Das Bild des sich duckenden US-Präsidenten prangt auf fast allen Titelseiten, im Fernsehen läuft das Video der Attacke immer wieder und Tausende demonstrieren in Bagdad für die Freiheit des Schuhwerfers. Die Protestaktion eines Journalisten hat in Irak eine Debatte über die Grenzen von Kritik ausgelöst.
Von Carsten Kühntopp, Amman
George W. Bush machte gute Miene zu den fliegenden Schuhen. Kurz nach dem Zwischenfall sagte der US-Präsident dem Sender ABC, die Sache habe ihn amüsiert. Er habe ja schon viel Bizarres während seiner Amtszeit erlebt, aber dies sei sicherlich eines der eigenartigsten Ereignisse gewesen. Bush hatte gerade während einer Pressekonferenz mit dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki gesprochen und sich auf Arabisch bei Maliki bedankt, als erst ein Schuh, dann der nächste geflogen kam.
Er konnte sich nicht beherrschen
Der Schuhewerfer rief: "Das ist ein Abschiedskuss des irakischen Volkes, Du Hund!" und fügte dann noch hinzu: "Das ist von den Witwen und den Waisenkindern und denen, die im Irak getötet wurden." Bush duckte sich und konnte den Schuhen ausweichen, der Angreifer wurde überwältigt und aus dem Saal gezerrt. Er heißt Muntazer Al Zaidi, ist 28 Jahre alt und Chefreporter des Fernsehsenders Al Baghdadiya, eine unabhängige Station, die aus Kairo sendet. Mohammed Abdul Rahman, ein Kollege des Reporters: "Er konnte sich nicht mehr beherrschen, denn Herr Bush sprach von den Erfolgen im Irak, von den Errungenschaften, die er im Irak erzielt habe, von der Demokratie." Aber die Iraker selbst könnten das einfach nicht feststellen, im Gegenteil. Es gebe keinen Strom, keine Infrastruktur und keinen Wiederaufbau. "Deshalb wollte er Bush erniedrigen und ihm auf diese Weise sagen: Du bist ein Lügner!"
Im Namen der Meinungsfreiheit
Ein anderer Kollege beschrieb Al Zaidi als engagierten Journalisten, der aber aus seiner Abneigung gegen die ausländischen Soldaten im Irak nie einen Hehl gemacht und stets von der "Besatzung" des Landes gesprochen habe. Letztes Jahr war Al-Zaidi für kurze Zeit als Geisel in der Hand schiitischer Milizen. Nach dem Zwischenfall gestern schleppten irakische Sicherheitsbeamte Al Zaidi aus dem Saal und schlugen und traten ihn dann, bis er - so ein Augenzeuge - "wie eine Frau geheult" habe. Sein Sender verlangt die sofortige und bedingungslose Freilassung des Reporters, "im Namen der Demokratie und der Meinungsfreiheit", wie es in einer Stellungnahme hieß. Eine regierungskritische Nachrichtenagentur in Baghdad gratulierte Al Zaidi zu seinem - so wörtlich - mutigen Auftreten. Der Chef der irakischen Organisation für Pressefreiheit sprach hingegen von "unprofessionellem Verhalten".
Das passende Lebewohl
Der Schuhwurf auf Bush war für die meisten Menschen in der arabischen Welt ein Ereignis von großer Symbolkraft. Auch heute, einen Tag danach, ist er das Thema in den Nachrichtensendern, immer und immer wieder werden die Fernsehbilder aus Bagdad gezeigt. Jemandem die Schuhsohlen hinzuhalten, ist eine der schlimmsten Formen der Beleidigung in diesem Teil der Welt. Bush war nach Bagdad gekommen, um sich zu verabschieden. Aus Sicht vieler Iraker bekam der US-Präsident das Lebewohl, das er verdient hat.
- Bagdad: Journalist wirft Schuhe auf US-Präsident Bush
- Bush und der Schuh Clemens Schlegel, DW
- Schuhwurf: "Verdientes" Lebewohl? Cartsen Kühntopp, Amman
Ironie der Geschichte
Bei Bushs Pressekonferenz habe sich der schuhewerfende Journalist einfach nicht zurückhalten können - so Mohammed Abdul Rahman, ein Kollege des Mannes in Baghdad: "Er konnte sich nicht mehr beherrschen, denn Herr Bush sprach von den 'Erfolgen' im Irak, von den Errungenschaften, die er im Irak erzielt habe, von der Demokratie - dabei können wir das einfach nicht feststellen." Ganz im Gegenteil, es gebe keinen Strom, keine Dienstleistungen und keinen Wiederaufbau. "Deshalb wollte er Bush beleidigen und ihm sagen: Du bist ein Lügner, so kannst Du mit uns nicht umgehen." Es sei eine Ironie der Geschichte, so Abdul Rahman: Nachdem Bush Saddam Hussein gestürzt habe, hätten die Iraker damals, 2003, die Statue des Diktators mit Schuhen geschlagen - nun sei es Bush, der die Schuhe der Iraker abbekomme.
120 Milliarden Dollar verpufft
Vor der Pressekonferenz hatten Bush und Maliki symbolisch ihre Unterschriften unter das Abkommen über die künftige US-Militärpräsenz gesetzt. Alle Kampfeinheiten sollen bis Juni kommenden Jahres die irakischen Städte verlassen - und das gesamte Land bis Ende 2011. Wie gewaltig groß das Versagen der scheidenden US-Administration im Irak ist, geht aus einem internen Regierungsbericht hervor, aus dem die "New York Times" am Wochenende zitierte. Das Geld, das bis Mitte diesen Jahres für den Wiederaufbau des Irak ausgegeben wurde - an die 120 Milliarden US-Dollar -, sei nahezu wirkungslos verpufft. In Washington habe man nicht genug über das Funktionieren der irakischen Gesellschaft verstanden, es hätten Ignoranz und Inkompetenz geherrscht.
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