Als 15-Jähriger geriet Omar Khadr in US-Gefangenschaft. Nach acht Jahren Guantánamo steht er jetzt vor dem Militärgericht, unter anderem wegen Mordes an einem US-Soldaten.
Omar Khadr war 15, ein schmächtiger Junge, der bei einer Schießerei mit der US-Armee schwere Verletzungen an Kopf und Körper erlitten hatte, als Robert Fuller ihn zum ersten Mal sah. Der in Kanada geborene Junge wurde ihm mit der tief über das Gesicht heruntergezogenen Mütze der Gefangenen in den zweiten Stock der alten sowjetischen Flugzeughalle im afghanischen Bagram gebracht.
Der "Special Agent" des FBI verhörte ihn dort siebenmal. Er befragte ihn zu Waffenverstecken, zu dschihadistischen Kämpfern in Afghanistan und zu seiner Rolle bei dem Gefecht, bei dem er schwer verletzt wurde und bei dem ein US-Soldat ums Leben kam.
Acht Jahre danach stehen sich die beiden Männer seit Mittwoch dieser Woche erneut gegenüber. Dieses Mal bei einer Anhörung vor der Militärkommission von Guantánamo. Der Kindersoldat ist im Lager von Guantánamo erwachsen geworden.
Sein Vater hat ihn dereinst aus dem kanadischen Toronto in den bewaffneten Kampf nach Afghanistan gebracht. Jetzt will ihn die Militärjustiz der USA anklagen. Unter anderem wegen Mordes an einem US-Soldaten und wegen Verschwörung gegen die USA. Khadr droht lebenslänglich.
Der Militärprozess würde der erste unter Präsident Barack Obama werden. Anstatt der ursprünglich für den vergangenen Januar angekündigten Schließung von Gefangenenlager und Ausnahmejustiz von Guantánamo wäre das eine Verschärfung der Militärjustiz im Krieg gegen den Terror. Noch nie in der Geschichte der USA ist ein Kindersoldat vor Gericht gestellt worden. Kindersoldaten gelten weltweit eher als Opfer denn als Täter.
Die Anklagebehörde im Pentagon muss tief in die Geschichtsbücher greifen, um vergleichbare Fällen zu finden. David Iglesias, Sprecher der Anklagebehörde, hat drei alliierte Militärprozesse im Nachkriegseuropa gefunden. Dabei wurden minderjährige Deutsche wegen Kriegshandlungen für das NS-Regime verurteilt.
Doch in dieser Woche in Guantánamo geht es noch nicht um das eigentliche Geschehen, sondern um das Zustandekommen der Geständnisse von Khadr. Als 15- und 16-jähriger Gefangener in den Händen von Spezialagenten wie Fuller hat der Jugendliche sich selbst massiv belastet.
Später hat er seine Geständnisse zurückgezogen und stattdessen seinen Anwälten detaillierte Schilderungen über die Folter durch US-Agenten geliefert. Unter anderem sei er mit Vergewaltigung bedroht worden, man habe ihn geschlagen, mit kaltem Wasser bespritzt, ihn auf sich selbst urinieren lassen und ihn bellenden Hunden ausgesetzt.
Der "Special Agent" ist der erste Zeuge, der im Fall Khadr vor die Militärkommission kommt. Fuller hat nach eigenem Bekunden "Hunderte" von Verhören gemacht. Er selber nennt sie "Interviews". Unter anderem erwarb Fuller nach dem August und September 2001 eine gewisse Berühmtheit. Denn dem damals in New York tätigen FBI-Agenten hatten Wochen vor den Attentaten vom 11. September Warnungen vor zwei Flugzeugentführern vorgelegen.
Vor der Militärkommission von Guantánamo ist davon keine Rede. In einem wie einstudiert wirkenden Wortwechsel mit dem Sprecher der Anklage versichert der "Special Agent", dass er bei keinem einzigen Verhör Gewalt, Drohungen oder auch nur Schreie benutzt habe. Er erklärt auch, dass er Khadr in den "Interviews" als "happy" wahrgenommen, dass der Junge gern und umstandslos ausgesagt und dass er sich nie über seine Lage beklagt habe.
Für den 23-jährigen Khadr sind die drei Stunden an diesem ersten Verhandlungstag der erste öffentliche Auftritt seit acht Jahren. Er sitzt in dem wadenlangen weißen T-Shirt, das die Gefangenen von Guantánamo bekommen. Während der "Special Agent" spricht, krault sich der junge Mann immer wieder in dem dichten Vollbart, den er jetzt trägt. Mehrfach lächelt er seinen kanadischen Anwalt an, der neben ihm sitzt.
Er sagt kein einziges Wort. Am Abend nach der Verhandlung, als Khadr wieder in die Isolation des Gefangenenlagers zurückgeführt worden ist, erklären seine Anwälte, dass die Situation vor Gericht sehr hart für ihn sei. Sie bestreiten die Berechtigung eines Prozesses gegen ihn: weil er ein Kind war, weil er gefoltert worden ist und weil Guantánamo der falsche Standort für einen Prozess ist.
Für die nächsten Tage hat die Militärkommission rund 30 Zeugen nach Guantánamo geladen. Darunter mehrere "Spezialagenten", deren Namen nicht genannt werden. Auch am Wochenende will das Gericht auf dem Militärstützpunkt tagen, wo andere Regeln gelten als im zivilen Leben.
Die Verteidiger haben bei ihren Prozessvorbereitungen mehrere Spezialagenten gefunden, die bereit wären, die Foltervorwürfe von Khadr zu bestätigen. Doch bevor sie nach Guantánamo kommen, wollen ihre Vorgesetzten beim FBI vom Vorsitzenden Richter geladen werden.