Montag, 30. Juni 2008

Wut über Spot: Heinz stoppt Homo-Werbung

Der Lebensmittelkonzern Heinz hat in England einen schwulen Werbespot nach Protesten aus dem Programm genommen.

Grund seien negative "Konsumenten-Rückmeldungen" gewesen. Die britische Werbeaufsicht hat über 200 Beschwerden über den Spot erhalten. Darin beanstanden Eltern den 30-Sekunden-Spot als "anstößig" und "ungeeignet". Eine Mutter schrieb in einem Brief, sie hätte ihren Kindern nun erklären müssen, was ein schwules Paar ist. Die Werbung durfte nicht im Rahmen von Kinderprogrammen ausgestrahlt werden, weil britischem Recht zufolge in diesem Umfeld nicht für sehr fetthaltige Produkte geworben werden darf.

Heinz stellte in dem Spot vor gut einer Woche eine neue Delikatess-Majonäse vor. Darin schmiert ein Italo-New-Yorker seinen Kindern, die ihn als "Mum" bezeichnen, Brote. Am Ende des Filmchens küsst er seinen Freund.

"Wir hören Konsumenten zu", erklärte Nigel Dickie von Heinz UK. "Wenn die Konsumenten Bedenken gegen eine Werbekampagne haben, erkennen wir das an". Er entschuldigte sich bei allen, die den Spot als Ärgernis empfanden.

Homo-Gruppe ruft zum Boykott auf

Die Homo-Gruppe Stonewall zeigte sich entsetzt, dass der "harmlose" Spot abgesetzt wurde. Sie forderte schwule und lesbische Konsumenten zum Boykott von Heinz-Produkten auf.

Auch in den USA sorgte der Spot für Aufregung, obwohl Heinz ihn dort nicht ausstrahlte. Der Kommentator Bill O’Reilly vom konservativen Meinungskanal Fox News Channel nannte die Werbung "verwirrend": "Ich will Majonäse und keine küssenden Typen", so seine Zusammenfassung.

US-Kommentator Bill O'Reilly regt sich über den Werbespot auf.

Fußballnation Spanien: Nun gibt es ein einigendes Band

Ein Gespräch mit Javier Marías, einen Tag vor dem Finale. Der Schriftsteller hatte gerade etwas für eine spanische Zeitung geschrieben, Gedanken eines Fußballfans, der mehr als ein halbes Menschenalter nach dem einzigen Europameisterschaftsgewinn 1964 vor der zweiten Chance steht: Seine Mannschaft in einem großen Finale siegen zu sehen. Und er war verwirrt. Es falle ihm schwer, schrieb er, das gegenwärtige Nationalteam wirklich als eigenes zu begreifen, spanische Mannschaften spielten immer komplexbeladen und mit tausend Ängsten, außerdem spielten sie selten gut und schon gar nicht so gut wie gegen Russland. Er, Marías, habe fast das Gefühl, es mit einer Bande von Hochstaplern zu tun zu haben. Sollten „wir“ wirklich so brillant sein? Wenn es doch Wahrheit wäre bis zum Ende! Wenn die Spanier ihre Charaktermängel und ihr traditionelles Pech ein für allemal beiseitelegen könnten!

Jetzt haben sie es. Und sind sie mit einem Schlag andere geworden: Europameister. Damit ist Spanien gewissermaßen Deutschland. Nicht fußballerisch, natürlich nicht, sondern in einem tieferen Sinn. Sie haben aufgeholt und dieselbe Siegeserfahrung gemacht. Wer weiß, vielleicht gewöhnen sie sich daran! Wir kennen die Symptome ja seit dem Klinsmann-Jahr 2006. Es ist der Glaube, die Hürde überspringen, die Spötter zum Schweigen bringen und das ganze lärmende Land hinter sich vereinen zu können. Früher hätte man gedacht, das regelten Geschichte und patriotische Taten, zumal in einer anbetungsbereiten Gesellschaft wie der spanischen. Heute wissen wir, dass man ein paar Männer in kurzen Hosen, jubelnde Frauen mit angemalten Gesichtern und die Fernsehkameras der Welt dafür braucht. Nicht Feierlichkeit, sondern ansteckende Fröhlichkeit ist gefragt. Ein fast siebzigjähriger Trainer hatte eine Vision, und seine Mannschaft, von der niemand vor dem Turnier bei den Journalisten auf der Starliste stand, hat sich im Lauf von vier Wochen in alle Herzen gespielt.

In einem Land voller Streitlust und Selbstzerfleischung

Solange in Deutschland noch keine Fahnen aus den Häusern hingen und Wimpel am Autodach flatterten, wussten wir nicht genau, was das ist: Fahnen nach draußen zu hängen. Spanien ging es damit nicht viel besser. Ein vaterlandsliebender Teil der Gesellschaft zeigte zwar Flagge (und Stiere), hin und wieder sogar mit graphischer Erinnerung an die Franco-Zeit. Doch andere hatten dazu keine Lust. Das Misstrauen gegenüber dem Begriff „Nation“ ist ausgeprägt, und das Wort „Patriotismus“ hat es ähnlich schwer wie in Deutschland. Zu vieles daran ist durch Autoritarismus und Diktatur in Misskredit geraten. Patriotismus, das klingt nach Benutzbarkeit, Willfährigkeit und dumpfem Herdentrott.

Vertrauen in Demokratie schwindet

WOLF SCHMIDT

Ein Drittel der Bürger glaubt nicht, dass Demokratie Probleme lösen kann. Jeder Zweite kann sich laut Studie vorstellen, kommendes Jahr nicht zur Bundestagswahl zu gehen.

Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie schwindet. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung an diesem Montag veröffentlicht wird. Jeder Dritte glaube danach nicht mehr daran, dass die Demokratie noch die Probleme lösen kann. In Ostdeutschland ist es mehr als jeder Zweite (53 Prozent). "Das sind erschreckende Ergebnisse", sagte Studienleiter Frank Karl von der Ebert-Stiftung der taz.

Für die Studie hat das Münchner Meinungsforschungsinstitut Polis/Sinus 2.500 Bundesbürger befragt. Eine Unzufriedenheit mit dem Funktionieren des demokratischen Systems haben Sozialforscher immer wieder festgestellt - ohne grundsätzliche Zweifel an der Staatsform zu messen. So hatte etwa der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer zum Erscheinen der Langzeitstudie "Deutsche Zustände" im Dezember von einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem demokratischen System gesprochen - "die Demokratie an sich" aber nicht in Gefahr gesehen.

Auch die Ergebnisse der Studie der Ebert-Stiftung deuten darauf hin, dass die Befragten insbesondere unzufrieden damit sind, wie sich die Demokratie momentan präsentiert. Nach Angaben von Karl bejahten 25 Prozent aller Befragten die Aussage: "Mit der Demokratie, wie sie heute bei uns ist, habe ich nichts zu tun." In Ostdeutschland seien es sogar 41 Prozent.

Diese hohen Werte haben die Forscher überrascht. Ziel der Studie war ursprünglich, herauszufinden, warum immer mehr Menschen den Wahlen fernbleiben. Laut der Umfrage kann sich jeder Zweite vorstellen, kommendes Jahr nicht zur Bundestagswahl zu gehen.

Als einen wichtigen Grund für die Demokratiedistanz nennen die Forscher das Gefühl der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit in Deutschland. Fast 60 Prozent finden laut der Umfrage, dass es in Deutschland ungerecht zugeht. Persönlich ungerecht behandelt fühlen sich 26 Prozent der Befragten.

Unter den Demokratiefernen sind laut Karl denn auch Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger überrepräsentiert. Jeder Achte lebt in Deutschland an der Armutsgrenze, ohne Sozialleistungen wäre es jeder Vierte. Das geht aus dem jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor - um dessen Interpretation sich das Kabinett wochenlang gestritten hatte. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich laut Bericht weiter geöffnet.

Doch auch in den anderen Gesellschaftsschichten sei die Demokratiedistanz weit verbreitet, finden nun die Forscher der Ebert-Stiftung. "Das deutet darauf hin, dass viele Menschen fürchten, demnächst abzurutschen, und sie machen das System dafür verantwortlich", sagte Karl.

Wenig überraschend ist daher, dass insbesondere auch das Vertrauen in Politiker und die Parteien laut der Studie auf einem äußerst niedrigen Niveau sind. Nur ein Drittel der Befragten ist der Ansicht, dass die Politiker ihre Politik an den Wünschen der Bevölkerung ausrichten.

Für die Zukunft sehen viele Deutsche darum auch schwarz. Nur jeder Dritte sieht den kommenden fünf Jahren mit Zuversicht entgegen. 57 Prozent der Befragten stehen den Sozialreformen in Deutschland skeptisch gegenüber und verlangen mindestens eine Reformpause.

Grünen-Parteichefin Claudia Roth sagte der taz: "Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend." Roth macht fehlende Bildungschancen verantwortlich. Aber auch das "groteske Schauspiel zwischen Selbstzerfleischung und Zusammenhalt" der großen Koalition befördere die Politikverdrossenheit.