WOLF SCHMIDT
Ein Drittel der Bürger glaubt nicht, dass Demokratie Probleme lösen kann. Jeder Zweite kann sich laut Studie vorstellen, kommendes Jahr nicht zur Bundestagswahl zu gehen.
Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie schwindet. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung an diesem Montag veröffentlicht wird. Jeder Dritte glaube danach nicht mehr daran, dass die Demokratie noch die Probleme lösen kann. In Ostdeutschland ist es mehr als jeder Zweite (53 Prozent). "Das sind erschreckende Ergebnisse", sagte Studienleiter Frank Karl von der Ebert-Stiftung der taz.
Für die Studie hat das Münchner Meinungsforschungsinstitut Polis/Sinus 2.500 Bundesbürger befragt. Eine Unzufriedenheit mit dem Funktionieren des demokratischen Systems haben Sozialforscher immer wieder festgestellt - ohne grundsätzliche Zweifel an der Staatsform zu messen. So hatte etwa der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer zum Erscheinen der Langzeitstudie "Deutsche Zustände" im Dezember von einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem demokratischen System gesprochen - "die Demokratie an sich" aber nicht in Gefahr gesehen.
Auch die Ergebnisse der Studie der Ebert-Stiftung deuten darauf hin, dass die Befragten insbesondere unzufrieden damit sind, wie sich die Demokratie momentan präsentiert. Nach Angaben von Karl bejahten 25 Prozent aller Befragten die Aussage: "Mit der Demokratie, wie sie heute bei uns ist, habe ich nichts zu tun." In Ostdeutschland seien es sogar 41 Prozent.
Diese hohen Werte haben die Forscher überrascht. Ziel der Studie war ursprünglich, herauszufinden, warum immer mehr Menschen den Wahlen fernbleiben. Laut der Umfrage kann sich jeder Zweite vorstellen, kommendes Jahr nicht zur Bundestagswahl zu gehen.
Als einen wichtigen Grund für die Demokratiedistanz nennen die Forscher das Gefühl der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit in Deutschland. Fast 60 Prozent finden laut der Umfrage, dass es in Deutschland ungerecht zugeht. Persönlich ungerecht behandelt fühlen sich 26 Prozent der Befragten.
Unter den Demokratiefernen sind laut Karl denn auch Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger überrepräsentiert. Jeder Achte lebt in Deutschland an der Armutsgrenze, ohne Sozialleistungen wäre es jeder Vierte. Das geht aus dem jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor - um dessen Interpretation sich das Kabinett wochenlang gestritten hatte. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich laut Bericht weiter geöffnet.
Doch auch in den anderen Gesellschaftsschichten sei die Demokratiedistanz weit verbreitet, finden nun die Forscher der Ebert-Stiftung. "Das deutet darauf hin, dass viele Menschen fürchten, demnächst abzurutschen, und sie machen das System dafür verantwortlich", sagte Karl.
Wenig überraschend ist daher, dass insbesondere auch das Vertrauen in Politiker und die Parteien laut der Studie auf einem äußerst niedrigen Niveau sind. Nur ein Drittel der Befragten ist der Ansicht, dass die Politiker ihre Politik an den Wünschen der Bevölkerung ausrichten.
Für die Zukunft sehen viele Deutsche darum auch schwarz. Nur jeder Dritte sieht den kommenden fünf Jahren mit Zuversicht entgegen. 57 Prozent der Befragten stehen den Sozialreformen in Deutschland skeptisch gegenüber und verlangen mindestens eine Reformpause.
Grünen-Parteichefin Claudia Roth sagte der taz: "Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend." Roth macht fehlende Bildungschancen verantwortlich. Aber auch das "groteske Schauspiel zwischen Selbstzerfleischung und Zusammenhalt" der großen Koalition befördere die Politikverdrossenheit.