Berlin - Kürzlich auf dem SPD-Parteitag: Die Stimmung ist ausgelassen, ein Genosse stellt im kleinen Kreis die Quizfrage: "Welcher Parteiströmung gehört Sigmar Gabriel an? A. Linke, B. Netzwerker, C. Seeheimer, D. allen dreien". Großes Gelächter. Richtig sind die Antworten B und C, doch man einigt sich auf D: Gabriel, der Mann ohne Überzeugungen.
Die Episode gibt einen Hinweis darauf, warum Gabriel heute bei der Wahl zum SPD-Präsidium durchgefallen ist. Der Umweltminister erhielt nur 16 von 42 Stimmen bei der Abstimmung im Parteivorstand und lag damit abgeschlagen an letzter Stelle der 11 Kandidaten, die um zehn Plätze im Präsidium kämpften.Die Niederlage ist peinlich für einen Minister - zumal für einen, der sich zu Höherem berufen fühlt. Gabriel kann reden, er ist ein political animal wie es nur wenige gibt in der SPD. Der 48-Jährige hat das Zeug zum Kanzlerkandidaten und wird eben darum seit Jahren als Hoffnungsträger gehandelt. Wenn Beck 2009 die Bundestagswahl gegen Merkel verliert, so spekulieren nicht wenige, dann könnte die Stunde des im Amt gereiften Fachministers schlagen.
Doch wie sich nun wieder bestätigt, hat Gabriel in seiner Partei ein Image-Problem: Vor allem bei Vertretern des linken Flügels gilt er als prinzipienlos, als jemand, der mit jeder Strömung schwimmt, wenn es der Karriere dient. So einer ist der SPD suspekt - auch wenn er Parteitage begeistern kann, wie er gerade in Hamburg wieder gezeigt hat.Beck: Gabriels Niederlage "normal"
Die Parteispitze versuchte heute, die Bedeutung von Gabriels Niederlage herunterzuspielen. So ein Wahlergebnis sei "normal", sagte Parteichef Kurt Beck nach der Vorstandssitzung. Man solle da nichts "hineingeheimnissen". Dass es am Ende einen der männlichen Kandidaten treffen würde, stecke angesichts der Frauenquote "in der Logik der Sache". Auch sei allen Vorstandsmitgliedern bewusst gewesen, dass Gabriel als Minister sowieso an den Präsidiumssitzungen teilnehmen könne.
Es waren die üblichen Floskeln, mit denen böse Überraschungen hinterher bemäntelt werden. Doch verhehlte Beck nicht, dass er selbst sich Gabriel im Präsidium gewünscht hätte. Egal kann die Demütigung des Ministers dem Parteichef schon deshalb nicht sein, weil sie wieder mal das Klischee bestätigt, die SPD gehe mit ihrem Führungspersonal liederlich um. Auch muss Beck sich fragen lassen, warum er sich nicht energisch genug für seinen Kandidaten eingesetzt hat. Aus Sicht der Parteiführung wären eher der schleswig-holsteinische Innenminister Ralf Stegner oder die baden-württembergische Landesvorsitzende Ute Vogt im Präsidium verzichtbar gewesen.
Wer war schuld? Darüber scheiden sich wie immer in der SPD die Geister. Bald kursierte die Nachricht, die Parteilinke und neue Parteivize Andrea Nahles habe eine Liste mit ihren zehn Favoriten aufgestellt: Diese sollten gewählt werden. Gabriel war nicht darunter. Wer dieses Gerücht streute, blieb unklar. Aber das linke Lager reagierte empört auf die Wiederauffrischung der Königsmörder-These. Nahles hatte vor zwei Jahren den Rücktritt von Parteichef Franz Müntefering ausgelöst und steht seither unter Sabotageverdacht. "Immer, wenn was schief läuft, wird Nahles die Schuld in die Schuhe geschoben", hieß es im linken Lager. Es gebe gar keine Liste.
Besprechung im Casino
Immerhin hatten sich die linken Parteivorstandsmitglieder aber am Morgen vor der Vorstandssitzung zu einer Vorbesprechung im Casino des Willy-Brandt-Hauses getroffen. Dort äußerte die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann die Sorge, dass bei der Präsidiumswahl eine der weiblichen Kandidaten durchfallen könnte. Andere waren vor allem um Stegners Wahlergebnis besorgt.
Solche Flügel-Treffen seien ja wohl kaum revolutionär, meinte ein Teilnehmer hinterher. Aber sie haben manchmal durchschlagende Wirkung.
Personalwahlen in der SPD sind immer eine verzwickte Gemengelage aus regionalen und Flügelinteressen sowie der Frauenquote. Diesmal war klar, dass es für die Männer besonders schwierig wird. Weil in der engeren Parteiführung seit der Neustrukturierung nur noch zwei Frauen vertreten sind, hatte Beck einen Ausgleich bei den Präsidiumsplätzen versprochen. Das Präsidium wurde von 13 auf 16 Plätze erweitert. Sechs Plätze sind durch Parteichef Beck, seine Stellvertreter Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Andrea Nahles sowie Generalsekretär Hubertus Heil und Schatzmeisterin Barbara Hendricks belegt. Bei der heutigen Wahl ging es um die restlichen zehn Plätze. Angetreten waren sechs Frauen und fünf Männer.
Keine Sorgen machen mussten sich die neuen starken Frauen der Partei, die Landesvorsitzende aus Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, und die hessische Vorsitzende, Andrea Ypsilanti. Auch Fraktionsvizechefin Elke Ferner und die Bonner Oberbürgermeisterin Dieckmann erhielten gute Ergebnisse, Letztere sogar mit 41 von 42 möglichen Stimmen das allerbeste.
Linke: Gabriel selbst schuld
Auch Gabriel galt eigentlich als sicherer Kandidat. Er hatte die Unterstützung des Parteichefs. So sicher schien Gabriels Wahl, dass Beck es nicht für nötig hielt, in der heutigen Sitzung nochmals für den Minister zu werben. Beck erwähnte explizit nur die Frauen und die Ostdeutschen. Das war offensichtlich ein Fehler, einer der Teilnehmer sprach hinterher von einer "fahrlässigen Unterlassung".
Aus Sicht der Linken gibt es für Gabriels Niederlage eine einfache Erklärung: Lausige Vorbereitung. Ihr Wackelkandidat Stegner habe viele Parteivorstandsmitglieder in den vergangenen Wochen persönlich angerufen, Gabriel nicht. Stegner erhielt 28 Stimmen, Gabriel nur 16. Gabriels mieses Abschneiden zeige auch die mangelnde Unterstützung seiner eigenen Leute, der Vertreter der reform-orientierten SPD-Gruppierungen Netzwerk und Seeheimer Kreis, hieß es im linken Lager. Auch die Nordrhein-Westfalen hätten offensichtlich - wie schon in Hamburg auf dem Parteitag - den traditionellen Schulterschluss mit den Niedersachsen aufgekündigt und "eng" abgestimmt.
Gabriels Lager hingegen wittert eine linke Verschwörung. Dafür spricht, dass mit Martin Schulz ein weiterer Netzwerker nur knapp an der Blamage vorbeigeschrammt ist: Der Europapolitiker erhielt gerade so die nötigen 22 Stimmen. Damit wäre allerdings der Nichtangriffspakt aufgekündigt, den die Linke Nahles und der Rechte Gabriel im Interesse der gegenseitigen Karriereförderung vor einigen Jahren mal geschlossen haben. Gabriel selbst tat gelassen: "Wenn mich die Parlamentarische Linke nicht will, dann ist das ihr gutes Recht". Der Eindruck der Linken, dass er inhaltlich nicht ihre Positionen vertrete, sei richtig.
Welche Theorie sich auch am Ende bewahrheitet - für Gabriel ist es eine Erinnerung an vergangene Zeiten, als die Partei ihn häufiger hängen ließ. Angefangen hatte seine Durststrecke 2003 mit der verlorenen Landtagswahl in Niedersachsen. Sein Zwischenjob als Pop-Beauftragter der SPD trug ihm nur den Spottnamen "Siggi Pop" ein.
Erst als Franz Müntefering ihn 2005 als Umweltminister vorschlug, war Gabriel wieder da. Erfolgreich arbeitete er an einem neuen Image: An die Stelle der alten Sprunghaftigkeit trat plötzlich ernsthaftes Interesse an Sachthemen. Zuletzt galt er als Kandidat für die Nachfolge Peter Strucks im Fraktionsvorsitz.
Daran ändert die Niederlage im Präsidium zunächst nichts. Aber sie weist doch auf ein Problem hin, an dem Gabriel und seine Strategen noch arbeiten müssen, wenn er denn mal Kanzlerkandidat werden will: Für was steht Sigmar Gabriel eigentlich?