Sagasig/Ägypten (AP) Gekleidet in Karate-Uniformen und Trainingsanzüge üben die jungen Ägypterinnen paarweise den Nahkampf: Eine greift mit Tritten und Boxhieben an, während ihre Partnerin versucht, die Attacke abzuwehren. Die fast zwei Dutzend Frauen und Mädchen in der kleinen Turnhalle in der Millionenstadt Sagasig nördlich von Kairo lernen, sich gegen Angreifer zur Wehr zu setzen. Solche Selbstverteidigungskurse für Frauen sind in der arabischen Welt bislang äußerst selten. In Ägypten werden zunehmend mehr davon angeboten. Denn seit dem vergangenen Jahr ist sexuelle Belästigung erstmals öffentlich zu einem großen Thema geworden. Frauen und sogar einige Männer haben in Kairo Aufklärungskampagnen gestartet und nutzen dabei auch das Internet, Facebook etwa. Schon vor zwei Jahren tauchte das Thema erstmals auf, als in Blogs Amateurvideos zu sehen waren, die zeigten, wie Männer an einem hohen muslimischen Feiertag in der Kairoer Innenstadt Frauen belästigten. So richtig wurde das Problem aber publik, als eine Frauenorganisation eine Umfrage veröffentlichte, wonach sexuelle Belästigung in Kairo und Umgebung weit verbreitet sind. Sogar die Regierung, die davon lange nichts wissen wollte, scheint nun bereit, aktiv zu werden. Ein Gesetz, das derartige Übergriffe unter Strafe stellt, liegt dem Parlament vor, und die Polizei hat in den vergangenen Monaten Dutzende mutmaßliche Täter festgenommen. Im Oktober wurde ein Lastwagenfahrer zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er einer 27-jährigen Passantin an die Brust gefasst hatte. «Das war ein Wendepunkt», sagt Nehad Abu Komsan, Leiterin der Organisation, die die Umfrage durchführte. «Der Richter hat die ernste Botschaft ausgesandt, dass Belästigung ein schwerwiegendes Verbrechen ist.» Tieferliegende Probleme der Gesellschaft Die Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte ergab, dass 83 Prozent der befragten Ägypterinnen und 98 Prozent der Ausländerinnen angaben, dass sie sexuell belästigt würden. Und, noch beunruhigender: 62,4 Prozent der befragten Männer räumten ein, dass sie Frauen belästigten. Aus der Studie ging auch hervor, dass es egal war, wie die Frauen gekleidet waren. Von denen, die nach eigenen Angaben belästigt wurden, trug etwa ein Drittel ein Kopftuch und konservative Kleidung. Knapp 20 Prozent trugen sogar einen Schleier und hatten ihren Körper komplett verhüllt. Persönlich befragt wurden in Kairo und Umgebung 2.020 Ägypter, zu gleichen Teilen Männer und Frauen. Außerdem wurden 109 Ausländerinnen befragt, die in Ägypten leben. Die hohe Quote verweist auf fundamentale Probleme in der muslimischen Gesellschaft des Landes. Ägypterinnen klagen bislang selten darüber, belästigt worden zu sein, um öffentliches Aufsehen zu vermeiden und weil es das Ehrgefühl der Familie verletzen könnte. Auch die Sicherheitskräfte haben wenig Interesse daran gezeigt, an der Situation etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil: Zuweilen sind sie es selbst, die Frauen belästigen. Dazu kommt, dass 20 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1,60 Euro am Tag leben, junge Leute also lange warten müssen, bis sie es sich leisten können, zu heiraten und einen eigenen Hausstand zu gründen. Sex vor der Ehe ist indes im Islam verboten, so dass es im Land viele sexuell frustrierte, häufig arbeitslose junge Männer gibt. «Botschaft an alle Frauen in Ägypten» Oft geschieht die Belästigung nur verbal, indem Frauen anzügliche Bemerkungen nachgerufen werden. Doch es kommt auch zu körperlichen Übergriffen: Männer, die Frauen auf dem Heimweg folgen, die Frauen an Po oder Brust fassen oder die im Bus ihre Schenkel berühren. «Mir passiert so etwas auf der Straße drei bis vier Mal pro Woche», sagt die 21-jährige Studentin Asmaa Mohammed, die an einem der Selbstverteidigungskurse in Sagasig teilnimmt. Nach der Veröffentlichung der Umfrage schrieben einige Frauen in Zeitungen Berichte über das, was sie selbst an sexueller Belästigung erlebt hatten. Junge Leute setzten Kampagnen in Gang, um das Unrechtsbewusstsein unter Gleichaltrigen an den Universitäten und anderswo in Kairo zu wecken. Eine Kampagne im Mittelschicht-Viertel Mohandisin unter dem Motto «Achte dich selbst» richtet sich vor allem an Taxifahrer und Essensverkäufer. An sie wird appelliert, die alte Tradition der Gastlichkeit hochzuhalten. Einige konservative Hardliner geben die Schuld noch immer den Frauen, denn schließlich provozierten sie mit eng anliegender Kleidung oder Make-up. Andere einflussreiche Persönlichkeiten, darunter First Lady Suzanne Mubarak, meinen, dass nur ein paar «faule Äpfel» Schuld hätten. Doch gegen solche Ansichten regt sich inzwischen Widerstand. «Wir wollen eine Botschaft an alle Frauen in Ägypten aussenden, dass sie nicht alleine sind», sagt Abul Komsan von der Frauenorganisation. Damit das nicht mehr vorkommt, wovon die 16-jährige Hadir Amr Ibrahim berichtet: «Ich stand in einer vollen U-Bahn, und er griff mir an den Po. Ich drehte mich um, und er lächelte. Ich schob ihn weg und fing an zu weinen. Niemand tat etwas. Ich fühlte mich alleine, und ich hatte Angst.» Die Studentin Mohammed will alle ihre Freundinnen davon überzeugen, dass es wichtig sei, zu lernen zurückzuschlagen. «Eine Ägypterin sollte lernen sich selbst zu verteidigen, weil junge Männer in unserer Gesellschaft uns eine Menge schlechter Dinge antun.» |
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Montag, 23. Februar 2009
Kampf gegen sexuelle Belästigung in Ägypten gewinnt an Fahrt
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