräfte des Landes bündeln, um die politische Lage dieses Landes zu beruhigen. Wir bitten auch unsere internationalen Partner um Hilfe, damit wir einen Übergangsprozess beginnen können, der für alle transparent und gerecht ist. Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen", sagt Konaté. Konaté will einen Premierminister der Opposition zulassen und verhindern, dass Camara nach Guinea zurückkehrt.

Angst vor Camaras Rückkehr
Doch die Zeit drängt – denn die Nummer Eins bereitet ihr Comeback vor – Moussa Dadis Camara hat die Klinik in Marokko verlassen und hält sich zur weiteren Genesung in Burkina Faso auf. Die Militärs wollten ihn aus Ouagadougou nach Hause holen – allein der Gedanke hat die Menschen in Guinea erschaudern lassen. Auch den Menschenrechtler Mamadi Kabba. Wäre Camara zurück in Guinea, würde sein Land vom Regen in die Traufe geraten. Und schon vom Weg aus der Krise abkommen, bevor es dort überhaupt Tritt gefasst hat. "Wir sind sehr besorgt und befürchten, dass es zu schlimmen Unruhen kommen könnte, wenn Dadis Camara zurückkehrt. Wir alle leben in Guinea gerade mit einem extrem hohen Risiko, ein Bürgerkrieg könnte jederzeit das ganze Land erfassen", sagt Kabba.

Doch möglicherweise zeigen die harten Verhandlungen unter der Führung von Burkina Fasos Präsident Blaise Compaoré in Ouagadougou erste Erfolge: Junta-Vize Konaté hat mit einem Vertrag erreicht, dass Camara in Burkina Faso bleibt – fürs Erste. Ob damit das Ende der militärischen Schreckensherrschaft eingeläutet ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. In sechs Monaten soll in Guinea gewählt werden.
Autor: Alexander Göbel

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