Donnerstag, 27. November 2008

Bundesregierung vs. Zwitter

Seit Jahrzehnten wehren sich Zwitter gegen menschenrechtswidrige genitale Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und andere nicht-eingewilligte medizinische Zwangs-"Behandlungen". Sie fordern ein menschenwürdiges Leben, Bestrafung unverbesserlicher Zwangsoperateure und Wiedergutmachung. Wissenschaftliche Studien belegen das an ihnen begangene Unrecht.

Bundesregierung und Bundestag schauen derweil weg und schweigen ...

In den letzten zwölf Jahren wurde die Bundesregierung durch Kleine Anfragen bisher vier Mal aufgefordert, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen (Drucksachen 13/5916, 14/5627, 16/4322, 16/4786). Von betroffenen Menschen wurde mehrfach kritisiert, dass auf wiederholt gestellte wesentliche Fragen keine Antworten erfolgten und generell die Sicht der betroffenen Menschen nicht einbezogen, sondern einseitig auf den Parteistandpunkt der "an einer Fortführung der bisherigen Praxis interessiert[en]" Mediziner abgestellt wurde (SchattenberichtCEDAW 2008, 1.2).

Seit langem bemängeln Selbsthilfegruppen Vertuschung durch fehlende Statistiken und nicht-existentes Monitoring. Noch als die Bundesregierung zum dritten Mal in Folge nach Statistiken zum Vorkommen und zur Behandlung von intersexuellen Menschen gefragt wurde, lautete die Antwort: "Der Bundesregierung liegen keine bundesweit einheitlichen Erfassungen und Statistiken vor" (16/4786). Zwar wurde 2001 "voraussichtlich ab 2002" eine statistische Erfassung in Aussicht gestellt (14/5627), jedoch später nie mehr darauf Bezug genommen. Zu keinem Zeitpunkt wurden Konsequenzen gezogen aus diesem Nicht-Vorliegen genauer Daten und widersprüchlichen Teilangaben gemäß "Erkenntnisse[n] von Fachgesellschaften und Wissenschaft": zum Beispiel "etwa 150" Geburten jährlich "mit genitale[n] Fehlbildungen" gegenüber "7" Krankenhauseinweisungen "mit der Diagnose Hermaphroditismus [...] im Jahr 2004"; "etwa 1:4500" "genitale Fehlbildungen" gegenüber "etwa 8 000 bis 10 000" "schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung" (16/4786). Geht es demgegenüber in wissenschaftlichen Publikationen um die Anzahl der zu Behandelnden, so heißt es bei 1:1000 sei keine "eindeutige Zuordnung" möglich, was gut 80 000 betroffenen Menschen entspricht (Finke/Höhne: "Intersexualität bei Kindern" 2008). Umsonotwendiger wären deshalb aus Sicht der betroffenen Menschen exakte Statistikenund kontinuierliches Monitoring.

Durchgängig stellte sich die Bundesregierung auf den Standpunkt, die anintersexuellen Kindern ohne ihre Einwilligung vorgenommenen chirurgischenEingriffe seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalbdem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627). Weiter unterstellt die Bundesregierung, "größer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden", vermag dafür jedoch keine Belege anzuführen (16/4786).

Möglicherweise bezog sich die Bundesregierung auf die in diesem Zusammenhanggerne zitierte amerikanischeStudie von Meyer-Bahlburg aus dem Jahre 2004, die jedoch auch von Medizinern wiederholt z.T. heftig kritisiert wurde (http://www.thieme-connect.com/ejournals/html/uro/doi/10.1055/s-2005-870031).

Mittlerweile vorliegende Forschungsergebnisse des Netzwerks Intersexualität/DSD unterstreichen diese Kritik. So bestätigte etwa die "Hamburger Studie" die von betroffenen Menschen seit Jahrenimmer wieder betonten, von der Bundesregierung aber bisher ignoriertenMissstände in der Behandlung intersexueller Menschen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...]eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertetgeschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehrzufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufriedenund das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden." (ChristianSchäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern". http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0)

Auch die aktuelle "Lübecker Studie" bestätigt erneut dienotorisch "Hohe Unzufriedenheit mit der medizinischen Behandlung" vonIntersexuellen. Eltern von Betroffenen schätzten zudem derenLebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst. (Vortrag vonDipl.-Psych. Eva Kleinemeier und Dipl.-Soz. Martina Jürgensen (Lübeck)anlässlich des 5. Bundesweiten Treffens "Netzwerk Intersexualität e.V." vom 6.9.2008 inKiel. Erste Resultate in schriftlicher Form werden demnächst auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht.)

Dasselbe bestätigt die Feststellung: "Auch aus der Literatur ist bekannt,dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mitDSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnenzugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". (Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233, PDF)

Diese aktuellen Veröffentlichungen zur Situation Intersexueller in Deutschland unterstreichen also einmal mehr, dass die von der Bundesregierungdurchgehend behauptete Ausrichtung auf das Kindeswohl nicht der Realitätentspricht.

Zwitter sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung. Die an ihnen begangenen medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen stellen aus der Sicht der betroffenen Menschen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrechtauf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar, auf derenWiedergutmachung sie nach wie vor warten.

Wie lange noch?

Siehe auch:

Hintergrund:

Regelmässige Updates:

"Freiheit stirbt mit Sicherheit!"

Widerstand gegen neues Versammlungsgesetz in BaWü
Autonomes Medienkollektiv Rhein-Neckar
Baden-Württemberg - Die Regierung Baden-Württembergs hat eine Reform des Versammlungsgesetzes beschlossen. Das neue Gesetz, welches am 1. Januar 2009 in Kraft treten soll, wird die schon jetzt bestehenden Einschnitte des Versammlungsrechtes weiter verschärfen. Das Versammlungsgesetz orientiert sich inhaltlich an dem bayrischen Vorbild.
Die Implementierung in Baden-Württemberg wundert indes nicht, steht doch das 60. NATO-Jubiläum im April nächsten Jahres an. Die Pläne der CDU geführten Regierung hatten und haben in Baden-Württemberg vielerorts breite Proteste zur Folge. So sind beispielsweise eine Reihe von Demostrationen angekündigt.

Auch in Niedersachsen soll nun ein neues Versammlungsgesetz, in Anlehnung an das bayrische Modell, in Kraft treten (1, 2, 3). Hiermit spielen Bayern und Baden-Württemberg erneut eine Vorreiterrolle für repressive Gesetzesentwürfe. Es ist zu erwarten, dass weitere unionsgeführte Länder folgen werden.

Feindaufklärung: Das Innenministerium zur geplanten Gesetzesänderung | Versammlungsgesetz des Bundes im Original
Informatives: Blog zum Versammlungsgesetz in BaWü | Interview in Radio Dreyeckland zur geplanten Reform

Das Gesetz:

Im Folgenden eine Auswahl der massivsten und umstrittensten Änderungen:

1. Organisation von Versammlungen:
  • Neben der Versammlungsleitung sollen nun auch Ordner_innen gezwungenwerden ihre Personalien bei den Behörden anzugeben.
  • Weiterhin soll das Kooperationsgebot (§ 4)"ausdrücklich geregelt und näher ausgestaltet"werden. Im Klartext zwingt dieses Gebot Versammlungsleitung undOrdner_innen zur Zusammenarbeit mit der Polizei. Eine Pflicht zurZusammenarbeit besteht indes für Behörden ausdrücklich nicht.
Beispiel: Ist die Polizei der Meinung, dass eine Situation zueskalieren droht, kann diese die Versammlungsleitung und Ordner_innenauffordern die Versammlung zu beruhigen oder aufzulösen. Auchwenn diese die Situation anders einschätzen sind sie durch dasGesetz zur Mithilfe gezwungen, andernfalls können sie zurVerantwortung gezogen werden.

2. Im Vorfeld von Versammlungen:
  • Das neue Gesetz räumt die Möglichkeit einVersammlungsleiter_innen und Ordner_innen "unter bestimmtenGründen abzulehnen". Ordner_innen, die nach Ansicht derBehörde "ungeeignet" erscheinen die Versammlungsleitung "zuunterstützen", können ohne weiteres abgelehnt werden.
Beispiel: Diese Änderung legitimiert gesetzlich dieWillkür von Behörden. Ist es im Interesse derOrdnungskräfte, dass eine Versammlung nicht oder untererschwerten Bedingungen stattfindet, können diese einfachjede_n Ordner_in ablehnen.

3. Anmelden von Versammlungen:
  • Im Gegensatz zur früheren Anmeldefrist von 48 Stundenmüssen Versammlungen jetzt schon 72 Stunden vorher angemeldetwerden. Weiterhin sollen mitgeführte Gegenstände wieFahnen, Trommeln usw. im Vorfeld angegeben werden.
Beispiel: Spontane oder kurzfristig geplante und beschlosseneVersammlungen sind dann kaum noch umzusetzen. Ferner unterliegenspezielle Aktionsformen massiven Einschränkungen.

4. Verlauf von Versammlungen:
  • Die Polizei kann in Versammlungen eingreifen, sofern Anzeichenfür "erhebliche Gefahren für Sicherheit und Ordnung"bestehen oder wenn der "Eindruck der Gewaltbereitschaft" erweckt wird.Darüber hinaus darf sie präventiv filmen,fotografieren, Personalien aufnehmen und Einzelpersonen festnehmen(§ 19), diese zuvor illegitime aber gängige Praxissoll nun durch das Gesetz legalisiert werden.
  • Außerdem tritt das so genannte Militanzverbot (§7) in Kraft. Wenn durch eine Versammlung der "Eindruck vonGewaltbereitschaft vermittelt werden könnte", kann die Polizeidiese kurzerhand beenden.
Beispiel: Die Frage, wann Gewaltbereitschaft vorhanden ist, ist eineFrage der subjektiven Wahrnehmung. Hier besteht die Gefahr, dassSituationen von der Polizei (bewusst) falsch eingeschätztwerden und es zu unberechtigten Störungen und Festnahmen kommt.

5. Verbot und Einschränkungen von Versammlungen:
  • Ein Grund warum eine Versammlung nach dem neuen Gesetz verbotenwerden kann ist das sogenannte Störungsverbot,nachdem eine andere Versammlung weder gestört, noch zu derenStörung aufgerufen werden darf.
  • Ein weiterer Auslöser für das Verbieten oder derEinschränkung einer Versammlung ist die Anordnung, dassgleichrangige Rechte Dritter (§ 17) nichtbeeinträchtigt werden dürfen.
Beispiel: Findet ein Naziaufmarsch statt, kann eine Gegendemonstrationals Störung angesehen und verboten werden. Durch die Anordnungdie Rechte Dritter zu gewährleisten könnenbeispielsweise Streiks verboten werden, da diese dem Wettbewerb desbestreikten Unternehmens schaden. Kundgebungen auf belebtenPlätzen fallen potenziell auch unter diese Regelung.

6. Das neue Versammlungsgesetz als Eingriff in die Privatssphäre:
  • Ab 2009 gilt schon eine Gruppe von zwei Personen als Versammlung.
Beispiel: Durch dieses Gesetz kann es passieren, dass man alsVersammlung aufgefasst wird, obwohl man nur mit einem/einer Freund_inunterwegs ist und wegen Aussagen oder Handlungen zur Rechenschaftgezogen wird, die keineswegs in einem aktivistischen Kontext stehen.

Fazit:
  • Die von dem Landtag beschlossene Reform des Versammlungsgesetzesbringt weitere massive Einschränkungen des Versammlungsrechtsmit sich, die vor allem darauf abzielen unliebsamen und ungehorsamenProtest zu verunmöglichen. Das ein solches Gesetz etwa einhalbes Jahr bevor die NATO-Konferenz in Baden-Baden und Strasbourgstattfindet verabschiedet wird ist kein Zufall. "Dieser neuste Angriffauf die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Protestes istTeil einer autoritären Entwicklung der vergangenen Jahre, diegesellschaftliche Konflikte zunehmend repressiv durch den Ausbau vonPolizei- und Überwachungsstaat zu unterdrückenversucht", so der AK Antifa Mannheim. Das kürzlich vom Bundbeschlossene BKA-Gesetz bekräftigt dies weiter.
  • Die vagen Ausführungen im Gesetz selbst begünstigenstark eine behördliche Willkür gegenüber undeine Kontrolle des Protestes. Soziale Konflikte und Widerstand werdenals ordnungspolitisches Problem wahrgenommen und entsprechendgehandhabt. Währenddessen wird staatlicherseitsbeständig an Möglichkeiten zur präventivenAufstandsbekämpfung gefeilt. Das neue Versammlungsgesetz zieltgenau in diese Richtung.


Plakat zur Demo in Stuttgart

Die Aktionen:

Bis jetzt fanden Aktionen in mehreren Städten in Baden-Württemberg statt.
So demonstrierten in Mannheim spontan 70 Menschen gegen das neue Gesetz, in Raststatt gab es Infostände und an verschiedenen Orten im Land sind Infoveranstaltungen geplant.

Weiterhin sind drei Demonstrationen angekündigt:
  1. Mannheim, Samstag 29.11. - 13 Uhr Hauptbahnhof.
  2. Stuttgart, Samstag 6.12. - 14 Uhr Lautenschlagerstraße.
  3. Freiburg, Samstag 13.12. - 14 Uhr Rathausplatz (unangemeldet)



Plakat zur Demo in Freiburg

Links:

Einen umfangreichen Pressespiegel stellt das Bündnis für Versammlungsfreiheit zur Verfügung.

Presse (Auswahl):
Pressemitteilungen, Communiqués:
Aufrufe:

Weitere Artikel des Autonomen Medienkollektivs Rhein-Neckar:

Mittwoch, 26. November 2008

Rassismus gegen Barack Obama im ORF

Der US-Botschafter in Österreich, David F. Girard-diCarlo, fordert in einem offenen Brief an ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz eine offizielle Verurteilung der rassistischen Kommentare des früheren ORF-Korrespondenten Klaus Emmerich über den designierten US-Präsidenten Barack Obama während der ORF-Livesendung zur US-Präsidentenwahl.

Emmerich hatte am 5. November im ORF unter anderem erklärt, dass er sich "nicht von einem Schwarzen in der westlichen Welt dirigieren lassen" wolle. Die US-Amerikaner hielt Emmerich in der TV-Diskussion "nach wie vor für Rassisten, und es muss ihnen schon sehr schlecht gehen, dass sie so eindrucksvoll ... einen Schwarzen mit einer schwarzen, sehr gut aussehenden Frau ins Weiße Haus schicken". Laut Emmerich wäre das ungefähr so, "wie wenn der nächste Bundeskanzler in Österreich ein Türke wäre".

Der Brief im Wortlaut

"Dieses Schreiben bezieht sich auf die Kommentare des früheren ORF Korrespondenten Klaus Emmerich über den designierten Präsidenten Barack Obama während einer morgendlichen Livesendung im ORF am 5. November 2008.

Als Vertreter des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in Österreich verurteile ich diese rassistischen Äußerungen Emmerichs aufs heftigste. Sie sind ein Affront gegen den designierten Präsidenten und das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika.

Seit diese beleidigenden Statements vom ORF gezeigt wurden, wartet und hofft die US Botschaft auf eine offizielle öffentliche Verurteilung seitens des ORF.

Außer einigen Medienberichten, in denen Ihr Sprecher dahingehend zitiert wird, daß sich der ORF von Herrn Emmerichs Kommentaren "distanziert", gab es jedoch keine solch kategorische Verurteilung. Ich denke, daß der ORF dies seinen Sehern jedoch schuldig wäre.

Meiner Meinung nach wirft diese Kontroverse zwei eindeutige Probleme auf.

Erstens hat der ORF als öffentliches Fernsehen eine Verantwortung, diese Bemerkungen, welche die Grenzen des zivilen Umgangs überschritten und in einer modernen Demokratie wie Österreich inakzeptabel sein sollten, klar zu verurteilen. Die Notwendigkeit einer solchen Verurteilung ist offensichtlich, da, laut österreichischen Medienberichten, Herr Emmerich diese Bemerkungen vor einem Fernsehpublikum von ca. 1,2 Millionen gemacht hat.

Der zweite Problembereich ist die Absenz von Entrüstung und und Verurteilung seitens österreichischer öffentlicher Personen und Organisationen angesichts der Äußerungen Herrn Emmerichs. Außer des Protests der Grünen vom 6. November ist mir keine andere offizielle Verurteilung zu Kenntnis gekommen. Ich erwarte nicht, daß Sie für andere Stellung nehmen, aber ich ersuche Sie, eine klare öffentliche Erklärung zu machen, in der Sie, als Vertreter des öffentlichen Fernsehsenders, den Sie leiten, die Kommentare Herrn Emmerichs verurteilen.

Angesichts der Bestürzung, die Herrn Emmerichs Äußerungen bei meinen Kollegen in der Botschaft, bei anderen amerikanischen Staatsbürgern, und, wie ich glaube, auch bei vielen Österreichern ausgelöst hat, plane ich, diesen Brief, nachdem er Ihnen zugestellt wurde, auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Hochachtungsvoll, David F. Girard-diCarlo"

ORF muss rigorose Konsequenzen für Klaus Emmerich nach dessen rassistischen Bemerkungen gegenüber Obama ziehen

"Rassistische Bemerkungen dürfen im ORF keinen Platz haben und müssen verhindert werden", so Dieter Brosz, ORF-Sprecher der Grünen. Er fordert daher, dass Emmerich vom ORF zu keinen weiteren Sendungen mehr eingeladen wird. Seine rassistische Entgleisung gegenüber dem zukünftigen US-Präsidenten Barack Obama disqualifiziert ihn für jegliche Kommentare zu internationaler Politik.

"Die Distanzierung des ORF von dessen Bemerkung reicht nicht aus", so Brosz. Zu klären sei auch, ob es Emmerich noch Sonderverträge mit dem ORF laufen habe. Wenn dem so ist, müsse es auch in diesem Bereichen Konsequenzen geben.

Emmerich meinte gestern in einer völlig jenseitigen Stellungnahme im ORF-Fernsehen, dass er sich 'nicht von einem Schwarzen in der westlichen Welt dirigieren lassen' möchte und gestand zugleich ein, dass das 'eine rassistische Bemerkung' sei.

Klaus Emmerich entschuldigt sich:

Bin wahrlich kein Rassist

Meine Äusserungen zur US-WAhl in der ORF Sendung vom 5. November 2008 bedauere ich außenordentlich. Ich entschuldige mich für den gesamten Vorgang. Für Menschen, die mich kennen, und nach einem langen Journalistenleben bin ich nachweisbar gegen jede Form des Extremismus, der Diskriminierung und des Rassismus eingetreten. In diesem Sinne habe ich mein Bedauern auch den Botschafter der USA, David Girard-diCarlo wissen lassen. Botschafter Girard die Carlo hat im Namen der US-Botschaft und der amerikanischen Regierung dies als "wohlwollende Entschuldigung" angenommen.

Klaus Emmerich, 1180 Wien

Regierung und Opposition schalten auf stur

Thilo Thielke, Bangkok

Verhärtete Fronten in Thailand: Die Führung lehnt einen Rücktritt ab - und die Regierungsgegner wollen den besetzten Flughafen nicht räumen. Jetzt strömen immer mehr Demonstranten zum Airport und richten sich auf eine längere Blockade ein.

Bangkok/Berlin - Die Fronten in der thailändischen Regierungskrise verhärten sich weiter. Die verfeindeten Lager haben am Mittwoch Forderungen des mächtigen Militärs zurückgewiesen, die Lage zu entschärfen. Ein Sprecher von Ministerpräsident Somchai Wongsawat lehnte am späten Nachmittag einen Rücktritt der politischen Führung und rasche Neuwahlen ab, wie sie zuvor Armeechef Anupong Paochinda verlangt hatte. Somchai habe wiederholt erklärt, Regierung wie Parlament seien demokratisch gewählt und würden deswegen im Amt bleiben.

Auch ein Sprecher der Regierungsgegner, die den internationalen Flughafen von Bangkok besetzt halten, wollte von Zugeständnissen nichts wissen. General Anupong hatte die Anhänger der Volksallianz für die Demokratie (PAD) aufgerufen, die Blockade des Airports und der Regierungsgebäude in Bangkok zu beenden. Der Oppositionssprecher beharrte jedoch darauf, dass zunächst der Ministerpräsident das Amt niederlegen müsse.

Die PAD-Demonstranten hatten den Flughafen in der Nacht zu Tausenden gestürmt und den Flugverkehr zum Erliegen gebracht. Sie wollten so die Rückkehr Somchais vom Apec-Gipfel in Peru verhindern. Der Ministerpräsident wich daher am Nachmittag nach Chiang Mai im Norden des Landes aus.

Nach seiner Landung sagte Somchai, er habe "noch keine Entscheidungen" getroffen, was die Forderungen des Armeechefs anbelange. Später ließ er ausrichten, er wolle einen "Ruhetag" einlegen. Für Donnerstag war eine Kabinettssitzung geplant, allerdings wurde nicht mitgeteilt, wie Somchai von Chiang Mai nach Bangkok gelangen wolle. Später hieß es, dass sich der Regierungschef noch am selben Tag mit einer Fernsehansprache an das thailändische Volk wenden wollte.

Nun strömen immer mehr Demonstranten in den typischen gelben T-Shirts zum besetzten Flughafen Survanabhumi einige Kilometer vor der Stadt. In Bussen werden sie zu den Terminals gebracht. Mit Knüppeln bewaffnete und vermummte Regierungsgegner kontrollieren an provisorischen Checkpoints die Zufahrtstraßen.

In den Flughafengebäuden versuchen kleine Demonstrantentrupps etwas Ordnung in das bisher friedliche Chaos zu bringen. Über Megafon schicken Rädelsführer kleine Gruppen von je etwa 20 jungen Männern los, die an Ausgängen oder längst verlassenen Schalter von Fluggesellschaften Position beziehen. Die Demonstranten richten sich offenbar auf eine lange Nacht am Flughafen ein. Helfer verteilen Essen und Getränke, Händler verkaufen Zahnbürsten, Kleidung oder Strohmatten. Touristen sind in den An- und Abflughallen kaum noch zu sehen. Die meisten Urlauber hat die thailändische Tourismusbehörde mit Bussen in Hotels im Stadtzentrum von Bangkok gebracht.

Deutsche Reiseveranstalter haben im Laufe des Tages ihre Flüge über oder nach Bangkok für Mittwoch und Donnerstag gestrichen. Nicht betroffen sind demnach andere Ziele in Thailand wie Phuket. "Wir zerschlagen unser eigenes Porzellan", zürnte der Direktor des thailändischen Tourismusverbandes, Wichit Na-Ranong. Wenn in der beginnenden Hauptsaison nur die Hälfte der Touristen kämen, verlöre das Land mehr als zwei Milliarden Euro.

Auswärtiges Amt rät zur Vorsicht

Das Auswärtige Amt fordert Reisende angesichts der politischen Auseinandersetzungen in Thailand zu erhöhter Aufmerksamkeit auf. Die künftige Entwicklung sei "unkontrollierbar", Voraussagen seien "schwierig", hieß es am Mittwoch in den aktualisierten Reisehinweisen des Berliner Außenministeriums. Die thailändischen Sicherheitskräfte ließen die Demonstranten gewähren, um Gewalt zu vermeiden.

Den von den Demonstranten besetzten internationalen Suvarnabhumi-Flughafen östlich von Bangkok sollen Reisende nicht ansteuern, rät das Außenministerium. Andere Flughäfen in Thailand seien bislang nicht betroffen. In den kommenden Wochen müsse in Bangkok mit "möglicherweise gewaltsamen" Demonstrationen gerechnet werden. Das Gebiet um den Regierungssitz, der seit August von Demonstranten belagert wird, sollen ausländische Reisende meiden.

Die oppositionelle PAD wirft der Regierung des Landes vor, Strohmänner des vor zwei Jahren gestürzten Regierungschefs Thaksin Shinawatra zu sein. Thaksin lebt im Exil und hat gerade seine Absicht bekräftigt, in die thailändische Politik zurückzukehren - nach monatelangen Beteuerungen des Gegenteils. Die Regierungspartei PPP wurde von seinen Anhängern gegründet. Regierungschef Somchai ist Thaksins Schwager.

Die PAD argwöhnt, dass die PPP mit einer Verfassungsänderung die Rückkehr Thaksins vorbereiten will. Thaksin wurde im Oktober in Abwesenheit wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Die am Montag begonnenen neuen Demonstrationen bezeichnen die Oppositionellen als "letztes Gefecht" zum Sturz der Regierung. Am Dienstag kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und -anhängern. PAD-Mitglieder schossen dabei auf Regierungsanhänger. Mindestens elf Menschen wurden verletzt.

Am Mittwoch erschossen Anhänger der Regierung im Norden Thailands nach Polizeiangaben einen Oppositionellen. Der Sohn des Getöteten betreibe in Chiang Mai einen regierungskritischen Radiosender, teilte ein leitender Ermittler mit.

In Bangkok kündigten Regierungsanhänger nach der Stürmung des Flughafens an, nun selbst auf die Straße zu gehen.

Dienstag, 25. November 2008

Bulgarien verliert 220 Millionen Euro Fördergelder

Die EU-Kommission streicht Bulgarien wegen verschiedener Korruptionsaffären Hilfsgelder in Millionenhöhe. Insgesamt gehen der Regierung in Sofia 220 Millionen Euro an Fördermitteln verloren, wie die EU-Kommission mitteilte. Es ist das erste Mal, dass ein Mitgliedstaat mit einer solchen Sanktion belegt wird.

Die Behörde hatte im Juli rund 825 Millionen Euro an Hilfen für das Neumitglied Bulgarien eingefroren. Nach sorgfältiger Prüfung habe die EU-Kommission nun entschieden, unter anderem Mittel aus dem Hilfsprogramm PHARE zur Vorbereitung des EU-Beitritts endgültig zu streichen, sagte Kommissionssprecherin Krisztina Nagy. Das Geld ist für die Regierung in Sofia damit nicht mehr abrufbar. Nagy warnte, dass Bulgarien weitere EU-Hilfen verlieren könnte, wenn das Land seinen Kampf gegen die Korruption nicht verschärfe. Die bisher ergriffenen Maßnahmen hätten bislang keine konkreten Ergebnisse gebracht, kritisierte sie. Die EU hoffe jedoch, "dass Bulgarien umgehend die notwendigen Schritte unternimmt, um das Management der Hilfsfonds zu verbessern".

OLAF ermittelt in 36 Fällen

Das EU-Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) hatte bereits mehrfach Korruption und Betrug in Bulgarien bemängelt. Beim bislang schwersten Missbrauch von EU-Geldern wurden alte Maschinen zur Fleischverarbeitung als neu ausgegeben und entsprechend finanziert. So wurden mehr als sieben Millionen Euro erschlichen. Auch der frühere bulgarische Straßenbau-Chef muss sich inzwischen wegen Korruption und Vetternwirtschaft bei der Vergabe von EU-finanzierten Projekten vor Gericht verantworten. Laut OLAF-Leiter Franz-Hermann Brüner ermittelt seine Behörde in 36 Fällen; für 86 weitere untersuche sein Amt Indizien.

Fünf Jahre Haft für Beschuldigten

[OLAF-Chef Franz-Hermann Brüner]

In Sofia wurde unterdessen der Hauptbeschuldigte einer Korruptionsaffäre zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Affäre war ein Grund für die Sperrung der EU-Hilfen gewesen. Wie die Justizbehörden in Sofia mitteilten, wurde ein früherer hochrangiger Mitarbeiter des Fonds für Verkehrsinfrastruktur der Bestechung für schuldig befunden. Das Gericht sah es demnach als erwiesen an, dass er bei der Vergabe von Aufträgen einen Architekten mit umgerechnet 25.000 Euro geschmiert hatte. Ein Mittelsmann war zuvor mit einem Jahr Haft auf Bewährung davon gekommen.

Marco W. kann auf Freispruch hoffen

Fast anderthalb Jahre nach Beginn des Missbrauchsprozesses gegen Marco W. in der Türkei ist ein Freispruch in greifbare Nähe gerückt. Ein vom Gericht in Antalya angefordertes Gutachtenbelege den Vorwurf der Vergewaltigung nicht, teilten die Anwälte des 18-Jährigen am Dienstag in Hannover mit.

Marco war am 12. April 2007 in seinem Urlaubshotel in Antalya festgenommen worden. Ihm wurde vorgeworfen, im Osterurlaub 2007 in der Türkei die damals 13-jährige Engländerin Charlotte sexuell missbraucht zu haben. Marco hat das stets bestritten und sprach von einvernehmlichen Zärtlichkeiten nach einem Kennenlernen in der Disco.

Neue Sitzungen im Monatsrhythmus
Anfangs vertagten die Richter in der Türkei die Sitzungen noch im Monatsrhythmus, dann ließen sie sich immer länger Zeit, um in dem Prozess neue, stets ergebnislose Termine anzuberaumen. Beobachter konnten den Eindruck gewinnen, die türkische Justiz wolle jenen deutschen Politikern eine Lektion erteilen, die öffentlich auf eine Beschleunigung des Verfahrens gedrängt hatten.

An diesem Mittwoch wird die Verhandlung gegen den jungen Mann aus dem niedersächsischen Uelzen fortgesetzt, und nun liegt endlich ein vom Gericht schon im September 2007 angefordertes Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts des Justizministeriums in Istanbul vor. Darin stehe, dass der bisherige Ermittlungsstand den Vorwurf der Vergewaltigung nicht stütze, erklärten Marcos deutsche Anwälte Michael Nagel und Matthias Waldraff. Beide werden nicht vor Gericht auftreten, Marco wird ebenfalls in Deutschland bleiben.

Mal sehen, wie die Richter das Gutachten lesen
Wenn die Richter das Gutachten genau so lesen, ist für Marco ein Freispruch in greifbare Nähe gerückt. Am Mittwoch rechnen die Anwälte zwar noch nicht mit einem Urteil. Marcos türkische Verteidiger sind aber darauf vorbereitet, auf Freispruch zu plädieren - auch, weil das Gutachten den Anwälten zufolge keine Feststellungen zu möglichen seelischen Folgen für das mutmaßliche Opfer zulasse. „Ich bin froh, dass es von der höchsten rechtsmedizinischen Instanz der Türkei so festgestellt worden ist“, sagte Anwalt Nagel. Eine Überraschung sei das Gutachten aber nicht. „Das ergab sich für mich schon aus den Akten.“

Bereits im August 2007 hatte ein Krankenhausarzt, der Charlotte untersucht hatte, zu Marcos Gunsten ausgesagt: Das Mädchen sei nicht vergewaltigt worden und habe auch keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Allerdings hatte er Spermaspuren gefunden. Der damals 17-jährige Marco war nach einer Anzeige von Charlottes Mutter festgenommen worden.

„Unerträgliche Profilierung“
Der türkische Anwalt des Mädchens bestreitet allerdings, dass das Istanbuler Gutachten den Vorwurf der Vergewaltigung entkräftet. „Definitiv steht in dem Papier nirgendwo, dass es keine Vergewaltigung war“, sagt Ömer Aycan. Die Linie des Anwalts ist widersprüchlich. Im April hatte er erklärt, dass eine Haftstrafe für Marco nicht mehr realistisch sei. Kurz vor Marcos Freilassung aus achtmonatiger Untersuchungshaft im Dezember 2007 forderte er noch die Höchststrafe von zehn Jahren für minderjährige Vergewaltiger.

„Für mich ist es unerträglich, mit ansehen zu müssen, wie dieser Mann zu Lasten meines Sohnes Profilierung betreibt“, sagte Marcos Vater Ralf Jahns in einer Mitteilung. Marco hoffe inständig auf einen baldigen Freispruch, damit die Belastung der monatelangen Ungewissheit von ihm abfalle. „Der Prozess ohne Urteil hindert ihn daran, vollständig in ein für ihn normales Leben zurückzukehren“, erklärte der Vater. Die ganze Familie leide unter der dem am 3. Juli 2007 begonnenen Verfahren.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland kurz vor dem Weihnachtsfest 2007 war Marco trotz der versäumten Schulzeit der Realschulabschluss zuerkannt worden. Inzwischen besucht der 18-Jährige eine zweijährige Fachoberschule für Technik.

Rassistischer Schläger bleibt frei!

Ein brutaler Raunheimer Schläger der im August 2006 in einer ALDI-Filiale ein türkischstämmigen Mann zusammen schlug, darf Dank seiner "dominanten Mutter" und einem "Staats"anwalt, der den Täter lieber frei sieht, weiter sein Unwesen treiben.

Rassistischer Überfall in einer Aldi-Filiale wird milde bestraft

Am 11.11.2008 wurde am Groß-Gerauer Jugendschöffengericht unter Vorsitz des Richters Rudolph und der Mitwirkung von Staatsanwalt Pfeil der Prozess gegen den Raunheimer Steven Siegfried verhandelt.

Dieser hatte im August 2006 in einem Rüsselsheimer Aldi-Markt einen türkischstämmigen Mann mit den Worten „Scheiß Ausländer - Scheiß Kanake" und „ich bring dich um" zusammengeschlagen, wobei auch die typische Handbewegung für das Halsabschneiden gezeigt wurde, sich zu verantworten. Bei einer alltäglichen Situation in einer Aldi-Filiale kam es zuvor zu Handgreiflichkeiten und Beleidigungen von zwei deutschen Frauen gegen zwei junge Frauen mit Kleinkind, die einen „türkischen Hintergrund" haben. Die deutschen Frauen mobilisierten sofort per Handy ihren Sohn und Bruder, der auch unmittelbar eintraf und auf der Stelle einem schlichtenden jungen „türkischen" Mann von (hinten!) niederschlug, und malträtierte und zwar derart brutal, dass Richter Rudolph einem dritten Mann, der den Angreifer Siegfried von seinem Opfer riss, mit den Worten "der noch Schlimmeres verhinderte", Respekt zollte. Weiter soll Siegfried auch den Hitlergruß gezeigt haben.

Nachdem, nach Richter Rudolph, „die sehr gute Ermittlungsarbeit" der Polizei dokumentiert war, landete der Fall zunächst bei dem politischen Dezernat, wo er ganze zwei Jahre lang schlummerte. Sogar ein Oberstaatsanwalt schaltete sich wegen Volksverhetzung und Mordversuches ein. (Main-Spitze 10.10.08)

Nach der Attacke des rassistischen Raunheimer Schlägers sind im August 2006 zunächst Pressemeldungen bundesweit veröffentlicht worden, die den Vorfall, als eher sensationelle „Massenschlägerei an der Supermarktkasse“ ohne rassistischen Hintergrund umdeuteten.

Ein Versuch von solidarischen Menschen mit den betroffenen Familien, den Vorgang über eine Anfrage im Rüsselsheimer Stadtparlament auf den Kenntnisstand des Magistrats abzufragen, scheiterte an der im Parlament vertretenen „Liste Rüssel“, die sich offensichtlich vor dieser Aufgabe drückte. Allerdings ist genauso die Untätigkeit des Ausländerbeirates zu kritisieren, der sich in vielsagendem Schweigen hüllte. Immerhin hat der Aldi-Konzern dem Schläger für die Aldi-Filiale Hausverbot erteilt. Ein Hausverbot für alle Filialen wäre hier lobenswerter.

Es folgte noch der NPD-Aufmarsch am 1.Mai 2007 in Rüsselsheim und der unsägliche hessische Wahlkampf des Roland Kochs gegen „kriminelle ausländische Jugendliche“, so, dass sich die Justizbehörden in dieser Zeit wohl auch nicht die Finger verbrennen wollten.

Eröffnet wurde der Prozess dann im Oktober und der rechte Schläger Siegfried, bekam auch gleich vom Staatsanwalt eine „goldene Brücke" gebaut. Der sollte den Vorfall als „einmalig bedauern", um so relativ unbescholten rauszukommen, was dieser aber ablehnte. Staatsanwalt Pfeil ist eigentlich für Finanzstrafsachen zuständig, wie auch der Anwalt des Angeklagten, ein Sven Achenbach aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel, der normalerweise für Handels-, Steuer- und andere Strafsachen profiliert ist.

Der Prozess wurde dann am Dienstag, den 11.11. fortgesetzt und zunächst wegen „umfangreicher neuer Erkenntnisse" mehr als eine Stunde später eröffnet. Steven Siegfried hatte zwischenzeitlich am 22.08.2008 einem Raunheimer auf der Kerb, wegen einer kleinen Rempelei ein Bierglas auf den Kopf geschlagen und diesem damit eine Platzwunde zugefügt. Außerdem ist Siegfried bereits wegen umfangreicher Drogendelikte zur Bewährung und 150 Arbeitsstunden im Rüsselsheimer Tierheim verurteilt worden. Die Bewährung bestand zum Tatzeitpunkt noch. Die neuerliche Attacke wurde auch durch Richter Rudolph für den Angeklagten als „am seidenen Faden“ interpretiert, wenn dieser seine Tat nicht bereuen sollte.

Der Angeklagte Steven Siegfried erschien im schwarzen Lederblouson, schwarzer Hose und frischen weißem Hemd. Die Haare sind dunkel und kurz, allerdings keine Glatze mehr, wie er sie zur Tatzeit trug. Der heute 20jährige hat vor kurzem eine Ausbildung zum Koch in der Raunheimer Gastwirtschaft „Zum Bembelsche" begonnen, was ihm selbstredend positiv angerechnet wurde. Ebenfalls zu seinen Gunsten wurde gewertet, dass er unter seiner „dominanten Mutter kein selbstständiges Leben" führen konnte. Einen Kontakt zu seinem Vater hat er nicht, und kennt diesen auch nicht. Der schulische Weg scheint nicht glatt verlaufen zu sein, was ihn wohl auf den Weg eines „Losers" brachte, der wohl in „den Ausländern" seine Gegner sieht. Im sehr bekanntem „Wer-kennt-wen?"-Forum im Internet, stellt sich, der Schläger Siegfried, mit Baseballschläger aggressiv zur Schau, was weder dem Gericht, noch der Sozialarbeiterin der Jugendgerichtshilfe bekannt ist.

Nach der verspäteten Eröffnung wurde dem Angeklagten zunächst sein neuerliches Strafverfahren bekannt gemacht, da der Postservice „Jurex", der von der Justiz in Anspruch genommen wurde, unfähig war, dem Angeklagten die neue Anklage in der Nahestraße 3 in Raunheim zuzustellen. Wieso hier die Justizbehörden nicht sofort aktiv wurden und die Polizei einschalteten, schließlich hätte der Täter untertauchen können, ist eines der hier mehrfach als „Merkwürdigkeiten" eingestuften Vorkommnisse.

Nachdem Siegfried die neue Anklage vorgelesen wurde, kann dieser auch sofort sein (schnäuz) ehrliches Bedauern über die Tat, auf der Raunheimer Kerb, einräumen. Das kam sogar glaubwürdig rüber. Das Opfer dort, war eben auch kein „Ausländer"! Danach wurde die Verhandlung unterbrochen, bei der, der Angeklagte und RA Achenbach, die „letzte Chance“ vor dem Knast zu beraten hatten. Dazu musste sich Siegfried entschuldigen, auch für die “verbalen Entgleisungen“ (Staatsanwalt Pfeil über „Scheiß Kanake“!), einen „deutlichen Schlussstrich“ ziehen und ein Anti-Aggressions-Training absolvieren. Dabei wird zunächst eine Bewährung von einem Jahr „ausgesetzt“, wobei genau überprüft werden soll, ob Siegfried sich bessert. Außerdem soll er 2000 € Schmerzensgeld an sein Opfer vom Aldi-Markt zahlen und 300 € an sein Bierglas-Opfer von der Raunheimer Kerb. In der Beratung mit seinem Rechtsanwalt, konnte sich Siegfried „unter Tränen“ – „nur die Mutter ist das Problem“ (so Jugendgerichtshelferin Böhm), zur Reue durchringen.

Wieder im Gerichtssaal wurde dem Opfer aus dem Aldi-Markt, der als Zeuge geladen war, die neue juristische Situation erklärt. Der Angeklagte Siegfried stand auf, ging auf sein vorheriges Opfer zu und versuchte schnell und allzu mechanisch sein Bedauern auszudrücken, worauf der junge Mann natürlich nur seine Hand zurückhalten konnte und "bei allem Respekt" vor dem Gericht, die Entschuldigung nicht annehmen wollte. Was diesem auch von Richter und Staatsanwalt als “nur verständlich" zugestanden wurde.

2 Jahre Jugendstrafe, ohne in den Knast zu kommen, trotz Schmerzensgelder und Auflagen, erscheinen bei dem hoch brisanten Fall aus Rüsselsheim doch eher milde, da auch Staatsanwalt Pfeil Mühe hatte, den beiden betroffenen jungen Frauen, diesen die Werte des „deutschen Rechtsstaats“ zu vermitteln. Zumal Pfeil mit seinem ganzen Aufteten den Angeklagten sehr deutlich vor dem Knast bewahren wollte. Die jungen Frauen konnte er auch nicht über Aussagen, wie "sie sind ja intelligent" und anderen Schleim, den dieser absonderte, überzeugen.

Ein strengeres Urteil, hätte „was haben Sie da angerichtet" (Richter Rudolph zu dem Angeklagten Siegfried über die Tat bei dem hohen Ausländeranteil in Raunheim!) dem „Rechtsfrieden" in der Bundesrepublik mehr gedient. Außerdem ist bisher die Mutter des rassistischen Schlägers nicht belangt worden, obwohl diese, Tätlichkeiten ausführte, die zur Anzeige kamen.
Sie scheint auch so „dominant“ zu sein, dass ihr Sohn, ihre eigene ausländerfeindliche Einstellung übernommen hat, die sie auch während der Verhandlung nicht unterdrücken konnte, so das selbst Richter Rudolph der Kragen platzte.

Wieso die vielen deutschen Zeugen, die bei dem Vorfall im Aldi bereit waren für die angegriffenen Betroffenen auszusagen, nicht vorgeladen wurden, ist eine weitere „Merkwürdigkeit“ des ganzen Falls. Und das, trotz der „guten Ermittlungsarbeit der Polizei" (Richter Rudolph).

SPD-Chef Müntefering bedauert Austritt Clements

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat den Parteiaustritt Wolfgang Clements bedauert. «Es ist schade, dass er nicht weiter in der Partei mitarbeiten will», sagte Müntefering am Dienstag in Berlin. Der ehemalige SPD-Vize habe ihm seine Entscheidung am Morgen bei einem Telefonat «noch einmal ausdrücklich und definitiv bestätigt», sagte Müntefering.

Nach der «vermittelnden Entscheidung der Bundesschiedskommission» vom Montag wäre für den früheren Bundeswirtschaftsminister und einstigen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten «Platz» in der SPD gewesen. «Aber nun wird es auch so gehen», sagte Müntefering. Die Entscheidung Clements schmälere nicht dessen «Verdienste in der Vergangenheit um eine zeitgemäße Politik im Sinne der sozialdemokratischen Idee».

Müntefering fügte am Rande einer Pressekonferenz in Berlin hinzu, er habe noch am Montag Brücken für Clement gebaut und für dessen Verbleib in der SPD »gekämpft«. Die Entscheidung der Bundesschiedskommission habe er für eine verträgliche Lösung gehalten. Der Austritt komme »völlig überraschend«. Wenn »die Altersweisheit« Clement erreiche, dann komme er vielleicht zurück, sagte Müntefering.

Weniger emotional zeigte sich die SPD-Linke. Deren Wortführerin, Parteivize Andrea Nahles bezeichnete die Rüge für Clement als »fairen Weg«. Dies habe er abgelehnt. Nahles fügte in der »Frankfurter Rundschau« (Mittwochausgabe) hinzu: «Dann gilt: Reisende soll man nicht aufhalten.»

Somalische Piraten kaperten weiteres Schiff

Somalische Piraten haben nach Angaben einer regionalen Organisation im Golf von Aden ein weiteres Schiff gekapert. Die Seeräuber hätten den jemenitischen Frachter “Amani” in ihre Gewalt gebracht, teilte der Koordinator der regierungsunabhängigen Organisation East African Seafarer’s Asisstance Programme am Dienstag in Nairobi mit. Was das Schiff geladen hat, war zun??chst unklar.

Die Piraten, die in diesem Jahr Millionen Dollar Lösegeld erpresst haben, halten derzeit etwa ein Dutzend Schiffe und mehr als 200 Seeleute fest. In der Gewalt somalischen Entführer ist unter anderem der saudi-arabische Supertanker “Sirius Star”, für den die Piraten nach Angaben einer Islamistengruppe 15 Millionen Dollar (11,74 Mio. Euro) Lösegeld fordern.

Kriegsschiffe mehrerer Länder kreuzen in der Region, um Piraten von Angriffen abzuhalten. Nach Angaben der deutschen Bundeswehr vereitelte die Fregatte “Mecklenburg-Vorpommern” am Sonntag Angriffe auf zwei Schiffe im Golf von Aden. Piraten hätten mit Speedbooten die Handelsschiffe “Humbodt Current” und “Lang Sing” angegriffen. Die Fregatte habe in einer Nothilfeaktion ihren Bordhubschrauber in das betreffende Seegebiet geschickt. Daraufhin hätten die Piraten die Angriffe aufgegeben und das Seegebiet verlassen.

Montag, 24. November 2008

Lufthansa feuert schwulen Flugbegleiter

Ein bei der Lufthansa in Frankfurt angestellter Flugbegleiter wurde offenbar wegen seiner Homosexualität denunziert, dann in Japan verhaftet – daraufhin feuerte ihn sein Arbeitgeber. Dagegen klagt der 40-Jährige nun.

von Dennis Klein

Die Teamleiterin ließ den Flugbegleiter Toshi Uto schon vor Monaten wissen, dass etwas im Busch ist: Sie informierte Uto, der schon seit 16 Jahren bei der Lufthansa arbeitet, über anonyme Briefe, die unter anderem an die Geschäftsleitung und die Polizei geschickt wurden. Darin war zu lesen, dass Uto einen 17-jährigen Lebengefährten habe. Tatsächlich hatte der Steward Anfang des Jahres auf einer Internetseite seinen Freund kennen und lieben gelernt – was sowohl in Deutschland als auch in seinem Heimatland legal ist.

Zumindest steht es so in den Dienstvorschriften und Länderbestimmungen der Lufthansa.
Doch dann erreichte der unbekannte Briefeschreiber sein Ziel: Als Uto Mitte September bei einem arbeitsbedingten Kurzaufenthalt in Japan seinen Freund treffen wollte, wurde er vor dem Crew-Hotel verhaftet.

Insgesamt hielten die Behörden ihn 19 Tage fest. Zunächst lautete der Vorwurf "Prostitution", später wurde er zu Missbrauch eines Jugendlichen geändert. Zwar gilt in Japan ein Schutzalter von 16 Jahren für Hetero- und Homosex, allerdings gibt es in dieser Provinz ein schwammiges Jugendschutzgesetz, das gleichgeschlechtliche Aktivitäten unter 18 Jahren einschränkt. Uto hatte keine Ahnung von dieser Sonderregelung und zunächst wahnsinnige Angst, erklärte er.

Er wusste schließlich In Haft zunächst auch nicht, was mit seinem Partner geschehen ist. Später erfuhr er, dass dieser bereits zuvor von der Polizei mitgenommen wurde.
"Ein paar Tage nach meiner Verhaftung hat er versucht, mich zu besuchen", erklärte Uto. "Er durfte das aber nicht, weil er dem Gesetz nach ein Opfer war. Aber er hat mir einen Brief geschrieben, in dem er sagte, dass er mich immer noch liebt, auch nach diesem Ereignis. Wir lieben einander sehr."

Schwere Vorwürfe: Werden schwule 'Saftschubsen' bei der Lufthansa schlechter behandelt als heterosexuelle Crew-Mitglieder?

Schließlich wurde Uto nach knapp drei Wochen gegen Zahlung eines Bußgeldes entlassen, die Lufthansa arrangierte den Flug zurück. In Frankfurt angekommen, gab es den nächsten Schlag: Ein Vorgesetzter erklärte, er habe für "Aufsehen in den örtlichen Medien" gesorgt und damit einen "enormen Image-Schaden" verursacht. Darum solle er doch von selbst seinen deutschen Arbeitsvertrag kündigen. Als Uto das ablehnte, erklärte die Lufthansa das Arbeitsverhältnis für beendet.

Für den Flugbegleiter brach eine Welt zusammen.
Glücklicherweise haben die Kollegen Uto nicht aufgegeben: Als die Personalvertretung der Flugbegleiter zufällig von der Entlassung erfuhr, setzte sie sich für den Steward ein: Sie fragten Anwälte, ob der Kollege sich etwas zuschulden kommen ließ und die Kündigung damit gerechtfertig sein könnte. Sie verneinten das. Allerdings schien dieser Umstand die Lufthansa wenig zu beeindrucken: "Unsere eindringliche Bitte, zumindest erst die Gesamtumstände näher zu betrachten, wurde abgelehnt", erklärte die Personalvertretung in einer Mitteilung.

Die wirft dem Arbeitgeber vor, von seiner bisherigen Linie abzuweichen: "Die vermeintliche Imageschädigung wird über das Menschenrecht und das deutsche Grundgesetz gestellt", sind sich die Kollegen sicher. Sie bemängeln auch, dass Uto in Japan kaum offizielle Unterstützung der Lufthansa erfahren habe. So sei erst am neunten Tag ein Stationsmitarbeiter der Lufthansa bei ihm gewesen, obgleich das Unternehmen eine Fürsorgepflicht habe. "Müsse wir nun alle im Ausland Angst haben, selbst wenn wir nach bestem Wissen und Gewissen handeln?

Werden wir im Zweifelsfalle allein gelassen?", fragt die Personalvertretung. Und spekuliert über homophobe Motive der Fluggesellschaft: "Es ist kaum vorstellbar, dass man vor Ort eine Rufschädigung für Lufthansa vermuten würde, wenn es sich um eine 17-jährige Lebensgefährtin gehandelt hätte".
Die Lufthansa selbst weist die Vorwürfe der Diskriminierung weit von sich. Die sexuelle Orientierung eines Mitarbeiters spiele "grundsätzlich keinerlei Rolle für die Beurteilung durch Lufthansa", erklärte Pressesprecher Patrick Meschenmoser gegenüber queer.de. "Lufthansa bekennt sich ganz bewusst und offen zu dem für uns selbstverständlichen Respekt gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen und unterstützt daher bereits seit Jahren den CSD in London und beispielsweise auch in Köln."

Zum vorliegenden Fall könne er aber nichts sagen, da Uto bereits gegen die Entlassung geklagt habe und es sich daher um ein laufendes Verfahren handele. Am 4. Dezember ist ein Gütertermin beim Arbeitsgericht in Frankfurt angesetzt. Einigen sich die Parteien nicht, kommt es zum Prozess.
Auch wenn es beruflich sehr holprig im Leben von Toshi Uto zugeht, privat scheint es besser zu laufen: Er hat kürzlich bereits mit seinem Partner Ringe getauscht. "Wir planen, in nächster Zeit zu heiraten", so Uto gegenüber queer.de. Ob es mit der Lufthansa in die Flitterwochen geht, ist noch offen.

Ex-RAF-Terrorist Klar kommt am 3. Januar auf freien Fuß

Der ehemalige RAF-Terrorist Christian Klar kommt nach 26 Jahren im Gefängnis auf freien Fuß. Er wird am 3. Januar zur Bewährung entlassen, wie das Oberlandesgericht Stuttgart mitteilte. Klar war in den 1970er Jahren einer der führenden Köpfe der zweiten Generation der linksterroristischen Roten Armee Fraktion. Der inzwischen 56-Jährige wurde 1985 vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen neunfachen Mordes und elffachem Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Einschätzung der Richter geht von Klar keine Gefahr mehr aus.

Das Gericht gehe nicht davon aus, "dass von Christian Klar künftig erneut erhebliche Straftaten zu befürchten sind", sagte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts. Die Aussetzung der Reststrafe sei auch von der Bundesanwaltschaft befürwortet worden. Der Sprecherin zufolge beträgt die Bewährungszeit fünf Jahre.

Klar wurde vom Stuttgarter Gericht im selben Prozess wie Brigitte Mohnhaupt wegen aller Taten der RAF seit 1977 für schuldig befunden. Dazu zählten unter anderem die Morde an dem damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seiner Begleiter, an dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG, Jürgen Ponto und an dem Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Das Urteil lautete auf sechsmal lebenslänglich sowie zusätzlich 15 Jahre Haft. 1997 entschied dann das Oberlandesgericht Stuttgart, dass die Mindestverbüßungsdauer 26 Jahre beträgt.

Im Mai vergangenen Jahres hatte Bundespräsident Horst Köhler eine Begnadigung Klars nach einem Gespräch mit dem Häftling abgelehnt. Klar hatte zuvor in einem TV-Interview Reuegefühle abgelehnt. Mit der Freilassung Klars ist Birgit Hogefeld das letzte ehemalige Mitglied der RAF, das eine Haftstrafe verbüßt. Hogefeld, die zur dritten RAF-Generation zählt, wurde 1993 in Bad Kleinen verhaftet und wegen Mordes und Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. Ihr Gnadengesuch war von Köhler ebenfalls abgelehnt worden.

Kommentar
Freilassung mit bitterem Beigeschmack
von Holger Schmidt

Mehr als 26 Jahre ist Christian Klar in Haft, weitere sechs Wochen wird er noch in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal bleiben, dann kommt er frei. Er ist das derzeit vorletzte RAF-Mitglied in Haft und hat eine der längsten Gefängnisstrafen für seine Taten abgesessen. Für die Planung, Vorbereitung oder Beteiligung von nicht weniger als neun Morden wurde er verurteilt, unter den Opfern Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto sowie Polizisten und Fahrer, auch die von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer.

Christian Klar ist nicht mehr gefährlich, sagen die Gutachter und glauben die Richter. Fünf Jahre Bewährungszeit liegen jetzt vor ihm – und er darf auf eine Arbeit am Berliner Ensemble hoffen. Ein Praktikum dort, vielleicht auch einen Ausbildungsplatz hatte ihm Theater-Intendant Claus Peymann bis zuletzt zugesagt.

Juristisch ist das in Ordnung. Und es klingt danach, dass nun Stück für Stück das Kapitel "Rote Armee Fraktion" aus der aktuellen Politik in die Geschichtsbücher wandern könnte. Doch leider täuscht der Eindruck und die heutige Entscheidung hat einen bitteren, völlig unjuristischen Beigeschmack.

Denn auch wenn Klar nicht mehr gefährlich ist und in letzter Zeit nach den Worten der Richter ein völlig verändertes, jetzt konstruktives Verhalten im Gefängnis gezeigt hat: Es sind für die Angehörigen der Opfer noch immer zu viele Fragen über Täter und Taten offen, als dass man ihm leichten Herzens einen Start in den neuen Lebensabschnitt wünschen könnte.
Lange keine Vollzugslockerungen

Sicher, juristisch kommt es darauf nicht an. Eben weil er so unkooperativ war, wurde ja eine erhebliche Mindestverbüßungsdauer festgesetzt und mit Vollzugslockerungen so lange gewartet. Für die Richter ging es formal nur darum, ob von ihm noch eine Gefahr ausgeht oder nicht. Keine Gefahr, sagen alle übereinstimmend. Diese Einschätzung teile ich. Doch auch die Richter stellen in ihrem heutigen Beschluss fest, wie groß die Belastung für die Opfer und deren Angehörige bis heute ist. Und bleiben wird.

Aber es kommt noch schlimmer: Selbst die Richter gehen in ihrem heutigen Beschluss davon aus, dass Christian Klar auch weiterhin äußerst sozialkritische Auffassungen vertreten wird – so wie er es schon vor knapp zwei Jahren in einem Grußwort getan hat. Das ist natürlich sein gutes Recht – doch zusammen mit dem Schweigen zu seinen Taten muss es höhnisch wirken.

Gerne würde ich mir wünschen, dass bei Klar in der Freiheit auch die Einsicht kommt. Doch auch anderen Freigelassenen vor ihm fehlt die Einsicht bis heute. Zuletzt kam Brigitte Mohnhaupt frei und schweigt, soweit wir wissen, bis jetzt – warum sollte es ausgerechnet bei Christian Klar anders sein?

Deshalb fürchte ich, die Diskussion um die Taten der RAF wird uns erhalten bleiben. Bis bei den Ex-Terroristen Einsicht kommt – oder der letzte sein Täterwissen mit ins Grab nimmt.

Dream-Team oder Schnapsidee?

von Joschka Fischer | © ZEIT ONLINE

Mit der Entscheidung, Hillary Clinton zur Außenministerin zu machen, beweist Barack Obama menschliche Größe und politische KlugheitHillary Clinton wird voraussichtlich die nächste Außenministerin der Vereinigten Staaten werden. Zwar gibt es noch keine formelle Entscheidung des gewählten Präsidenten, die Mitarbeiter beider Akteure haben aber eine öffentliche Erwartungshaltung geschaffen, die eine andere Entscheidung nur noch um den Preis schwerer Beschädigungen für Hillary Clinton, Barack Obama und die Demokratische Partei möglich machen würde.

Präsident und Außenministerin in spe haben untereinander die jemals längste, härteste und teuerste Schlacht um die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten ausgefochten. Beide Seiten haben sich dabei nichts geschenkt, wobei der schmutzige, also persönlich herabwürdigende Wahlkampf ganz besonders vom Lager Hillary Clintons ausging.

Viele der bösartigen Angriffe des Clinton-Lagers wurden von den Republikanern während des Präsidentschaftswahlkampfs mit Begeisterung aufgegriffen. Es hätte deshalb kaum jemanden verwundert, wenn bei Barack Obama nach diesem bitteren Vorwahlkampf persönliche Verletzungen zurückgeblieben wären und er einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und den Clintons bevorzugt hätte.

Um so bemerkenswerter ist es daher, dass Barack Obama die Größe hat, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, der Einheit der Demokratischen Partei und ihrer Wählerschaft den Vorrang zu geben und Hillary Clinton offenbar das drittwichtigste Amt in der US-Regierung anzubieten. Der kommende Präsident beweist damit Größe und Stärke.

Es gibt in der Politik eine Regel, die immer zutrifft: Die wahre Stärke eines Amtsinhabers kann man an seinen Partnern und Mitarbeitern ablesen. Schwache Amtsinhaber fürchten sich vor starken Partnern und deren Schatten, den sie werfen. Starke Persönlichkeiten hingegen umgeben sich mit starken Mitarbeitern.

An der Qualifikation Hillary Clintons für das Amt der Außenministerin bestehen keinerlei sachliche oder persönliche Zweifel. Ganz im Gegenteil würde es dem in den Jahren von George W. Bush demoralisierten und personell wie finanziell ausgezehrten State Departement äußerst guttun, wenn es über eine gleichermaßen außenpolitisch kompetente wie politisch einflussreiche Ministerin verfügen würde.

Die entscheidende Frage dieser Personalentscheidung Barack Obamas stellt sich auf einer anderen Ebene: Lässt sich die Rivalität zwischen den beiden Führungsfiguren der Demokraten überhaupt überwinden und ein Vertrauensverhältnis zwischen Präsident und Außenministerin herstellen, das für eine erfolgreiche Außenpolitik unerlässlich ist?

Ich meine, eindeutig ja. Die Machtfrage ist entschieden, und damit ist auch die Rollenverteilung zwischen Obama und Clinton geklärt: Der Präsident hat das letzte Wort in allen politischen Fragen. Andererseits gibt es zwischen Barack Obama und Hillary Clinton keine wirklichen inhaltlichen Differenzen in der Außenpolitik. Zudem ist es in der Politik keineswegs ungewöhnlich, den unterlegenen Kontrahenten einzubinden, zumal wenn man ein starkes Kabinett bilden will. Genau dies scheint Barack Obamas Ziel zu sein.

Wenn man die bereits erfolgten und die sich konkret abzeichnenden Berufungen summiert, wird dies eines der am stärksten besetzten Kabinette in der amerikanischen Geschichte sein, ein „Team of Rivals“, wie es das erste Kabinett von Präsident Abraham Lincoln war.

Gewiss ist eine solch außergewöhnliche Zusammensetzung einer Regierung immer auch ein großes Risiko. Denn die mächtigsten innerparteilichen Rivalen in der eigenen Regierung zu haben setzt großes Selbstbewusstsein und ein entsprechendes Vertrauen in die eigene Stärke als Präsident voraus. All dies scheint auf Barack Obama zuzutreffen.

Mit jedem weiteren Tag wird offensichtlicher, dass die globale Wirtschafts- und Finanzkrise durchaus über das Potenzial verfügt, zu einer globalen Depression zu werden. Angesichts dieser Entwicklung fällt es zunehmend schwer, nur an den schlichten Zufall der Ereignisse zu glauben, wenn man sieht, wie in den USA – anders als in Europa – Krise und Personen zueinander finden.

Barack Obama wird sich als wahrer politischer Virtuose erweisen und mehrere Bälle – einer gefährlicher als der andere – zur selben Zeit in der Luft halten müssen: die Wirtschafts- und Finanzkrise, den Klimawandel, die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft, eine neue Weltordnung unter Einbeziehung von China und den anderen aufsteigenden Mächten, globale Armut, Terrorismus, Russland, die Kriege im Irak und Afghanistan und jede Menge weiterer regionaler Konflikte von Nahost bis Darfur.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise wird für Barack Obama dennoch Priorität haben. In einer solch zugespitzten Situation über eine starke Außenministerin zu verfügen, der er vertraut und die ihn zugleich auch innenpolitisch stärken wird, ist angesichts dieses gewaltigen Berges von Herausforderungen alles andere als eine Schnapsidee, sondern kann sich als überaus hilfreich erweisen.

Samstag, 22. November 2008

Obama bildet Kabinett der Stars

Von Gregor Peter Schmitz, Washington

Der designierte US-Präsident hat seine wichtigsten Personalentscheidungen getroffen: Barack Obama macht seine einstige Rivalin Clinton zur Außenministerin, Finanzminister soll der populäre New Yorker Fed-Chef Geithner werden. Beide stehen vor gewaltigen Herausforderungen.

Washington - Seine Partei hat gerade erst eine krachende Abfuhr an der Wahlurne kassiert, doch der hochrangige Stratege der Republikaner wittert schon wieder Morgenluft. "Ich weiß nicht, wie Ihnen es geht", sagt er beim Mittagessen und lehnt sich über den Tisch, "aber Barack Obama legt doch einen ziemlich langsamen Start hin."

Dann zählt er an den Fingern der rechten Hand die aktuellen Herausforderungen Amerikas herunter: Autokrise, Finanzkrise, Energiekrise… Immer weiter geht die Liste. Der designierte Präsident habe sich dazu seit Wochen nicht geäußert, stattdessen verschanze er sich in Chicago und gehe ins Fitnessstudio. Klar, offiziell sei Obama noch gar nicht im Amt, aber eine Frage sei doch schon erlaubt, grinst der Konservative: "Wo ist Barack Obama?"

Wenige Stunden später meldete sich der baldige Bush-Nachfolger zurück. Kurz nacheinander sickern die beiden ersten wirklich wichtigen Kabinettsbenennungen durch: Hillary Clinton wird den Posten als US-Außenministerin annehmen, berichtet die "New York Times." Timothy Geithner, bislang Chef der Federal Reserve Bank in New York, soll nach NBC-Informationen der neue starke Mann im amerikanischen Finanzministerium werden. Als zunehmend wahrscheinlich gilt der Nachrichtenagentur dpa zufolge auch, dass der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Jim Jones, 64, nationaler Sicherheitsberater wird.

Wirklich überraschend sind die Personalien Clinton und Geithner nicht. Schon das sehr öffentliche Obama-Angebot an Clinton in der vorigen Woche war so gut wie eine Ernennung gewesen. Zwar sollte es noch eine Überprüfung der Finanzen ihres Ehemannes Bill geben. Der hat seit dem Auszug aus dem Weißen Haus nicht nur über hundert Millionen Dollar Privatvermögen angehäuft - sondern auch viele Millionen für seine wohltätige Stiftung und seine Präsidentschaftsbibliothek eingesammelt, auch von ausländischen Regierungen. Das soll nun aber alles offengelegt werden, gelobt der Ex-Präsident.

Geithner wiederum stand seit langem auf allen Listen für den Finanzministerposten. Der 47-Jährige hat in drei Regierungen unter fünf Finanzministern verschiedene Funktionen ausgeübt und war auch beim Internationalen Währungsfonds tätig. Seit September schon arbeitet er bei der Bekämpfung der gegenwärtigen Finanzkrise eng mit Finanzminister Hank Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke zusammen. In Finanzkreisen ist Geithner so respektiert, dass die US-Börsenkurse unmittelbar nach Bekanntwerden der Personale um mehr als fünf Prozent in die Höhe schossen.

"Die Clinton-Ernennung ist ein geschickter Schachzug", zollt Fred Barnes vom einflussreichen "Weekly Standard" Respekt. Sie zeige Obama als großmütig gegenüber der einstigen Parteirivalin - auch wenn die Personalie immer auch ein Risiko darstelle.

In der Tat: Schon wegen ihrer breiten Anhängerschaft ist Clinton schwer auszugrenzen. Außerdem ziehen die Clintons das Scheinwerferlicht auf sich. Das war in den vergangenen Tagen wieder zu spüren. Das Clinton-Team ließ den Stand der Personalverhandlungen zur Presse durchsickern, hinter den Kulissen lebten die Animositäten aus dem Vorwahlkampf wieder auf.

Viele Obama-Berater haben Clinton nicht vergessen, dass sie im bitteren Parteiduell Obamas mangelnde außenpolitische Erfahrung aggressiv aufgriff und ihre eigene bisweilen übertrieben darstellte. Außerdem hat die neue Chef-Diplomatin, anders als fast alle außenpolitischen Einflüsterer Obamas, den Irak-Krieg als Senatorin anfänglich unterstützt.

Clinton muss sich zusammenreißen

Doch Clinton wird sich wohl zusammenreißen müssen - schon weil ihre Verhandlungsposition geschwächt war. Zwar ist sie immer noch ein politischer Weltstar. Vielleicht kann sie den neuen Posten auch als Plattform für einen neuen Anlauf auf das Weiße Haus in acht Jahren nutzen. Doch eigentlich blieben ihr kaum Alternativen. Im US-Senat hätte sie sich wieder hinten anstellen müssen. "Sie kann auch gar nichts werden in der neuen Regierung, dann würde wohl auch nichts passieren", fasste ein illustrer ausländischer Staatsgast diese Woche seine Eindrücke aus Washingtoner Gesprächen zusammen.

Obama zog Clinton für den Posten als Vizepräsidentin - eigentlich weit weniger einflussreich - nie in Betracht, wohl aber für den Posten als Top-Diplomatin. Also glaubt er wohl, sie in der Position gut kontrollieren zu können. "Er wird klarmachen, dass sie seine Außenministerin ist und seine Politik vertreten muss", analysierte Andrea Mitchell vom TV-Sender NBC. Dafür dürfte auch Vize Jode Biden sorgen, der als erfahrener Außenpolitiker eigene Ambitionen auf ihrem Terrain hegen dürfte.

Immerhin hat Clinton es aber geschafft, sich mal wieder vorzudrängeln. Denn eigentlich hatte das Obama-Team geplant, alles Augenmerk auf die Entscheidung über den neuen starken Mann im Finanzministerium zu lenken. Immerhin warten auf den die größten Herausforderungen: Eine Staatsverschuldung von bald fast zehn Billionen Dollar, eine hochschnellende Arbeitslosenquote, der drohende Bankrott der Autoriesen General Motors, Ford und Chrysler, die anhaltende Finanzkrise.

Dass der aktuelle Finanzminister Hank Paulson kaum noch Vertrauen genießt, ist offensichtlich. Schon monieren Kritiker, er habe bislang vor allem Hilfsgelder an seine alten Kollegen an der Wall Street geschaufelt. Paulson musste die Strategie der 700 Milliarden Dollar-Staatshilfe für den Finanzsektor bereits mehrmals ändern, nun scheint er einen Großteil des Geldes einfach für die neue Regierung übrigzulassen.

Schöne Bilder, große Herausforderungen

Dass Geithner nicht früher benannt wurde, lag wohl vor allem an Obamas enger Beziehung zu Larry Summers, dem brillanten Ex-Clinton-Finanzminister und Ex-Harvard-Präsidenten. In der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes soll Summers den Kandidaten mehrmals täglich telefonisch beraten haben. "Wenn Obama nur einen einzigen Helfer hätte auswählen können, wäre es Summers geworden", sagt ein Washingtoner Finanz-Insider. Aber es gehe eben auch um Zusammenarbeit in einem Kabinett. Und sobald Summers mit jemandem zusammenarbeiten müsse, gebe es ein Problem.

Summers war immer wieder in Skandale verstrickt, er machte umstrittene Äußerungen über die wissenschaftlichen Fähigkeiten von Frauen. Immerhin soll Summers wohl eine andere wichtige Rolle in Obamas Wirtschaftsmannschaft übernehmen.

Die beiden neuen Star-Minister dürften offiziell erst kommende Woche vorgestellt werden - zunächst wohl Geithner am Montag, denn die Wirtschaftslage beschäftigt die Amerikaner derzeit nun einmal am meisten.

Es dürften schöne Bilder werden, vor allem von den beiden Ex-Rivalen Obama und Clinton Seite an Seite in neuer Rolle. Doch lange wird der Glanz nicht anhalten, schließlich sind die Herausforderungen so gewaltig wie selten zuvor.

Alle neuen Kabinettsmitglieder werden den Amerikanern wohl erhebliche Opfer abverlangen müssen. MSNBC-Fernsehmoderator Chris Matthews begrüßte die neuen Kandidaten sarkastisch als "Reiter der Apokalypse".

UN will 3000 neue Blauhelmsoldaten nach Kongo schicken

Plünderungen, Vergewaltigungen und Massaker auf allen Seiten. Die menschliche Katastrophe im Kongo nimmt ihren Lauf. Die UN will jetzt reagieren - mit mehr Soldaten.

Nairobi/New York - Angesichts der Kriegsgräuel im Ostkongo will der UN-Sicherheitsrat voraussichtlich schon an diesem Donnerstag über die Entsendung von weiteren 3000 Blauhelmsoldaten abstimmen. Eine entsprechende Resolution liegt nach Angaben von Diplomaten dem 15-köpfigen höchsten Gremium der Vereinten Nationen vor. Demnach soll die UN-Friedenstruppe im Kongo (Monuc) von derzeit 17.000 Soldaten um weitere 2785 Militär- sowie 300 Polizeikräfte aufgestockt werden. Sie sollen für die Sicherheit der Zivilbevölkerung in den umkämpften Regionen sorgen. Besonders angespannt ist die Lage in Nord-Kivu, wo Zehntausende Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

In einem verzweifelten Hilferuf wandten sich 44 Gruppen aus Gemeinden in der umkämpften Region an die Weltgemeinschaft. "Wir wissen nicht mehr, zu welchem Heiligen wir beten sollen. Wir sind dem Tode geweiht. (…) Wir sind aufgegeben worden", heißt es in dem Appell. Zu den Unterzeichnern gehören Frauenorganisationen und auch kirchliche Gruppen. Wie ein Korrespondent des britischen Senders BBC am Mittwoch aus der Krisenregion berichtete, bitten sie darin um die Entsendung von europäischen Soldaten, um die Gewalt zu beenden. Sie hätten so Schlimmes noch nie zuvor erlebt, heißt es in dem Appell. Dazu gehörten Massenerschießungen von Zivilisten.

Bundespräsident Horst Köhler hatte die europäischen Staaten angesichts der humanitären Tragödie im Ost-Kongo zu einem Militäreinsatz in der Region aufgefordert. Es könne nicht sein, dass im Rahmen eines UN-Mandats im Prinzip nur die Entwicklungsländer und die Afrikaner mit Truppen vor Ort seien.

Nkunda will mit dem Kongo in den UN-Sicherheitsrat

Für eine Verstärkung der UN-Friedenssoldaten im Kongo sprach sich am Mittwoch auch die französische EU-Ratspräsidentschaft vor dem Europaparlament in Straßburg aus. Die UN-Truppe sei die einzige, die im Kongo eine Schutzfunktion ausübe, sagte Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet. Laut EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner sollte die internationale Gemeinschaft ihre Bemühungen um humanitäre Hilfe untereinander abstimmen. Sie erinnerte daran, dass Europa wichtigstes Geberland für humanitäre Hilfe im Kongo sei.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte in New York, dass Rebellengeneral Laurent Nkunda einen militärischen Teilrückzug angekündigt habe. Die Öffnung eines Korridors ermögliche den Zugang zu den Menschen in Not. Truppen Nkundas kämpfen im Ostkongo gegen Regierungstruppen und verbündete Milizen. Ban forderte die kämpfenden Parteien dazu auf, von allen Feindseligkeiten abzusehen und die sichere Durchfahrt für humanitäre Hilfen zu gewährleisten. Er hoffe weiterhin auf eine politische Lösung der Krise.

Nkunda kündigte zugleich an, seine Macht auf das gesamte Land ausweiten zu wollen. Unter seiner Führung werde der Kongo für Afrika in fünf Jahren im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sitzen, sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit" (Donnerstag). Der kongolesischen Regierung warf Nkunda Versagen vor. Massaker seiner Soldaten tat der General ab. "Ich kann nicht ausschließen, dass manchmal Zivilisten umkamen, vielleicht sind sie ins Kreuzfeuer geraten", sagte er. Sowohl die Rebellen wie auch Regierungssoldaten sind bezichtigt worden, Plünderungen, Vergewaltigungen und Massaker begangen zu haben.

UN-Sicherheitsrat beschließt Truppenaufstockung im Kongo

Nachdem die Horrormeldungen aus dem bürgerkriegsgeplagten Kongo nicht abreißen, hat der UN-Sicherheitsrat nun eine Aufstockung der Hilfstruppen beschlossen. Derweil ziehen Plünderer durch das Land und rauben Lager von Hilfseinrichtungen aus.

New York - Angesichts der Kämpfe im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat der UN-Sicherheitsrat eine Aufstockung der Blauhelm-Truppen um 3000 Soldaten und Polizisten in dem Land beschlossen. Eine entsprechende Resolution wurde am Donnerstag einstimmig angenommen. Demnach soll die UN-Truppe Monuc zeitweise um bis zu 2785 Soldaten sowie 300 Polizisten aufgestockt werden.

Ein Zentrum des UN-Kinderhilfswerks (Unicef) zur Versorgung schwer unterernährter Kinder im ostkongolesischen Kayna ist derweil geplündert worden. Auch das Krankenhaus des Ortes wurde unbestätigten Berichten zufolge geplündert, sagte Unicef-Sprecher Jaya Murthy am Donnerstag in der Provinzhauptstadt Goma. Dabei blieb offen, ob die Täter Rebellen, Regierungssoldaten oder Kriminelle waren. Nach Angaben von Unicef und anderen Hilfsorganisationen sind vor allem viele Kinder in der Krisenregion Nord-Kivu unterernährt und geschwächt. Wegen der Ausbreitung von Cholera und anderen Krankheiten gilt der Zustand der Kinder als besonders bedrohlich.

"Das Leid dauert schon zu lange"

Angesichts des Elends der rund 250.000 Flüchtlinge im Ostkongo riefen Menschenrechtsgruppen Vertreter der EU und der Afrikanischen Union (AU), die sich am Donnerstag in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba trafen, zum dringenden Handeln auf. "Bei Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des Waffenstillstands muss eine Null-Toleranz-Haltung eingenommen werden", forderte Allioune Tine vom Menschenrechtsnetzwerk Rencontre Africaine des Droits de l'Homme (RADDHO).

"Das Leid der Bevölkerung von Nord-Kivu dauert schon zu lange", sagte Roselyn Musa vom Netzwerk Afrikanischer Frauen für Entwicklung (Femnet). "Die internationale Gemeinschaft muss ihrer Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung nachkommen, ehe der Kongo in einen weiteren Krieg fällt."

Derzeit beteiligen sich bereits 17.000 Blauhelme an dem Einsatz im Kongo, der fast siebenmal so groß ist wie Deutschland. Die beschlossene Truppenaufstockung um 3000 Soldaten und Polizisten ist zunächst nur bis zum 31. Dezember vorgesehen. Zum Jahrensende läuft auch das gesamte Monuc-Mandat aus. Es kann aber verlängert werden.

Freitag, 21. November 2008

Homosexueller Fußballer: Einsame Spitze

Marcus Urban ist Profifußballer und homosexuell. Für den Erfolg opfert er Freiheit: Ein Outing kann das sportliche Aus bedeuten. Offen schwul lebt er erst seit Ende seiner Karriere.

C.LEHNEN & J.MENDRALA

Chefredakteur Kelvin MacKenzie ist zufrieden, als er am 22. Oktober 1990 die Sun aufschlägt. Es ist Montagmorgen, und das britische Boulevardblatt hat die neue Woche gleich mit einer Exklusivgeschichte begonnen: In großen Lettern verkündet Fußballprofi Justin Fashanu öffentlich seine Homosexualität.

Die Leute kennen Fashanu:
Zehn Jahre zuvor erzielte er als blutjunger Stürmer für Norwich City gegen den Rekordmeister Liverpool mit einem spektakulären Treffer das "BBC Goal of the Season", das Tor des Jahres. Über Nacht wurde er berühmt, wechselte wenig später zu Nottingham Forrest und wurde der erste schwarze Fußballprofi im Königreich, der einen Verein mehr als eine Million Pfund kostete.

Nun ist er der erste Profifußballer, der sich je offen zu seiner Homosexualität bekannt hat. Als Marcus Urban gleichen Tags auf dem Trainingsplatz des damaligen DDR-Vereins Rot-Weiß Erfurt (RWE) steht, weiß er von alledem nichts. Erfurt spielt damals in der höchsten Spielklasse.

Es regnet in Strömen, der Coach brüllt Anweisungen über das Grün. Marcus rennt, doch er ist müde.Er ist zehn Jahre jünger als Fashanu, steht mit 19 Jahren am Beginn einer hoffnungsvollen Karriere: In der DDR hat er sämtliche Jugendauswahlmannschaften durchlaufen, mit späteren Nationalspielern wie Bernd Schneider, Thomas Linke und Frank Rost auf dem Platz gestanden. Beobachter wähnen ihn kurz vor dem Durchbruch, sein Verein ist auf dem Sprung in die erste gesamtdeutsche Zweite Bundesliga, der Vertrag liegt zur Unterschrift bereit.

Bereits seit 1984 trainiert er in der renommierten Kinder- und Jugendsportschule Erfurt auf seinen Traum vom Profifußball hin; nie war Marcus ihm so nah wie hier bei RWE. Gleichzeitig ist dieser Traum so weit entfernt. Seine Jugend verbringt Marcus auf dem Fußballplatz - und doch versteckt er sich zu jeder Zeit: Er ist schwul. Keiner weiß es.

Denn keiner darf es wissen. "Schwul", sagt er heute, "dieses Wort existierte für mich damals nur als Schimpfwort. Ich dachte: Als Fußballer ist man nicht schwul, fertig." Urban ist hager, wirkt mit seinen 1,75 Metern wie der klassische Mittelfelddribbler Marke Mehmet Scholl. Eloquent und gewitzt erzählt er seine Geschichte, legt dramatische Pausen ein. Wenige in den späten Achtzigerjahren sozialisierte Profifußballer sprechen so.Doch kaum denkt man, es sei für ihn Routine, von den Jahren in der Sportschule zu erzählen, ringt Urban um Worte. "Ich war völlig allein", sagt er nach Sekunden der Stille.

"Es gab niemanden, mit dem ich hätte sprechen können, keine schwule Öffentlichkeit, keine Bars, nichts." Wieder Stille. Urban ist ein nachdenklicher Mensch. Psychologie ist sein Hobby, die eigene Psychologie zuvorderst: "Ich musste lernen, meine Probleme zu verstehen, um sie lösen zu können", sagt er.

Schon als Teenager begann er psychotherapeutische Literatur zu wälzen. In der streng geführten Sportschule war für derlei Sensibilität kein Platz. Die jungen Sportler mussten funktionieren: "Das war der Deal: Sportkarriere gegen Persönlichkeit", sagt Urban.

Der "Deal" zum jahrelangen Versteckspiel
Marcus mochte Männer. Er spürte es. Nachts träumte er von ihnen. Und tagsüber spielte er mit ihnen Fußball. Mit hartem Training versuchte er, sich von seinen Gefühlen abzulenken, brüllte und foulte auf dem Platz. "Ich wollte meine Emotionen nicht zulassen. Doch sie ließen sich nicht abstellen", sagt er und erinnert sich, wie mit 16 Jahren die Wahrheit doch einmal aus ihm herausplatzte: "Wie zum Test sagte ich einem Mannschaftskollegen in der Straßenbahn: ,Du, ich bin schwul.' Darauf hat er einfach nicht reagiert!" Stattdessen betretene Stille, "demütigender als jede Beleidigung".

Über das Thema wurde nie mehr gesprochen. Marcus blieb allein. Immer weiter zog er sich von den Mitspielern zurück, wurde zum Außenseiter. "Ich wusste: Ein öffentliches Outing hätte mein einziges großes Ziel - die Profikarriere - für immer zerstört. Die Schule hätte mich gnadenlos aussortiert." So wurde der Fußball zum einzigen Fixpunkt: "Mit 17 habe ich mir eingeredet: ,Pelé war in deinem Alter schon Weltmeister. Du musst endlich Gas geben!' Ich wollte Weltmeister werden - mit der DDR: Ich habe wirklich daran geglaubt." Übersteigerte sportliche Ziele als Ablenkung von der eigenen Sexualität? "Ich habe mich nicht einmal an die Vorstellung herangetraut, wie es als Schwuler im Profisport wohl wäre - der bloße Gedanke daran machte mir schon Angst."

Wie ernst Marcus Urbans Angst Ende der Achtzigerjahre zu nehmen ist, wird deutlich, wenn man Justin Fashanus Werdegang nach seinem Outing verfolgt: Bereits eine Woche nach seinem öffentlichen Coming-out in der Sun beschimpfte ihn sein jüngerer Bruder John - zu diesem Zeitpunkt selbst englischer Nationalspieler - auf dem Titel des Revolverblattes The Voice vor der gesamten Nation als "outcast", als Ausgestoßenen. Daraufhin begann für Justin ein brutaler Spießrutenlauf. Er wurde zum Freiwild für Mitspieler, Funktionäre, Fans und Medien, ein Getriebener.

Er floh schließlich von der Insel, suchte sein Glück bei unterklassigen Clubs in Übersee. Doch glücklich wurde er nie mehr. Als Talent bei RWE verletzte sich Urban im Frühjahr 1991 schwer; erstmals verließ er darauf die vorgezeichneten Karrierepfade, kehrte Erfurt und der zweiten Liga den Rücken. In Weimar nahm er sein Studium der Stadtplanung auf. Fußball spielte er nebenher: unterklassig, unmotiviert, "völlig unter Wert". 1993 entschloss er sich zu einem Auslandssemester in Neapel.

Seine intensivsten Momente
Er kickte auf Hinterhöfen und auf der Straße, labte sich an Pasta mit Meeresfrüchten, besuchte das Haus des großen Maradona und verliebte sich: in einen Mann. Mit dem Abstand von 1.500 Kilometern, dem Ende des Leistungsdrucks und der Dolce Vita Italiens begann Marcus Urban zu leben. "Plötzlich war der Sport nicht mehr das Wichtigste im Leben. Ich spürte, wie mir die Distanz zur Machodomäne Fußball Mut zur Offenheit machte." Dennoch fiel der letzte Schritt zum Outing nicht leicht. Zurück in Deutschland, vergingen erneut quälende Monate, bis Marcus 1994 die wohl folgenschwerste Entscheidung seines Lebens traf

Er gab den Traum vom Profifußball endgültig auf und wagte das Coming-out: "Eine große Last fiel von mir ab. Euphorisiert erzählte ich Bekannten auf der Straße von meinem Freund, rief überglücklich meine Mutter an: ,Mama, ich bin schwul!'" Mit 23 Jahren gelang es ihm, den fatalen Deal aus der Jugend zu seinen Gunsten zu drehen: Von nun an ging es um Persönlichkeit statt Sportkarriere. In den folgenden Jahren schloss Urban sein Ingenieursstudium ab, bildete sich in Marketing und Rhetorik fort, arbeitete mit geistig Behinderten und als selbständiger Designer.

Fußball spielt er bis heute, als Spielmacher der Herrenmannschaft des schwul-lesbischen Fußballclubs Startschuss in Hamburg - ganz ohne Leistungsdruck, nur zum Spaß. Einen ungewöhnlichen, ja "verrückten" Lebenslauf habe er, meint Urban. Doch sein langes, herzliches Lachen verrät, dass er angekommen ist. Dieses Glück sollte Justin Fashanu nicht mehr zuteil werden. Im Mai 1998 endete seine Reise im Londoner Stadtteil Shoreditch. Nach einer jahrelangen, letztlich erfolglosen Suche nach Respekt brach er hier in eine verlassene Autowerkstatt ein und erhängte sich. "Ich hoffe, dass ich endlich meinen Frieden finden kann", war in seinem Abschiedsbrief zu lesen. Fashanus Tod war der Sun eine letzte Story wert. Von der Mär, dass es keine schwulen Fußballprofis gibt, hat sich mittlerweile die Mehrheit der Beobachter verabschiedet.

Noch hat sich aber kein deutscher Fußballprofi je offen zur Homosexualität bekannt - ist das erste Outing also nur noch eine Frage der Zeit? "Ich bin mir sicher, dass sich schon sehr bald Spieler bekennen werden", sagt Urban. Die Stimmung sei heute insgesamt viel positiver als Anfang der Neunziger: "Das Outing hat schon begonnen. Es gibt schwule Fußballer und ich weiß von ihnen."

Sogar Theo Zwanziger, Präsident des sonst knöchern wirkenden DFB, hat jüngst schwulen Spielern jede nötige Unterstützung beim Outing zugesagt. "Genau das richtige Signal", schwärmt Urban und ermuntert die heutige Profigeneration, sich zu öffnen: "Das Versteckspiel ist die Hölle. Es ist unglaublich befreiend, wenn es vorbei ist."

Wieder schweigt er lange, bis er anfügt: "Vielleicht ist die Zeit des ewigen Entweder-oder für schwule Fußballprofis auch endlich bald vorbei." Justin Fashanu ist mit 37 Jahren auf der Suche nach Frieden zerbrochen, blieb seit dem Bekenntnis zu sich selbst allein und erhängte sich schließlich. Marcus Urban ist heute 37 Jahre alt.

Er fand seinen Frieden, als er den Fußball hinter sich ließ. Er schämt sich nicht mehr. Er hat sich lieben gelernt. Das Buch "Versteckspieler: Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban" von Ronny Blaschke ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und kostet 9,90 Euro.