Von Guido Kleinhubbert
- Polizisten in NRW wollen das Anziehen als Dienstzeit anerkannt bekommen.
- In erster Instanz hat ein Beamter gewonnen, das Land befürchtet Millionenkosten.
Acht Minuten vor dem Schichtwechsel betritt Polizeihauptkommissar Hartmut Rulle das Treppenhaus der Wache Münster-Nord. Er geht eine Etage nach unten, läuft über einen vollverkachelten Kellerflur und erreicht eine Tür, hinter der leise Männerstimmen zu hören sind. Was da gerade hinter der Tür passiere, sei eine Sache fürs Gericht, findet Rulle.
Der Mann von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) klopft an, öffnet und tritt in einen Raum voller teilentkleideter Polizisten. Die Beamten schlüpfen vor ihren Holzspinden gerade in beige-grüne Diensthosen, zerren an den Klettverschlüssen ihrer ballistischen Unterziehwesten, machen Doppelknoten in ihre Funktionsschuhe oder spannen das Dienstkoppel, an dem Pistole, Handschellen und das Reizgassprühgerät befestigt sind.
Die Polizisten tun, was jeden Tag Millionen Menschen tun in Deutschland: Sie legen ihre Dienstkleidung an. Aber sie wollen dafür künftig entlohnt werden.
Uniformiert und ausgerüstet
Denn wie man in diesem Umkleideraum ja sehe, erklärt Rulle, müssten die Beamten sich bereits einige Minuten vor dem offiziellen Schichtwechsel in der Wache einfinden. Nur so sei es ihnen möglich, den Vorschriften entsprechend pünktlich uniformiert und ausgerüstet zu sein. Das Problem: Der einzelne Polizist bekomme diese Minuten, die er an seinem Arbeitsplatz verbringe, aber weder bezahlt, noch dürfe er sie abfeiern. So schenke er dem Land Nordrhein-Westfalen fürs An- und Ausziehen jeden Tag etwa eine Viertelstunde seiner Freizeit. "Das akzeptieren wir nicht mehr", sagt Rulle. Denn man müsse mal nachrechnen: 15 Minuten am Tag bedeuteten etwas mehr als einen halben Tag pro Monat und eine ganze Woche im Jahr.
Der Münsteraner Kreisgruppenvorsitzende Rulle und seine Mitstreiter vom Landesverband der GdP kämpfen deswegen dafür, dass ihre etwa 16.000 Kollegen im Wach- und Wechseldienst nun einen Ausgleich für das unentgeltliche Uniformieren bekommen, etwa eine Woche Extra-Urlaub. Wahlweise sollten die Beamten in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland das Recht erhalten, die Minuten fürs Knöpfen und Knoten auf ihrem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Wer das dann zum Beispiel 30 Jahre lang anspare, könne mindestens ein halbes Jahr früher in Pension gehen, schätzt Rulle.
Auf dem Weg zu mehr Freizeit sieht es gar nicht schlecht aus für die Gewerkschaft. Denn Anfang Juli hat das Verwaltungsgericht Münster im Sinne eines klagenden Polizeioberkommissars und GdP-Vertrauensmannes entschieden, der die sogenannte Rüstzeit als Dienstzeit anerkannt haben wollte. Das Urteil hat noch keine Rechtskraft, weil das Land NRW Berufung eingelegt hat - und die Sache nun vom Oberverwaltungsgericht in Münster klären lassen will.
Es geht um viel
Für das Land geht es um viel: Um die Personallücken auszugleichen, die großzügigere Urlaubs- oder Überstundenregelungen verursachen würden, müssten etwa 400 zusätzliche Beamte eingestellt werden. Kosten: rund 20 Millionen Euro.
Dass vor deutschen Gerichten um Kleidung und Körperpflege gestritten wird, kommt immer wieder mal vor. Ein Müllmann wollte Geld fürs Duschen, verlor aber; der Koch eines Selbstbedienungsrestaurants ging bis ans Bundesarbeitsgericht, weil er fürs Anziehen am Morgen und fürs Ausziehen am Abend bezahlt werden wollte, unterlag dort aber seinem Arbeitgeber. Eine Krankenschwester wiederum wollte den Weg von ihrer Station zum Umkleideraum als Arbeitszeit angerechnet bekommen - und bekam Recht.
Zumeist seien es allerdings keine Angestellten, sondern Beamte, die mit ihren Arbeitgebern um Minuten feilschten. Die täten sich "wegen des gesicherten Dienstverhältnisses" etwas leichter, sagt Rechtsanwältin Sabrina Klaesberg, deren Kanzlei die Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster vertrat.
"Schutz und Sicherheit"
Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Polizeiuniform nicht für den privaten Gebrauch tauge. Im Gegensatz etwa zum Anzug eines Bankangestellten sei die Dienstkleidung eines Polizisten "eine allein auf Gewährung von Schutz und Sicherheit ausgerichtete Ausrüstung". Es sei zudem eine "ungerechtfertigte Ungleichbehandlung", dass den Motorradkollegen und Fahrradstreifen das Anlegen ihrer Leder- und Radlerkluft sehr wohl als Dienstzeit anerkannt werde.
Für die GdP sind die NRW-Kollegen schon seit Jahren die Stiefkinder der deutschen Polizei. Die Beamten hätten in den vergangenen Jahren "sehr viele Zumutungen" hinnehmen müssen, klagt GdP-Landeschef Frank Richter. So sei zum Beispiel die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden auf 41 erhöht und das Weihnachtsgeld erheblich gekürzt worden. Der Rechtsstreit um die Rüstzeit ist insofern auch ein bisschen als Rache zu verstehen.
Richter lässt daher auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass er im Falle eines Erfolgs am Oberverwaltungsgericht auf einen personellen Ausgleich für die urlaubenden Beamten bestehen würde. Schließlich gehe es doch um die Sicherheit des Landes.