Freitag, 3. September 2010

Portugal: Gericht verurteilt Prominente in Kinderschänder-Prozess

Das Verbrechen gilt als größter Fall von Kindesmissbrauch in Europa: Über Jahrzehnte wurden Jungen aus einem staatlichen Heim in Lissabon von Angehörigen der gesellschaftlichen Elite Portugals misshandelt. Nun hat ein Gericht hat alle sieben Angeklagten für schuldig befunden.

Frühere Kinderheim-Leiterin Catalina Pestana, Opfer Pedro Namora: Lange erwartetes Urteil

Lissabon - Das Verfahren zog sich über Jahre, kein Fall beschäftigte die portugiesische Justiz länger - und kaum einer sorgte für so viel Aufsehen. Und nun, an Prozesstag 462 hat ein Lissaboner Gericht in Portugals spektakulärem Kinderschänder-Prozess entschieden und alle Angeklagten für schuldig befunden. Das Strafmaß soll am Ende der Urteilsbegründung bekannt gegeben werden - doch die Verlesung kann Stunden dauern.

Inzwischen befinden sich alle Angeklagten auf freiem Fuß - die gesetzlichen Fristen für die Untersuchungshaft sind längst überschritten. Während des gesamten Verfahrens beteuerten sechs der insgesamt sieben Angeklagten ihre Unschuld. Einzige Ausnahme: der ehemalige Gärtner und Fahrer der Casa Pia. Den Männern und Frauen wird sexueller Kindesmissbrauch sowie Vergewaltigung und Kuppelei in insgesamt 836 Fällen zur Last gelegt.

Die Angeklagten, unter ihnen mehrere Prominente aus Politik und Medien, sollen sich an 32 Jungen, die in dem staatlichen Heim lebten, vergangen haben. Zur Urteilsverkündung erschienen alle Angeklagten sowie sechs der 32 mutmaßlichen Missbrauchsopfer, die im Prozess als Nebenkläger aufgetreten waren. Die Staatsanwaltschaft fordert mindestens fünf Jahre Haft ohne Bewährung.

"Ich hoffe, dass dem Land an diesem Tag gezeigt wird, dass die Jungen von Anfang an die Wahrheit gesagt haben", sagte vor Prozessbeginn Pedro Namora, der selbst Opfer des Missbrauchs geworden war. Die Täter seien "völlig skrupellose Menschen", sagte eine anderer früherer Bewohner der Casa Pia der Zeitung "Público".

Unter den Angeklagten: die Elite des Landes
Der Fall war 2002 mit der ersten Anzeige eines Jungen aus dem Heim publik geworden, woraufhin sich Dutzende Heimbewohner und Ehemalige meldeten. Demnach war die 200 Jahre alte Einrichtung für bedürftige Kinder und Jugendliche jahrzehntelang Schauplatz sexuellen Missbrauchs. Erste Vorwürfe sollen bereits in den achtziger Jahren bekannt geworden sein, blieben jedoch ohne Konsequenzen.

Der Prozess ist das längste Verfahren der portugiesischen Justizgeschichte. Er begann im November 2004, das Gericht hörte seitdem fast 1000 Zeugen und Sachverständige. Monatelang bestimmte der Pädophilieskandal die Schlagzeilen portugiesischer Zeitungen, auch über die Verwicklung weiterer Prominenter aus Politik und Medien wurde spekuliert.

Zu den Angeklagten gehörte auch der 68-Jährige Showmaster Carlos Cruz, der einst einer der beliebten Fernsehmoderatoren des Landes war. Auf der Anklagebank saßen außerdem der frühere Botschafter Jorge Ritto, der Arzt João Ferreira Diniz, der Unternehmer Manuel Abrantes, der Anwalt Hugo Marçal sowie Gertrudes Nunes, deren Haus als Tatort gedient haben soll.

Heftige Kritik wurde an der andauernden Verschleppung der Ermittlungen zugunsten der zum Teil einflussreichen Angeklagten laut.

Nach Ansicht vieler Beobachter legte der Prozess die Schwächen des portugiesischen Rechtssystems offen. Bereits im März 2006 verurteilte ein Spezial-Schiedsgericht den portugiesischen Staat wegen Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht zur Entschädigungszahlung von zwei Millionen Euro an 44 frühere Heimbewohner. In weiteren Missbrauchsverfahren wurden zudem mehr als ein Dutzend Menschen verurteilt, in erster Linie Lehrer und Erzieher der Casa Pia.

Beobachter erklärten jedoch, das Verfahren werde mit der ersten Urteilsverkündung noch längst nicht zu Ende gehen. Die Anwälte der Angeklagten würden auf jeden Fall Berufung einlegen, um irgendwann auf Verjährung pochen zu können, berichteten portugiesische Zeitungen.

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