28. Januar 2010 Das Urteil ist kaum verkündet, da tritt Dominique de Villepin vor die Fernsehkameras im Pariser Justizpalast. Er steht kerzengerade, das Kinn in die Höhe gereckt, die silbernen Haarwellen gestutzt, Maßanzug und Krawatte sitzen tadellos. Es geht plötzlich nicht mehr um das Schicksal des Citoyen Dominique Galouzeau de Villepin, es geht um Frankreich. Es geht darum, dass das Frankreich der Seilschaften Sarkozys eine Niederlage erlitten hat, am Donnerstag, dem 55. Geburtstag des Präsidenten. Das sagt Villepin zwar nicht, aber jeder hört es.
„Ich bin stolz, der Bürger eines Landes zu sein, Frankreich, in dem der Geist der Unabhängigkeit lebendig bleibt!“, sagt Villepin. Vor den Anwälten in dunkler Robe, den Schaulustigen und den Journalisten steht plötzlich wieder der Wortführer des „Alten Europas“ aus den Vereinten Nationen. Villepin spricht erhaben von seiner Unschuld, die nun endlich erwiesen sei, von der Prüfung, die er bestanden habe und vom „Mut des Gerichtes, das Justiz und Recht über die Politik hat triumphieren lassen“.
„Ich werde reingewaschen“
Die Richter widersetzten sich dem Staatsanwalt, der wegen „Beihilfe zur Verleumdung“ 18 Monate Haftstrafe auf Bewährung und 45.000 Euro Geldbuße für Villepin gefordert hatte. Sie sprachen Villepin frei, genauso wie er es in seiner letzten theatralischen Erklärung zum Ende des Strafgerichtsprozesses Ende Oktober prophezeit hatte: „Ich werde reingewaschen, meine Unschuld wird anerkannt werden.“
Villepin hatte das Verfahren um die gefälschten Bankkontolisten des Luxemburger Geldinstituts Clearstream von Anfang an als politischen Schauprozess empfunden, mit dem sich sein ewiger Rivale Nicolas Sarkozy endgültig seiner entledigen wollte. Sarkozy, der auch als Staatspräsident seine Rolle als Nebenkläger aufrecht erhielt, tat nichts, den Eindruck eines mit den Mitteln der Justiz ausgetragenen Duells zu entkräften. Sein Zorn über die Clearstream-Affäre schien Sarkozy im Gegenteil jegliche politische Vorsicht vergessen zu lassen. Er drohte, der „Dreckskerl“, der die Clearstream-Affäre angezettelt habe, werde „am Fleischerhaken enden“. Während des Prozesses bezeichnete der Präsident in einem Fernsehgespräch die Angeklagten als „Schuldige“ und weigerte sich später, das missglückte Wort zurückzunehmen.
Dominique de Villepin indes schwor, dass er weder Groll noch Rachsucht hege: „Ich will ein neues Kapitel aufschlagen.“ Sein Leben wolle er fortan wieder „in den Dienst Frankreichs“ stellen und zum „Wiedererstarken“ des Landes beitragen. Das klingt nicht nur staatsmännisch. Villepin hat schon vor seinem Freispruch begonnen, sein politisches Comeback vorzubereiten – die Präsidentenwahl 2012 fest im Visier. Kürzlich ist er ohne Sicherheitseskorte nach Bondy gezogen, das im verrufenen Pariser Vorortdépartement Seine-Saint-Denis liegt. Villepin hat mit den Frauen der Sozialbausiedlung einen arabischen Minztee getrunken, mit den jungen Animateuren des Internetblogs „Bondyblog“ geplaudert und viele Hände geschüttelt. „Ich will eine politische Alternative anbieten“, sagte er.
Sarkozy soll getobt haben
Als Präsident Sarkozy, der sich nur mit einer Hundertschaft von Sicherheitskräften in die Banlieue wagt, von der Exkursion Villepins erfuhr, soll er getobt haben. Die Wochenzeitung „Le Canard Enchaîné“ berichtete jetzt, dass sich der Präsident beim Chefredakteur der konservativen Zeitung „Le Figaro“ beschwerte, weil die Redaktion Villepins Besuch in Bondy einen großen Artikel gewidmet hatte.
Dabei könnte Sarkozy eigentlich Villepins politischen Ambitionen mit Gelassenheit begegnen. Der 56 Jahre alte Berufsdiplomat, der unlängst als Anwalt in Paris zugelassen wurde, verdankt seine politische Erfahrung allein dem Vertrauen seines wichtigsten Mentoren Jacques Chirac. Villepin hat sich noch nie um ein Wahlamt beworben. Als Premierminister (von 2005 bis 2007) wurde ihm das häufig als mangelnde Volksnähe angelastet. Es entbehrt nicht der Ironie, dass sich Villepin im Laufe des Clearstream-Prozesses als unbeirrbarer Held profilieren konnte, der es als einer der wenigen wagt, Sarkozy die Stirn zu bieten. Die Franzosen mögen Gestalten, die gegen die herrschende Macht aufbegehren. Dominique de Villepin wird das zu nutzen wissen. Noch am Abend seines Freispruchs lud er sich in die Hauptabendnachrichten ein – wie dies sonst nur Staatspräsidenten in Frankreich vermögen.