Samstag, 30. Mai 2009

Rätsel um Rosa-Luxemburg-Leiche könnte gelöst werden

Ist sie es, oder ist sie es nicht? Nach Informationen des SPIEGEL könnte eine seit Jahrzehnten in der Charité liegende Leiche die Rosa Luxemburgs sein. Nur ein DNA-Abgleich mit einem Verwandten kann Gewissheit bringen - und offenbar lebt eine Nichte der ermordeten KPD-Führerin in Warschau.

Es könnte ein spektakulärer Fund sein: Der Leiter der Rechtsmedizin der Charité, Michael Tsokos, glaubt die Leiche der 1919 ermordeten KPD-Führerin Rosa Luxemburg entdeckt zu haben. Tsokos vermutet im Gespräch mit dem SPIEGEL, dass die Kommunistin niemals beerdigt wurde. Einen endgültigen Beweis kann jedoch nur ein DNA-Test liefern und dazu bräuchte man Erbmaterial von möglichen Verwandten Luxemburgs oder von ihr selbst. "Wenn ich DNA-Material bekomme, dann würde ich aktiv werden", so Tsokos.

Das Rätsel könnte nun womöglich bald gelöst werden: Medienberichten zufolge lebt eine Nichte Luxemburgs in Warschau. Außerdem soll ein Geliebter der Sozialistin bis zu seinem Tod eine Locke in seiner Geldbörse aufbewahrt haben. "Vielleicht gibt es auch jemanden, der einen Hut von ihr oder Ähnliches hat", sagte Tsokos. Kleinste Mengen an organischem Material wie Hautschuppen und Haare würden schon ausreichen, um das Rätsel zu lösen.

Der Rechtsmediziner betonte, dass seine Untersuchungen nun beendet seien. Alles Weitere liege nicht in seinem Zuständigkeitsbereich. Bislang gebe es keine Signale seitens der Behörden. Nach Angaben der Berliner Polizei könnte möglicherweise die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Diese war am Samstag für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.

Tsokos hatte bei seinem Amtsantritt im Jahr 2007 in einer alten anatomischen Sammlung seines Instituts eine viele Jahrzehnte alte Wasserleiche ohne Kopf, Hände und Füße entdeckt. Dafür, dass es sich bei der Leiche um die tote Luxemburg handelt, sprechen Tsokos zufolge mehrere Indizien, ein wissenschaftlicher Beweis sei wegen fehlender DNA-Spuren bislang allerdings nicht möglich gewesen.

Tsokos ist außerdem überzeugt, dass es sich bei dem Körper, der 1919 als Luxemburgs Leichnam auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde beerdigt wurde, nicht um die Sozialistin handelt. Das habe die Auswertung des historischen Obduktionsprotokolls ergeben. Das Grab wurde 1950 auf Anordnung der DDR-Führung geöffnet, um nach den Gebeinen Luxemburgs und Liebknechts zu suchen - erfolglos.

Die Spitze der Linkspartei und die Gewerkschaft Ver.di an der Charité forderten, die Unklarheiten um den Leichnam von Rosa Luxemburg aufzuklären.

Rosa Luxemburg und der Arbeiterführer Karl Liebknecht waren am 15. Januar 1919 von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division ermordet worden. Die Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) wurde zunächst niedergeschlagen und dann durch einen Schuss in den Kopf getötet. Anschließend warfen die Täter ihre Leiche in den Landwehrkanal, wo sie am 31. Mai 1919 gefunden wurde.

Luxemburg und Liebknecht gelten auch heute noch als Ikonen der linken Bewegung. In Berlin wird ihrer Ermordung jährlich im Januar gedacht. Auch in diesem Jahr zogen mehrere Zehntausende Menschen in einem von der Linkspartei initiierten stillen Gedenken an den Gräbern der beiden in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde vorbei.


Susan Boyle: "Ich werde meine große Chance nicht wegwerfen"

Konnte auch beim Halbfinale Zuschauer wie Juroren begeistern: Susan Boyle

Vor dem Finale gilt Susan Boyle als die große Favoritin der Casting-Show "Britain's got Talent". Angesichts von 100 Millionen Videoabrufen ihres Auftritts ist der Erwartungsdruck enorm, jetzt zeigt die Britin zum ersten Mal Nerven.

Eine Schönheit ist sie wahrlich nicht, aber mit ihrer Stimme hat Susan Boyle Millionen Zuschauer überrascht und hingerissen. Am Samstag steht die 47-jährige als klare Favoritin im Finale der Fernsehshow "Britain's Got Talent". Wenn sie sich gegen die neun Konkurrenten durchsetzt, sind ihr 100.000 Pfund (rund 114.000 Euro) und ein Auftritt vor der Queen sicher.

Doch dazu gilt es zu hoffen, dass sie das Lampenfieber besiegen kann und keinem der anderen Kandidaten ein so magischer Moment gelingt wie ihr. Rummel und Ruhm scheinen der stämmigen Schottin allmählich etwas viel zu werden; kurz vor der Entscheidung liegen die Nerven blank: Boyle sei "in Tränen aufgelöst" gewesen und habe vorübergehend sogar daran gedacht, "ganz aus der Show auszusteigen", berichtete Jurymitglied Piers Morgan in seinem Blog. Die Boulevardpresse berichtete groß darüber, wie Boyle außer Fassung geriet, als sie in einem Hotel von zwei Journalisten bedrängt wurde.

Erwartungsdruck macht nervös
"Sie war leicht verstört, und die Journalisten wurden von der Polizei aus dem Gebäude entfernt", erklärte eine Sprecherin der Talentshow. Auf der Website der Sendung wurde dementiert, dass Boyle aufgeben wolle. Sie bleibe in der Show und werde am Samstag auftreten. "Ich habe wochenlang geprobt, ich habe an nichts anderes gedacht", wurde sie zitiert. "Ich werde meine große Chance jetzt nicht wegwerfen." Boyle stehe unter großem Druck, verteidigte Morgan die Kandidatin. Schon im Halbfinale habe man ihr die Nervosität angemerkt, sagte der Juror in einem Rundfunkinterview. "Ich glaube, es ist Zeit, dass jetzt alle mal ein bisschen auf Abstand bleiben."

Woge der Sympathie
Noch im April hatte keiner die unscheinbare graue Maus mit der Fusselfrisur und dem tantigen Tortendeckchenkleid auf der Rechnung. Doch sie schaffte die Sensation. Das Video ihres ersten Auftritts mit "I Dreamed a Dream" aus dem Musical "Les Miserables" wurde im Internet inzwischen über 220 Millionen Mal abgerufen. Das Halbfinale mit "Memories" aus "Cats" - da war Boyle schon gestylt, die buschigen Augenbrauen gezupft und das Haar getönt - fachte die Begeisterung noch weiter an. "Mit dieser Woge der Sympathie im Rücken kann sie diesen Wettbewerb gewinnen", glaubt der Musikagent Neil Warnock. "Dann könnte sie ein sehr erfolgreiches Album machen und vielleicht eine erfolgreiche Welttournee, weil die Leute sie sehen wollen." Doch Ruhm sei eine flüchtige Angelegenheit, mahnt Warnock. Es sei viel schwieriger, eine ganze Live-Show auf Tour durchzustehen als einen dreiminütigen Auftritt im Fernsehen.

"Dann und wann ein echter Funken Talent"
Die beliebte Talentshow wurzelt in der Tradition des britischen Varietés, das vor Erfindung des Fernsehens Stadt und Land mit Bauchrednern und Feuerschluckern, Zaubertricks und Hundekunststückchen amüsierte. Das sei Teil des Charmes, meint Warnock. "Wir neigen dazu, uns über die ganz dämlichen Nummern lustig zu machen, aber es ist auf seine Weise englisch und exzentrisch, und wir lieben das", erklärt der Agent. "Und dann und wann siehst du einen echten Funken Talent." Einige von Boyles Rivalen in der Endrunde sind auch nicht ohne. Der zwölfjährige Soul-Sänger Shaheen Jafargholi zum Beispiel, der nach Ansicht mancher Kritiker eigentlich besser singen kann als Boyle, hat auch schon seine Fan-Gemeinde.

Blackburn drückt die Daumen
Daheim in der schottischen Kleinstadt Blackburn, wo Susan Boyle regelmäßig bei den Karaoke-Abenden im Pub aufzutreten pflegte, ist die Talentshow das große Gesprächsthema. "Wir drücken ihr alle die Daumen", versichert der Wirt Jackie Russell. "Das Beste kommt noch." Im Gemeindezentrum, wo Boyle ehrenamtlich arbeitete, werden Großbildschirme für eine Party aufgestellt. "Das ganze Dorf ist aus dem Häuschen", berichtet June Mackey. "Natürlich wird sie gewinnen, und es wird ihr Leben verändern. Aber wegziehen wird sie nicht, sie wird in Blackburn bleiben. Hier ist sie zu Hause."

Donnerstag, 28. Mai 2009

Kader aufgelöst, Beerbaum suspendiert

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat hart durchgegriffen. Nach den jüngsten Enthüllungen um Doping im olympischen Reitstall löste sie den Kader auf und suspendierte Olympiasieger Ludger Beerbaum.

Ludger Beerbaum: "In der Vergangenheit hatte ich die Haltung: Erlaubt ist, was nicht gefunden wird."

Mit beispiellosen Maßnahmen hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) auf die jüngsten Enthüllungen und Doping-Diskussionen reagiert und mit sofortiger Wirkung die Kader der olympischen Disziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit aufgelöst. Zudem schlossen das FN-Präsidium und der Vorstand des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR) am Donnerstag bei ihrer Außerordentlichen Sitzung in Warendorf Ludger Beerbaum bis auf weiteres aus der deutschen Nationenpreismannschaft aus.

Die Gremien reagierten damit auf Beerbaums umstrittene Aussagen am vergangenen Wochenende über den Umgang von Medikamenten bei seinen Pferden. Der viermalige Olympiasieger hatte unter anderem gesagt: "In der Vergangenheit hatte ich die Haltung: Erlaubt ist, was nicht gefunden wird."

"Mit der Auflösung der Kader möchten wir einen wichtigen Schritt Richtung Glaubwürdigkeit unternehmen", sagte FN-Präsident Breido Graf zu Rantzau in einer Presseerklärung. Bevor ein Reiter wieder in den Kader aufgenommen werden könne, müsse er sich der Sonderkommission stellen und sich zu seiner Einstellung sowie seinem Verhalten als Spitzenreiter äußern, so der Verbandschef weiter.

Verbandsfunktionäre und Reiter würden von einer unabhängigen Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) untersucht. Diese Kommission erhalte den Auftrag, die Situation im Spitzenreitsport zu analysieren und dem Verband Empfehlungen zu geben, wie mit der aktuellen Manipulations- und Dopingproblematik im Pferdesport umzugehen sei. Die Empfehlungen würden auch Vorschläge zu möglichen Sanktionen von Funktionären und Reitern enthalten.

ARD und ZDF hatten am Mittwoch den Reiterverband unter Druck gesetzt. Die Sender wollten die anstehenden Verhandlungen über die Verlängerung des TV-Vertrages aufgrund der aktuellen Enthüllungen vorerst aussetzen. "Wir warten, wie die FN mit diesen Dingen umgeht", hatte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky der Deutschen Presse- Agentur dpa gesagt. "Es ist eindeutig, dass wir gerne Aufklärung hätten." Vor den Beerbaum-Äußerungen hatte unter anderem das Doping-Urteil für Olympia-Reiter Christian Ahlmann für Wirbel gesorgt.

USA fluten Märkte mit Billigmilch

Nach der Europäischen Union bezuschusst nun auch die US-Regierung Milchexporte. Das könnte besonders die Bauern in Entwicklungsländern ruinieren.
VON JOST MAURIN

Damit in Industrieländern die Milchproduktion wieder rentabel wird, müssen Bauern aus armen Ländern daran glauben.
Die Europäische Union hat mit ihren Exportsubventionen für Milchprodukte einen Dumpingwettlauf ausgelöst, der Bauern in Entwicklungsländern schaden. Auch die US-Regierung kündigte nun an, nach jahrelanger Pause wieder Ausfuhren etwa von Butter zu bezuschussen. Damit können Farmer aus den Vereinigten Staaten ihre Ware zu Preisen unter den Produktionskosten in andere Länder verkaufen. Russland hatte bereits die Zölle auf Einfuhren von Milchprodukten erhöht, was den Druck auf die offeneren Märkte von Entwicklungsländern steigert.

Viele Milchbauern etwa in Afrika befürchten, dass vor allem arme Bevölkerungsschichten jetzt statt der einheimischen Produkte das günstigere Milchpulver aus Europa und den USA kaufen. Das würde Kleinbauern im Süden um Einnahmen bringen, die sie für ihre Ernährung benötigen. Die EU und die USA wollen mit den Zuschüssen für Exporte von Milchprodukten ihren eigenen Landwirten helfen, die unter einem starken Preisverfall leiden.
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Die Regierung in Washington schob die Schuld auf Brüssel: Die US-Milchindustrie habe an Weltmarktanteilen verloren "teils wegen der Wiedereinführung direkter Exportsubventionen durch die Europäische Union", erklärte Agrarminister Tom Vilsack vergangene Woche. Der Schritt der EU Anfang des Jahres habe die USA zu einer Antwort gezwungen, ergänzte eine Behördensprecherin laut Medienberichten. Zunächst würden rund 92.000 Tonnen Milchprodukte bezuschusst.

"Das ist wie im Fall der EU genug, um die internationalen Milchpreise weiter zu drücken", sagte Agrarexpertin Marita Wiggerthale von der Entwicklungsorganisation Oxfam am Donnerstag der taz. Der Druck auf Entwicklungsländer mit Milchproduzenten sei problematisch.

Armin Paasch, Handelsexperte des Menschenrechtsverbands Fian, hält den Beschluss der USA für die "logische Konsequenz aus der Einführung der Milchexportsubventionen durch die EU". Die Europäer hätten die neue Subventionsrunde eröffnet.

Für Paasch ist es ein Skandal, dass die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner die Exportsubventionen sogar noch ausweiten wolle. Die CSU-Politikerin argumentiert, dass die verbilligten Ausfuhren vor allem in aufnahmefähige Länder wie Russland, USA oder China gehen sollten. Doch Paasch sagt: "Die EU hat Subventionen für Exporte auch in besonders arme Entwicklungsländer bewilligt."

Anders als von Aigner behauptet seien darunter auch Staaten, in denen sehr viele Menschen wirtschaftlich von der Milchproduktion abhängen. Zum Beispiel Bangladesch: Dort lebten mehr als 80.000 Bauern vom Milchvieh. "Also in etwa so viele wie in Deutschland", sagt der Handelsexperte. Hunderte Landwirte hätten kürzlich in Bangladesch Milch auf die Straßen gekippt, um gegen niedrige Preise zu protestieren.

Diese Länder könnten sich zwar - auch dies ein Argument der Bundesagrarministerin - theoretisch mit Zöllen gegen die Billigeinfuhren aus dem Norden wehren. Aber die Praxis sieht anders aus, wie Paasch erklärt: "Die Welthandelsorganisation macht Druck gegen solche Zölle."

Dabei halten in den betroffenen Ländern laut Fian vor allem Kleinbauern Milchkühe. "Und das ist die Gruppe, die besonders von Hunger betroffen ist", berichtet Paasch. Auch die Welthungerhilfe wies am Donnerstag in Berlin darauf hin, dass zwei Drittel der 963 Millionen Unterernährten in ländlichen Regionen lebten. Und es werde noch schlimmer, glaubt die Präsidentin der Organisation, Bärbel Dieckmann: "Die Zahl könnte wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise noch in diesem Jahr auf über eine Milliarde steigen", warnte sie.

Dieckmann forderte deshalb, marktverzerrende Subventionen abzuschaffen. Außerdem müsste die Entwicklungshilfe stärker Bauern nutzen. Auch Deutschland gebe bisher weniger als 2 Prozent der Mittel dafür aus, Landwirte zu beraten oder ihnen Zugang zu Krediten und Märkten zu verschaffen. Selbst in den regionalen Strategien der Bundesregierung für Afrika und Asien sei "Ernährung sichern" kein Schwerpunkt - "obwohl es sich um die vom Hunger am schwersten betroffenen Kontinente handelt".

Bahn-Beauftragter soll Datenbank gelöscht haben

Der frühere Anti-Korruptionsbeauftragte der Bahn, Wolfgang Schaupensteiner, soll für die Löschung einer Datenbank zu konzerninternen Ermittlungen verantwortlich gewesen sein. Er habe am 20. Januar die Vernichtung der "Ereignisdatenbank Ermittlungen" angeordnet, berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Darin wurden seit dem Jahr 2001 alle Verstöße gegen Unternehmensrichtlinien erfasst.

Die Bahn äußerte sich auf Anfrage nicht zu den neuen Details.
Die Bahn äußerte sich auf Anfrage nicht und verwies auf den am 13. Mai vorgelegten Bericht der Sonderermittler zur Datenaffäre. Die Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG hatte darin die Löschung der Datenbank durch die Bahn aufgeführt, zumindest in der veröffentlichen Kurzfassung aber keinen Verantwortlichen benannt. Der neue Bahnchef Rüdiger Grube hatte noch am 13. Mai mitgeteilt, dass Schaupensteiner den bundeseigenen Konzern "umgehend" verlassen werde.

In der Affäre hatte die Bahn nach vorherigen Medieninformationen am 21. Januar bestätigt, dass mehr als 1000 leitende Mitarbeiter ohne konkrete Anhaltspunkte auf Korruptionsverdacht überprüft wurden. Eine Woche später weitete sich die Affäre entscheidend aus, als Kontrollen der Daten von 173.000 Beschäftigten bekannt wurden. Wegen des Skandals mussten der langjährige Bahnchef Hartmut Mehdorn und drei weitere Topmanager ihre Posten räumen.

Schwerbehinderter Neunjähriger verdurstet

Schockierender Fall von Vernachlässigung und Unterversorgung in Bad Münstereifel: Ein schwerbehinderter neunjähriger Junge ist im Beisein seiner Geschwister verdurstet und erfroren.

Bonn/Bad Münstereifel - Diese Todesursache ergab die Obduktion der Leiche. Der Junge war am Ostersonntag in dem Eifel-Städtchen nahe Bonn gestorben - offenbar nach skandalöser Vernachlässigung und Unterversorgung. Sein Körper sei nach dem Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung ausgetrocknet und unterkühlt gewesen, berichtete eine Sprecherin der Bonner Staatsanwaltschaft am Donnerstag.

Die 34-jährige alleinerziehende Mutter war nach Spanien in den Urlaub gefahren. Sie hatte ihre 17-jährige Tochter mit der Betreuung des Jungen sowie zwei weiterer Geschwister beauftragt. Die Tochter war damit überfordert. Der Junge war in lebensbedrohlichem Zustand in ein Krankenhaus gebracht worden und dort kurz darauf gestorben.

Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Mutter, ihre Tochter und gegen einen Freund der Familie wegen fahrlässiger Tötung. Der Mutter wird außerdem die Verletzung ihrer Erziehungs- und Fürsorgepflicht vorgeworfen.

Die Mutter hat insgesamt fünf Kinder zwischen drei und 17 Jahren. Nach Erkenntnissen der Polizei war sie mit einem Sohn für zwei Wochen nach Spanien gereist und erst am Todestag des Neunjährigen zurückgekehrt.

Sie nannten sie Mowgli

Natascha ist fünf Jahre in einer völlig verdreckten Wohnung unter Hunden und Katzen aufgewachsen: Ein schlimmer Fall von Kindesvernachlässigung schockt Russland.

In der Drei-Zimmer-Wohnung stießen die Beamten zunächst auf fünf Hunde und vier Katzen. "Dann sahen wir das Mädchen mit dem offensichtlichen Verhalten eines Tieres. Natascha redete nicht, sondern machte nur Geräusche, als ob sie bellte", sagte ein Polizist nach Angaben der Boulevardzeitung Moskowski Komsomolez. Immerhin sei das Mädchen in der Lage, aufrecht zu gehen. Die Mutter hatte die Familie vor längerem verlassen und sich nicht mehr um ihre Tochter gekümmert.

Sie habe nicht gelernt zu sprechen. Das Kind verstehe allerdings Russisch. Die Kleine war bei ihrer Entdeckung ungewaschen und hatte schmutzige Kleider an. "Rund fünf Jahre lang wurde das Mädchen von einigen Hunden und Katzen 'aufgezogen'", erklärte die Polizei. Sie nannte das Mädchen "Mowgli" - in Anspielung auf die Hauptfigur aus Rudyard Kiplings Bestseller "Das Dschungelbuch".

Das Mädchen wurde den Angaben zufolge in eine Betreuungseinrichtung gebracht, wo es medizinisch und psychiatrisch umsorgt wird. Dort springt das Mädchen gegen die Tür und bellt, wenn ihre Betreuer den Raum verlassen. Das Kind schleckt Essen lieber direkt vom Teller, als einen Löffel zu benutzen, hieß es in einer Mitteilung der russischen Polizei.

Nuklearer Schwarzbau in Gorleben?

Ein Verdacht der Anti-Atombewegung findet Bestätigung: Der Ausbau des Endlagers Gorleben geht weit über das hinaus, was die Erkundung erfordert.
VON NICK REIMER

Zu groß um legal zu sein
Der Salzstock in Gorleben ist bereits seit Mitte der 80er-Jahre zu einem Atom-Endlager ausgebaut worden. Dies geht aus einem sogenannten Non-Paper hervor, das Experten des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) verfasst haben.

Die "bisherigen Erkundungskosten" hätten außerordentlich hoch gelegen, "was jedoch darin begründet liegt, dass hier parallel zur Erkundung bereits der Ausbau zum Endlager begonnen wurde", heißt es in dem Papier. Non-Papers sind von Fachexperten zusammengetragene Fakten, die Politikern als Entscheidungshilfe dienen.

Die interne Einschätzung birgt enorme politische Brisanz: Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl hatte für Gorleben nämlich nur die Genehmigung zur untertägigen "Erkundung" eines Atommüll-Endlagers erteilt. Die sollte klären, ob der Salzstock überhaupt geeignet ist. Seitdem wurden in Gorleben 1,51 Milliarden Euro verbaut.

Bereits Mitte der 80er-Jahre stand dank der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen fest, dass das Deckgebirge des Gorleben-Rambower Salzstocks instabil ist. So liegt die "Gorlebener Rinne", eine bis zu 320 Meter tiefe eiszeitliche Schmelzwasserrinne aus grundwasserführendem Material, genau über dem tektonisch nach oben aufgewölbten Hut des Salzstocks.

Das dort vermutete Deckgebirge aus mehreren hundert Meter mächtigen Tonschichten, das eine Mindestvoraussetzung für eine mögliche Eignung des Salzstocks als Endlager wäre, ist also nicht vorhanden.

Trotzdem wurde in Gorleben weiter gebohrt und gebaut. Erst mit dem rot-grünen Atomkonsens wurden im Jahr 2000 alle Arbeiten im Erkundungsbergwerk Gorleben gestoppt, seitdem gilt ein Moratorium.

"Die Erkundungslüge ist aufgeflogen", erklärt Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Die Errichtung eines Endlagers ohne Planfeststellungsbeschluss sei rechtswidrig. Die Atomkraftgegner kündigten an, am Freitag um "fünf vor zwölf" mit dem Abriss zu beginnen - vermutlich nur symbolisch.

Der Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz, erklärte, die Anlagen seien für eine mögliche spätere Nutzung als Endlager ausgelegt worden, falls der Salzstock sich dafür als geeigneter Standort erweise.

"Das heißt aber noch nicht, dass Gorleben tatsächlich geeignet ist", so BfS-Sprecher Florian Emrich. 1990 habe das Bundesverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Arbeiten nach Bergrecht bestätigt. Emrich: "Ob Gorleben geeignet ist oder nicht, dafür sind noch mindestens 15 Jahre Untersuchungen erforderlich."

Den Ausbau betreibt die "Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern GmbH". 1996 hatte sie den ersten Streckendurchstoß zwischen Schacht eins und zwei abgeschlossen. Damit entstand in 840 Meter Tiefe die erste von neun geplanten Sohlen.

Die jetzige schwarz-rote Koalition hatte sich genau wie schon die rot-grüne Vorgängerregierung ins Koalitionspapier geschrieben, ein atomares Endlager "in dieser Legislatur" auf den Weg zu bringen. Daraus wird auch diesmal wieder nichts.

Clinton verlangt Siedlungsstopp

Die USA verlangen, dass Israel jeden Ausbau von Siedlungen in den Palästinensergebieten einstellt. Israel lehnt dies ab und verweist auf das "natürliche Wachstum".
VON SUSANNE KNAUL

Auch mit "natürlichem Wachstum" der Siedlungen soll Schluss sein, so Clinton.

Die israelische und die US-amerikanische Regierung gehen auf Konfrontationskurs. US-Außenministerin Hillary Clinton forderte am Mittwochabend in ungewöhnlich deutlicher Form einen völligen Ausbaustopp für alle israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet. "Nicht einige Siedlungen", fügte sie nach einem Treffen mit dem ägyptischen Außenminister Ahmed Abul Gheit in Washington hinzu, "keine Vorposten und keine Ausnahmen aufgrund eines natürlichen Wachstums".

Auch Präsident Barack Obama, der sich am Donnerstagabend mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas treffen wollte, habe bei seinem Gespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass er einen kompletten Baustopp als Voraussetzung eines Friedensprozesses betrachte - und zwar einen Baustopp ohne jede Ausnahmen, auch nicht für ein "natürliches Wachstum".
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Darüber aber, also den Bau neuer Häuser im Rahmen des "natürlichen Wachstums", wie die offizielle Formel lautet, besteht in Israel ein weitgehender Konsens. Israel hat zwar jüngst mit der Räumung der sogenannten Siedler-Vorposten angefangen. Eine komplette Einfrierung des Häuserbaus innerhalb bestehender Siedlungen lehnt die Regierung jedoch ab. "Sollen die Frauen in den Siedlungen etwa aufhören, Kinder zu bekommen?", hatte jüngst selbst der moderate Staatspräsident Schimon Peres gefragt.

Am Donnerstag bekräftigte Israel diese Position: "Israel hat sich verpflichtet, keine neuen Siedlungen zu bauen und Außenposten zu räumen, die ohne Genehmigung der Regierung errichtet wurden", sagte Regierungssprecher Mark Regev. "Das normale Leben in den Siedlungen" müsse weitergehen können, was ein "natürliches Wachstum" einschließe. Im Übrigen müsse die Frage der bestehenden Siedlungen in Verhandlungen über eine endgültige Friedensregelung geklärt werden.

Doch unter diesen Voraussetzungen wird eine Verhandlungslösung noch schwieriger: Abbas hat immer wieder betont, er weigere sich, ohne einen Baustopp Gespräche mit Israel aufzunehmen. Die Palästinenser sind grundsätzlich zu einem Gebietsaustausch bereit, fürchten jedoch, dass neue Siedlungen die Zwei-Staaten-Lösung gefährden. Seit Beginn des Friedensprozesses 1993 hat sich die Zahl der im Westjordanland lebenden Israelis mehr als verdoppelt.

"Die USA sind außergewöhnlich hartnäckig", begrüßte Janiv Oppenheimer, Sprecher der israelischen Friedensgruppe "Schalom achschaw" (Frieden jetzt), den neuen Tonfall. Seit den frühen Neunzigerjahren sei die Position der USA "nicht mehr so klar" gewesen. "Der stärkere Druck kann reichen, um den Siedlungsbau wenigstens vorübergehend einzufrieren."

Thronanwärter mit Alpenerfahrung

Nordkoreas nächster Diktator

Man weiß kaum etwas über ihn und dennoch könnte er einst die Welt in Angst und Schrecken versetzen: Kim Jong Un, der Lieblingssohn des nordkoreanischen Diktators.
VON MARTIN FRITZ

Er ist jung, unbekannt und ohne Berufserfahrung - trotzdem wird Kim Jong Un als der heißeste Anwärter auf die Nachfolge von Nordkoreas Führer Kim Jong Il gehandelt. Das Gerücht wurde vor fünf Jahren von Kims Ex-Sushi-Koch, dem Japaner Kenji Fujimoto, in die Welt gesetzt.

Danach soll Jong Un der Lieblingssohn des Herrschers sein, weil er so aussehe wie sein Vater und ähnlichen Macht- und Führungswillen zeige. Seit Januar berichten südkoreanische Medien, der jüngste der drei Söhne solle die Kim-Dynastie in Pjöngjang fortsetzen. Echte Indizien dafür fehlen allerdings.
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Ohnehin weiß man über den jungen Mann sehr wenig. Das letzte Foto zeigt ihn als Kind. Sein Geburtsdatum soll zwischen Ende 1983 und Anfang 1984 liegen. Er ist der jüngere von zwei Söhnen, die Kim mit seiner dritten Ehefrau Ko Yong Hi hat.

Wie sein Bruder Jong Chol hat er in der Schweiz die Internationale Schule in Gümlingen besucht. Sie liegt nur zehn Kilometer von der nordkoreanischen Botschaft in Bern entfernt. Jong Un sollte daher gut Englisch und etwas Deutsch sprechen.

Unter Berufung auf den Exdirektor der Schule heißt es, der prominente Schüler sei 1998 als 15-Jähriger ohne Abschluss nach Pjöngjang zurückgekehrt. Laut einem Mitschüler mochte er Basketball und Actionfilme mit Jean-Claude van Damme. Der heute 25-Jährige wird angeblich von Kim Ok protegiert, die nach dem Krebstod seiner Mutter vor fünf Jahren die neue Partnerin des Führers sein soll.

Auch Kims Schwager Jang Song Taek, der im April in die mächtige Verteidigungskommission aufrückte, soll Jong Un unterstützen. Vielleicht werde er bald als Handelnder beim Atomtest öffentlich vorgestellt, spekulierte ein Nordkorea-Experte in Seoul. In Südkorea will man sogar wissen, dass Jong Un 90 Kilogramm wiegt und wie sein Vater an Diabetes leidet.

Mittwoch, 27. Mai 2009

Kurras händigt Waffe und Munition aus

Bei einer Polizeikontrolle hat der Ohnesorg-Todesschütze Karl-Heinz Kurras eine Waffe und Munition abgegeben - seinen Angaben nach die Einzige, die er im Haus hatte. Die Birthler-Behörde teilte mit, dass er schon 2003 nur knapp seiner Enttarnung als Stasi-Spitzel entging.

Hamburg - Der frühere West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, hat bei einer Polizei-Kontrolle eine Waffe und Munition abgegeben. Das teilte ein Sprecher der Berliner Polizei mit. Zwei Beamte der Waffenbehörde, die beim Landeskriminalamt angesiedelten ist, hätten den inzwischen 81-jährigen Kurras in seiner Wohnung in Berlin-Spandau aufgesucht.

Kurras habe "die einzige Waffe, die er nach seinen Angaben im Haus hatte, den Polizisten freiwillig ausgehändigt". Ein Medien-Bericht, wonach die Staatsanwaltschaft die Waffe und Munition eingezogen habe, treffe nicht zu, hieß es von der Polizei. Es habe auch keine Durchsuchung der Wohnung oder des Hauses gegeben.

Die Beamten hätten lediglich öffentlich bekanntgewordene Angaben über den Waffenbesitz von Kurras überprüfen wollen. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte am Dienstag verlauten lassen, er wolle prüfen, ob die Waffenbesitzkarte von Kurras eingezogen werden müsse.

Bereits 2003 sei Kurras beinahe enttarnt worden

Vor einer Woche war bekanntgeworden, dass Kurras SED-Mitglied und Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. Nur einem Zufall verdankt es Kurras offenbar, dass er nicht schon früher enttarnt worden war. Beinahe sei das schon 2003 geschehen, wie die Birthler-Behörde mitteilte.

Nach einem Bericht der Behörde, die sich die Auswertung der Stasi-Unterlagen kümmert, hatte schon damals eine Forscherin Stasi-Akten über die West-Berliner Polizei beantragt, darunter auch die Kurras-Akten.

Nachdem die Wissenschaftlerin jedoch ihre Arbeit beendete, ohne die Unterlagen mit Hinweisen auf Kurras einzusehen, seien die Akten Anfang 2004 ungelesen und unbearbeitet wieder ins Archiv zurückgebracht worden.

Nach Angaben der Behörde war ein Sachbearbeiter bei der Bearbeitung der 180 Stasi-Bände über die West-Berliner Polizei in Band 13 auf einen Informationsbericht eines "Geheimen Mitarbeiters" (GM) der Stasi mit dem Decknamen "Otto Bohl" gestoßen. Das war der Deckname von Kurras.

Der Sachbearbeiter habe Anfang März 2003 Nachforschungen im Archiv zu weiteren Berichten "Bohls" beantragt, um sie der Forscherin vorlegen zu können. Diese Seiten - 17 Bände mit einem Umfang von bis zu 6000 Blättern - seien im Archiv durchnummeriert, aber nicht inhaltlich bewertet worden. Im Herbst 2003 wurden die Unterlagen nach Angaben der Behörde dann an den Sachbearbeiter geschickt. Die Forscherin habe jedoch in der Zwischenzeit ihre Arbeit beendet, ohne dass die Unterlagen eingesehen worden wären.

Kurras hatte den Studenten Benno Ohnesorg während einer Anti-Schah-Demonstration in West-Berlin erschossen. Später wurde er aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Damit schien der Fall abgeschlossen. 1987 schied er als Kriminalbeamter aus dem West-Berliner Polizeidienst aus.

Erkenntnissen der Birthlerbehörde zufolge war Kurras seit 1955 als IM für die Stasi tätig und wurde für seine Spionagetätigkeit auch entlohnt. In den Akten findet sich allerdings kein Hinweis darauf, dass Kurras von DDR-Seite beauftragt wurde, am 2. Juni 1967 zu schießen.

Der Ruf nach Strafe für den Todesschützen wird indes immer lauter: Neben Berlins Innensenator Körting wollen auch andere Politiker den früheren Stasi-Spitzel zur Rechenschaft ziehen und fordern unter anderem, Kurras seine Pensionsansprüche zu entziehen.

Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte, nach erneuten Anzeigen gegen Kurras habe die Behörde die staatsanwaltlichen Akten aus der damaligen Zeit angefordert. Nach den neuen Strafanzeigen gegen Kurras hatte die Staatsanwaltschaft angekündigt, die Umstände des Todes von Ohnesorg erneut zu prüfen. Ob daraus ein Wiederaufnahmeverfahren gegen den damals freigesprochenen Kurras folgt, sei unklar, weil viele Vorwürfe verjährt seien.

Wie die HRE in die Katastrophe schlitterte

Von Markus Dettmer und Severin Weiland

Das Missmanagement bei der Hypo Real Estate war weitaus größer als bisher bekannt. Das belegen interne Dokumente der Finanzaufsicht BaFin, die SPIEGEL ONLINE vorliegen - jetzt sollen die Kontrolleure vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen.

Berlin - Der Bericht, der Einblicke in das Innenleben der Hypo Real Estate gibt, ist 159 Seiten lang. Er handelt von den Taten jenes Bankkonzerns mit dem inzwischen landesweit bekannten Kürzel HRE, der nur mit 87 Milliarden Euro an Staatsgarantien vor dem Untergang gerettet werden konnte - und der im September 2008 die deutsche Finanzbranche an den Rand des Zusammenbruchs führte.

Geschildert wird das Scheitern einer Bank, wie man es nur selten so detailliert offengelegt bekommt.
Seit Ende April beschäftigt sich im Bundestag der HRE-Untersuchungsausschuss mit dem Bankenskandal, auf Antrag von FDP, Linkspartei und Grünen. Am Donnerstag stehen erstmals auch drei Mitarbeiter der Bundesbankenaufsicht BaFin vor dem Ausschuss. Es könnte ein interessanter Auftritt werden - wenn die Zeugen in öffentlicher Sitzung auskunftsfreudiger sind als zuletzt die vier Bundesbanker, die vor dem Gremium auftraten. Denn aus internen Unterlagen der BaFin, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, geht hervor, dass die HRE mit ihren 400 Milliarden Euro Bilanzsumme eine hochriskante Finanzstruktur hatte - und dabei viele der gesetzlich vorgeschriebenen "Anforderungen an das Risikomanagement" nicht erfüllte.

Die Dokumente belegen, dass das Missmanagement der HRE und ihrer irischen Tochter Depfa - dem Zentrum des Problems - weitaus größer war als bislang bekannt. Die BaFin hatte einst die Prüfung der Depfa im Frühjahr 2008 verfügt. Zwei Monate lang durchleuchteten Mitarbeiter der Bundesbank vier Institute der HRE-Finanzholding, darunter die Depfa in Dublin. Ihr Bericht beschreibt Geschäfte, die kaum mehr zu verstehen sind, und astronomische Summen, die meist auf neun Nullen enden.

Dabei kann das Ergebnis auch in einfache Worte gekleidet werden: Mitten in der tobenden Finanzmarktkrise hatte das HRE-Management ihr zusammengekauftes Finanzimperium nicht im Griff.

Die Depfa - ein aggressiver Hedgefonds
Allein 49 Verstöße gegen "das ordnungsgemäße Betreiben der Geschäfte und die Funktionsfähigkeit des Risikomanagements" listet der Prüfbericht der Bundesbank vom 24. Juni 2008 auf - darunter zwölf der Kategorie "gewichtige" Beanstandungen und 29 "mittelschwere". In dem Begleitschreiben, das die Bundesbank-Prüfer drei Tage später an die BaFin schickten, empfahlen sie den Kollegen, den HRE-Vorstand über das Ergebnis zu informieren. Dabei sollte "klar zum Ausdruck gebracht" werden, dass die "teilweise gravierenden Feststellungen insbesondere im Bereich Risikomanagement (...) nicht toleriert werden können", forderten sie.

Die drohende Pleite der HRE - ausgelöst durch die US-Bank Lehman Brothers - allerdings sahen die Prüfer nicht voraus. Stattdessen schlugen sie vor, dass die Bankengruppe bis Ende September 2008 einen ersten Bericht über die Beseitigung der Mängel liefern sollte.

Zu diesem Zeitpunkt war die HRE dann bereits zahlungsunfähig.
Von vorne: Die HRE übernahm im Oktober 2007 für mehr als fünf Milliarden Euro die Depfa in Dublin. Die irische Tochter spielte dann die Rolle einer soliden Pfandbriefanstalt - doch in Wahrheit agierte sie wie ein aggressiver Hedgefonds. Sie refinanzierte langfristige Staatsschulden mit extrem kurzen Krediten.

So lange der Turbokapitalismus funktionierte, ließen sich mit den Zinsdifferenzen satte Gewinne einfahren. Doch in Krisenzeiten ist das Geschäft mit ihnen hochriskant. Schon im Januar 2008 musste die HRE Abschreibungen über 390 Millionen Euro melden. Im Herbst 2008 geriet die HRE dann im Zuge der Pleite von Lehman Brothers ins Trudeln. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank brachte die Kreditvergabe zwischen Finanzinstituten zum Erliegen. Und zerstörte das Geschäftsmodell der Depfa.

Die BaFin indes hatte das Treiben der HRE und insbesondere die Geschäftspraktiken der Depfa schon 2007 kritisch gesehen. Doch sie hatte keine Handhabe, den Kauf zu unterbinden.

Schon im Januar 2008 musste die HRE-Holding der BaFin und der Bundesbank über ihre Liquiditätslage berichten. Im Februar schließlich gab die BaFin der Bundesbank den Prüfungsauftrag. Die Subprime-Krise, der Absturz der Hypothekendarlehen, war da schon in vollem Gang, und die Finanzmärkte hatten die ersten Beben hinter sich. Am 18. Februar 2008 begann die Sonderprüfung. Die HRE war so dilettantisch aufgestellt, dass die Prüfer der Bundesbank ihre Arbeit um eine Woche verlängern mussten, weil die Banker nicht mit den Antworten nachkamen. "Die Rückmeldungen erfolgten erst auf mehrfache Anfrage, so dass personelle Engpässe zumindest in einigen Fachbereichen offenkundig wurden", notierten die Bundesbanker. Offenbar war die Finanzholding mit der Integration der irischen Tochter Depfa überfordert.

Das Misstrauen in der BaFin gegenüber der HRE muss damals tief gewesen sein. Schon am 17. März 2008 schickten die Bundesbank-Prüfer der BaFin auf deren Wunsch hin per E-Mail einen Zwischenbericht aus der laufenden Untersuchung heraus. Auf 15 Seiten listeten sie darin ihre bisherigen Ergebnisse auf - allerdings ohne schon Feststellungen zu treffen.

Die fatalen Resultate folgten dann im Abschlussbericht: Die Banker waren demnach schlicht nicht in der Lage, alle wesentlichen Risiken am Markt zu erkennen. So erfasste der tägliche Liquiditätsreport "nicht alle relevanten Zu- und Abflüsse". Den Marktwert des größten Teils ihrer Wertpapiere und Schuldscheindarlehen ermittelte die HRE-Tochter Depfa nur vierteljährlich. Selbst die internen Organisationsrichtlinien spiegelten "nicht die tatsächlichen Arbeitsabläufe wider". In der gesamten Bank gab es "keine ausreichend zeitnahe Darstellung der tatsächlichen Ertragslage". Wenigstens im Bereich "Ansatz und Bewertung von strukturierten Produkten" waren "die Beanstandungen weniger gravierend".

Wie die BaFin die HRE-Spitze zum Gespräch einbestellte
Am 31. Juli 2008 zitierte die BaFin dann den damaligen HRE-Chef Georg Funke und vier seiner Kollegen für 14 Uhr zu einem Gespräch über die "festgestellten schwerwiegenden Defizite" in ihre Bonner Zentrale - so steht es in einem Sitzungsprotokoll. Das "schlechte Ergebnis" wiege umso schwerer, weil sie "eine systemrelevante Finanzholdinggruppe" sei, also wegen ihrer für das Finanzsystem großen Bedeutung im Pfandbriefgeschäft. Nun "prüfe die BaFin wegen der gravierenden Defizite Maßnahmen".

Mehr als drei Stunden dauerte die Sitzung. Im Beisein von Vertretern der Bundesbank mussten Funke und seine Kollegen ein "Maßnahmenpaket zur sofortigen Abarbeitung" der Mängel präsentieren. Die Banker schlüpften dabei in die Rolle reuiger Sünder: "Die Vorstände hoben hervor, dass sie das Prüfergebnis sehr ernst nähmen und die Einschätzung der BaFin teilten."

Doch die Bankenaufseher konnten sich einen Zusammenbruch des Kreditmarktes nicht vorstellen. Sie vereinbarten mit den Vorständen eine "vierteljährliche Berichterstattung" über den "Umsetzungsstand der Projekte" zur Beseitigung der Mängel. Zur Fälligkeit des ersten Berichts war die Finanzholding allerdings schon auf Stütze angewiesen.

Bundesministerium war nicht unvorbereitet
Möglicherweise können die Zeugen der BaFin - zwei von ihnen nahmen an dem Gespräch teil - am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss aufklären, warum das Ergebnisprotokoll über die Sitzung unter der Nummer 2008/0365174 erst am 13. November 2008 zu Papier gebracht wurde. Das war sechs Wochen nach dem Beinahe-Zusammenbruch des Finanzimperiums.

Die Krisenanfälligkeit der HRE traf die Fachabteilungen des Bundesfinanzministeriums übrigens nicht ganz unvorbereitet. Am 6. März hatte die BaFin das Ministerium über die Anordnung der Sonderprüfung informiert. 14 Tage später folgte eine weitere Information durch die BaFin. Weil der damals zuständige Abteilungsleiter und heutige Staatssekretär Jörg Assmussen in Urlaub war, wurde der Bericht an das Fachreferat weitergeleitet. Auch der Minister wurde nicht informiert.

Am 28. März wiesen die Bankenaufseher von der BaFin das Ministerium - ihre vorgesetzte Behörde - im HRE-Kapitel ihres aktuellen Lageberichts zum Bankensektor nochmals auf die laufende Prüfung hin. Außerdem liege "nunmehr ein erster Zwischenbericht vor". Dieser enthalte allerdings "erst wenige Aussagen zu den wesentlichen Fragestellungen".

Liquidität für nur noch zwei Wochen
Allerdings erfuhr das Ministerium auch, dass die HRE mittlerweile täglich ihre Liquiditätslage an die Bankenaufsicht meldete. Für die Gesamtgruppe liege der Liquiditätsvorlauf "derzeit bei 14 Tagen".

Bei Stresstestmessungen mit Stand Mitte März 2008, "die allerdings kein vollständiges Worst-case-Szenario unterstellen", könnte sich für die Depfa "erstmalig in 20 Geschäftstagen ein negativer Liquiditätssaldo ergeben", wurde festgehalten.
Sprich: Das Institut könnten innerhalb dieses Zeitraums zahlungsunfähig sein. Für die HRE sollte der Wert zu diesem Zeitpunkt bei 53 Tagen liegen.
Nach bisherigem Stand informierten die Aufseher das Finanzministerium das nächste Mal am 12. Juni, im aktuellen Lagebericht zum ersten Quartal im Bankensektor. Darin heißt es, die Prüfung bei den "relevanten Teilbanken der HRE" sei "inzwischen beendet". Der Abschlussbericht werde Mitte Juni erwartet. Zugleich meldeten die BaFin-Experten: "Die Liquiditätssituation der Gesamtgruppe hat sich insgesamt verbessert." Bei den kurzen Laufzeiten sei die Refinanzierung "ohne Probleme möglich, schwierig gestalteten sich mittel- und langfristige Refinanzierungen".

Jedoch hatte sich der Liquiditätsvorlauf verschlechtert: Mitte Mai lag er bei nur noch 13 Tagen.
Der nächste Banken-Lagebericht folgte am 15. August und behandelte das zweite Quartal. In den Augen der Aufseher hatte sich die Situation der HRE nun drastisch verschlechtert. Die BaFin urteilte: "Kritisch ist insbesondere die umfangreiche kurzfristige unbesicherte Refinanzierung der irischen Depfa Bank plc. zu sehen."

Die Rating-Agenturen hatten die Bonitätsnoten für die HRE und die Depfa gesenkt. Das werde die "bisher schon angespannte Liquiditätslage der Gruppe weiter belasten", schrieben die Aufseher und warnten, eine weitere Bonitätsabwertung wäre für "die Refinanzierung der Depfa mit schwerwiegenden Folgen verbunden". Auch eine Selbsteinschätzung der HRE gab die BaFin zu Protokoll: Diese bewertete die Situation demnach "als handhabbar".

Im Übrigen ließ die BaFin das Ministerium in dem Quartalsbericht wissen, dass der Bericht über die Sonderprüfung der HRE mittlerweile vorliege. Kursorisch informieren sie über das Ergebnis: Die Kontrolle habe "umfangreiche und teilweise gravierende Feststellungen insbesondere im Bereich Risikomanagement" erbracht. Die Ergebnisse seien schon mit dem Vorstand in einem persönlichen Gespräch erörtert worden: "Die HRE-Gruppe ist gehalten, die Beanstandungen zügig und konsequent auszuräumen."

Auch einen Termin für die nächste Sonderprüfung hatten die Bankenaufseher schon angepeilt, um zu überprüfen, ob die Mängel im Risikomanagement tatsächlich beseitigt wurden: "Für 2009 ist eine erste Nachschauprüfung vorgesehen."

Sechs Wochen nachdem dieser Lagebericht ans Ministerium ging, kam es zum Beinahekollaps.

Trockengelegt

Eine junge Inderin durchquert Bada Talaab, den größten künstlich angelegten See Asiens, der nahe der Stadt Bophal liegt.

Dort, wo normalerweise Wasser steht, ist nur der vertrocknete Boden des Gewässers zu sehen, das einst 40 Prozent seiner Anwohner mit Wasser versorgt hat. Angelegt wurde der See vor fast tausend Jahren von 1005 bis 1055. Weil es in den vergangenen drei Jahren zu wenig geregnet hat, ist der See nun so gut wie ausgetrocknet.

Nordkorea droht mit Militärschlag

Das Regime in Pjöngjang droht mit einem Militärschlag, falls Südkorea mit seinen Verbündeten Frachtschiffe aus Nordkorea auf hoher See kontrollieren sollte.

VON JUTTA LIETSCH

Mehrere zehntausend Besucher versammeln sich zur Feier des zweiten Atomtests am Dienstag in Pjöngjang.

Nordkoreas Militärs haben den Südkoreanern gestern mit Krieg gedroht, falls sie es wagen sollten, nordkoreanische Frachter auf hoher See zu stoppen und nach Waffen zu durchsuchen.

Solche "feindliche Handlungen gegen unsere friedlichen Schiffe" würden als "unverzeihliche Verletzung unserer Souveränität" betrachtet und "unverzüglich mit einem gewaltigen Militärschlag beantwortet", verkündete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA, Sprachrohr des Regimes von Kim Jong Il. Pjöngjang fühle sich nicht mehr an das Waffenstillstandsabkommen gebunden, das seit dem Ende des Koreakriegs 1953 gilt.

Die Situation auf der koreanischen Halbinsel ist höchst angespannt, seitdem Nordkorea am Montag zum zweiten Mal seit 2006 einen unterirdischen Atomsprengsatz explodieren ließ und anschließend fünf Kurzstreckenraketen in Richtung Japan abfeuerte. Die Raketen landeten, wie beabsichtigt, im Meer.

Derweil registrierten Satelliten ausländischer Geheimdienste Rauchwolken über dem Reaktor Yongbyon, der im vergangenen Jahr offiziell stillgelegt wurde. Dies könnte bedeuten, dass die Militärs ernsthaft versuchen, noch mehr Plutonium für ihre Bomben zu gewinnen.

Auslöser der jüngsten Kriegsdrohungen war der Beschluss Südkoreas, sich an der sogenannten "Initiative gegen die Weiterverbreitung" von Massenvernichtungswaffen zu beteiligen. Damit sind Patrouillen von Kriegsschiffen der USA und anderer Länder auf den Weltmeeren gemeint. Sie wollen verdächtige Frachter aufbringen und kontrollieren, um unter anderem Nordkorea daran zu hindern, Atom- und Raketentechnik zu verkaufen. Vor allem Iran und Syrien gelten als Kunden der nordkoreanischen Technik.

Bislang hatte sich Südkorea ebenso wie China und Russland geweigert, an diesen - nach internationalem Recht heftig umstrittenen - Seepatrouillen teilzunehmen. Südkorea war nur als "Beobachter" dabei, um die Nordkoreaner nicht allzu sehr zu reizen.

Peking verlangt indes "Verhandlungen und Dialog". Im Klartext: Die Chinesen sehen zu den Sechsergesprächen über eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel keine Alternative. Gleichwohl herrscht nicht nur in China, sondern in ganz Ostasien Ratlosigkeit darüber, was jetzt getan werden muss, um die Situation zu entspannen. Diplomaten und chinesische Experten in Peking sind sich einig, dass der Atomtest nur der jüngste Versuch Nordkoreas war, die amerikanische Regierung zu direkten und schnellen Verhandlungen über einen Friedensvertrag zu zwingen. Zudem sollte der Test das Überleben des Kim-Clans und seiner Militärs garantieren. Deshalb rechnen Pekinger Diplomaten mit weiteren Raketenstarts und womöglich Zusammenstößen auf See.

Aber auch innenpolitische Motive stecken hinter Pjöngjangs Aktionen. Das Regime sei so schwach, dass die Militärs eine Bedrohung von außen schaffen müssen, um eine Rückkehr in die Kriegswirtschaft zu rechtfertigen, heißt es in Seoul.

Ausländische Bewohner Pjöngjangs berichten, dass die nordkoreanische Bevölkerung inzwischen sehr gut über die besseren Lebensbedingungen bei den Nachbarn in Südkorea und in China Bescheid weiß. Dafür sorgen eingeschmuggelte südkoreanische DVDs, Zeitungen, Bücher und Radios und ein kleiner Grenzverkehr von Händlern und Reisekadern. Die Stimmung unter den Bürgern sei gereizt. Manche Hauptstädter feiern krank, um nicht zu immer neuen Massenaufmärschen gerufen zu werden.

Da das öffentliche Versorgungssystem immer wieder zusammenbricht, duldet das Regime derzeit private Märkte, auf denen Bauern Überschüsse verkaufen dürfen. Auch aus China importiertes Obst und Gemüse sind zu haben, allerdings zu horrenden Preisen. Die alte Drohung des Militärs vor einem Einmarsch der Amerikaner werde hinter vorgehaltener Hand bitter mit einem "hoffentlich bald" kommentiert, berichtet ein Besucher.

Der Entwicklungshelfer als Profiteur

Die staatliche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit macht so viel Umsatz wie nie zuvor. Nichtregierungsorganisationen fürchten Konkurrenz. VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

BERLIN taz Im Mai 2009 ist das ein bemerkenswerter Satz: "Wir haben ein erfolgreiches Geschäftsjahr hinter uns", sagte Wolfgang Schmitt, einer von zwei Geschäftsführern der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) am Mittwoch in Berlin. Im Jahresbericht seines Unternehmens meldete er eine Umsatzsteigerung um 16 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro.

Das bundeseigene Unternehmen hat auch im vergangenen Jahr die weitaus größte Zahl der Aufträge vom Entwicklungshilfeministerium erhalten - sie machen 73 Prozent des Umsatzes aus. Allerdings wächst die Zahl von Aufträgen aus anderen Ministerien. "Dort steigen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit", sagte Schmitt. So beriet die GTZ etwa im Auftrag des Bundesumweltministeriums in Thailand mittelständische Unternehmen in Fragen der Energieeffizienz, für das Auswärtige Amt bildete es Polizisten in Afghanistan aus. Zudem arbeite die GTZ zunehmend für internationale Organisationen wie UN, EU oder für andere Regierungen. Insgesamt war die GTZ im vergangenen Geschäftsjahr in über 130 Ländern aktiv und beschäftigte 13.000 Mitarbeiter, darunter 9.000 aus den jeweiligen Einsatzgebieten.

Dort gerät die GTZ immer wieder mit Entwicklungsorganisationen aneinander. "Zwar gibt es weniger Konflikte als früher, weil die GTZ politischer und weniger technokratisch geworden ist", sagt Rudolf Buntzel vom Evangelischen Entwicklungsdienst. Doch in dem Maße, wie sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft vor Ort erkannt habe, trete sie in Konkurrenz zu NGOs. "Die haben uns sehr gute Partner einfach weggekauft", so Buntzel. Diese profitierten zwar vom Geld der GTZ, würden zugleich aber politisch gezähmt. "Sich mit Regierungen anlegen, sei es unsere eigene oder autoritäre woanders", so Buntzel, "das darf die GTZ nicht."

Polizei nimmt ranghohe Beamte fest

Die mexikanische Polizei hat mehrere ranghohe Staatsbedienstete festgenommen - darunter auch zehn Bürgermeister. Sie sollen unter anderem Drogenschmuggel gedeckt haben.

Die mexikanische Polizei hat 27 ranghohe Beamte, darunter auch zehn Bürgermeister, des Bundesstaates Michoacán festgenommen. Ihnen werde vorgeworfen, einem Netz von Beamten angehört zu haben, das die kriminelle Bande "La Familia Michoacana" vor Strafe schützen sollte. Zu den Verdächtigen gehören außerdem 16 Staatsbedienstete und ein früherer Beamter.

Die Bundespolizei führte die Verdächtigen am Dienstag aus ihren Häusern oder aus ihren Büros ab, unterstützt wurde sie dabei vom Militär. Einzelheiten der Vorwürfe wurden zunächst nicht bekannt.

"La Familia" ist im Drogenschmuggel aktiv, ihr werden auch Entführungen und Erpressung vorgeworfen. Zu den Festgenommenen gehören auch der Koordinator der Berater des leitenden Staatsanwaltes, Ramón Ponce, der Direktor der regionalen Polizeischule, Mario Bautista, sowie Citlalli Fernández, frühere Sekretärin für öffentliche Sicherheit und jetzige Beraterin des Gouverneurs Leonel Godoy Rangel, und der Richter Jaime Liera.

Godoy war über die Aktion nicht vorab informiert und kritisierte das Vorgehen der Behörden als möglicherweise verfassungswidrig. Bereits in der vergangenen Woche waren ranghohe Beamte aus ähnlichen Gründen in dem Bundesstaat Morelos festgenommen worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hofft, dass die Festgenommenen aussagen werden. "Wir hoffen, dass sie gestehen werden", sagte der Sprecher der Behörde, Ricardo Nájera. In Mexiko liefern sich verschiedene Drogenbanden einen Kampf auf Leben und Tod. Seit Januar 2008 kostete dieser Konflikt nach offiziellen Angaben schon 8200 Menschen das Leben.

Rechte boykottieren Thor Steinar

Im Internet rufen Neonazis dazu auf, keine Kleidung bei der in der rechten Szene beliebten Marke zu kaufen. Der Grund ist der Einstieg eines arabischen Investors.
VON ANDREAS SPEIT


Hinfort mit dem Markenwahn: Viele Neonazis wollen Thor Steinar-Klamotten nicht mehr tragen.

Es klingt absurd: Die unter Rechtsextremen beliebte Modemarke Thor Steinar hat Absatzprobleme - ausgerechnet in der rechten Szene. Im Internet findet sich ein Boykottaufruf, der von mehreren Neonazi-Gruppen verbreitet wird. "Wir als Nationale Sozialisten lehnen ganz klar die Mediatex GmbH und ihre Marke ,Thor Steinar' ab", erklärt etwa die "Aktionsgruppe Essen".

Markig begründet sie den erstaunlichen Schwenk. Die Volksgemeinschaft baue auf deutscher Kultur auf. "Markenwahn und Konsumterrorismus werden in unserer Gemeinschaft keinen Platz haben." Andere Gruppen, etwa die Autonomen Nationalisten aus Regensburg, posten zustimmende Kommentare. Die Marke, die mit uneindeutigen Symbolen rechte Kunden anlockt, hat offenbar ein Akzeptanzproblem bei ihrer Klientel. Der Grund ist der arabische Investor Faysal al Zarooni, der im November 2008 bei Mediatex einstieg. 2003 hatten Uwe Meusel und Axel Kopelke die Marke gegründet, heute stellt die "Faysal al Zarooni Group of Companies" den Geschäftsführer.
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Neben dem Unbehagen an fremdländischem Kapital nennen die Neonazis krude Konsumkritik als Boykottgrund. Die Firma mache sich schuldig, jüngere Kameraden zu "geldgierigen Konsummonstern" heranzuziehen, die gezwungen würden sich "zu verschulden, um sich an den ,rechten Lifestyle' anzupassen", heißt es weiter in dem Aufruf. Er wird bisher vor allem von Autonomen Nationalisten unterstützt, die als gewaltbereit gelten und Outfits und Aktionen von linken Autonomen kopieren - etwa schwarzen Outdoorlook.

Thor Steinar bedruckt seine Kleidung mit mythisch-germanischen Symbolen und szene-interpretierbaren Slogans. So prangt etwa das Wort "Luftlandedivision" auf manchen Pullovern. "Ihr uneindeutiges Spielen mit rechten Symbolen gefällt", sagte Toni Peters vom antifaschistischen Pressearchiv (Apabiz). Die Marke erweitere die rechtsextreme Erlebniswelt. "Andere Marken kopieren die Idee, im Stil das politische Bekenntnis zum Rechtsextremismus offen zu lassen", so Peters.

Vom Erfolg getragen, eröffnete das Unternehmen diverse Läden, musste sich aber teilweise wieder zurückziehen. Im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain löste etwa die Eröffnung eines Ladens im Februar 2009 Proteste aus. Es folgte die Kündigung. Bereits im Jahr 2004 hatte Mediatex einen Rückschlag erlitten. Das Landgericht Neuruppin entschied, das die im Logo verwendete Binderune eine Kombination aus der Tyr-Rune und der Wolfsangel darstelle. Die Symbole fanden bei der SA und der Waffen-SS Verwendung. Das Verbot des Logos folgte, ein neues Logo entstand. Später wurde das Verbot aufgehoben.

Bei Mediatex in Königs Wusterhausen in Brandenburg will man den Boykott nicht bewerten. "Alles im grünen Bereich", sagte Mitgründer Meusel der taz. Zur wirtschaftlichen Situation der Firma sagte er nichts.

Keine Homoehe in Kalifornien

Der Oberste Gerichtshof in San Francisco hat das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen bestätigt. Das Recht auf eingetragene Partnerschaft bleibt bestehen. VON RALF SOTSCHECK

Aus den geplanten Freudenfesten wurden Protestveranstaltungen: Nachdem der Oberste Gerichtshof im kalifornischen San Francisco am Dienstag das Verbot der Homoehe mit sechs zu eins Stimmen Mehrheit aufrechterhalten hat, gingen tausende von Schwulen und Lesben in dem bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat auf die Straße, um ihrer Empörung Luft zu machen. Sie blockierten den Verkehr vor dem Rathaus in San Francisco, in anderen Städten kam es zu Demonstrationen.

Der Oberste Richter Ronald George sagte, gleichgeschlechtliche Paare haben weiterhin das Recht auf eine behördlich anerkannte eingetragene Partnerschaft, die denselben verfassungsrechtlich garantierten Schutz wie eine Ehe biete und nur anders heiße. Aber die Wähler haben nun mal beschlossen, die förmliche Ehe auf heterosexuelle Paare zu beschränken.
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Beim Volksentscheid, der gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen im November vorigen Jahres abgehalten wurde, stimmten 52,5 Prozent für einen Verfassungszusatz, die "Proposition 8", der die Ehe ausschließlich als Verbindung von Mann und Frau definiert. Georges Urteilsbegründung klang fast wie eine Entschuldigung. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, zu entscheiden, ob "Proposition 8" vernünftig sei, sagte er. Das Gericht dürfe nur die Regeln der kalifornischen Verfassung interpretieren und müsse persönliche Ansichten außen vor lassen. Die 18.000 gleichgeschlechtlichen Ehen, die zwischen Mai und November 2008 geschlossen wurden, als solche Trauungen legal waren, bleiben jedoch gültig, entschied das Gericht. Die Gegner hatten gefordert, sie zu annullieren.

Das Thema beschäftigt Kalifornien bereits seit 2004. Damals ordnete der Bürgermeister von San Francisco, Gavin Newsom, an, dass sich gleichgeschlechtliche Paare in seiner Stadt trauen lassen können. Tausende reisten daraufhin zur Eheschließung nach San Francisco, aber der Oberste Gerichtshof Kaliforniens annullierte die Ehen mit der Begründung, dass der Bürgermeister seine Kompetenzen überschritten habe.

Doch im Mai vorigen Jahres legalisierte derselbe Gerichtshof die Homoehe mit vier zu drei Stimmen, weil "der Staat keine besonderen Gründe vorbringen" konnte, diese Ehen zu verbieten. "Die Ehe ist ein Grundrecht", hieß es in der Urteilsbegründung, und die sexuelle Orientierung spiele dabei genauso wenig eine Rolle wie die Rasse.

Nach dem Urteil vom Mai begannen religiöse Organisationen und konservative Politiker, Unterschriften für einen Volksentscheid zu sammeln. Sie investierten Millionen Dollar in ihre Kampagne und hatten damit Erfolg. Bürgerrechtsorganisationen argumentierten, dass es sich bei "Proposition 8" nicht bloß um eine Gesetzeserweiterung, sondern um eine Verfassungsänderung handle. Und die benötigt eine Zweidrittelmehrheit des Gesetzgebers, bevor sie überhaupt zum Referendum zugelassen werden kann. Danach seien im Volksentscheid ebenfalls zwei Drittel der Stimmen notwendig. Dieser Sichtweise folgten die Richter nicht.

Damit ist das letzte Wort freilich noch nicht gesprochen. Homosexuellenorganisationen können den Fall vor ein Bundesgericht bringen, oder sie können versuchen, einen erneuten Volksentscheid in die Wege zu leiten. "Der vernünftigste Weg wäre ein weiteres Referendum", sagte die Anwältin Jennifer Pizer, die einen der Kläger vertritt. Die Schwulen- und Lesbenorganisationen hoffen, dass die kürzlich erfolgte Legalisierung der Homoehe in den nordöstlichen Bundesstaaten Vermont und Maine sowie in Iowa, wo sich das Gericht ausdrücklich auf das kalifornische Urteil vom Mai 2008 berief, genügend kalifornische WählerInnen umstimmen könnte. In Massachusetts und Connecticut ist die gleichgeschlechtliche Ehe bereits seit vorigem Jahr anerkannt, in New York und New Jersey steht eine Entscheidung bevor.

Vielleicht ist es auch nur eine Frage der Zeit. Laut einer Umfrage der New York Times sprachen sich 57 Prozent der Befragten für die Anerkennung der Homoehe aus. Bei den über 40-Jährigen waren es nur 31 Prozent.

Kein Herz für Robben

Vor laufenden Kameras verspeist Kanadas Generalgouverneurin das rohe Herz einer Robbe - aus Solidarität mit den Jägern. Tierschützer sind entsetzt.

"Schmeckt wie Sushi": Generalgouverneurin Jean kostet vom rohen Herz einer Robbe. (Foto: AP)

Vor ihr liegt der wuchtige Körper der toten Robbe. Mit einer Art Spachtel, einem traditionellen Eskimo-Messer, bearbeitet Michaëlle Jean das Innere des Tieres. Dann wird ihr ein Stückchen Fleisch zum Probieren angeboten. Die Generalgouverneurin Kanadas, die die britische Königin Elisabeth II. in Kanada als Staatsoberhaupt repräsentiert, beißt hinein. Es ist das rohe Herz der Robbe, von dem sie vor laufenden Fernsehkameras ein Stück verspeist. Für Tierschützer ein Skandal.

Der Robben-Snack soll ein bisschen wie Sushi geschmeckt haben, hat Michaëlle Jean kanadischen Medienberichten zufolge im Anschluss gesagt. Dass sie ihn bei einer Feier in Rankin Inlet im nordkanadischen Territorium Nunavut aus rein kulinarischen Gründen gegessen hat, darf hingegegen kaum angenommen werden: es geht vielmehr um Politik.

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Robbenjagd in Kanada Blut im Schnee Rahmen
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Zuvor hatte Jean die traditionelle Robbenjagd der Inuit verteidigt. Die Aktion kommt drei Wochen, nachdem das EU-Parlament in Straßburg ein Importverbot für alle Waren beschlossen hatte, für die Fleisch oder Fell von Robben verarbeitet werden.

Ziel des Importbanns, der erst im kommenden Jahr in Kraft treten wird, ist zwar die kommerzielle Robbenjagd. Die traditionelle Jagd der Inuit ist ausdrücklich von der Verordnung ausgenommen, aus Rücksicht auf die Lebensweise der Ureinwohner von Kanada, Grönland und Alaska. Doch trotzdem befürchten die Inuit negative Auswirkungen auf ihren Lebensunterhalt.

Ein Robben-Snack als Solidaritätsbekundung also? Dass ihre Aktion eine Replik auf die EU-Verordnung gewesen sein soll, wies die Generalgouverneurin auf Nachfrage örtlicher Medien zurück. Der Aussagekraft der Bilder dürfte sich Jean aber auf alle Fälle bewusst gewesen sein: Denn vor ihrem Amtsantritt hat sich die gebürtige Haitianerin in der kanadischen Provinz Québec einen Namen als TV-Journalistin gemacht.

Bereits wenige Stunden nach dem Vorfall haben Tierschützer begonnen, im Internet gegen Michaëlle Jean mobilzumachen. "Ich bin nicht sicher, ob sie mehr eine Perverse oder mehr eine Idiotion ist. Vermutlich beides zur Hälfte", giftet da ein User in einem Vegetarier-Forum. Ein anderer sagt, er wartet nur auf die Nachricht, dass sich Jean durch das rohe Fleisch einen Parasiten eingefangen habe. Ein Vertreter der Tierschutzorganisation Peta meinte, Jean wolle wohl den Kanadiern ein noch stärkeres Neandertaler-Image verpassen, als sie es ohnehin schon in der Welt hätten.

Andere verspotten die Generalgouverneurin als "Kanadas Version von Sarah Palin". Die Gouverneurin des US-Bundesstaates Alaska und republikanische Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten, hatte 2008 eine Kampagne unterstützt, die Eisbären von der Liste gefährdeter Arten streichen lassen will.

Den kommerziellen Robbenjägern geht Jeans Geste hingegen nicht weit genug, sie sei zudem zu spät gekommen und zu gering ausgefallen, heißt es. Kein Wunder: Für ihre Produkte hat der Import-Bann der EU schließlich von 2010 an Gültigkeit. Für die kommende Saison hat die kanadische Regierung kürzlich dennoch eine üppige Quote festgesetzt: Etwa 300.000 Robben sind zur Jagd freigegeben.

Dienstag, 26. Mai 2009

AU fordert Sanktionen gegen Eritrea

Aufgrund vermeintlicher Unterstützung somalischer Rebellen fordert die afrikanische Staatengemeinschaft Sanktionen gegen Eritrea. Aus Protest zog Eritrea Botschafter ab.

Die Afrikanische Union (AU) hat den UN- Sicherheitsrat aufgefordert, Sanktionen gegen Eritrea zu verhängen. Wie der britische Sender BBC berichtete, beschuldigt die afrikanische Staatengemeinschaft das Land Eritrea, die islamistischen Aufständischen in Somalia mit Waffen zu versorgen. Es sei das erste Mal, dass die AU gegen einen Mitgliedsstaat die Verhängung von Sanktionen verlange.

Eritrea bestreitet den Vorwurf kategorisch. Als Reaktion auf die Sanktionsforderung der AU habe das Land seinen Botschafter bei der Staatengemeinschaft abberufen, teilte der eritreische Informationsminister Ahmed Ali Abdu mit. Er widersprach jedoch einem Bericht, dass sein Land seine Mitgliedschaft in der AU ausgesetzt habe.

Die AU hat rund 4000 Soldaten in Somalia, die die schwache Regierung unterstützten. Die Staatengemeinschaft forderte neben Sanktionen auch die Einrichtung einer Flugverbotszone und eine Blockade der Seehäfen, um das Eindringen “ausländischer Elemente” nach Somalia zu verhindern, berichtete BBC weiter.

Seit Freitag liefern sich die Rebellen in Mogadischu schwere Gefechte mit den Regierungstruppen. Bei den Auseinandersetzungen in der somalischen Hauptstadt sind mehr als 50 Menschen an einem Tag getötet worden. Mindestens 200 Menschen wurden im Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt verletzt, teilte die Elman-Menschenrechtsorganisation mit.

Regierungstruppen hatten am Freitag eine Offensive gestartet, um verlorenes Territorium von islamistischen Aufständischen zurückzuerobern. Dabei habe es Dutzende Tote und Verletzte gegeben, berichtete die Menschenrechtsorganisation unter Berufung auf verschiedene Quellen. Zahlreiche Einwohner nutzten eine Kampfpause am Samstag zur Flucht aus der Stadt.

Sonntag, 24. Mai 2009

Koreas Expräsident begeht Suizid

Der 62-jährige Roh Moo Hyun stürzt sich von einer Klippe in den Tod, weil er sein Lebenswerk und sein Ansehen als zerstört betrachtet.
VON MARTIN FRITZ
Koreaner nehmen Abschied von ihrem Ex-Präsidenten Roh Moo Hyun.

Kurz vor halb sechs Uhr am Samstagmorgen setzte sich Roh Moo Hyun, bis Anfang letzten Jahres der Präsident von Südkorea, in seinem Landhaus in Bongha an den Computer und schrieb eine Abschiedsnotiz an seine Frau und seine zwei Kinder. "Seid nicht zu traurig. Leben und Tod gehören zur Natur", lauteten seine Worte. "Macht niemandem Vorwürfe. Dies ist Schicksal." Dann wanderte der 62-Jährige mit einem Leibwächter einen nahe gelegenen Berg hinauf und stürzte sich um 6.40 Uhr von einer Klippe hundert Meter tief in den Abgrund. Er erlitt dabei so schwere Kopfverletzungen, dass er um 9.30 Uhr in einem Krankenhaus für tot erklärt wurde. Auf eigenen Wunsch wird der Leichnam von Roh eingeäschert, die Familie stimmte einem Staatsbegräbnis zu.

Die schrittweise Zerstörung seines persönlichen Ansehens sowie seines politischen Vermächtnisses sind offenbar die stärksten Motive für die Selbsttötung. Der als kompromisslos geltende Roh ist besonders stolz darauf gewesen, ein unabhängiger und unbestechlicher Politiker zu sein. Er hatte es 2002 geschafft, ohne Hilfe der Industrie-Konglomerate zum Präsidenten gewählt zu werden, indem er über das Internet mit teilweise antiamerikanischer Rhetorik jüngere Wähler mobilisierte. Doch wie bei jedem südkoreanischen Präsidenten seit Anfang der Neunzigerjahre tauchten auch gegen Roh nach dem Ausscheiden aus dem Amt Korruptionsvorwürfe auf. Anfang April entschuldigte sich der Politiker öffentlich dafür, dass seine Frau und seine Nichte von einem Geschäftsmann mehr als vier Millionen Euro angenommen hatten. Ende April wurde Roh 13 Stunden lang von der Staatsanwaltschaft verhört. Auf dem Weg nach Seoul verfolgte ihn ein Pressetross in Autos und Hubschraubern - eine solche Demütigung hatte noch kein Expräsident erlebt. Sein "sauberes" Image gehörte der Vergangenheit an.

Zugleich musste Roh miterleben, wie sein politisches Erbe demontiert wurde. Als Präsident hatte der frühere Menschenrechtsanwalt die Sonnenscheinpolitik seines Vorgängers Kim Dae Jung fortgeführt: Roh unterstützte Nordkorea mit Reis, Dünger und Investitionen, ohne politische Bedingungen zu stellen. Trotz eines Atomtests kamen der nordkoreanische Führer Kim Jong Il und Roh im Oktober 2007 zum zweiten Korea-Gipfel zusammen und verständigten sich über eine Nachkriegsordnung für die Halbinsel. Doch sein Nachfolger Lee Myung Bak beendete die Versöhnungspolitik und verlangte von Nordkorea Gegenleistungen für Hilfslieferungen.

Der Selbstmord seines Expräsidenten hat Südkorea schwer schockiert. Tausende nahmen in Bongha von dem Sarg Abschied. In Seoul legten Trauernde zahllose Chrysanthemen vor einem Porträt von Roh nieder. Seine letzte politische Botschaft zeigte, dass ihn sein Lebenswille verlassen hatte. Er symbolisiere nicht mehr länger die Werte, für er einst gestanden habe, schrieb er vor einem Monat auf seiner Webseite.