Sonntag, 4. Oktober 2009

Rebellion in der Ölprovinz

Randale am saudischen Nationalfeiertag

Es begann als ausgelassene Feier und endete in einem Desaster: Am saudischen Nationalfeiertag am vergangenen Wochenende haben etwa 200 junge Männer in der Ölprovinz Dammam Läden und Restaurants attackiert. Einige Randalierer wurden bereits dafür ausgepeitscht, andere in Erziehungsheime überstellt. Wie konnte das passieren?, fragt die saudische Öffentlichkeit jetzt.

Von Esther Saoub, ARD-Hörfunkstudio Dammann

Sie tragen saudische Fahnen über den Schultern, manche auch vor dem Gesicht. Doch statt zu feiern, zerstören sie: Sie werfen Steine in Schaufenster, treten Türen ein, schüchtern die Kunden ein. Mahmoud Sabri, Filialleiter bei Starbucks direkt an der Uferpromenade von Dammam, stand in der Nacht hinter dem Tresen: "Die waren da draußen und haben den Nationalfeiertag gefeiert, hier drin war Betrieb. Plötzlich flogen Stühle durch die Luft, Tische, Steine", berichtet er. "Die Jungs haben dann die Türen aufgebrochen und das Geld aus der Kasse gestohlen." Das ganze habe nur zehn Minuten gedauert, aber diese zehn Minuten seien eine Katastrophe gewesen. "Gott sei Dank wurde niemand verletzt".

In der Familienabteilung hätten die Angestellten die Türen verrammelt. "Die Randalierer zertrümmerten das Glas, aber konnten nicht herein", berichtet der Filialleiter weiter. "Hier waren Kinder, manche Frauen sind vor Angst ohnmächtig geworden. Alle waren geschockt. Das waren 50 Jungs." Die Bilanz am nächsten Morgen: 180 Festnahmen und ein Dutzend geschädigte Geschäftsleute. Was die Randalierer nicht mitgenommen haben, haben sie zerstört.

Die Wasserpfeife - ein Stück erkämpfte Freiheit

Rauchende Männer vor einem Straßencafé in Bahrain - in Saudi-Arabien ein Stück Freiheit.

Einige Tage später wenige Kilometer weiter südlich: Hier liegt die Uferpromenade, die Corniche, von Qatif, einer Nachbarstadt. Es ist kurz vor neun Uhr abends. Einige Jungs spielen Fußball. Daneben sitzen drei junge Männer auf Klappstühlen. Die Wasserpfeife blubbert. Alltäglich in anderen arabischen Ländern, aber hier in Saudi-Arabien ein Stück hart erkämpfte Freiheit: "Wenn ich irgendwo anders sitzen würde, käme gleich die Sittenpolizei und würde sagen: 'Die Wasserpfeife ist verboten!' Weil man in der Öffentlichkeit ist, hier darf man nicht rauchen."

Die Männer sind zwischen Anfang und Ende zwanzig, zwei haben Jobs, einer sucht noch. Was sie in ihrer Freizeit machen? "Die meisten Orte in Saudi-Arabien sind für Familien, alleinstehende Männer dürfen da nicht rein. Öffentlich feiern geht auch nicht. Selbst in den Einkaufszentren, in die wir dürfen, belästigt uns die Sittenpolizei", berichten die jungen Männer. "Manche Jugendlichen machen Fehler, sie sprechen Frauen an - und wir anderen zahlen dann dafür." Wenn die Wächter sähen, dass man an einem Laden zweimal vorbeilaufe oder dass man neben einer Frau gehe, "denken sie sofort, man sei nicht zum Einkaufen hier, sondern um Frauen anzumachen".

"Es gibt noch nicht einmal Autorennen"

"Jugendliche in Saudi-Arabien haben kaum Möglichkeiten, ihre Freizeit zu gestalten", sagt der Journalist Muhammad as-Saleh "Entweder sie entladen ihre Energie am falschen Ort, oder sie suchen den richtigen, aber den gibt es kaum", sagt er. Keine Literaturclubs oder Kulturvereine, keine Menschenrechtsgruppen, keine politischen Salons. Es gebe noch nicht einmal Autorennen und kaum sportliche Aktivitäten. Auch Kinos seien verboten. "Das alles unterdrückt die Ambitionen der Jugend", so der Journalist.

Kommt eigentlich nur noch eins in Frage, unter sich bleiben. "Wir setzen uns zusammen, auf der Corniche oder bei einem von uns Zuhause", erzählen die jungen Männer an der Promenade. Sie nennen das Diwaniya - ein Treffen wie unter Dichtern. "Wir unterhalten uns, schauen Fernsehen, erzählen Geschichten."

Ob sie überhaupt Frauen kennen? "Nur meine Mutter", antwortet einer und lacht. Sogar seine Kusinen verschleiern ihr Gesicht, wenn sie ihn treffen. "Beziehungen zu Frauen sind in unserer Religion verboten. Die Familien sind der Meinung, dass ihre Töchter keine Männer treffen dürfen, und wir selbst akzeptieren auch nicht, dass sich eine Frau zu uns setzt. Unmoralische Beziehungen gehen eben nicht für uns." Das sei schon ok so, murmeln die Jungs - und lachen wieder. Hat wirklich niemand eine Freundin? "Naja, manche jungen Männer haben bestimmt verbotene Beziehungen, aber das machen sie eben heimlich", so die Antwort.

Wie feiert man ausgelassen?

Die Randalierer vom Nationalfeiertag wussten nicht wohin mit ihrer Energie und sie wussten auch nicht, wie man ausgelassen feiert - denn das ist normalerweise gar nicht erlaubt im Königreich. Als dann Restauranttüren vor ihnen verschlossen blieben, weil dort nur Familien herein dürfen, sind sie ausgetickt. 20 junge Männer haben schon bezahlt für ihren Übermut: zwei Tage später wurden sie mit 30 Hieben öffentlich ausgepeitscht.

Samstag, 3. Oktober 2009

Fall Kassandra: 14-Jähriger verdächtig

Mordkommission hat Tatverdächtigen ermittelt

Im Fall der in einen Gully-Schacht geworfenen Kassandra hat die Polizei einen erst 14-jährigen Tatverdächtigen festgenommen. Er sei schon länger verhaltensauffällig und besuche eine Förderschule, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Samstag (03.10.09) mit.

Die versteckte Jacke Kassandras hatte die Ermittler auf die Spur des Jugendlichen gebracht. Der 14-Jährige sei bereits am 15. September als Zeuge vernommen worden. Dabei habe er völlig gelassen und abgeklärt gewirkt. Er hatte Hausverbot für den Spieltreff, in dem sich Kassandra vor der Tat aufgehalten hatte. Seit der Grundschule sei der Junge verhaltensauffällig und besuche eine Förderschule, erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft am Samstag (03.10.09) in Mettmann.

Mädchen schwer verletzt

Die neunjährige Kassandra war am Abend des 14. September 2009 von der Betreuung in einem Katholischen Jugendtreff nicht nach Hause zurückgekehrt. In der Nacht zum 15. September wurde das inzwischen als vermisst gemeldete Kind von einem Suchhund der Polizei in einem verschlossenen Kanalschacht in rund 1,50 Meter Tiefe gefunden. Die Neunjährige war schwer misshandelt und lebensgefährlich verletzt worden. Nur mit einer Notoperation konnte das unterkühlte Kind gerettet werden. Der Täter hatte Kassandra schwere innere Verletzungen und eine Gehirnerschütterung zugefügt. Der Gesundheitszustand des Mädchens hat sich mittlerweile stabilisiert.

Kinderschutzbund droht Liebig14-Bewohnerinnen

Im Rahmen seiner Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagne droht der Kinderschutzbund den Bewohner_innen der Liebigstr. 14 (Berlin) nun mit rechtlichen Schritten, sollte ein am Haus angebrachtes Transparent nicht bis zum kommenden Montag entfernt werden. Die Bewohner_innen rufen indes für Freitag, den 9. Oktober zu einem bundesweiten "Liebig14-Kinderschutzbund-Aktionstag" auf.
Bereits im Rahmen der Räumungsprozesse gegen das selbstverwaltete Wohn- und Kulturprozesse wurden den Bewohner_innen etliche Straftaten unterstellt. Von Seiten der Eigentümer-Gesellschaft Lila GbR wurde ihnen u.a. etliche Sachbeschädigungen, Brandstiftung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung zur Last gelegt. Beweise für all die Behauptungen gab es keine. Das war ja auch nicht nötig, schließlich handelt es sich laut Lila GbR bei den Bewohner_innen um Autonome, die ja schließlich für solcherlei Handlungen bekannt seien.

Inzwischen kann sich die Lila GbR zurück lehnen. Ihren Part hat der Deutsche Kinderschutzbund übernommen. Seit der in dieser Angelegenheit öffentlichkeitsscheue Verband darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ihr Unnaer Geschäftsführer aus reinem Profitinteresse eine ganze Hausgemeinschaft mitsamt dreier Kleinkinder räumen lassen will, stehen die Zeichen auf Sturm. Aber nicht, wie mensch glauben möchte, für den Lila-Gesellschafter Edwin Thöne; nein, für die sich wehrenden Hausbewohner_innen. Die hätten sich laut Kinderschutzbund nun wahlweise der Urkundenfälschung, der Erpressung oder der Verleumdung schuldig gemacht.

Letzteres veranlasste den Präsidenten des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, dazu, der Hausgemeinschaft mit rechtlichen Schritten zu drohen, wenn sie ein an der Liebig14 angebrachtes Banner mit der Aufschrift „Keine Räumung durch den Kinderschutzbund-Repräsentanten Edwin Thöne“ nicht bis zum kommenden Montag entfernen würden. Anlass für sein Schreiben war ein offener Brief, der in der vergangenen Woche an ihn gerichtet wurde. Weiter schreibt er, ihm fehle die rechtliche Handhabe, gegen den Unnaer Geschäftsführer des Kinderschutzbundes vorzugehen.

Dass es der Bundesverband des Kinderschutzbundes nicht vermag, Druck auf den Geschäftsführer eines Kreisverbandes auszuüben, ist schlicht unglaubwürdig. Es fehlt der Wille, sich gegen einen „Kollegen“ zu stellen, um die Hausgemeinschaft und deren Kinder vor der drohenden Räumung zu bewahren. Da hilft es auch nicht, sich hinter juristischen Argumenten zu verstecken. Die Angst, im Zusammenhang mit der polizeilichen Räumung in der Zeitung zu stehen, wiegt beim Kinderschutzbund offensichtlich schwerer als die Sorge um das Wohl der betroffenen Kinder.

Marc Emery in Haft genommen

Am Montag, den 28. September 2009, hat sich Marc Emery in die Verwahrung durch die Behörden von Kanada gestellt und erwartet die Auslieferung an die USA. Er wurde wegen seinem Hanfsamen Onlinehandel angeklagt.
Am Montag, den 28. September 2009, hat sich Marc Emery in die Verwahrung durch die Behörden von Kanada gestellt und erwartet die Auslieferung an die USA. Er wurde wegen seinem Hanfsamen Onlinehandel angeklagt. Durch einen Deal bekommt er nun eine fünfjährige Haftstrafe in den USA, versucht aber das Absitzen der Strafe in Kanada zu erreichen. Er würde in Kanada viel früher als in den USA freigelassen werden.

Es dauert jetzt bis zu zwei Monate bis der Justizminister von Kanada die Auslieferung von Marc Emery unterschreibt. Deswegen bitten wir dich, mit dem Justizminister kontakt aufzunehmen und ihn aufzufordern, die Auslieferung fallen zu lassen. Für weitere Hintergründe schau auf http://www.CannabisCulture.com (klicke auf den FREE MARC Banner).

Link zum Video: http://www.youtube.com/watch?v=J0rB5qXTFOk

Kollegen machen sich über Letterman lustig

Nach Erpressungsskandal

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen - in der US-Unterhaltungsbranche gilt das doppelt. 24 Stunden, nachdem sich David Letterman in seiner Show als Erpressungsopfer geoutet hatte, zogen ihn seine Konkurrenten durch den Kakao.

Los Angeles - Es geschah in jüngster Zeit nur noch selten, dass Jay Leno gegen seinen Kollegen und Late-Show-Konkurrenten David Letterman punkten konnte.

Leno galt jahrzehntelang als Zugpferd des Senders NBC, hatte 1992 den legendären Johnny Carson abgelöst - der eigentlich Letterman als Nachfolger präferiert hätte.

Seit 1993 traten die Entertainer Leno und Letterman, letzterer für den Sender CBS, mit ihren Shows im Spätabendprogramm gegeneinander an - bei Kritikern gilt Letterman als der geistreichere, lässigere von beiden - als der bessere. Unlängst erhielt Leno eine neue Show auf früherem Sendeplatz - und vermochte bislang kaum zu überzeugen.

Als umso schöner mag es Leno deshalb empfunden haben, den Konkurrenten endlich zum Gegenstand seiner Frotzeleien machen zu können: Letterman ist in einen Erpressungsskandal verwickelt und trat in seiner Show die Flucht nach vorn an. Vor seinem Publikum räumte er ein, mehrfach Verhältnisse mit Mitarbeiterinnen gehabt zu haben und deswegen erpresst worden zu sein. Die Sendung wurde am Donnerstagabend in den USA ausgestrahlt.

Am Freitag nun empfing Jay Leno sein Publikum mit der Bemerkung: "Wenn Sie heute Abend hier sind, um Sex mit dem Moderator zu haben, sind Sie in der falschen Show."

Auch Lenos NBC-Kollege Jimmy Fallon ("Late Show") vermochte sich folgende Bemerkung nicht zu verkneifen: "Gerade ist ein neues Buch erschienen, "Warum Frauen Sex haben", 237 Gründe sind darin aufgelistet. Letterman kennt die Top Ten."

Linke droht mit Klage gegen Schleswig-Holstein-Wahl

Überhangmandate

Laut Informationen des SPIEGEL plant die Fraktion der Linken im Kieler Landtag, vor das Landesverfassungsgericht zu ziehen. Der Vorwurf: Die Verteilung von Ausgleichsmandaten benachteilige Linke, SPD, Grüne und den Südschleswigschen Wählerverband.

Kiel - Sollte der Landeswahlausschuss das vorläufige amtliche Endergebnis der schleswig-holsteinischen Landtagswahl bestätigen, will die Fraktion der Linken vor dem Landesverfassungsgericht klagen. Der Grund: Die Verteilung von Ausgleichsmandaten für Überhangmandate benachteilige Linke, SPD, Grüne und den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), weil drei Überhangmandate, für die es keinen Ausgleich gibt, CDU und FDP zur Regierungsmehrheit im Landtag verhelfen.

"Es kann doch nicht sein, dass Schwarz-Gelb real über 27.000 Stimmen weniger hat als die anderen im Landtag vertretenen Parteien und dennoch drei Abgeordnete mehr stellt", empörte sich Heinz-Werner Jezewski, innenpolitischer Sprecher der Linken.

Wolfgang Neškovi, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, schätzt die Erfolgschancen einer Wahlanfechtung der von Peter Harry Carstensen (CDU) und Wolfgang Kubicki (FDP) angestrebten Koalition hoch ein. Durch die Entscheidung der Landeswahlleiterin werde "in letztlich verfassungswidriger Weise der Wählerwille verkürzt".

Auch die Wissenschaft gibt Rückendeckung: "Nach der schleswig-holsteinischen Landesverfassung ist eine Deckelung der Ausgleichsmandate nicht zulässig", sagt der Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok. Für den hannoverschen Staatsrechtslehrer Hans-Peter Schneider ist es "der Geist und Buchstaben des Gesetzes und der Verfassung", die Überhangmandate der CDU nicht vollständig auszugleichen.

Millionen aufgrund falscher HIV-Diagnosen verteilt

Der Gesundheitsfonds hat den Krankenkassen mehrere Millionen Euro für HIV-Infizierte überwiesen, die es in Wahrheit nicht gibt. Nach SPIEGEL-Informationen gab es einen gravierenden Fehler in einer Praxis-Software für Ärzte.

Die Krankenkassen haben aus dem Gesundheitsfonds hohe Summen erhalten, nachdem fälschlich HIV-Infektionen gemeldet wurden. Ursache sind falsche Diagnosen in Folge eines Computerfehlers. Nach SPIEGEL-Informationen hat eine unter Augenärzten weitverbreitete Praxis-Software vielen Patienten gleichsam automatisch eine Kodierziffer angehängt, die auf eine Ansteckung mit dem Aids-Virus HIV hinweist. Auf Grundlage dieser falschen Codierung bekamen die zuständigen Krankenkassen dann Extra-Zuschüsse aus dem Gesundheitsfonds. Diese betragen etwa 10.000 Euro pro Patient und Jahr.

Fachleute der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) schätzen die Höhe der Fehlzuweisungen für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung auf 160 Millionen Euro. Der Hersteller der Praxis-Software spricht von einem "Anwendungsfehler". Dieser sei zum zweiten Quartal dieses Jahres aber vollständig behoben worden.

Wie DER SPIEGEL weiter berichtet, wurde die folgenschwere Panne entdeckt, nachdem sich einige Abrechnungsexperten der Kassen über einen sprunghaften Anstieg der HIV-Infektionen gewundert hatten. Auch das Alter der vorgeblich Betroffenen erregte ihr Misstrauen - fast alle Neuinfizierten waren deutlich älter als 65 Jahre.

Elitesoldaten sprengten falsches Haus

Niels Reise, Stockholm

Sie übten einen Einsatz wie in Afghanistan: Während eines Manövers im mittelschwedischen Ort Röjdåfors kamen Elitesoldaten vom Weg ab, als sie ein Gebäude einnehmen sollten. Die Folgen waren fatal. Sie zerstörten ein Haus, das mehrere hundert Meter vom Zielobjekt entfernt lag.

Stockholm - Die 81-jährige Svea Kneppen wurde morgens um halb fünf vom Krach eines Hubschraubers geweckt, der in großer Geschwindigkeit wenige Meter über ihrem Hausdach hinwegdonnerte. "Mein Mann Gunnar und ich bekamen Angst. Wir hatten ja keine Ahnung, was eigentlich los war." Dann sei der Hubschrauber über der nächsten Hügelkuppe verschwunden.

Im värmländischen Wald von Röjdåfors bekommen die Elche zu dieser Jahreszeit höchstens an Wochenenden Gesellschaft von Pilzsammlern - am vergangenen Samstagmorgen jedoch folgten dem Helikopterlärm Soldaten in Tarnanzügen und mit schwarz bemalten Gesichtern durchs Unterholz.

Ziel der Soldaten war der mehrere hundert Jahre alte Kotberg-Hof - ein ländliches Idyll wie in den Kinderbuchklassikern über Petterson und Findus. Das Haus befindet sich in Privatbesitz, der Eigentümer hatte es der Armee für deren Übungszwecke veräußert. "Ich kann nicht fassen, warum die ausgerechnet dieses schöne Haus sprengen sollten", meint Svea. "Aber das haben sie ja dann doch nicht, sondern das andere Haus."

Das "andere Haus" liegt über zweihundert Meter entfernt und hat außer der traditionellen roten Farbe nicht viel gemeinsam mit dem Kotberg-Hof.

Kurz nach dem Helikopter-Überflug umzingelten Soldaten das Häuschen, befestigten eine Sprengladung, gingen in Deckung und zündeten. Die Explosion zerstörte den Eingang des Hauses, die übrigen Fenster und Türen sollen von der Druckwelle aus ihren Verankerungen gerissen worden sein. Dann drangen die Einsatzkräfte unter lautem Geschrei in das Gebäude ein. Wie im Lehrbuch. Geübt wurde für den Einsatz in Afghanistan: Ziele finden und zerstören. "Was für ein Glück, dass die nicht zu uns gekommen sind. Ich wäre vor Angst gestorben!", sagt Svea Kneppen.

"Das ist eine phantastische Anlage"

Röjdåfors ist ein kleiner Ort in Westschweden kurz vor der norwegischen Grenze. Die meisten der malerischen roten Holzhäuschen werden nur noch an Wochenenden und in den Ferien bewohnt. Die wenigen verbliebenen Einwohner arbeiten in der Forstwirtschaft, oder sie sind Rentner wie Svea und Gunnar. Am vergangenen Wochenende haben sie eine kleine Ahnung davon bekommen, was sich täglich in Afghanistan zwischen Zivilisten und sogenannten Beschützern aus Europa und den USA abspielt.

Peinlicherweise gehörten die an dem Manöver beteiligten Soldaten zu einer Eliteeinheit: Den Husaren des schwedischen Leibregiments K3. Die Einheit ist auf Zielerkennung- und Markierung für Luftwaffen- und Artillerieangriffe spezialisiert und stellt einen großen Teil des schwedischen Isaf-Kontingents am Hindukusch.

Zurzeit bilden die Husaren auch afghanische Soldaten im Häuserkampf und in der Zielerkennung aus. Jens Ramhöj, Presseoffizier der Einheit, gibt sich zerknirscht über das Husarenstück: "Wir wissen natürlich, dass so ein Fehler in Afghanistan schreckliche Folgen haben kann." Daher würde diese Art von Einsatz auch wieder und wieder unter möglichst realistischen Umständen geübt.

Anfang September waren die Schweden zu Besuch in Bayern, um dort gemeinsam mit deutschen Fallschirmjägern zu üben. Ramhöj berichtet begeistert vom Übungsplatz Bonnland: "Das ist eine phantastische Anlage, ein authentisches Dorf, das Hitler damals räumen und zum Übungsort machen ließ. Wir haben so etwas nicht in Schweden."

Daher übte man jetzt auch in einem Gebiet, in dem vor allem Ferienhäuser stehen. Auf die Frage, wie es zu dem fatalen Fehler kommen konnte, halten sich die Husaren bedeckt. "Vielleicht war's der GPS-Navigator, vielleicht ein Problem mit dem Kompass - wir untersuchen das noch," so Presseoffizier Ramhöj. In jedem Fall aber seien die kleinen roten Sommerhäuschen mit ihren weißen Giebeln einander zum Verwechseln ähnlich. Und es sei ja auch keiner zu Hause gewesen. "Anklopfen und fragen konnte man also auch nicht." Ramhöj lacht etwas verlegen.

"Nicht schlimm, wir sind befreundet"

Svea und Gunnar, die beiden Nachbarn, sind besonders erbost darüber, dass das Manöver nicht angekündigt gewesen sei. Im örtlichen "Ica"-Laden drehen sich die Gespräche seit dem Vorfall um nichts anderes. Manche sind empört, andere belustigt.

Vivianne Augustsson, ebenfalls eine der Alten am Ort, antwortet im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, sie würde lieber nichts sagen: "Du kommst doch von einer fremden Macht. Da sind solche Informationen doch garantiert geheim!" Das meint sie ernst. Die Heimlichtuerei nährt jedoch auch Spekulationen, es seien tatsächlich Soldaten anderer Nationen an dem Manöver beteiligt gewesen. Für das neutrale Schweden ist das ein Thema, zu dem man aus Prinzip eher schweigt.

"Was, wenn die Soldaten noch weiter vom Weg abgekommen wären? Hinterm Wald liegt Norwegen", sagt Svea. Doch darüber machen sich die schwedischen Husaren keine Sorgen. Offizier Ramhöj: "Natürlich ist so was schon mal passiert. Das gibt dann einen diplomatischen Zwischenfall. Nicht schlimm, wir sind befreundet. Aber Norwegen gehört zu den Ländern, in die wir eher selten einrücken. Eher in Länder im Mittleren Osten. Afghanistan."

Die deutschen Fallschirmjäger, mit denen die Husaren in Bayern für den Afghanistaneinsatz übten, rückten unmittelbar nach dem Manöver nach Masar-i-Scharif ab. Die Schweden üben erst einmal weiter, zuletzt auf dem Übungsplatz Cazaux in den französischen Pyrenäen. Name des Manövers: "Combined Joint Personnel Recovery Course". Zu deutsch etwa "kombinierter vereinigter Personal-Rückhol-Kurs." Bonne chance!

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Sarrazins türkenfeindliche Tiraden lösen Entsetzen aus

Von Anne Seith, Frankfurt am Main

Sarrazin: Niemanden anerkennen, der "ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert"

"Geschmacklos", "unerhört", "durchgeknallt": Die Empörung über Bundesbankvorstand Sarrazin ist groß. Der ehemalige Berliner Finanzsenator hat in einem Interview über die Hauptstadt hergezogen - und über die dort lebenden Einwanderer. Migrantenverbände verlangen eine Entschuldigung.

Ein Meister der Diplomatie war er noch nie, aber so wie jetzt ist selbst Thilo Sarrazin noch nie aus der Rolle gefallen. "Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate", sagte der Bundesbankvorstand und Ex-Finanzsenator in Berlin in einem Interview mit der Kulturzeitschrift "Lettre International": "Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden wären mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung. Ich habe dazu keine Lust bei Bevölkerungsgruppen, die ihre Bringschuld zur Integration nicht akzeptieren."

Es ist nur eines von zahlreichen Zitaten aus dem Gespräch über die Hauptstadt, das in Politik und Finanzwelt für Entsetzen sorgt. "Klasse statt Masse. Von der Hauptstadt der Transferleistungen zur Metropole der Eliten", ist der Artikel überschrieben, in dem Sarrazin über mehr als fünf Seiten hinweg mit seiner ehemaligen Wirkungsstätte abrechnet. Berlin sei belastet von der "68er-Generation" und dem "Westberliner Schlampfaktor", findet der Ex-Senator.

Für besondere Empörung sorgen jetzt vor allem die despektierlichen Beschreibungen der ausländischen Bevölkerung der Stadt. Er müsse "niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert", findet der Bundesbanker. "Das gilt für 70 Prozent der Türken und für 90 Prozent der arabischen Bevölkerung." "Türkische Wärmestuben" könnten die Stadt nicht voranbringen, sagte Sarrazin an anderer Stelle.

"Mit Maß und Mitte hat das nichts zu tun"

Man dürfe von Migranten nicht als Einheit reden, so Sarrazins These. Osteuropäer, Weißrussen, Ukrainer und Vietnamesen etwa seien durchaus "integrationswillig", sagt er. "Bei der Kerngruppe der Jugoslawen sieht man dann schon eher 'türkische' Probleme." Dazu gehört nach seiner Auffassung etwa Folgendes: "Ständig werden Bräute nachgeliefert." Seine Vorstellung wäre: "Generell kein Zuzug mehr außer für Hochqualifizierte und perspektivisch keine Transferleistungen mehr für Einwanderer."

Der niedersächsische Arbeitsminister Philipp Rösler (FDP), der vietnamesische Wurzeln hat, ist entsetzt. Man dürfe Probleme nicht schönreden, "aber das ist Polemik in die andere Richtung", sagt er. "Mit Maß und Mitte hat das nichts zu tun." Sarrazins Aussagen machten "alle Integrationsbemühungen der letzten fünf Jahre kaputt". Der Bundestagsabgeordnete und Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick findet die Äußerungen "geschmacklos und diskriminierend", so etwas dürfe ein Bundesbankvorstand auch "als Privatmann nicht in die Öffentlichkeit husten". Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu hält Sarrazin schlicht für "durchgeknallt". Die Aussagen seien "einfach nur peinlich": "In Berlin gibt es allein 6000 deutsch-türkische Unternehmer, die nahezu 20.000 Arbeitsplätze geschaffen haben", fügt Mutlu noch hinzu.

Sarrazin hat sich mittlerweile entschuldigt. Die Reaktionen zeigten, "dass nicht jede Formulierung in diesem Interview gelungen war. Mein Anliegen war es, die Probleme und Perspektiven der Stadt Berlin anschaulich zu beschreiben, nicht aber einzelne Volksgruppen zu diskreditieren", teilte er mit. Es sei ihm auch bewusst geworden, "dass Aussagen eines Vorstands der Deutschen Bundesbank wegen der besonderen Stellung der Person und der Institution von der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit und Sensibilität wahrgenommen werden. Ich werde deshalb in Zukunft bei öffentlichen Äußerungen mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen".

Die Berliner Justiz hat bereits ein Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin eingeleitet. Es werde der Anfangsverdacht der Volksverhetzung geprüft, sagte ein Sprecher der Berliner Polizei am Donnerstag. Die Bundesbank hatte sich schon vorher von den "diskriminierenden Äußerungen" ihres Vorstands "entschieden" distanziert. "Das Interview steht in keinerlei Zusammenhang mit den Aufgaben von Dr. Sarrazin bei der Bundesbank." Konsequenzen muss Sarrazin demnach wohl nicht fürchten.

Sarrazin für Entgleisungen bekannt

Dabei ist es nicht der erste Ausrutscher des schnodderigen SPD-Mannes. Sarrazin ist für seine derben Sprüche berühmt-berüchtigt. Über Berlin sagte der 64-Jährige schon früher: "Die Beamten laufen bleich und übelriechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist." Ein weiterer Spruch lautet: "Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht." Seine Tipps, wie Empfänger von Arbeitslosengeld II sich mit vier Euro täglich gesund ernähren können, sorgten bislang für die größte Welle der Empörung.

Sarrazin müsste also wissen, was er tut, wenn er über mehr als eine Seite lang seine Anschauungen zur Integrationspolitik darlegt. "Das klingt alles sehr stammtischnah", erklärt er denn auch einsichtig in dem Interview, behauptet aber: "Man kann das empirisch sehr sorgfältig nachzeichnen."

Die türkische Gemeinde in Berlin ist dementsprechend sauer über die einseitige Darstellung. "Das ist unerhört", sagte am Donnerstag der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, der Deutschen Presse-Agentur. "Sarrazin schießt häufig über das Ziel hinaus und macht sich keine Gedanken über die Auswirkungen seiner Aussagen."

Auch der Vorstandsvorsitzende der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung (TDU), Hüsnü Özkanli, und der Sprecher des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg, Safter Cinar, reagierten entrüstet. Cinar sagte, die Aussagen Sarrazins seien einseitig und unüberlegt. "Das ist absolut unter der Gürtellinie und inhaltlich völliger Quatsch." Es gebe auch eine andere, erfolgreiche Seite. "Migranten mit höherer Bildung sind Politiker im Abgeordnetenhaus. Es gibt 80 türkischstämmige Ärzte, die in Berlin eine Praxis haben, und 70 türkische Anwälte."

Özkanli betonte: "Wir tragen zum deutschen Wirtschaftssystem bei, indem wir Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen, unsere Jugend studiert", sagte er. "Was sollen wir sonst noch machen, um unseren Integrationswillen zu demonstrieren? Uns die Haare blond färben?"