Freitag, 20. Februar 2009

Die heiße Show der Daten-Piraten

Die heiße Show der Daten-Piraten

Von Ralf Sander

Während es im Stockholmer Gerichtssaal beim Raubkopierer-Prozess gegen die Betreiber der Website The Pirate Bay paragrafentrocken zugeht, tobt draußen ein schrilles Medienspektakel. Die Angeklagten verstehen es seit Jahren, sich als moderne Robin Hoods zu inszenieren. Ihre schärfste Waffe ist das Internet.

Knapp 50 Euro sind kein Schnäppchen für eine Eintrittskarte. Schon gar nicht für einen Prozess, für den im Normalfall Tickets überhaupt nicht verkauft werden. Doch in diesem Verfahren gegen die Verantwortlichen des Internetportals The Pirate Bay am Gericht in Stockholm ist nichts normal. Und wo die Nachfrage größer ist als das Angebot, blüht der Schwarzmarkt. Der Journalist Oscar Swartz ist für das US-Magazin "wired.com" vor Ort und berichtet, wie er am ersten Verhandlungstag in einer Ecke der Eingangshalle des Gerichts konspirativ einen Platz im voll besetzten Verhandlungssaal gekauft hat. "Der Pirate-Bay-Prozess ist die heißeste Show in Stockholm", sagt Swartz. Und damit genau das, was die Angeklagten wollen.

Vor Gericht stehen Fredrik Neij, Gottfrid Svartholm Warg und Peter Sunde. Sie betreiben das Internetangebot The Pirate Bay (TPB), ein Verzeichnis für Musik, Filme, Bücher, Software, Videospiele und fast alles andere, das sich digitalisieren lässt. Es gibt viele Websites dieser Art, doch mit rund 1,6 Millionen eingetragenen Dateien gilt TPB als die größte.

Viele, sehr viele der aufgelisteten Werke werden ohne Zustimmung der jeweiligen Rechteinhaber zum Download angeboten. The Pirate Bay macht zwischen legal und illegal erstellten Dateien keinen Unterschied und führt alles gleichberechtigt in seinem Verzeichnis. Deshalb liegen Neij, Warg und Sunde seit Eröffnung der Piratenbucht im Jahr 2003 im Clinch mit Anwälten der Musik-,. Film-, Buch- und Softwarebranche. Die Anklage, die zum Prozess führte, lautet dann auch "Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung". (Ausführlichere Informationen zu den juristischen und technischen Hintergründen finden Sie in dem Artikel "Darum geht es im Pirate-Bay-Prozess"). Es gibt außerdem einen vierten Angeklagten, Carl Lundström. Der Geschäftsmann soll The Pirate Bay finanziell unterstützt haben, er ist aber eher eine Randfigur.

Spott und Hähme

Kurz nach dem Start des Angebots vor mehr als fünf Jahren trafen die ersten Schreiben von Juristen ein: Musikverlage forderten die Löschung der Links zu illegal vervielfältigter Musik. Filmstudios drohten mit Schadenersatzklagen wegen Raubkopien von Blockbustern, die über The Pirate Bay zu finden waren. Immer wiesen die Schweden alle Vorwürfe von sich, löschten keinen einzigen Eintrag in ihrer Suchmaschine. Ihre Argumentation war jedes Mal die Gleiche wie auch zurzeit vor Gericht: The Pirate Bay beherberge keine einzige Raubkopie, sondern zeige lediglich den Weg, wo etwas zu finden sei - ob legalen oder illegalen Ursprungs. Das sei nach schwedischem Gesetz rechtmäßig.

Doch bei dieser rationalen Argumentation beließen es die "Piraten" nicht: In ihren Antwortschreiben verspotteten sie die Gegenseite, stellten die Anwälte als Idioten dar und benutzten auch mal "Fuck yourself" als Grußformel. Zudem veröffentlichten sie die Korrespondenz für jeden sichtbar auf ihrer Website. (Beispiele finden Sie in der Bilderstrecke "Dreiste Zitate der Pirate-Bay-Macher".)

Ihre Unverfrorenheit und ihr provokantes Vorgehen haben Anakata, Tiamo und Brokep - so lauten die Pseudonyme von Warg, Neij und Sunde - im Netz zu Kultfiguren gemacht. Viele sahen in ihnen eine Art Asterix und Obelix, die in ihrem gallischn Dorf umzingelt sind und dennoch nicht aufgeben. In diesem Fall ist der Feind aber nicht das römische Heer, sondern die Unterhaltungsindustrie, die einen Kampf um die Wahrung ihrer Urheberrechte in Zeiten des Internet führt.

Server werden beschlagnahmt

Daran änderte auch eine Polizeiaktion am 31. Mai 2006 nichts, in deren Verlauf TPB-Server beschlagnahmt wurden. Die Website verschwand aus dem Netz, war jedoch bereits am 2. Juni wieder erreichbar - dank neuer Server außerhalb Schwedens. Gewürzt war die neue Seite mit einer neuen Provokation: Das Piratenschiff im TPB-Logo schoß mit Kanonenkugeln auf den berühmten Hollywood-Schriftzug.

Die Schweden feierten sich als Sieger und nutzten die neu gewonnene Aufmerksamkeit, um eine politische Diskussion loszutreten. Durch die Beschlagnahme der Server war nicht nur The Pirate Bay vom Netz verschwunden, sondern weitere, völlig unbeteiligte Webangebote, darunter auch ein oppositioneller Nachrichtendienst aus Rußland. The Pirate Bay und andere Organisationen warfen außerdem dem US-amerikanischen Filmverband MPAA vor, politischen Druck ausgeübt zu haben und so indirekt verantwortlich für die Polizeiaktion zu sein. In Schweden begann eine gesellschaftliche Diskussion über politische Einflußnahme, aber auch über das Urheberrecht. Aus dem Pirate-Bay-Team trat Peter Sunde als Pressesprecher verstärkt in die Öffentlichkeit. Die Nutzerzahlen des Angebots verdoppelten sich.

Dass sich das Verfahren nun zu einem Medienspektakel entwickelt, ist vor allem das Werk der drei jungen Schweden. Sie haben von Anfang an verstanden, sich als Widerstandskämpfer gegen eine als gierig empfundene Unterhaltungsindustrie zu inszenieren - als Robin Hoods 2.0, mit Homepage und Community statt Pfeil und Bogen.

Auf den Straßen und im Netz

Um das Gerichtsgebäude herrschte am ersten Verhandlungstag fast Volksfeststimmung: Unterstützer der Angeklagten zeigten ihre Solidarität. Mitglieder des "Piratenbüros" und der "Piratenpartei" - Organisationen, die beide auf politischer Ebene für eine Neuordnung des Urheberrechts kämpfen - waren vor Ort. Die großen schwedischen Tageszeitungen sind mit Bloggern vertreten. Ein alter Bus dient als Pressezentrum für Bürgerjournalisten. Die Gänge des Gerichts sind verstopft mit Fotografen. Und der öffentlich-rechtliche Sender SVT2 überträgt den Ton aus dem Gerichtssaal komplett ins Internet - ein Novum in der schwedischen Gerichtsgeschichte. Bilder aus der Verhandlung sind nicht erlaubt.

The Pirate Bay wollte den Audiostream der Verhandlung ursprünglich selbst übertragen. Der Antrag wurde vom Gericht aber abgelehnt. Der Informationsstrom über den Prozeß ist im Web trotzdem gewaltig. Im Mikroblogging-Dienst Twitter werden Kurznachrichten zum Thema im Sekundentakt in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Jede noch so kleine Entwicklung wird in Echtzeit verbreitet (zum Beispiel zu finden unter dem Twitter-Suchbegriff #spectrial). Wo die Sympathien vieler Twitternder liegen, ist eindeutig: Als beispielsweise Staatsanwalt Hakan Roswall im Saal Probleme hat, seinen Rechner zu bedienen, ergießen sich sofort Ströme von Spott und Häme ins Netz.

Inzwischen kursiert sogar ein Lied zum Prozess: Star wider Willen ist Staatsanwalt Roswall. Seine ins Netz übertragenen Argumente haben findige Musiktüftler namens OBD zusammengeschnitten und mit Elektrobeat unterlegt. Die TPB-Show geht weiter.

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