Donnerstag, 12. Februar 2009

Zionismus in der Sackgasse

Nach den Wahlen wird in Jerusalem ein breiter rechter Block ins Parlament einziehen. Israels Linke hat diesen Rechtsruck nicht nur mitvollzogen, sondern mit verschuldet.

Will man optimistisch sein, kann man behaupten, dass sich Israel in eine Sackgasse gewählt hat. Die Wahlergebnisse bezeugen, dass ein massiver, sich von Benjamin Netanjahus rechtskonservativer Likud-Partei bis zu den rechtsextremen Ultras der israelischen Parteienlandschaft erstreckender Block zustande gekommen ist, der jegliche Koalitionskonstellation, die sich linksliberal zu gerieren anmaßte (von genuiner linker Gesinnung rede man erst gar nicht), zu verhindern vermöchte.

Moshe Zuckermann, 59, ist Soziologe und leitete von 2000 bis 2005 das Institut für Deutsche Geschichte in Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm: "Israel - Deutschland - Israel. Reflexionen eines Heimatlosen" (Passagen Verlag).

Zugleich errang aber Zipi Livnis Kadima die größte Wählerzahl als Einzelpartei, womit sie beim israelischen Staatspräsidenten den zumindest formalen Anspruch erheben darf, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Aus dieser Pattsituation dürfte in den kommenden Tagen und Wochen jenes unsägliche Koalitionsbildungsgerangel erwachsen, welches nach jeder Parlamentswahl in den letzten zehn Jahren die Defizite des israelischen Wahlsystems, mithin die zutiefst unstabile Regierbarkeit Israels immer wieder plastisch vor Augen führt.

Optimistisch mag dies jene stimmen, die sich aus der Ohnmacht der Sackgasse den Kompromiss der Parteien, also die strukturelle "Ausgewogenheit" von links und rechts erhoffen. Besieht man sich aber das Wahlergebnis genau, sollte klar werden, dass die Sackgasse zwar in der Tat eine ist, aber unweigerlich unter dem Primat der israelischen Rechten ihr erbärmliches Dasein fristen wird, wenn Netanjahu, der aller Voraussicht nach mit der Regierungsbildung beauftragt werden wird, sich nicht entscheiden sollte, besagten rechten Block gleich als seine Koalition zu offerieren.

Dass ihm daran nicht gelegen sein kann, hat weniger mit seiner Gesinnung zu tun. Denn nicht nur ist Netanjahus politische Ausrichtung von Haus aus rechts, mit den martialischen Slogans dieser Richtung hat er auch seinen Wahlkampf geführt: keine Verhandlungen über die Golanhöhen und über Jerusalem, kein Rückzug aus dem Westjordanland (den Palästinensern will er lediglich die Unzulänglichkeit eines "ökonomischen Friedens" anbieten), dafür aber die ewig taugliche "Bekämpfung des Terrors" und die stets abrufbereite "iranische Gefahr".

Netanjahu kann sich dennoch keine aus Bausteinen des israelischen Rechtsextremismus gebildete Regierungskoalition leisten. Nicht nur, weil sie ihn zur außenpolitischen Bewegungslosigkeit verurteilen würde (womit er selbst freilich recht gut leben könnte). Sondern weil sie ihn auf Konfrontationskurs mit dem neuen US-Präsidenten und - in seinen Augen wohl weniger bedeutend - mit der EU bringen könnte. Auch Netanjahu wird wissen, dass die fröhlichen Tage der Bush-Ära, in denen sich Israel nahezu alles an Politischem und Militärischem in der Region herausnehmen konnte, ohne dafür von der Politelite der USA diplomatisch zur Rechenschaft gezogen zu werden, vorbei sind. Wie er diesem Dilemma zu entgehen gedenkt, um die fällige Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen, steht vorerst in den Sternen geschrieben.

Was indes über dieses Ungemach der israelischen Politik hinausgeht und die gravierende Erosion, die sich in diesen Wahlen vollzogen hat, indiziert, sind zwei andere Erscheinungen. Zum einen ist mit dem Fiasko der Arbeitspartei - ein Wahlergebnis, das die pessimistischsten Prognosen unterboten hat - ihr politisches Schicksal und mit ihm das der gesamten zionistischen Linken auf lange Jahre hinaus besiegelt worden. Amos Oz jüngst proklamierte Feststellung, die Arbeitspartei habe ihre historische Rolle ausgespielt, mag mit diesem Wahlergebnis in der Tat eine symbolische Bestätigung erfahren haben. Aber man vergesse nicht das noch wesentlich desaströsere Wahlergebnis der linkszionistischen Meretz-Partei, der sich Oz im Wahlkampf großtönend angeschlossen hatte. Es verweist darauf, dass sein Diktum nicht nur für die Arbeitspartei, sondern vermutlich für die gesamte zionistische Linke gilt.

Das ist freilich nicht ganz neu. Schon vor Jahren hat sich die Arbeitspartei ihres historischen Auftrags beraubt, als sie die sozialen Belange der gebeutelten israelischen Gesellschaft immer mehr aus den Augen verlor. Innen- wie außenpolitisch begann sie sich so sehr an die Likud-Partei anzugleichen, dass man von ihr in manchen israelischen Kreisen schließlich nur noch als "Likud B" sprach. Und als Jitzhak Rabin in einem schicksalsträchtigen historischen Moment sein Bestreben, den Gegenentwurf zur Likud-Ideologie zu verwirklichen, mit dem Leben bezahlte, erwies sich seine Partei als unfähig, den politischen Mord in einen Gesinnungsauftrag umzusetzen. Sie begab sich in einen Winterschlaf, der seit damals andauert und aus dem sie wohl kaum noch erwachen wird.

Den drastischen Rechtsruck, den die israelische Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des Osloprozesses und dem Ausbruch der zweiten Intifada erfuhr, hat die Arbeitspartei nicht nur mitvollzogen, sondern in erheblichem Maß auch mitverschuldet. Die nunmehr manifest gewordene Erbärmlichkeit der Meretz-Partei ist, so besehen, nur ein Epiphänomen von Abläufen, auf die diese Protagonistin des linken Zionismus kaum noch Einfluss nehmen konnte.

Zum anderen ist mit dem rasanten Aufstieg Avigdor Liebermans im gerade abgelaufenen Wahlkampf etwas angezeigt, das als symptomatisch für eine über Lieberman und seine Partei hinausgehende Gesamtentwicklung angesehen werden muss. Denn nicht darum, dass er zum allseits hofierten Königsmacher und Zünglein an der Waage der parlamentarischen Regierungsbildung avancieren konnte, geht es; auch nicht allein um die faschistische Rhetorik, die er während seiner Wahlkampagne so perfide und grobianisch wirksam gegen Israels arabische Bürger einzusetzen wusste. Was mit Schrecken erfüllt, ist der für selbstverständlich erachtete Umstand, dass der Vertreter einer Gesinnung, die vor zwanzig Jahren mit Meir Kahanes Kach-Bewegung, der er eine Zeit lang angehörte, für illegal erklärt wurde, nunmehr den Konsens so vieler in Israels politischem Diskurs genießt. Nicht Lieberman ist das Problem, sondern der gewaltige Zuspruch, den er inzwischen erhält.

Man hat seinen großen Erfolg mit der "prekären Sicherheitslage", mit grassierender "Angst" und der Sehnsucht nach einem "starken Mann" zu erklären versucht. Das mag seinen realen Wahrheitskern haben und ist doch zu eng gegriffen. Denn Lieberman tritt nicht als jemand auf, der reale Lösungen für die anstehenden Probleme und Auswege aus dem Wust innerisraelischer Widersprüche und Konflikte zu bieten hätte. Vielmehr erscheint er als jemand, der dabei ist, den gordischen Knoten akuter israelischer Aporien durchhauen zu wollen.

Der in diesem Zusammenhang von ihm artikulierte Rassismus ist nur Symptom; der in der israelischen Gesellschaft real vorwaltende das eigentliche Problem - das Problem der Gesellschaft selbst, nicht minder aber auch das eines seit langem in die Krise geratenen Zionismus.

MOSHE ZUCKERMANN

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