Von Christoph Schult, Jerusalem
Ehud Olmert ist planlos, überhastet und mit unrealistischen Zielen in den Libanon-Krieg gezogen. Das hat eine Untersuchungskommission dem israelischen Premier jetzt offiziell bescheinigt - trotzdem stellte er am Abend klar: Ein Rücktritt kommt nicht in Frage.
Es war kurz nach den israelischen Parlamentswahlen vor knapp einem Jahr. Amir Peretz, der Vorsitzende der Arbeitspartei, bat Jossi Beilin um Rat, seinen Freund aus dem linken Friedenslager. Er wolle doch so gern Finanzminister werden, sagte Peretz zu Beilin - aber Premierminister Ehud Olmert habe ihm das Verteidigungsministerium angeboten. Beilin riet seinem Freund Peretz, das Angebot anzunehmen: Es sei doch ein wichtiges Zeichen, wenn erstmals in der israelischen Geschichte ein Zivilist die Armee kontrolliere, frohlockte der Friedenspolitiker.
Beilins Freude sollte schnell in Entsetzen umschlagen. Wenige Wochen später zogen die Zivilisten Olmert und Peretz in einen Krieg gegen die libanesische Hisbollah - der bald als Fiasko galt.
Olmert wird von der Kommission beschuldigt, voreilig in den Krieg gezogen zu sein. "Der Premierminister hat überhastet einen Entschluss gefällt, obwohl ihm kein detaillierter militärischer Plan vorlag und er auch keinen einforderte." Er habe unrealistische Kriegsziele wie die Rückführung der beiden von der Hisbollah entführten Soldaten verkündet und diese auch nicht korrigiert, als klar wurde, dass sie nicht zu erreichen seien.
"Mangel an Erfahrung und Wissen"
Verteidigungsminister Peretz wird in dem Bericht vorgeworfen, der Armeeführung blind gefolgt zu sein und sich kein unabhängiges Bild von der Lage gemacht zu haben. "Sein Mangel an Erfahrung und Wissen hielt ihn davon ab, auf kompetente Weise den Premierminister und die Armee herauszufordern", erklärte der Kommissionvorsitzende.
An dritter Stelle kritisieren die Autoren des Berichts den damaligen Generalstabschef Dan Chalutz. Wider besseres Wissen habe Chalutz dem Kabinett eingeredet, dass die Armee auf einen derartigen Krieg vorbereitet sei. "Er machte die politische Führung nicht auf die Komplexität der Lage aufmerksam", urteilt die Kommission. Chalutz habe dem Kabinett Informationen und Pläne vorenthalten, "die eine besere Antwort auf die Herausforderungen ermöglicht hätten".
Die Kritik der Kommission fiel weit schärfer aus als erwartet. Armeechef Chalutz war ihr zuvorgekommen - er ist schon vor Monaten zurückgetreten. Verteidigungsminister Peretz dagegen muss sich Ende Mai der Neuwahl des Arbeitspartei-Vorsitzes stellen. Umfragen sagen ihm eine Niederlage voraus.
Bündnis von Arbeitspartei und Kadima gefährdet
Peretz' Nachfolge im Parteivorsitz und Verteidigungsministerium entscheidet auch über Olmerts Schicksal. Ein Sieg des als Hardliner geltenden Ex-Premiers Ehud Barak könnte die Koalition und damit Olmerts Zukunft retten. Setzt sich aber der für seine Kriegskritik bekannte frühere Marinechef Ami Ajalon durch, könnte das Bündnis mit Olmerts Kadima-Partei auseinanderbrechen.
Olmert wandte sich am Abend in einer Fernsehansprache an die Nation, lehnte einen Rücktritt ab: "Das wäre nicht korrekt. Ich habe nicht die Absicht zurückzutreten". Er wolle Schlüsse aus dem "ernsthaften, schwierigen Bericht" für seine Politik ziehen. Er gab zu: "Fehler wurden gemacht."
Klar ist: Nach dem verheerenden Kriegsbericht braucht Olmert dringend Erfolge. Seine Zustimmung in der Bevökerung ist auf unter zehn Prozent gesunken, für Donnerstag hat sich eine ungewöhnlich breite Demonstration gegen die amtierende Regierung auf dem Rabin-Platz von Tel Aviv angesagt.
Kommen wollen sowohl Vertreter des linken Lagers wie Beilin als auch Likud-Chef Benjamin Netanjahu. Sogar in Olmerts eigener Kadima-Partei rumort es, dem Sammelbecken ehemaliger Sozialdemokraten und Likud-Politiker. Die beliebte Außenministerin Tzipi Livni hat frühzeitig an die Medien durchgestochen, wie sie während des Krieges auf eine politische Lösung des Libanon-Konflikts drängte. Und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, derzeit stellvertretender Premierminister, sagte der Kommission: "Wäre es nach mir gegangen, wäre ich nicht in diesen Krieg gezogen."
Der Abschlussbericht der Kommission steht erst noch aus
Zwar wollen die parteiinternen Gegner erst den Abschlussbericht der Winograd-Kommission abwarten. Doch der verheißt ebenfalls nichts Gutes. Bisher hat sich die Kommission nur den ersten fünf Tagen des Krieges gewidmet. Ab sofort soll es um den weiteren Verlauf der Militäroffensive gehen - und der ist ebenfalls kein Ruhmesblatt für Armee und Kabinett, soviel steht fest: Soldaten waren so schlecht ausgerüstet, dass sie ihre Eltern bitten mussten, Schutzwesten und Helme zu kaufen. Die Geheimdienste hatten ungenaue und veraltete Landkarten geliefert. Streubomben kamen zum Einsatz, deren Gebrauch sogar die USA kritisierten.
Gar nicht zu reden von den rund eine Million Israelis, die wegen der Hisbollah-Raketen unter zum Teil katastrophalen Bedingungen wochenlang in den Bunkern ausharrten. Schließlich ist da noch die Bodenoffensive, vor der die Regierung lange zurückschreckte - und die dann drei Tage vor Ende der Kämpfe doch noch angeordnet wurde.
Olmert hat in Dutzenden Interviews gesagt, erst durch diese Bodenoffensive seien die wichtigsten Kriegsziele erreicht worden: die Verdrängung der Hisbollah von der Grenze, die Stationierung der libanesischen Armee im Südlibanon und die Stärkung der Uno-Blauhelmtruppen.
Das ist ein zentraler Punkt, schließlich war ein Viertel aller getöteten israelischen Soldaten in den letzten drei Kriegstagen gefallen. Nur die Bodenoffensive habe den Uno-Sicherheitsrat gezwungen, eine Israel-freundliche Waffenstillstands-Resolution zu verabschieden, behauptet Olmert.
Doch auch dieses Argument hat seine Halbwertszeit überschritten. Ob die israelische Bodenoffensive den Text der Resolution noch verändert habe, wurde kürzlich John Bolton gefragt, der damalige US-Botschafter bei der Uno. Bolton, ein erklärter Israel-Freund, antwortete kurz und bündig: "Das ist nicht korrekt."