Sonntag, 24. Januar 2010

Der Irrglaube der Demokratie an ewiges Wachstum


Der CDU-Vordenker Kurt Biedenkopf sieht einen zwingenden Zusammenhang zwischen der gigantischen Staatsverschuldung und einem falschen gesellschaftlichen Wachstumsverständnis. Danach müsse Wachstum durch immer höhere Staatsverschuldung erkauft werden. Dieser Weg aber führe in die Katastrophe.
Kurt Biedekopf wird 80

Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf fordert einen Wechsel in der Finanzpolitik
Kurt Biedenkopf plädiert wegen der immer neuen Staatsschulden für einen Wechsel in der Finanzpolitik. „Warum wächst mit dem Wohlstand einer Gesellschaft die Verschuldung des Staates? Diese Frage bewegt mich seit langem“, sagte der CDU-Politiker, der von 1990 bis 2000 Ministerpräsident von Sachsen war.
Diesem Thema wolle er sich künftig in seinen wissenschaftlichen Arbeiten stärker widmen. „Wie sind die Mechanismen, die zu einem an sich widersinnigen Verhalten führen? Dem möchte ich auf den Grund gehen. Man hat geglaubt, Märkte stabilisieren sich von selbst, begrenzen sich von selbst.“ Dies habe sich jedoch als Irrglaube erwiesen.

Bei Gütermärkten, die eine echte Nachfrage zur Voraussetzung haben, gebe es eine natürlich Begrenzung. „Dort sagen die Menschen irgendwann: Ich brauche eigentlich nichts mehr, weil ich schon alles habe. Bei Finanzmärkten gibt es das aber nicht, weil man von Geld nie genug haben kann.“ Da sich Märkte nicht aus eigener Kraft ins Gleichgewicht bringen, müsse der Staat handeln.

Als Ursache wachsender Staatsverschuldung sieht Biedenkopf allerdings ein grundlegendes Problem. Und zwar den ungebrochenen Glauben an ständiges Wachstum. „Wir sind der Meinung, dass die Demokratie letztendlich nur unter Bedingungen des Wachstums funktioniert.“ Auch die schwarz-gelbe Koalition in Berlin habe ihre Regierungszeit mit einem Wachstumsbeschleunigungsgesetz begonnen. „Das ist für mich ein Symbol.“

Dabei führe der im vergangenen Jahr erlittene Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von fünf Prozent lediglich auf das Niveau der Jahre zwischen 2005 und 2006 zurück. „Das ist für sich genommen keine Katastrophe. Die Katastrophe ist die Unbeweglichkeit unserer Gesellschaft, solche Rückgänge aufzufangen.“ Gleichgewicht bedeutet nichts anderes, als dass es „Phasen mit mehr und mit weniger“ gebe. Da aber die ganze Gesellschaft auf eine Wachstumsannahme ausgerichtet sei, müsse das Wachstum durch Staatsverschuldung gefördert werden.
„Wir produzieren inzwischen nicht, um Nachfrage zu befriedigen, sondern wir erzeugen Nachfrage, damit wir produzieren können.“ Der Konsum werde zur Schlüsselfrage erklärt. Es gehe gar nicht mehr darum, ob die Leute das, was sie konsumieren, auch wirklich brauchen. „Ich habe nichts gegen Wachstum. Ich habe aber etwas gegen Wachstum, wenn es zu Lasten der Staatsfinanzen geht. Dann leihen wir uns das Wachstum von der kommenden Generation, um unsere gegenwärtigen Probleme zu erleichtern.“
Gleiches gelte für ein Wachstum zu Lasten endlicher Ressourcen. Auch dann werde die Zukunft in Anspruch genommen. „Ein Wachstum ist dann positiv, wenn es aus der Verbesserung unserer Leistungsfähigkeit erwächst, es im Rahmen gegebener Mittel zu erwirtschaften“, sagte der Unionspolitiker. Wachsen müsse dabei vor allem die Intelligenz. Laut Biedenkopf gehe es jetzt darum, mit Staatsgeldern intelligent umzugehen. „Hier gibt es beachtliche Ineffizienzen. Die sind bisher durch Besitzstände festgeschrieben, vor allem durch Besitzstände des Denkens.“

Außerdem müssten Prioritäten innerhalb des gegebenen Volumens neu gesetzt werden. Daran führe kein Weg mehr vorbei. Dass der Staat seine Einnahmen wesentlich steigern werde, sei unwahrscheinlich. Dennoch ist Biedenkopf um die Zukunft nicht bange. „Ich habe ein großes Vertrauen in die Selbstkorrekturfähigkeit der Menschen – vor allem, wenn sie merken, dass sie in einer Sackgasse gelandet sind.“


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen