Freitag, 17. September 2010

»Ich blieb immer fremd«

Als Schlagerstar besang Marianne Rosenberg die heile Welt der Bundesrepublik. Kaum bekannt war, dass sie die Tochter eines Auschwitz-Überlebenden ist. Ein Gespräch über ihre Sinti-Familie, Schnulzen und ihre Zeit als Hausbesetzerin

DIE ZEIT: Ihre Autobiografie Kokolores beginnt mit einer Szene, in der Sie als kleines Mädchen mitten in der Nacht in einer Berliner Kneipe singen. Warum hat Ihr Vater Sie an einen Ort wie diesen mitgenommen?
Marianne Rosenberg: Aus Sehnsucht nach seiner Familie. Aus Sehnsucht nach dem Klang der Stimme seiner Mutter, die immer auf Festen gesungen hat und kurz nach dem Krieg gestorben ist. Er hat oft geweint, wenn ich gesungen habe.
ZEIT: Sie standen auf einem Tisch, drum herum saßen lauter ältere, zum Teil betrunkene Leute. Was haben Sie da gedacht als Fünfjährige?
Rosenberg: Die Erwachsenen waren mir suspekt, der Alkohol, das laute Gerede. Es waren verschiedene Lokale. Ich dachte damals, sie heißen alle Engelhardt; ich wusste nicht, dass das eine Bierreklame ist. Für mich war das als Kind aber etwas Selbstverständliches: Da ist der Vater und holt mich, stellt mich auf den Tisch, und ich singe. Ich hatte nur Angst, dass ich die Töne nicht treffe.
ZEIT: Wo war Ihre Mutter?
Rosenberg: Zu Hause bei meinen kleinen Geschwistern. Mein Vater rief immer von der Kneipe aus an, und meine Mutter bestellte ein Taxi für mich. Nach dem Singen bin ich mit ihm zusammen wieder im Taxi zurückgefahren.
ZEIT: Sehr ungewöhnlich für ein kleines Kind.
Rosenberg: Ich habe das einfach so hingenommen, wie auch die tätowierte Nummer auf dem Arm meines Vaters.
ZEIT: Diese Nummer hat das Leben Ihrer Familie geprägt. Ihr Vater, Otto Rosenberg, der 2001 gestorben ist, war Sinto und überlebte als Jugendlicher das Konzentrationslager Auschwitz. Seine Geschwister und sein Vater wurden dort umgebracht. Wann hat Ihr Vater Ihnen das erste Mal etwas darüber erzählt?
Rosenberg: Ich wusste früh davon, und je mehr ich über seine Geschichte erfuhr, desto besser konnte ich ihn verstehen. Als Kind dachte ich oft, wenn er zu Weihnachten grummelig war und sich zurückzog, dass er böse ist. Erst später begriff ich, dass er an seine Familie dachte, die nicht mehr da war. Problematisch wurde es auch, wenn wir Kinder nicht aufaßen, weil im Lager so viele kleine Kinder hungerten und starben. Ich habe die Brote, die ich nicht schaffte, versteckt. Meine Mutter fand sie irgendwann und warf sie weg.
ZEIT: In der Schule wurden Sie als »dreckige Zigeunerin« beschimpft.
Rosenberg: Ja, das kam vor. Einmal wurde ich auch beschuldigt, ein Stempelkissen geklaut zu haben. Ich war es nicht.
ZEIT: Sie schreiben, Ihr Vater habe Sie auf Beschimpfungen vorbereitet. Wie das?
Rosenberg: Ich weiß die konkreten Worte nicht mehr, aber mir und meinen sechs Geschwistern hat er erzählt, wie schrecklich es den Sinti ergangen war. Wenn die Nazis ihre Pläne bis zum Ende geführt hätten, hätte es ja keine Sinti mehr gegeben. Es sprach aus seinen Worten, dass man vorsichtig sein muss. Er dachte immer, das Schreckliche könne noch einmal geschehen.
ZEIT: Wie haben Sie auf die Beschimpfungen reagiert?
Rosenberg: Das war wie ein heißer Schub, ein Beinaheunfall. Man wurde böse, fühlte sich verletzt. Einmal haben mein Bruder Frank und ich einen Jungen festgehalten, er hatte gefrotzelt: »Meine Mutter hat gesagt, dass ihr Zigeuner seid.« Aber es gab auch wundervolle Tage in der Schule. Ich war beliebt und hatte viele Freundinnen.
ZEIT: Haben diese Freundinnen Sie nicht gefragt, woher Ihre Familie kommt und was ihr passiert ist?
Rosenberg: Nie. In dieser Zeit, 1965, war ich zehn Jahre alt. Damals wollte niemand über die Zeit des Nationalsozialismus reden. Fast alle Deutschen hatten Angst, ihren Kindern davon zu erzählen, weil sie damit auch ihre eigenen Positionen hätten klären müssen – egal, ob sie bei der SS waren oder bei der Wehrmacht. Das war ein Tabu und ist ja heute noch schwierig. Sonst gäbe es nicht diesen Aufschrei wegen Günter Grass. Er steht stellvertretend am Pranger für all die Deutschen, die nicht darüber reden konnten.
ZEIT: Sie haben in den Berliner Vororten Britz und Lichterfelde gewohnt, und Sie sagen, Sie hätten immer gespürt, dass Sie anders seien. Was genau war so anders an Ihnen?
Rosenberg: Das habe ich mich auch gefragt. Wir zogen ja nicht mit dem Wagen herum. Es gab nichts Exotisches. Ich hatte nur dunkelbraune Zöpfe. Aber die deutsche Gesellschaft sah in den fünfziger Jahren anders aus als heute. Es gab nicht viele Kinder mit dunklen Augen und Haaren. Es war die Zeit, als gerade die ersten Gastarbeiter kamen. Und wir hatten ja nicht mehr viele Verwandte. Wo hätte diese Gemeinschaft, die eine alte Kultur lebt, noch herkommen sollen? Was überliefert wurde, waren die Musik, der Zusammenhalt in der Familie, das Einstehen füreinander, der Respekt vor alten Menschen und vorm Vater.
ZEIT: Konnte dieses Anderssein manchmal auch heißen: Man ist etwas Besonderes?
Rosenberg: Als Kind will man nicht anders sein als die anderen. Erst wenn man älter wird, kann man als Bereicherung empfinden, dass man in zwei Welten zu Hause ist. Aber als Kind mit unserer Familiengeschichte, da denkt man darüber nach: Kommen die wieder und holen uns ab wie meinen Vater damals? Das war so ein diffuses Gefühl. Ich glaube, alle, die Auschwitz überlebt haben, dachten, das kann noch einmal geschehen. Man spürte es auf den Familienfeiern. Die Musik brachte Erinnerungen zurück, holte das Leid wieder hoch. Diese Musik war wie ein Geruch. Manchmal weinten sie dann. Da brauchte es nicht viele Worte.
ZEIT: Durften Sie als Mädchen so viel wie Jungs?
Rosenberg: Nein. Die Rollen sind in Sinti-Familien klar verteilt. Der Mann ist das Oberhaupt der Familie. Die Mädchen sind für die Hausarbeit zuständig. Als ich jung war, durfte ich nicht allein weggehen, etwa in eine Disko oder ins Kino.
ZEIT: Haben Sie dagegen rebelliert?
Rosenberg: Bei mir änderte sich das ja schnell. Ich war schon früh berufstätig. So gesehen, war ich schon damals emanzipiert, obwohl ich noch nicht wusste, was das bedeutet. Die Aufgaben der Jungen schienen mir immer spannender. Ich beobachtete meinen Vater oft, wie er Geräte reparierte oder Musikinstrumente zusammenleimte. Auch seine Faszination für Boxkämpfe interessierte mich. Mit Kinderboxhandschuhen durfte ich öfter mit den Brüdern mitboxen. Ich war nicht mal schlecht.
ZEIT: Fühlten Sie sich immer als Sinti?
Rosenberg: Als Sinteza und Berlinerin.
ZEIT: Und als Deutsche?
Rosenberg: Wir sind ja deutsche Sinti. Mein Vater hat um die Staatsbürgerschaft gekämpft, die er vor dem Krieg hatte und die ihm dann entzogen worden war. Er zog bis vors Berliner Landgericht, weil man sie ihm in den fünfziger Jahren nicht wiedergeben wollte. Es hieß: »Zigeuner, Wandertrieb, hat keine Bindung an die Stadt Berlin.«
ZEIT: Waren Sie da wütend auf die Deutschen?
Rosenberg: Ich fühlte eher Machtlosigkeit. Wenn ich gesehen habe, wie schlecht es meinem Vater ging, war da vor allem Traurigkeit. Wir können uns kaum vorstellen, was diese schrecklichen Erlebnisse bei einem Menschen anrichten. Meine Mutter, eine Ostberlinerin, war 19 Jahre alt, als sie meinen Vater nach dem Krieg kennen lernte. Wie hätte sie ihn auffangen sollen oder wir Kinder? Wie kann man davon ausgehen, dass diese Menschen in der Gesellschaft je wieder zurechtkommen? Mein Vater war verändert, für immer. Frührentner, arbeitsunfähig. Lager ist nicht heilbar.
ZEIT: Als Sie als Sängerin erfolgreich wurden, riet Ihnen Ihr Vater, Sie sollten Journalisten erzählen, Ihre Vorfahren kämen aus Ungarn.
Rosenberg: Das war mehr als ein Rat, er wollte mich schützen. Er sagte: Die andere Geschichte will keiner hören, das erschreckt die Leute nur, dann fühlen sie sich schuldig.
ZEIT: Dass Sie Ihre Herkunft verschwiegen, führte zu absurden Situationen. 1971, bei einem Gesangswettbewerb in Rio de Janeiro, saß der Musiker Paul Simon in der Jury und sagte, er als Jude könne Deutschland keinen Punkt geben.
Rosenberg: Hätte Paul Simon gewusst, dass seine und meine Vorfahren dasselbe Leid durchlebt hatten, wäre es anders gekommen. Meine Plattenfirma versuchte noch, irgendwie eine jüdische Identität zu kreieren – wirklich absurd. Mir war klar: Paul Simon verhielt sich falsch. Die Nachkommen waren nicht schuldig. Ich wollte aber nicht erklären: Ich bin zu einem Teil das und zum anderen Teil dies. Da ist man schnell bei Dr. Robert Ritter, dem Leiter der Rassenhygienischen und Erbbiologischen Forschungsstelle, der die Menschen nach ihrer Abstammung eingeteilt und tödliche Wissenschaft betrieben hat.
ZEIT: Hat Ihr Erfolg als Sängerin Ihren Vater mit Deutschland ein wenig versöhnt?
Rosenberg: Mit Deutschland lag er nicht im Argen; mit Menschen, in deren Köpfen noch immer der auf Rasse begründete Albtraum spukte, allerdings. Er war stolz auf mich, auf meinen Erfolg, ja, vielleicht gerade in diesem Land mit dieser Vergangenheit. Mein Vater hatte nach dem Krieg auf eine Wiedergutmachung verzichtet. Seine Mutter hätte zum Beweis dafür exhumiert werden müssen.
ZEIT: Mit 13 wurden Sie entdeckt, bei einem Talentwettbewerb. Dachten Sie damals: Jetzt werde ich berühmt und verdiene Geld für die Familie?
Rosenberg: Nein, ich war erst mal verliebt in die eigene Stimme. Das muss man, sonst kann man sich da nicht hinstellen. Ich hatte aber keine Ahnung, welche Konsequenz das haben könnte. Ich dachte: Vielleicht komme ich zu MGM-Records wie Connie Francis, und dann gibt’s diese Platte, die so schön glänzt.
ZEIT: Wenn Sie heute Sendungen wie Deutschland sucht den Superstar sehen, gibt es da Ähnlichkeiten zu den Talentwettbewerben Ihrer Jugend?
Rosenberg: Schon, aber früher wurden diese Wettbewerbe nicht bundesweit im Fernsehen übertragen, sodass die ganze Gesellschaft mitfieberte oder mitlachte. Mich hat keiner öffentlich heruntergeputzt, so menschenverachtend wie heute oft. Wenn ich in die ängstlichen oder traurigen Gesichter dieser jungen Menschen sehe, kommt es mir vor wie Voyeurismus, am Bildschirm zu bleiben.
ZEIT: Sie wurden auf Diät gesetzt, lernten, richtig zu gehen, zu reden, sich richtig zu schminken.
Rosenberg: Das war die Plattenindustrie. Mir hat es keinen Spaß gemacht, mit einem Buch auf dem Kopf herumzulaufen, ich habe es aber nicht hinterfragt. Heute denkt man: Meine Güte, mit 14 muss sie doch selbst entschieden haben. Damals hat man die Kinder nicht miteinbezogen. Es war auch nicht meine Idee, diese Art von Musik zu machen. Ich hatte eigentlich eine Altstimme, sang aber nun in schwindelerregenden Höhen.
ZEIT: Sie traten in der Hitparade auf, saßen am Bühnenrand in Minirock und Stiefelchen und beobachteten die anderen.
Rosenberg: Das Gefühl, nicht dazuzugehören, zieht sich durch mein Leben. Ich blieb immer fremd.
ZEIT: Ihre Karriere trennte Sie noch mehr von den anderen Gleichaltrigen.
Rosenberg: Ich wollte singen und trotzdem sein wie die anderen – aber das ging nicht. Wer im Fernsehen auftritt, gilt als besonders.
ZEIT: Die Familie konnte sich durch Ihren Erfolg ein Haus, einen besseren Lebensstandard leisten. Hat Sie diese Verantwortung belastet?
Rosenberg: Sie war mir durchaus bewusst. Jeder in der Familie fühlte sich angegriffen, wenn einer die Sängerin »M. R.« nicht mochte. Es war unsere Karriere. Wir arbeiteten gemeinsam an der Verbesserung unserer Lebensumstände.
ZEIT: Ihr Vater wurde Anfang der Achtziger Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Berlin. Hat das für die Familie etwas verändert?
Rosenberg: Durch den öffentlichen Umgang meines Vaters mit seiner Vergangenheit wurde auch ich danach gefragt, und ich musste und wollte auch damit umgehen. Er fragte mich: Ist das denn gut? Ich habe ihn angelacht: Wenn du darüber redest, dann kann ich es auch tun. Es hat ihn doch gefreut. Aber er hatte immer noch ein wenig Furcht. Mein Vater erhielt für seine politische Arbeit das Bundesverdienstkreuz. Er hat es getragen.
ZEIT: Nach dem Mauerfall gab es eine ganze Serie von rechtsradikalen Überfällen, auch auf Sinti und Roma. Empfanden Sie das als bedrohlich?
Rosenberg: Mein Gefühl war: Vater hatte Recht, dieses Gedankengut ist doch nicht tot. Als Teenager hatte ich immer gedacht, so etwas kann sich nicht wiederholen. Ich habe viele Freunde, wir leben in einer Demokratie. Nach Rostock, Mölln und Hoyerswerda war ich schockiert. Ich dachte, so etwas werde von Anfang an bekämpft, aber zu Beginn wurde das Problem von Politikern auch noch als harmlos eingeschätzt. Vor kurzem habe ich eine Zahl gelesen, wie viele Menschen durch Gewalt von rechts umgekommen sind. Das war immens. Man kann aber nicht sagen, dass die Bevölkerung das hinnimmt. Das Bewusstsein für rechtsradikale Gefahren ist heute schärfer. Es gab und gibt Aktionen, Lichterketten, Demos.
ZEIT: In den achtziger Jahren waren Sie selbst auf vielen Demonstrationen, Sie gehörten zur Hausbesetzerszene. In Highheels im »Schwarzen Block«?
Rosenberg: Genau. Ich sympathisierte mit Autonomen und Anarchos, ging gegen Rassismus und Atomkraft auf die Straße. Ich war auf vielen Demos. Das war anstrengend, wegen der Schuhe mit den steilen Absätzen, von denen ich mich selten trennte. Genau wie meine Schminke, die bei den Genossen auch nicht gut ankam. Ich dachte mir, das sind eben auch nur Spießer. Anarchie bedeutete für mich nicht Chaos, sondern Freiheit von Herrschaft. Ich glaube, durch die Situation, in die ich hineingeboren wurde, war ich immer politisch. Ich bin aber nie in eine Partei eingetreten.
ZEIT: Mochte die linke Szene Ihre Schnulzen?
Rosenberg: Weiß ich nicht. Ich habe aber nicht nur Schnulzen gesungen. Ich behaupte, die erste deutsche Popsängerin gewesen zu sein. In dieser Zeit machte ich Aufnahmen mit Rio Reiser und Marianne Enzensberger. Ich wurde dann in der taz zur Rockröhre, aber das war ich auch nicht.
ZEIT: Gehörten Sie denn zur Hausbesetzerszene endlich dazu?
Rosenberg: Da galt ich als »etablierte« Schlagertante. Das hat niemand gesagt, aber ich spürte es.
ZEIT: Was ist von Ihren Überzeugungen geblieben?
Rosenberg: Ich engagiere mich noch immer für HIV-Infizierte und gegen Rassismus. Meine Einstellung gegenüber Atomkraft hat sich nicht geändert. Denken Sie an die Opfer von Tschernobyl.
ZEIT: Ihr Mann gab die linke Zeitschrift Radikal heraus und saß in Untersuchungshaft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Rosenberg: Wegen angeblicher Unterstützung! Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung hat aber gesiegt. Der Übergriff der deutschen Justiz auf einen linken Journalisten wurde durch den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments zurückgewiesen. Ich lernte ihn danach kennen, als sein Name auf die Berliner Yorckbrücken und auf Hausdächer gesprüht wurde. Man forderte seine Freiheit, viele Leute waren empört, nicht nur die linke Szene. Wir wussten, wir geben eine lustige Schlagzeile ab: Schlagertante und Exterrorist.
ZEIT: War Schlagertante ein Schimpfwort für Sie?
Rosenberg: Damals schon.
ZEIT: Auf Konzerten sollten Sie aber immer wieder Ihre alten Erfolge spielen wie den größten Hit Er gehört zu mir von 1975.
Rosenberg: Ja, es gab Zeiten, in denen ich Marianne Rosenberg gern um die Ecke gebracht hätte. Es hat was Absurdes, wenn man immer wieder mit dem konfrontiert wird, was man vor 20 Jahren gemacht hat. Ich habe versucht, die öffentliche, durch das Medienbild entstandene Figur der Frau näher zu bringen, die ich in Wirklichkeit war. Inzwischen glaube ich, dass das Kokolores ist. Marianne Rosenberg und das, was wir uns alle darunter vorstellen, kann niemand wirklich sein, auch ich nicht. Wenn man versucht, sein Image zu leben, ist man nicht nur unerfahren oder dumm, man ist verloren. Nennen Sie mich also beruhigt eine Schlagersängerin. Verkaufsschlager für das Volk, das ist das, was ich viele Jahre gemacht habe. War gute Musik dabei.
ZEIT: Wie geht’s Ihnen heute, wenn Sie Er gehört zu mir hören?
Rosenberg: Ganz gut. Als ich vor ein paar Jahren, vor seinem Tod, auf einem Konzert des mittlerweile verstorbenen Barry White war, da wollte ich unbedingt, dass er You’re the first, the last, my everything von 1974 singt. Er hat es als Zugabe gespielt. Ich bin begeistert auf den Stuhl geklettert; er sollte jeden Ton genau so singen, wie ich ihn kannte. Da habe ich diese Sehnsucht der Leute in meinen Konzerten zum ersten Mal verstanden.

Das Interview führte Jana Simon

Marianne Rosenberg wurde 1955 in Berlin geboren. Mit 14 nahm sie ihre erste Platte auf und wurde mit Titeln wie »Er gehört zu mir«, »Marleen« und »Ich bin wie du« zum Schlagerstar der siebziger Jahre. In den Achtzigern trat sie mit gesellschaftskritischen Rockmusikern wie Rio Reiser und Extrabreit auf. Jetzt erscheint ihre Autobiografie: »Kokolores«; List-Verlag, Berlin, 272 Seiten

Freitag, 10. September 2010

US-Armee: Richterin kippt Schwulen-Regelung beim Militär

"Don't ask, don't tell": Bislang durften sich schwule und lesbische US-Soldaten nicht zu ihrer Homosexualität bekennen, andernfalls drohte ihnen der Rausschmiss aus der Armee. Diese Politik erklärte ein US-Bundesgericht jetzt für verfassungswidrig - US-Präsident Obama steht unter Zugzwang.

Washington - Ein US-Bundesgericht hat den Ausschluss offen bekennender Homosexueller vom Dienst in den US-Streitkräften für verfassungswidrig erklärt. Durch die Regelung würden Schwule und Lesben in ihren Rechten auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt, urteilte Richterin Virginia Phillips im kalifornischen Riverside. Das von der Regierung vorgebrachte Argument, eine Abkehr von der bisherigen Praxis würde sich negativ auf die Arbeit des Militärs auswirken, ließ sie nicht gelten.

Eine Gruppe republikanischer Schwuler hatte gegen die sogenannte "Don't ask, don't tell"-Politik (Frage nicht, sage nichts) der Regierung geklagt. Diese 1993 vom damaligen Präsidenten Bill Clinton eingeführte Regelung erlaubt Homosexuellen den Militärdienst, wenn sie sich nicht offen zu ihrer sexuellen Orientierung äußern. Nach Angaben von Schwulenverbänden wurden in den vergangenen 17 Jahren dennoch mehr als 10.000 homosexuelle Frauen und Männer aus der Armee entlassen, nachdem ihre schwule oder lesbische Orientierung bekanntgeworden war.

Die US-Regierung hatte Anfang des Jahres eine Neuregelung des Umgangs mit Homosexuellen im Militär angekündigt und neue Bestimmungen verfügt, mit der es schwerer wurde, Schwule und Lesben aus dem Militärdienst zu entfernen. Die Abschaffung der "Don't ask, don't tell"-Regelung war auch ein Wahlkampfversprechen von Präsident Barack Obama. Den Homo-Verbänden geht die Umsetzung der Neuregelung jedoch zu langsam.

Richterin Phillips erklärte, die Beweise der klagenden konservativen Homosexuellen-Vereinigung Log Cabin Republicans hätten klar gezeigt, dass die geltenden Bestimmungen diskriminierend seien. Sie ordnete an, die bisherige Praxis dauerhaft zu beenden. Die Entscheidung tritt allerdings nicht sofort in Kraft. Die Regierung hat eine Woche Zeit, um Einspruch einzulegen.

Die Entscheidung bringt die Regierung von Präsident Obama in eine schwierige Lage. Denn sie sucht bereits schon nach Wegen, die umstrittene Regelung in Abstimmung mit der Militärführung und dem US-Kongress abzuschaffen. Eine Entscheidung war angesichts großer Widerstände bei Teilen der Republikaner erst nach einer eingehenden Untersuchung vorgesehen, wie sich eine Abschaffung auf die Armee auswirken würde.

Donnerstag, 9. September 2010

US-Soldaten sollen Afghanen Finger abgeschnitten haben

Kriegsverbrechen

Schwere Vorwürfe gegen Soldaten in den USA: Infanteristen sollen afghanische Zivilisten getötet und ihnen Körperteile als Trophäen abgeschnitten haben. Die Beschuldigten weisen das zurück, doch der Vater eines Soldaten nannte Details. Er selbst habe die Armee gewarnt.

Seattle - Fünf US-Soldaten sollen bei ihrem Einsatz in Afghanistan willkürlich Zivilisten getötet haben. Aktuell veröffentlichte Ermittlungsdokumente der Armee haben dabei grausame Details ans Licht gebracht. Mindestens zwei der beschuldigten Soldaten hätten Körperteile von toten Afghanen als Trophäen mitgenommen, zitierten amerikanische Medien aus den Berichten. Hauptverdächtiger sei Sergeant Calvin G. Er hortete den Ermittlungen zufolge Finger- und Fußknochen sowie Zähne.

In den USA ist bereits von einem der größten Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz die Rede. Ans Licht kamen die Vorwürfe, weil einer der Soldaten der betroffenen Brigade auspackte.

Zunächst berichtete er nur von Haschisch-Konsum in der Truppe. Der Mann wurde von seinen Kameraden brutal misshandelt und bedroht, zitierte die US-Zeitung "Seattle Times" aus den Akten. Unter anderem sollen sie ihm mit dem Tod gedroht haben, falls er von dem Drogenkonsum berichtet - zur Einschüchterung sollen sie ihm dann noch den abgetrennten Finger eines getöteten Soldaten gezeigt haben. Der Soldat habe dennoch nicht geschwiegen, sondern habe auch gleich die Hinweise auf die mutmaßlichen Kriegsverbrechen offenbart, berichtete die Zeitung.

Ermittler werfen mehreren Soldaten nun vor, sie hätten ein "geheimes Killer-Team" gegründet. Dreh- und Angelpunkt des Falls ist der Tod von drei Afghanen im Januar, im Februar und im Mai 2010. Fünf Soldaten sind angeklagt, die Zivilisten ermordet zu haben. Teilweise wird ihnen die Beteiligung an einem oder sogar mehreren der Fälle vorgeworfen. Ihnen drohen lebenslange Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe. Als Mitglieder einer Infanterie-Brigade sollen sie gut ein Jahr in Kandahar im Westen Afghanistans im Einsatz gewesen sein.

Nun hat sich der Vater von einem der beschuldigten Soldaten zu Wort gemeldet - und der Armee Versäumnisse vorgeworfen. Der Mann sagte, sein Sohn habe ihm berichtet, dass Kameraden seiner Einheit afghanische Zivilisten getötet hätten. Weitere Verbrechen seien geplant und er werde zum Schweigen gezwungen. Winfield sagte, er habe mehrmals telefonisch Hinweise an die Armee gegeben. Eine Sprecherin wollte dazu keine Stellung nehmen.

"Es gibt hier keinen guten Menschen mehr"
Dem Vater zufolge schrieb der Sohn aus Afghanistan, Kameraden seiner Einheit hätten einen "unschuldigen Mann in meinem Alter" getötet. Er sei aber nicht persönlich Zeuge gewesen und wisse nicht, wem er trauen könne. Die Soldaten, die an der Tötung beteiligt gewesen seien, hätten ihm davon berichtet und geraten, er solle es selbst mal ausprobieren. "Es gibt hier keinen guten Menschen mehr. Es nagt täglich an meinem Gewissen", schrieb der Soldat nach Angaben seiner Eltern. Den Ermittlungen zufolge soll er von seinen Vorgesetzten bedroht worden sein.

Der Anwalt des Sergeants, der als Drahtzieher der Tötungen beschuldigt wird, wies die Vorwürfe zurück, wonach die Zivilisten Opfer willkürlich getötet hätten. Ihr Tod gehe auf berechtigte Aktionen zurück, erklärte er. Der Sergeant soll laut der Zeitung an allen drei Tötungen beteiligt gewesen sein. Zudem soll er im März auf drei afghanische Männer geschossen haben. Ob sie verletzt oder getötet wurden, gehe aus den Unterlagen nicht hervor, berichtete das Blatt.

Auch weitere Soldaten, denen die Ermordung der Zivilisten zur Last gelegt wird, haben die Anschuldigungen energisch zurückgewiesen. So soll einer der Männer von einem Angriff der Afghanen berichtet haben - was die Ermittlungen aber eindeutig widerlegt hätten. Bereits jetzt zeichnet sich ein juristisches Tauziehen ab. So erklärte der Verteidiger eines Soldaten, sein Mandant leide unter den Folgen von vier Gehirnerschütterungen und habe bei seinen Befragungen unter Medikamenteneinfluss gestanden. Darum wolle er beantragen, dass seine Aussagen im Verfahren nicht verwendet werden dürfen.

Grausige Geschichten über den Sergeant
Aufklärung in dem Fall erhoffen sich die Ermittler nun durch weitere Anhörungen der Beschuldigten, die in den kommenden Wochen beginnen sollen.

Neben den fünf Männern sind noch weitere sieben Soldaten angeklagt. Dabei geht es um Vorwürfe wie Haschisch-Konsum, Behinderung der Justiz und das Aufbewahren von Waffen für den privaten Gebrauch. Die Ermittler berufen sich bei ihren Erkenntnissen unter anderem auf eidesstattliche Aussagen von Kameraden.

Besonders der beschuldigte Sergeant Calvin G. soll demnach für seine Brutalität berüchtigt sein. Einem Soldaten soll er Prügel mit einer Eisenstange angedroht haben. Einen anderen soll er gedrängt haben, einem toten Afghanen einen Finger abzuschneiden. Bereits im vergangenen Jahr soll G. vor Kameraden erklärt haben, es sei doch sehr einfach, afghanische Zivilisten mit Granaten zu töten.

Netzjagd auf Tierquäler

 

Auf 4chan.org versammeln sich anonyme Nutzer zu Mobs mit fast übernatürlichen Kräften. Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Tierquäler outen, schikanieren - und dann an die Polizei übergeben. VON LALON SANDER

Eigenständiges, schwarmintelligentes Wesen: die Seite www.4chan.org. Foto: screenshot / www.4chan.org
Eine junge Frau in einem roten Kapuzenpullover wirft ein Bündel in einen Fluss. Noch scheint das Video harmlos, wäre da nich dieses verdächtige Fiepen. Sie bückt sich, holt aus dem Eimer einen zweiten quiekenden Hundewelpen und wirft auch diesen weit raus ins Wasser. Als das 44-sekündige Video am 30. August im Netz verbreitet wurde, war die Frau unbekannt. Und wahrscheinlich dachte sie, dass sie es auch bleiben würde.
Keine 24 Stunden später ermittelte die bosnische Polizei gegen eine Verdächtige, der nun bis zu 5.000 Euro Strafe drohen. Bosnische Medien berichteten kurz darauf, das Mädchen sei von seiner Großmutter angestiftet worden, die erst drei Tage alten Hunde zu ertränken. Und durch das Netz kursierten viele anonyme Gewalt- und Morddrohungen.
Hinter dem Ermittlungserfolg steckte eine der berüchtigsten Gemeinden des englischsprachigen Teil des Internets: 4chan.org. In der Mischung aus Forum und Pinnwand kann jeder anonym Bilder hochladen und kommentieren. Die Anonymität der Seite gab ihr ein eigenes Leben. Meistens tauschen die 4chan-User Schockbilder, Pornographie oder Katzenfotos mit lustigen Bildunterschriften aus. Doch immer wieder versammeln sie sich zu einem schlagkräftigen Mob, der gerne Tierqüaler outet. Der Mob gilt inzwischen als eigenständiges, schwarmintelligentes Wesen - mit dem beliebtesten Nutzernamen auf 4chan: Anonymous.
Das erste Opfer von Anonymous' Tierliebe war 2009 der 14-jährige Kenny G. Der US-Amerikanische Jugendliche hatte sich dabei gefilmt wie er völlig vermummt seine Katze gegen eine Wand schlug. Anonymous ermittelte aus seinem Youtube-Konto seinen Wohnort, ermittelte daraus seine Facebook-Seite und verglich dort hochgeladene Fotos mit dem Hintergrund aus dem Video. Die Polizei rettete daraufhin den mittlerweile berühmten Kater „Dusty the cat“. Nebenbei veröffentlichte Anonymous auch die Büroadressen und Telefonnummern von Kennys Eltern, die massenhaft Scherzanrufe und Drohungen erhielten.
Wenige Wochen bevor sich er die junge Bosnierin vornahm, hatte Anonymous bereits eine andere angebliche Tierquälerin aufgespürt. Der Fall von Mary B. aus Großbritannien entzürnte im Juli sowohl Netzgemeinden als auch Boulevardmedien: Eine Sicherheitskamera hatte gefilmt, wie die 45-Jährige auf der Straße eine Katze streichelte - und dann kurzerhand in eine Mülltonne warf. Als das Video auf 4chan landete, ermittelten die anonymen Nutzer innerhalb von Stunden die  Identität von Mary B.; auf einer Aufnahme aus Google Street View identifizierten sie ihr Haus. Zum Schluss wurde auch Mary B. derart übel bedroht, dass die Polizei sie in Schutz nahm.
Vergangene Woche zeigte sich das scheue Wesen Anonymous von einer bisher eher unbekannten, liebenswürdigen Seite. Er bereitete einem 90-jährigen US-amerikanischen Kriegsveteran eine einzigartige Party: Am 1. September war auf 4chan ein Bild von William J. Lashua mit der Aufschrift „Suche Leute für Geburtstagsfeier“ – offenbar der Aushang aus einem Supermarkt - erschienen. Drei Tage später, an seinem Geburtstag, beglückwünschten ihn auf Facebook mehrere tausend Menschen. Aufnahmen von der Feier zeigen einen vergnügten Mann auf einem Haufen Geburtstagskarten. Sogar ein dutzend echte Menschen „aus dem Internet“ sollen vorbeigekommen sein.

Wenn die Kippa mitkickt

Der Tel Aviv-Stürmer Itay Schechter zieht nach seinem Tor in der Champions League seine Kippa aus dem Stutzen, betet – und sieht Gelb. Was ist der Grund für die Verwarnung?

VON MARTIN KRAUSS

Ein Gebet mitten auf dem Fußballfeld: Itay Schechter nach seinem Tor gegen Red Bull Salzburg in der Champions League-Qualifikation. Foto: ap

Hammer! Sichel! Rot! Und das in der Champions League! Itay Schechter hatte gegen Red Bull Salzburg gerade das entscheidende Tor geschossen, da sahen die Zuschauer auf seinem Hinterkopf diese Symbole in dieser Farbe. Der Stürmer des israelischen Spitzenclubs Hapoel Tel Aviv hatte im CL-Qualifikationsspiel nach dem dritten Tor für die Israelis eine rote Kippa aus seinem Stutzen gezogen. Auf die runde Kopfbedeckung war das Vereinssymbol gestickt: Hammer und Sichel, denn Hapoel steht für die traditionsreiche jüdische Arbeitersportbewegung. Dafür gab's Gelb.

Schechter wollte sich nach dem Tor, das ihn und seinen Klub in die Champions League - und also auch bald in die Arena auf und gegen Schalke - katapultierte, bei seinem Gott bedanken. Weil Juden, anders etwa als Christen oder Muslime, nur mit Kopfbedeckung beten. Er zog also die Kippa aus dem Stutzen und betete mitten auf dem Salzburger Rasen. "So etwas habe ich in meinem ganzen Schiedsrichterleben noch nicht gesehen, auch nicht in einem israelischen Ligaspiel", sagt Abraham Klein, 74-jährige Schiedsrichterlegende des kleinen Mittelmeerlandes, unter anderem an der Pfeife, als Deutschland 1978 gegen Österreich mit 2:3 narrisch verlor.

So ganz klar ist allerdings bis jetzt noch nicht, warum Schechter die Gelbe Karte sah: Klein vermutet, weil es nicht erlaubt ist, einen Gegenstand im Stutzen zu verstecken, unabhängig davon, was dieser Gegenstand ist. Dabei spielt das, findet der International Football Association Board der Fifa, sehr wohl eine Rolle: "Spieler dürfen keine Unterwäsche mit Slogans oder Werbeaufschriften zur Schau tragen", heißt es eindeutig. "Die vorgeschriebene Grundausrüstung darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Botschaften aufweisen."

Beim DFB erfährt man noch, dass "moderne Schutzgegenstände wie Kopfschutz, Gesichtsmaske, Knie- und Ellenbogenschoner aus weichem, leichtem und gepolstertem Material" und damit "nicht gefährlich" sein dürfen. Was aber ist an einer Kippa, noch dazu nur während einer Spielunterbrechung getragen, gefährlicher als eine Gesichtsmaske?

Was gerne mit Auslegungssache, Ermessensspielraum oder Fingerspitzengefühl umschrieben wird, führt letztlich ins Politisch-Religiöse: Die ägyptische Nationalmannschaft etwa feiert ihre Siege immer mit einem kollektiven Beten gen Mekka – von Schiedsrichtern und Fifa-Funktionären unbehelligt.

Als jedoch bei der Mini-WM 2009 Brasilien das Finale gegen die USA gewann, kniete die gesamte Seleção zum Gebet nieder – die Fifa verwarnte Brasilien deswegen. Und die Schweizer Boulevardzeitung Blick schäumte sofort: "Verbietet die Fifa (nur) Christen das Gebet?" Zumal die Schiedsrichter ja auch angehalten sind, das Zeigen von "Jesus loves you"-T-Shirts unter den Trikots mit einer Gelben Karte zu ahnden.

Die Angst vor einer Welle der Christenverfolgung im internationalen Fußball ist aber unbegründet. Schließlich gehört das Bekreuzigen beim Einwechseln oder vor dem Elfmeter schon zum Standard. Auch die muslimischen Gottesverehrungen werden nicht nur toleriert, sondern mitunter sogar massiv gefordert.

Als der Bundesligaprofi Mohammed Zidan einmal nach einem Sieg seiner ägyptischen Nationalmannschaft das tat, was eine gleichermaßen respekt- und stilvolle Geste ist: gelangweilt neben den Betenden stehen, wurde er nicht vom Schiedsrichter, aber vom Trainer zum Rapport gebeten. Ägyptens Nationalcoach Hassan Schehata hat nämlich die Religiosität zum wichtigsten Nominierungskriterium erhoben. "Ohne die werden wir keinen Spieler berufen", hat er einmal gesagt. Eine bemerkenswerte Diskriminierung von Säkularen und Atheisten.

Montag, 6. September 2010

Punk’d: Iraqi Terrorism




(Brightcove Direktterrorism, via Dangerous Minds)
Im Irak läuft eine Fernsehshow, nicht unähnlich unserem „Verstehen sie Spaß?“ oder eben MTVs „Punk’d“. Nur verarschen die die Leute mit Terrorismus und Fake-Bombs. Das ganze ist natürlich so dermaßen wrong, dass es rauscht. Und ich würde mir das auf jeden Fall ansehen. Sick, sick world.
An Iraqi reality television program broadcast during Ramadan has been planting fake bombs in celebrities’ cars, having an Iraqi army checkpoint find them and terrifying the celebrities into thinking that they are headed for maximum security prison.
The show “Put Him in [Camp] Bucca” has drawn numerous protests but has stayed on air throughout the fasting month, broadcasting its “stings” on well-known Iraqi personalities.
Punk’d, Iraqi-Style, at a Checkpoint

Sonntag, 5. September 2010

GEZ-Reform: Neuer Gesetzentwurf bestätigt ungezügelten Datenzugriff durch Haushaltsabgabe

Heiko Hilker
Carta veröffentlicht neuen Gesetzentwurf zur Haushaltsabgabe: Großunternehmen und Besitzer von Ferienwohnung werden gegenüber ersten Planungen entlastet, Behinderte stärker belastet. Entgegen dem Versprechen der Politik ist die neue Abgabe nicht einfacher – ihre datenschutzrechtlichen Kollateralschäden sind hingegen abenteuerlich.
05.09.2010 | 
von Heiko Hilker und Jürgen Scheele
Mitte Mai veröffentlichte Carta einen von der Rundfunkkommission der Länder insgeheim vorbereiteten Staatsvertragsentwurf für einen geräteunabhängigen Rundfunkbeitrag. Daraus wurde ersichtlich, dass die seinerzeit zumindest nach außen hin offengehaltene Frage, ob es zu einer allgemeinen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe komme, hinter den Kulissen – und unabhängig von dem im nachhinein die verfassungsrechtliche Legitimation erteilenden Kirchhof-Gutachten – längst entschieden war.

Anfang Juni vollzogen die Ministerpräsidenten unter Federführung Kurt Becks (SPD) das längst Gewollte dann lediglich für die mediale Öffentlichkeit nach. Entgegen der in Presse und Rundfunk oft kolportierten Meinung, die Gebührenreform führe zu einer Reduzierung oder gar Abschaffung der Aufgaben der GEZ, war damals schon klar, dass das Gegenteil der Fall sein würde, vielmehr die Datensammelwut infolge des Übergangs zur Haushaltsgebühr enorm ausgeweitet würde.
Nun liegt ein überarbeiteter Entwurf zur Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (Stand: 17.08.2010) vor, der nach unserem Kenntnisstand bereits auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz der Länder am 29. September verabschiedet werden soll.

Gegenüber der von Carta im Mai veröffentlichten Version (Stand: 31.03.2010) sind die Änderungen bis auf wenige Punkte rein redaktioneller Art. Neu ist lediglich, dass Zweit- und Ferienwohnungen – sofern nicht entgeltlich durch Dritte genutzt – nicht mehr der vollen Abgabenhöhe unterworfen sind, sondern nun als sogenannte Nebenwohnungen mit einem Drittel der Gebühr in Rechnung gestellt werden. Neu ist auch die Streichung des Nachteilsausgleichs für mehr als 580.000 bislang von Rundfunkbeiträgen befreite Personen mit Behinderungen. Blinde, sehbehinderte, hörgeschädigte und behinderte Menschen müssen künftig einen Betrag in Höhe eines Drittels der Gebühr zahlen.
Ebenfalls einer Änderung unterworfen wurde die Bemessungsgrundlage für die Betriebsstättenabgabe. Bestanden zuvor noch Staffelungen für Unternehmen ab 5.000 (60 Rundfunkbeiträge), 10.000 (100 Rundfunkbeiträge) und 20.000 (150 Rundfunkbeiträge) Beschäftigten, so sollen nun alle Firmen ab 1.000 Beschäftigten einheitlich 20 Rundfunkbeiträge entrichten.

Gegenüber der ursprünglichen Version wurden somit große Unternehmen und die Besitzer von Zweit- und Ferienwohnungen entlastet. Personen mit Behinderungen hingegen sind die Verlierer der Revision – ein, wenngleich es sich abgezeichnet hatte, immer noch erstaunliches Ergebnis!

Schließlich ist als weitere Neuheit die Streichung der ursprünglich vorgesehenen Umbenennung von GEZ in „Rundfunkservicezentrale“ zu verzeichnen. Statt von einer Rundfunkservicezentrale spricht der Staatsvertragsentwurf wieder ausschließlich von einer „nichtrechtsfähigen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsgemeinschaft betriebenen Stelle der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten“.

Das aber ist nichts anderes als der eigentümliche Status, den die GEZ immer schon inne hatte und der sie im übrigen gerade dann vor Ansprüchen immunisiert, wenn Bürgerinnen und Bürger mit ihr in Konflikt geraten. Offenbar war es den Ministerpräsidenten letztendlich doch zu heiß, der Öffentlichkeit ein X für ein U vorzumachen und die GEZ lediglich umzubenennen.

Ohne Kontrolleinrichtung – hieße sie nun GEZ oder Rundfunkservicezentrale – geht es eben auch bei der Haushalts- und Betriebsstättenabgabe nicht. Doch sind die datenschutzrechtlichen Kollateralschäden gegenüber dem bestehenden gerätebezogenen Modell abenteuerlich.

Denn künftig wird es großer Kontrollanstrengungen bedürfen, gerichtsfest festzustellen, wo ein Haushalt oder eine Betriebsstätte beginnt und wo ein Haushalt oder eine Betriebsstätte aufhört. Ist eine Wohngemeinschaft ein Haushalt oder mehrere Haushalte? Sind Untermieter oder volljährige Kinder mit eigenem Raum in der elterlichen Wohnung gebührenpflichtig? Und generell: Wer alles gehört zu einem Haushalt?

Bereits der Umstand, dass zukünftig sämtliche Personen Wohnungen zugeordnet werden müssen, weist auf eine erhebliche Ausweitung in der Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten hin. Zudem wird das Innehaben einer Wohnung, einer Betriebsstätte oder eines gebührenpflichtigen Kraftfahrzeugs anzeigepflichtig, so dass alle volljährigen Personen potentiell gebührenpflichtig sind und deren bei den Landesrundfunkanstalten „unverzüglich schriftlich“ zu machenden Angaben bei Ein- und Umzug, bei An- und Abvermietung, bei An- und Abmeldung zu verifizieren sind.

Ferner werden auch künftig Wohnungen in einem erheblichen Ausmaße zu kontrollieren sein, weil sich Unstimmigkeiten und Kontrollnotwendigkeiten schon allein aus divergierenden Datensätzen ergeben. Denn die von der GEZ weiterhin zu beziehenden Daten der Einwohnermeldeämter sind teils inhaltlich nicht ausreichend, teils auch falsch, teils für die Zuordnung von Personen zu Wohnungen nicht brauchbar. Hinzu kommen Datenerhebung und Kontrolle bei Gewerbetreibenden, Selbständigen und Unternehmern, die neben den eigentlichen Verbrauchern ebenfalls belastet werden sollen.

Die Datenverarbeitung wird also beim Übergang zur Haushaltsgebühr keineswegs weniger, das Gebührenerhebungsverfahren nicht vereinfacht. Weder würde die Legitimationsschwäche des jetzigen Systems behoben, noch mehr Akzeptanz für die Gebühr in der Bevölkerung geschaffen.

Stattdessen verwandelte sich die GEZ faktisch – so die Einschätzung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig – in eine „Supermeldebehörde“ (Presseerklärung vom 02.02.2010). In einer eingehenden Analyse für Carta hatten wir selbst von einem „Dokument eines obrigkeitsstaatlichen Rundfunkgebührenstaats“ und vom Entstehen eines kaum verfassungskonformen „bundesweiten Zentralmelderegistes“ gesprochen. Diese Befunde bleiben nach Vorlage der aktuellen Version des Staatsvertragsentwurfs weiterhin aktuell. In ihm wurden keinerlei Änderungen an den unakzeptablen Kontroll-, Melde- und Auskunftspflichten vorgenommen.

Ein Schreiben der für den RBB zuständigen Brandenburgischen Landesdatenschutzbeauftragten Dagmar Hartge vom 23. April 2010 an die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz – das uns vorliegt und nachstehend in Auszügen wiedergegeben wird –, belegt vielmehr, dass der für die Erarbeitung des Staatsvertrags zuständigen Rundfunkkommission der Länder sehr wohl erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken vorlagen, jene aber bewusst übergangen wurden. In dem Schreiben heißt es:
„[…] Auf Grund der Komplexität der Thematik und des engen Zeithorizonts, der uns für eine Befassung mit der Materie zur Verfügung stand, können wir zunächst nur eine erste, kurze Stellungnahme abgeben. Insofern erheben unsere Anmerkungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Allerdings sehen wir bereits heute erheblichen Nachbesserungsbedarf bei der Formulierung normenklarer Regelungen. Wie bereits eingangs erwähnt, konnten wir keine Verbesserung zu Gunsten der Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung feststellen. Im Gegenteil: Unklare Verfahrensregelungen lassen einen starken Anstieg der Beschwerden befürchten. Der Entwurf trägt weder dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Grundsatz der Normenklarheit noch dem Grundsatz der Datensparsamkeit Rechnung.
Wir bedauern, dass der Systemwechsel nicht zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie führen wird und wenig bürgerfreundlich erscheint. [...]
Eine riesige Datenbank würde geschaffen, die weit über die Inhalte der Melderegister hinausgeht. Zudem ist eine differenzierte Zugriffsberechtigung, beispielsweise nach den einzelnen Rundfunkanstalten, nicht vorgesehen. Obwohl seit Jahren von Seiten der zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten kritisiert, hätte jeder Sachbearbeiter einen bundesweiten Zugriff auf diese Datenbank. Gleiches gilt für die Rundfunkgebührenabteilungen der Rundfunkanstalten sowie (teilweise) die Rundfunkgebührenbeauftragten. [...]
Im Absatz 2 [aus § 2] wird die Vermutungsregel aufgestellt, dass Inhaber einer Wohnung derjenige ist, der dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder im Mietvertrag als Mieter genannt wird. Mit dieser problematischen Definition des Wohnungsinhabers sowie der Definition der Wohnung im Sinne des § 3 StV-E unternimmt der StV-E ersichtlich den Versuch einer vom Melderecht unabhängigen Definition dieser Begriffe. [...]
Gleichzeitig halten wir die Pflicht der Betroffenen, bei Ab- und Ummeldung (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 3 [in der Version vom 17.08.2010: § 8 Abs. 3 und Abs. 5 Nr. 1 und 3] a.E. StV-E) die Daten der verbleibenden Bewohner zu übermitteln, für unverhältnismäßig. In vielen Fällen würde eine unzulässige, weil doppelte Datenerhebung bei den Rundfunkanstalten die Folge sein. Durch regelmäßige Datenübermittlungen von den Melderegistern werden die in Rede stehenden Angaben bereits vorhanden sein. [...]
Auch bezüglich der Beachtung des Übermaßverbotes und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz haben wir Bedenken. So meldet zunächst der Betroffene selbst seine Daten. Dann erfolgt eine Meldung über die Meldeämter. [...]
[...] hinreichend sicherstellen dürfte, dass die Landesrundfunkanstalten bzw. die Rundfunkservicezentrale über die für ihre Aufgabenerfüllung notwendigen Daten verfügen. Hinzu kommt die vorgesehene regelmäßige Datenübermittlung seitens der Meldebehörden. Damit besteht nach derzeitiger Einschätzung kein Anlass, eine zusätzliche Datenerhebung bei Dritten zuzulassen. [...]
Mit Inkrafttreten des Staatsvertrages ist die Datenübermittlung der gesamten Datenbestände aller Meldebehörden an die jeweiligen Rundfunkanstalten vorgesehen. Diese wiederum können Dritte bzw. die Rundfunkservicezentrale mit der Datenverarbeitung beauftragen. Dadurch entstünde ein bundesweites Melderegister. Inwieweit eine solche Datenbank verfassungskonform, d. h. verhältnismäßig wäre, ist fraglich. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 90, 60) hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass bei der Finanzierung des öffentlichen Rundfunks lediglich sichergestellt werden muss, dass dieser die ihm zukommende Funktion im dualen System erfüllen kann und er zugleich wirksam davor geschützt ist, dass die Entscheidung über die Finanzausstattung zu politischen Einflussnahmen auf das Programm genutzt wird. [...]“
Es muss als bemerkenswert bezeichnet werden, dass keinerlei dieser Einwände bei der Überarbeitung des Staatsvertragsentwurfs nicht nur nicht berücksichtigt wurden, sondern darüber hinaus auch im weiteren keine Mitwirkung der Landesdatenschutzbeauftragten stattfand.

Die Behauptung des für den Rundfunk zuständigen Sächsischen Staatsministers Johannes Beermann (CDU): „Das haben wir mit den Datenschutzbeauftragten der anderen Bundesländer erörtert, und die haben daran nichts zu beanstanden” (Interview mit der Sächsischen Zeitung, 17.07.2010), ist unzutreffend. Eine Zustimmung bzw. Unbedenklichkeitserklärung zur Haushaltsgebühr durch die Landesdatenschutzbeauftragten liegt ausdrücklich nicht vor.
Beermanns Aussage belegt allenfalls eines: Die Ministerpräsidenten der Länder wollen im Falle der Haushaltsgebühr weiterhin mit dem Kopf durch die Wand. Es wird Zeit, dass dem undemokratischen Treiben in den Hinterzimmern der Rundfunkkommission ein Ende gesetzt wird.

Elefanten, die Trauer tragen

 

Afrikanische Elefanten (Loxodonta africana) spielen mit den Knochen skelettierter Artgenossen und halten an Kadavern Totenwache. Trauern die grauen Riesen wie Menschen?

Haben Elefanten, die Fähigkeit zu trauern? Manche Forscher glauben das (Foto von: NDR Naturfilm/Studio Hamburg DocLights)In kenianischen Nationalparks tragen die Stars der Savanne Menschennamen. Die Geschichten der trauernden Elefanten lassen sich so viel besser erzählen. Es sind die Geschichten von Eleanor, Grace, Flores und Eudora - und die von Flores beginnt mit ihrem Tod.

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Haben Elefanten, die Fähigkeit zu trauern? Manche Forscher glauben das

Die Geschichte von Flores und Eudora

Die Elefantenkuh starb, 40 Jahre alt, im Amboseli-Nationalpark an Herzversagen. Die vermeintliche Trauergesellschaft, die nach dem Tod des Rüsseltieres beobachtet wurde, ist eine der wenigen, die je gefilmt wurde (siehe Video "Trauernde Elefanten"): Leitkuh Eudora und ihre Herde versammeln sich mit schlackernden Ohren rund um den Kadaver, ein junger Elefantenbulle will Flores zum Aufstehen bewegen, knufft sie mit seinen Stoßzähnen, tritt sie - nur beinahe zärtlich - mit Füßen. Verhaltensforscher folgern: Der Bulle und die Kühe trauern um Flores.

Forschungsobjekt Elefant

Emotionen sind ein Selektionsvorteil. Darwin argumentierte bereits in seiner Evolutionstheorie, dass Gefühle wie Angst, Wut und Überraschung die Überlebenschance einer Spezies deutlich erhöhen. Deshalb, so der Naturforscher, hätten sie sich evolutionär ausgebildet.

Ob Afrikanische Elefanten (Loxodonta africana) tatsächlich Emotionen empfinden können, ist nicht sicher. Ihr Gehirn weist jedoch ausgeprägte Strukturen eines limbischen Systems auf - des Areals, das für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist. Außerdem gelten die grauen Riesen als klug, haben ein gutes Gedächtnis und verhalten sich besonders sozial. Diese Hinweise auf eine emotionale Intelligenz wurden in verschiedenen Studien bereits belegt.

Das Leben der Amboseli-Elefanten beispielsweise wird seit Jahrzehnten aufwändig dokumentiert. Die US-Amerikanerin Cynthia Moss hat 1972 am Kilimandscharo das "Amboseli Elephant Research Project" (1972) initiiert. Teammitglieder und Wissenschaftler aus aller Welt beobachten seitdem jeden Tag das Leben der 1500 Elefanten im Park: Sie notieren Wanderbewegungen, Geburts- und Todestage. Sie sammeln Kotproben für Genanalysen, analysieren die Sozialstrukturen der Herde und das Verhalten der Dickhäuter. Alle Tiere sind katalogisiert und diejenigen, die die Forscher besonders häufig sehen, tragen Namen. Genau wie Eleanor und Grace, die Elefantinnen aus einem anderen Nationalpark.


Die Geschichte von Eleanors Totenwache
Die Geschichte von Eleanor, Grace und ihrer Herde erzählen GPS-Signale. Ebenfalls in Kenia, diesmal im Samburu Nationalpark, brach die Mutterkuh Eleanor nach einem Schlangenbiss zusammen. Eine Nacht lang versuchte die Elefantin Grace ihre nicht-verwandte Artgenossin auf den Beinen zu halten, richtete sie mit den Stoßzähnen immer wieder auf. Vergebens. Die Kuh starb.

Der britische Biologe Ian Redmond erfasste zu der Zeit die Wanderungsbewegungen der Tiere mit GPS-Sendern. Deren Signale belegen: "Tag für Tag kamen die Elefanten in der Mittagshitze zum Kadaver und hielten Totenwache", so Redmonds Bericht. Abends jedoch wanderten die Dickhäuter teilweise bis zu acht Kilometer weit, um Futter zu finden. Am nächsten Morgen marschierten sie acht Kilometer zurück zu der toten Eleanore. Mit einem elefantischen Durchschnittstempo von fünf Stundenkilometern.

Gefühle sind nicht nachweisbar

Forscher wie Moss und Redmond schlussfolgern aus solchen Verhaltensmustern, dass Elefanten "eine dem Menschen ähnliche Fähigkeit zu Mitgefühl" haben – und berichten von weiteren Hinweisen auf eine hohe emotionale Intelligenz der Tiere: Elefanten beschnüffeln Kadaver, an denen sie auf Wanderschaft vorbeiziehen. Sie spielen mit deren Skeletten oder tragen die Knochen manchmal tagelang mit sich. Im Chobe-Nationalpark in Botswana wird gar erzählt, dass (wohlgemerkt namenlose) Dickhäuter die Körper toter Artgenossen vor Raubtieren und Aasfressern beschützt haben.

Doch ist das tatsächlich ein Beweis für Trauer? Einige Wissenschaftler zweifeln daran und werfen ihren Kollegen vor, die menschliche Gefühlswelt auf die Tiere zu projizieren. Einen Beleg für trauernde Elefanten gebe es nicht. Der plötzliche Tod eines Artgenossen könnte die Dickhäuter auch einfach verwundert oder überrascht haben. Gefühle sind schlicht nicht nachweisbar.

In Botswana werden Dickhäuter auf ein neues Leben im Busch vorbereitet. Auch menschliche Besucher können im Abu Camp das Wildnis-Abitur ablegen

Die Geschichte eines Elefanten ohne Namen

In dieser letzten Erzählung gibt es keinen Namen: Als im Januar 2006 in Kenia ein Bus einen jungen Elefanten rammt und er mitten auf der Autobahn reglos liegen bleibt, dreht seine Herde durch. Rund 30 Tiere stürmen auf die Fahrbahn, einige laufen drohend auf den Bus zu, während andere versuchen, das Kalb mit ihren Stoßzähnen von der Straße zu schieben. Die Schnellstraße ist stundenlang blockiert, die Menschen müssen im Bus und ihren Autos ausharren bis es einigen Wildhütern gelingt, die Dickhäuter zu vertreiben. Allein der Kadaver bleibt zurück.

Mit dem Skelett des kleinen Elefanten spielt heute kein Artgenosse: Die Einwohner der von einer Dürre geplagten Region zerlegten den Körper und teilten das Fleisch untereinander auf.

Von Helden und Monstern

Ein Foto von Dominik Brunner an seinem Grab (Foto: DPA)Dominik Brunner starb, als er vier Kinder vor zwei Angreifern beschützen wollte - und wurde posthum als Held gefeiert. Nun endet der Prozess um seinen Tod. Die Suche nach der Wahrheit ist schwieriger, als gedacht.


Es ist schon später Nachmittag, als an jenem 12. September 2009 zwei junge Männer den Manager Dominik Brunner am Bahnhof München-Solln verprügeln. Die beiden hatten in der S-Bahn vier Kinder belästigt und angepöbelt. Brunner hatte sich schützend vor die Kinder gestellt. Die darauffolgende Schlägerei am Bahnsteig dauert nur rund 90 Sekunden, dann lassen die 17 und 18 Jahre alten Schläger den Schwerverletzten am Boden liegen. Brunner schafft es noch einmal, kurz aufzustehen, bricht dann aber wieder zusammen. Eine gute Stunde später, um 18 Uhr 20, stirbt der 50-Jährige in einer Münchner Klinik.

Einer der beiden Angeklagten: Markus S. (Foto: DPA)
Brunners Tod löst deutschlandweit Entsetzen aus. Am Bahnsteig in München-Solln legen Menschen hunderte Blumen, Gestecke und Texte nieder. Die Sollner sind verstört. Das gutbürgerliche Viertel mit seinen vielen Einfamilienhäusern und schicken Villen gehört zu den besseren im laut Polizeistatistik ohnehin recht friedlichen München. "Wenn so was in einem Problemviertel wie dem Hasenbergl oder Neuperlach passiert, dann wären wir vielleicht nicht so bestützt gewesen. Aber ausgerechnet hier im beschaulichen Münchner Süden", sagt eine ältere Sollner Dame zu Reportern und schüttelt den Kopf.

Brunner wird zum Helden

Modell für ein Denkmal für Dominik Brunner (Foto: DPA)Posthum bekommt Dominik Brunner mehrere Auszeichnungen. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler verleiht ihm das Bundesverdienstkreuz. Medien und Politik machen ihn zum Vorbild in Sachen Zivilcourage. Eine Stiftung wird nach ihm benannt und im Fröttmaninger Stadion, das normalerweise kurz vor Spielbeginn einem Hexenkessel gleicht, fordert Uli Hoeneß, Präsident des FC-Bayern, die Fans zu einer Schweigeminute für Brunner auf - und 60.000 Menschen gedenken dem Toten von Solln.

Die beiden schmächtigen jungen Männer, die Dominik Brunner zusammengeschlagen hatten, werden wenige Meter vom Tatort entfernt von der Polizei festgenommen. Boulevardzeitungen beschreiben sie als Monster und eiskalte Killer. Kurz vor der Bundestagswahl, die zwei Wochen nach dem Verbrechen in Solln stattfindet, rufen einige Politiker nach härteren Strafen. Beate Merk, Bayerns Justizministerin von der CSU, nimmt den Tod von Dominik Brunner zum Anlass, um - wieder einmal - eine Verschärfung des Jugendstrafrechtes zu fordern. 

Todesursache Herzstillstand

Die Münchner Staatsanwaltschaft erhebt Anfang Februar Anklage wegen Mordes aus niederen Beweggründen. Laut Staatsanwaltschaft wollten sich die beiden an Dominik Brunner rächen, weil er sie in der S-Bahn daran gehindert hatte, vier Kinder zu berauben. "Die zwei Täter haben selbst dann noch auf ihr Opfer eingetreten, als dieses bereits am Boden lag. Mit Tritten gegen Kopf und Rumpf haben sie in Kauf genommen, ihm tödliche Verletzungen beizubringen und Herr Brunner ist dann auch an diesen Verletzungen gestorben", so Barbara Stockinger, Sprecherin der Münchner Staatsanwaltschaft.

Die Staatsanwaltschaft erwähnt damals allerdings nicht, dass Brunner am Bahnhof in Solln einen Herzstillstand erlitten hat. Der Manager hatte einen krankhaft vergrößerten Herzmuskel. Von dieser Erkrankung wusste Dominik Brunner nach Aussagen von Freunden und Angehörigen aber nichts. Ohne den Herzfehler hätte der Manager die Schlägerei in Solln überlebt. Diese Details erfährt die Öffentlichkeit jedoch erst während des Prozesses im Juli durch die Aussagen eines Gerichtsmediziners.

Staatsanwaltschaft fordert hohe Haftstrafen

Für die Verteidiger der beiden Angeklagten ist das ein entscheidender Punkt. Nach den Aussagen des Gerichtsmediziners sagen die Anwälte in Interviews: "Wir gehen jetzt davon aus, dass der Mordvorwurf vom Tisch ist." Die Staatsanwaltschaft dagegen sieht das anders: "Kein Straftäter könne erwarten, dass sein Opfer hundertprozentig gesund ist."

Erst die brutalen Schläge hätten den Herzstillstand ausgelöst, so Anklagevertreterin Verena Käbisch. Sie bleibt im Falle des älteren Angeklagten bis zum Schluss der Meinung, dass das Verbrechen ein Mord war und fordert für ihn zehn Jahre Haft -mehr geht nicht im Jugendstrafrecht. Dem Jüngeren der beiden kann die Staatsanwaltschaft auch nach Anhörung von über 50 Zeugen und mehreren Sachverständigen keinen Tötungsvorsatz mehr nachweisen. In ihrem Plädoyer spricht die Staatsanwältin nur noch von einer Körperverletzung mit Todesfolge, fordert aber dennoch acht Jahre Jugendhaft. Die Anwälte plädieren auf Strafen von deutlich unter sieben und dreieinhalb Jahren.

Zeugen: "Brunner hat als erster zugeschlagen"

Neben der Todesursache Herzstillstand haben die Anwälte bei ihrer Verteidigungsstrategie noch einen weiteren Trumpf: Gleich mehrere Zeugen schildern glaubwürdig, dass Dominik Brunner als erster zugeschlagen habe. Das bringt das Bild vom vorbildlich agierenden Helden in der Öffentlichkeit kräftig ins Wanken.

Die Anwälte betonen, man wolle Brunners Ruf nicht schädigen. "Der 50-Jährige kann nichts dafür, dass er auf ein hohes Podest gestellt wurde und ihn Medien und diverse Politiker zum Helden machten. Er hat sich in der S-Bahn, als er sich schützend vor die vier Kinder stellte und die beiden Angeklagten in die Schranken wies, sicherlich vorbildlich verhalten", so Verteidiger Jochen Ringler.

"Warum ist er nicht einfach weitergegangen?"
Todesanzeigen Dominik Brunner (Foto: DPA) 
Ob Brunners Verhalten dann kurze Zeit darauf am S-Bahnhof in Solln auch noch vorbildlich war, ist aber mehr als fraglich. Nach allem, was man aus Zeugenaussagen inzwischen weiß, ging der Manager dort einer körperlichen Auseinandersetzung nicht aus dem Wege. Er entstieg mit den Kindern der S-Bahn, blieb stehen, zog sich seine Jacke aus und wartete auf die beiden jungen Männer in einer Stellung, die von einigen Zeugen als "Kampfhaltung" interpretiert wurde. "Warum ist er nicht einfach mit den Kindern weitergegangen", fragen die Verteidiger.

Die Staatsanwaltschaft betrachtet Brunners ersten Schlag als Notwehr. Das spätere Opfer habe gar keine andere Wahl gehabt, musste den ersten Schlag setzen, um einen Angriff abzuwehren. Die Richter haben es nicht einfach. Welcher Interpretation des Geschehens sie sich anschließen, stellt sich am Montag (06.09.2010) heraus. Um 9 Uhr wird im Schwurgerichtssaal des Münchner Landgerichtes ein Urteil gesprochen.

Autor: Ernst Weber
Redaktion: Dennis Stute / Kay-Alexander Scholz

Kafka pur: Justizposse um illegale Razzia

Kein Geld für niemand


Diese Geschichte könnte kaum absurder sein: Ermittler filzen die Wohnung eines Berliner Autonomen und beschlagnahmen seine Handys. Zu Unrecht, stellt der Bundesgerichtshof fest. Der Mann verlangt eine Entschädigung - und geht leer aus. Einen Ausgleich gibt es nämlich nur bei rechtmäßigen Razzien.

Berlin - Bernhard Feder hat im Laufe der vergangenen 30 Jahre so seine Erfahrungen mit der Justiz gemacht. Die meisten fand er unerfreulich. Das konnte als Hausbesetzer und Autonomer in Berlin-Kreuzberg auch schwer anders sein.

Er sei "für Sachen verurteilt worden, mit denen ich nichts zu tun hatte", erzählt der 45-Jährige gut gelaunt in einem französischen Restaurant unweit des Schlesischen Tors in Kreuzberg. Er sei umgekehrt in einer Art ausgleichender Gerechtigkeit für Vorwürfe, die zutrafen, nicht verurteilt worden. "Aber so etwas wie jetzt ist mir noch nicht passiert."

Die Hamburger Justizbehörde ist dafür verantwortlich, was Feder so entsetzt. Die Juristen der Hansestadt haben ihm die Entschädigung für Kosten verweigert, die durch eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung entstanden - mit einer Begründung, die Feder zweimal lesen musste, um sie zu glauben.

Denn in dem Brief stand: Weil der Bundesgerichtshof entschieden habe, dass die von der Bundesanwaltschaft beantragte Durchsuchung seiner Wohnung rechtswidrig war, sei der Antrag auf Entschädigung abgelehnt. "Eine Entschädigungspflicht" bestehe nur "für Schäden, die durch rechtmäßig vollzogene vorläufige Strafverfolgungsmaßnamen entstanden sind".

Aber von vorne. Am Anfang dieser Justizposse stand ein Buch. Ein Werk mit dem Titel "Autonome in Bewegung - aus den ersten 23 Jahren". Es erschien 2004 unter dem Pseudonym "AG Grauwacke", herausgegeben von fünf Berlinern. Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz waren der Ansicht, dass Feder und seine Mitautoren zu einer Gruppe gehörten, die seit den achtziger Jahren bei den Berliner Autonomen im Hintergrund die Fäden ziehe.

Hausdurchsuchung morgens um 8 Uhr
Die Verfassungsschützer fütterten die Bundesanwälte in Karlsruhe mit einem Dossier an. Prompt beantragten die obersten Strafverfolger der Republik im August 2006 beim Bundesgerichtshof eine umfassende Überwachung von Feder und seinen Genossen. Beamte des Landes- und Bundeskriminalamtes observierten ihn; sein Telefon wurde abgehört, mit einer Videokamera hatten Ermittler stets den Eingang des Mietshauses im Blick, in dem Feder wohnte. Seine Post und die Telefongespräche überwachten Verfassungsschützer zu diesem Zeitpunkt schon länger als vier Jahre.

Dass Ermittler hinter ihm her waren und ihm die "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" vorwarfen, bemerkte Feder erst, als die Überwachung schon ein Dreivierteljahr lief. Am 9. Mai 2007 lag er morgens um 8 Uhr im Bett und starrte in die Mündung einer Pistole, berichtet er. Polizisten hätten kurz geklopft, im nächsten Moment die Tür eingeschlagen und seien zur Hausdurchsuchung in die Wohnung gestürmt. Von 8 bis 18 Uhr stellten 18 Mann unter Führung eines Bundesanwalts sein Zimmer auf den Kopf, berichtet Feder. Dabei beschlagnahmten sie unter anderem drei Mobiltelefone. Eines davon brauchte Feder unbedingt für seine Arbeit als Autokurier.

An jenem Tag marschierten Polizisten auch bei 14 weiteren Beschuldigten zur Razzia ein. Sie alle standen unter Verdacht, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. Der Vorwurf: Sie sollen vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm Brandanschläge in Norddeutschland propagiert, geplant und verübt haben.

Nach der Razzia sah sich Feder sein Auto genauer von unten an und fand einen mit schwarzem Klebestreifen umwickelten Kasten, einen GPS-Sender des Bundeskriminalamts, mit dem sich der Opel jederzeit orten ließ. Als Freunde der "Antifaschistischen Linken" auf die Idee kamen, den Sender öffentlich zu versteigern, leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung und Hehlerei gegen Feder ein. Es wurde später eingestellt.

"Kafka pur"
Der Bundesgerichtshof entschied schließlich, dass Feder und seinen Mitbeschuldigten keine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen werden könne, sondern höchstens Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Da die mit den Ermittlungen betraute Hamburger Staatsanwältin aber auch dafür keinerlei Beweise sah, stellte sie das aufwendige Verfahren im September 2008 ein.

Feders Anwältin beantragte eine Entschädigung für den Kauf eines Ersatz-Mobiltelefons und für Anwaltskosten, die vom Amtsgericht Hamburg auch bewilligt wurde. Die Justizbehörde hingegen lehnte dies ab. Feder klagte dagegen, er möchte von der Justizbehörde 370 Euro.

"Kafka pur", sagt der 45-Jährige über die Ermittlungen gegen ihn und seine einstigen Genossen aus der Autonomenszene. Besonders überrascht ist er allerdings nicht. Er bespricht schon lange nichts Privates mehr am Telefon. Die Staatsschützer seien so "nachtragend wie Elefanten", sagt er. Das habe er schon lange gelernt.

Als die Justizkasse Hamburg nun Feder aufforderte, einen Vorschuss auf die Prozesskosten in Höhe von 105 Euro zu bezahlen, hatte er genug. Er werde diese Angelegenheit nicht weiterverfolgen, beschloss er: "Diese Reise durchs Absurdistan der deutschen Justiz werde ich mir ersparen."

Nicht erspart aber blieb ihm eine "Zahlungserinnerung" der Justizkasse Hamburg - denn schon die Einreichung der Klage war gebührenpflichtig. Er solle 35 Euro überweisen, ohne dass irgendetwas geschehen sei, klagt Feder. "Das schürt bei mir ein wenig die Politik- und Staatsverdrossenheit."

Samstag, 4. September 2010

Problemfall SchWesterDelle

FDP bekommt Führungsdebatte nicht in den Griff

FDP-Chef Westerwelle: Kann er den Umschwung noch schaffen?
 
Kann "es" den Umschwung noch schaffen?
Der Streit um die Lesterwelle reißt nicht ab: Die Partei befinde sich in einem Zustand zwischen "Verzweiflung, Wut und Lethargie", sagte der schleswig-holsteinische Fraktionschef Kubicki. Schuld an der miesen Situation sei auch die Kanzlerin, behaupten führende Liberale.

Der Spitze gelingt es nicht, die Führungsdebatte in der Partei zu beenden. Die Stimmung sei noch schlechter als in den neunziger Jahren, als die Partei reihenweise Landtagswahlen verlor.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen W. "Die nächsten Monate werden darüber entscheiden, ob die FDP wieder zur alten Stärke zurückfindet", sagt der hessische Fraktionschef Florian Rentsch. "Das ist für W. eine große Aufgabe. Es gibt nicht mehr viel Zeit für die Verbesserung der Performance."
Eine Partei brauche nicht unbedingt eine Führungsfigur, so Rentsch: "Die Grünen liegen bei 20 Prozent, und sie haben auch keine Ein-Mann-Spitze." Er kritisiert, die FDP habe sich auf die Finanz- und Steuerpolitik konzentriert, aber das operativ entscheidende Finanzministerium nicht beansprucht. "Das ist eines der Hauptprobleme, und das ist nicht revidierbar."

Auch der einflussreiche baden-württembergische Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke äußert Zweifel an W's Fähigkeit, die Partei aus der Krise zu führen. "W kann den Imageumschwung noch schaffen", sagt er. "Aber das wird viel Zeit kosten."

Wenn die bürgerliche Mehrheit in Baden-Württemberg verlorenginge, "dann hätte nicht nur Guido ein Problem, sondern auch Mutti M.", sagt Rülke. Scharfe Kritik üben die FDP-Politiker auch an der Bundesmutti: "Das Schicksal der FDP hängt auch Mutti M.", sagt Rülke. "Wenn die Mutti M.", die Erfolge der eigenen Regierung nicht organisieren kann, dann wird es schwer."

Gerhard Papke, FDP-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, sieht die Probleme ebenfalls bei Mutti M. "Es vermittelt den Eindruck von Chaos, wenn sich Kabinettsmitglieder fast täglich widersprechen", sagt er. "Da ist die Mutti M. gefragt. Sie muss endlich ihrer Frühingssrolle gerecht werden - ausschwitzen hilft jetzt nicht mehr weiter."

Die FDP steckt seit Monaten in Sumpfapatiewelle. Bei jüngsten Umfragen kamen die Liberalen gerade einmal auf fünf Prozent. Viele Mitglieder machen Westerwilli für die Krise verantwortlich. Seine Doppelrolle als A-Mußister und Parteiclown wird scharf kritisiert, Mitglieder forderten öffentlich den Rückzug vom Amt des Partyvorsitzenden - was für Westerwilli offenbar nicht in Frage kommt.

Afghanen belagern Kabul Bank

Anleger größter afghanischer Bank fürchten um ihr Geld
Kabulbank
 
Angst um Ersparnisse

Nachdem die Topmanager der größten afghanischen Bank unter Korruptionsverdacht geraten sind, fürchten Anleger in Afghanistan um ihr Geld. Trotz Beteuerungen von Staatspräsident Hamid Karsai, die Einlagen seien sicher, bestürmen seit Tagen Kunden die Filialen der Kabul Bank, um ihr Erspartes abzuheben.

Über die 2004 gegründete Kabul Bank werden die Gehälter der Soldaten, Lehrer und Beamten ausgezahlt, die heute fällig sind. Auch bereiten sich die Menschen auf das Eid-Fest zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan vor, zu dem Geschenke und Kleidung gekauft werden. Seit Mittwoch sollen die Anleger allerdings bereits mehrere hundert Millionen Dollar abgezogen haben. Die "Washington Post" berichtet, der Bank seien die US-Dollar ausgegangen. Sie könne nur noch Afghanis auszahlen. Offenbar hätten in den vergangenen Tagen vor allem Geschäftsleute ihr Geld abgezogen. Mittlerweile kämen immer mehr Kleinanleger zu den Banken.

US-Zeitungen hatten berichtet, die afghanische Zentralbank habe die beiden obersten Führungskräfte der Kabul Bank abgesetzt und den Aufsichtsratsvorsitzenden aufgefordert, Luxus-Immobilien im Wert von 160 Millionen Dollar zurückzugeben, die er in Dubai gekauft haben soll. Karsais Bruder Mahmud habe mietfrei in einem dieser Häuser in den Emiraten gewohnt, berichtete die "Washington Post".
Kunden der Kabul Bank lassen sich ihr Erspartes auszahlen (Foto: dpa)

Über die Kabul Bank werden die Gehälter der Staatsbediensteten ausgezahlt.

Vergeblich beteuerte Präsident Karsai, die Kabul Bank und die Einlagen seien sicher. Der Zentralbank stünden 4,8 Milliarden Dollar zur Verfügung, um eine Finanzkrise zu verhindern. Zentralbankchef Abdul Quadir Fitrat hatte bereits am Mittwoch versichert, die Zentralbank stünde hinter der Kabul Bank, an der der Bruder von Präsident Karsai Anteile hält. Die Regierung werde niemals zulassen, dass die Kabul Bank pleite gehe, sagte Fitrat. Die Bank habe keinerlei Probleme, Geld auszuzahlen, nirgendwo im Land. Die beiden Führungskräfte hätten die Bank freiwillig verlassen, nachdem neue Regeln erlassen worden seien, wonach Anteilseigner nicht Manager der Bank sein dürften.

Anleger haben das Vertrauen verloren

Schlangen vor der Kabul Bank (Foto: dpa)Weil sie weder dem Banksystem, noch dem Präsidenten trauen, heben viele Menschen ihr Geld ab

"Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, was unsere Führer sagen", sagte der Arzt Gholam Omar. "Die Bank wird in zwei Tagen zusammenbrechen, wenn der Run weitergeht. Ich habe 13.000 Dollar angelegt, und ich will alles abheben."

Ungewöhnlich lange Schlangen vor anderen Banken lassen die Furcht vor einer Ausweitung der Krise wachsen. "Ich habe gerade meine ganzen 1800 Dollar abgehoben", sagte Mohammed Usman am Ausgang des privaten Geldhauses Asis. "Wenn die Krise heute die Kabul Bank trifft, kann sie morgen Asis erreichen. Ich will lieber auf der sicheren Seite sein."

Freitag, 3. September 2010

Wulff will Merkels Okay zum Sarrazin-Rauswurf

Jetzt merkt jeder, das Herr Wullff nur der "Hampelmann" der Kanzlerin ist. Laut Gesetz ist er der entscheidende Mann in dieser Angelegenheit und zwar ohne wenn und aber. Sein Zögern zeigt, daß er vielleicht noch ein Minimum an Respekt vor der Meinungsfreiheit hat, deshalb ruft er jetzt nach "Mutti", damit er später eine Ausrede für die Nachwelt hat. Die politische Elite ist einfach nur noch peinlich.