Freitag, 17. September 2010

»Ich blieb immer fremd«

Als Schlagerstar besang Marianne Rosenberg die heile Welt der Bundesrepublik. Kaum bekannt war, dass sie die Tochter eines Auschwitz-Überlebenden ist. Ein Gespräch über ihre Sinti-Familie, Schnulzen und ihre Zeit als Hausbesetzerin

DIE ZEIT: Ihre Autobiografie Kokolores beginnt mit einer Szene, in der Sie als kleines Mädchen mitten in der Nacht in einer Berliner Kneipe singen. Warum hat Ihr Vater Sie an einen Ort wie diesen mitgenommen?
Marianne Rosenberg: Aus Sehnsucht nach seiner Familie. Aus Sehnsucht nach dem Klang der Stimme seiner Mutter, die immer auf Festen gesungen hat und kurz nach dem Krieg gestorben ist. Er hat oft geweint, wenn ich gesungen habe.
ZEIT: Sie standen auf einem Tisch, drum herum saßen lauter ältere, zum Teil betrunkene Leute. Was haben Sie da gedacht als Fünfjährige?
Rosenberg: Die Erwachsenen waren mir suspekt, der Alkohol, das laute Gerede. Es waren verschiedene Lokale. Ich dachte damals, sie heißen alle Engelhardt; ich wusste nicht, dass das eine Bierreklame ist. Für mich war das als Kind aber etwas Selbstverständliches: Da ist der Vater und holt mich, stellt mich auf den Tisch, und ich singe. Ich hatte nur Angst, dass ich die Töne nicht treffe.
ZEIT: Wo war Ihre Mutter?
Rosenberg: Zu Hause bei meinen kleinen Geschwistern. Mein Vater rief immer von der Kneipe aus an, und meine Mutter bestellte ein Taxi für mich. Nach dem Singen bin ich mit ihm zusammen wieder im Taxi zurückgefahren.
ZEIT: Sehr ungewöhnlich für ein kleines Kind.
Rosenberg: Ich habe das einfach so hingenommen, wie auch die tätowierte Nummer auf dem Arm meines Vaters.
ZEIT: Diese Nummer hat das Leben Ihrer Familie geprägt. Ihr Vater, Otto Rosenberg, der 2001 gestorben ist, war Sinto und überlebte als Jugendlicher das Konzentrationslager Auschwitz. Seine Geschwister und sein Vater wurden dort umgebracht. Wann hat Ihr Vater Ihnen das erste Mal etwas darüber erzählt?
Rosenberg: Ich wusste früh davon, und je mehr ich über seine Geschichte erfuhr, desto besser konnte ich ihn verstehen. Als Kind dachte ich oft, wenn er zu Weihnachten grummelig war und sich zurückzog, dass er böse ist. Erst später begriff ich, dass er an seine Familie dachte, die nicht mehr da war. Problematisch wurde es auch, wenn wir Kinder nicht aufaßen, weil im Lager so viele kleine Kinder hungerten und starben. Ich habe die Brote, die ich nicht schaffte, versteckt. Meine Mutter fand sie irgendwann und warf sie weg.
ZEIT: In der Schule wurden Sie als »dreckige Zigeunerin« beschimpft.
Rosenberg: Ja, das kam vor. Einmal wurde ich auch beschuldigt, ein Stempelkissen geklaut zu haben. Ich war es nicht.
ZEIT: Sie schreiben, Ihr Vater habe Sie auf Beschimpfungen vorbereitet. Wie das?
Rosenberg: Ich weiß die konkreten Worte nicht mehr, aber mir und meinen sechs Geschwistern hat er erzählt, wie schrecklich es den Sinti ergangen war. Wenn die Nazis ihre Pläne bis zum Ende geführt hätten, hätte es ja keine Sinti mehr gegeben. Es sprach aus seinen Worten, dass man vorsichtig sein muss. Er dachte immer, das Schreckliche könne noch einmal geschehen.
ZEIT: Wie haben Sie auf die Beschimpfungen reagiert?
Rosenberg: Das war wie ein heißer Schub, ein Beinaheunfall. Man wurde böse, fühlte sich verletzt. Einmal haben mein Bruder Frank und ich einen Jungen festgehalten, er hatte gefrotzelt: »Meine Mutter hat gesagt, dass ihr Zigeuner seid.« Aber es gab auch wundervolle Tage in der Schule. Ich war beliebt und hatte viele Freundinnen.
ZEIT: Haben diese Freundinnen Sie nicht gefragt, woher Ihre Familie kommt und was ihr passiert ist?
Rosenberg: Nie. In dieser Zeit, 1965, war ich zehn Jahre alt. Damals wollte niemand über die Zeit des Nationalsozialismus reden. Fast alle Deutschen hatten Angst, ihren Kindern davon zu erzählen, weil sie damit auch ihre eigenen Positionen hätten klären müssen – egal, ob sie bei der SS waren oder bei der Wehrmacht. Das war ein Tabu und ist ja heute noch schwierig. Sonst gäbe es nicht diesen Aufschrei wegen Günter Grass. Er steht stellvertretend am Pranger für all die Deutschen, die nicht darüber reden konnten.
ZEIT: Sie haben in den Berliner Vororten Britz und Lichterfelde gewohnt, und Sie sagen, Sie hätten immer gespürt, dass Sie anders seien. Was genau war so anders an Ihnen?
Rosenberg: Das habe ich mich auch gefragt. Wir zogen ja nicht mit dem Wagen herum. Es gab nichts Exotisches. Ich hatte nur dunkelbraune Zöpfe. Aber die deutsche Gesellschaft sah in den fünfziger Jahren anders aus als heute. Es gab nicht viele Kinder mit dunklen Augen und Haaren. Es war die Zeit, als gerade die ersten Gastarbeiter kamen. Und wir hatten ja nicht mehr viele Verwandte. Wo hätte diese Gemeinschaft, die eine alte Kultur lebt, noch herkommen sollen? Was überliefert wurde, waren die Musik, der Zusammenhalt in der Familie, das Einstehen füreinander, der Respekt vor alten Menschen und vorm Vater.
ZEIT: Konnte dieses Anderssein manchmal auch heißen: Man ist etwas Besonderes?
Rosenberg: Als Kind will man nicht anders sein als die anderen. Erst wenn man älter wird, kann man als Bereicherung empfinden, dass man in zwei Welten zu Hause ist. Aber als Kind mit unserer Familiengeschichte, da denkt man darüber nach: Kommen die wieder und holen uns ab wie meinen Vater damals? Das war so ein diffuses Gefühl. Ich glaube, alle, die Auschwitz überlebt haben, dachten, das kann noch einmal geschehen. Man spürte es auf den Familienfeiern. Die Musik brachte Erinnerungen zurück, holte das Leid wieder hoch. Diese Musik war wie ein Geruch. Manchmal weinten sie dann. Da brauchte es nicht viele Worte.
ZEIT: Durften Sie als Mädchen so viel wie Jungs?
Rosenberg: Nein. Die Rollen sind in Sinti-Familien klar verteilt. Der Mann ist das Oberhaupt der Familie. Die Mädchen sind für die Hausarbeit zuständig. Als ich jung war, durfte ich nicht allein weggehen, etwa in eine Disko oder ins Kino.
ZEIT: Haben Sie dagegen rebelliert?
Rosenberg: Bei mir änderte sich das ja schnell. Ich war schon früh berufstätig. So gesehen, war ich schon damals emanzipiert, obwohl ich noch nicht wusste, was das bedeutet. Die Aufgaben der Jungen schienen mir immer spannender. Ich beobachtete meinen Vater oft, wie er Geräte reparierte oder Musikinstrumente zusammenleimte. Auch seine Faszination für Boxkämpfe interessierte mich. Mit Kinderboxhandschuhen durfte ich öfter mit den Brüdern mitboxen. Ich war nicht mal schlecht.
ZEIT: Fühlten Sie sich immer als Sinti?
Rosenberg: Als Sinteza und Berlinerin.
ZEIT: Und als Deutsche?
Rosenberg: Wir sind ja deutsche Sinti. Mein Vater hat um die Staatsbürgerschaft gekämpft, die er vor dem Krieg hatte und die ihm dann entzogen worden war. Er zog bis vors Berliner Landgericht, weil man sie ihm in den fünfziger Jahren nicht wiedergeben wollte. Es hieß: »Zigeuner, Wandertrieb, hat keine Bindung an die Stadt Berlin.«
ZEIT: Waren Sie da wütend auf die Deutschen?
Rosenberg: Ich fühlte eher Machtlosigkeit. Wenn ich gesehen habe, wie schlecht es meinem Vater ging, war da vor allem Traurigkeit. Wir können uns kaum vorstellen, was diese schrecklichen Erlebnisse bei einem Menschen anrichten. Meine Mutter, eine Ostberlinerin, war 19 Jahre alt, als sie meinen Vater nach dem Krieg kennen lernte. Wie hätte sie ihn auffangen sollen oder wir Kinder? Wie kann man davon ausgehen, dass diese Menschen in der Gesellschaft je wieder zurechtkommen? Mein Vater war verändert, für immer. Frührentner, arbeitsunfähig. Lager ist nicht heilbar.
ZEIT: Als Sie als Sängerin erfolgreich wurden, riet Ihnen Ihr Vater, Sie sollten Journalisten erzählen, Ihre Vorfahren kämen aus Ungarn.
Rosenberg: Das war mehr als ein Rat, er wollte mich schützen. Er sagte: Die andere Geschichte will keiner hören, das erschreckt die Leute nur, dann fühlen sie sich schuldig.
ZEIT: Dass Sie Ihre Herkunft verschwiegen, führte zu absurden Situationen. 1971, bei einem Gesangswettbewerb in Rio de Janeiro, saß der Musiker Paul Simon in der Jury und sagte, er als Jude könne Deutschland keinen Punkt geben.
Rosenberg: Hätte Paul Simon gewusst, dass seine und meine Vorfahren dasselbe Leid durchlebt hatten, wäre es anders gekommen. Meine Plattenfirma versuchte noch, irgendwie eine jüdische Identität zu kreieren – wirklich absurd. Mir war klar: Paul Simon verhielt sich falsch. Die Nachkommen waren nicht schuldig. Ich wollte aber nicht erklären: Ich bin zu einem Teil das und zum anderen Teil dies. Da ist man schnell bei Dr. Robert Ritter, dem Leiter der Rassenhygienischen und Erbbiologischen Forschungsstelle, der die Menschen nach ihrer Abstammung eingeteilt und tödliche Wissenschaft betrieben hat.
ZEIT: Hat Ihr Erfolg als Sängerin Ihren Vater mit Deutschland ein wenig versöhnt?
Rosenberg: Mit Deutschland lag er nicht im Argen; mit Menschen, in deren Köpfen noch immer der auf Rasse begründete Albtraum spukte, allerdings. Er war stolz auf mich, auf meinen Erfolg, ja, vielleicht gerade in diesem Land mit dieser Vergangenheit. Mein Vater hatte nach dem Krieg auf eine Wiedergutmachung verzichtet. Seine Mutter hätte zum Beweis dafür exhumiert werden müssen.
ZEIT: Mit 13 wurden Sie entdeckt, bei einem Talentwettbewerb. Dachten Sie damals: Jetzt werde ich berühmt und verdiene Geld für die Familie?
Rosenberg: Nein, ich war erst mal verliebt in die eigene Stimme. Das muss man, sonst kann man sich da nicht hinstellen. Ich hatte aber keine Ahnung, welche Konsequenz das haben könnte. Ich dachte: Vielleicht komme ich zu MGM-Records wie Connie Francis, und dann gibt’s diese Platte, die so schön glänzt.
ZEIT: Wenn Sie heute Sendungen wie Deutschland sucht den Superstar sehen, gibt es da Ähnlichkeiten zu den Talentwettbewerben Ihrer Jugend?
Rosenberg: Schon, aber früher wurden diese Wettbewerbe nicht bundesweit im Fernsehen übertragen, sodass die ganze Gesellschaft mitfieberte oder mitlachte. Mich hat keiner öffentlich heruntergeputzt, so menschenverachtend wie heute oft. Wenn ich in die ängstlichen oder traurigen Gesichter dieser jungen Menschen sehe, kommt es mir vor wie Voyeurismus, am Bildschirm zu bleiben.
ZEIT: Sie wurden auf Diät gesetzt, lernten, richtig zu gehen, zu reden, sich richtig zu schminken.
Rosenberg: Das war die Plattenindustrie. Mir hat es keinen Spaß gemacht, mit einem Buch auf dem Kopf herumzulaufen, ich habe es aber nicht hinterfragt. Heute denkt man: Meine Güte, mit 14 muss sie doch selbst entschieden haben. Damals hat man die Kinder nicht miteinbezogen. Es war auch nicht meine Idee, diese Art von Musik zu machen. Ich hatte eigentlich eine Altstimme, sang aber nun in schwindelerregenden Höhen.
ZEIT: Sie traten in der Hitparade auf, saßen am Bühnenrand in Minirock und Stiefelchen und beobachteten die anderen.
Rosenberg: Das Gefühl, nicht dazuzugehören, zieht sich durch mein Leben. Ich blieb immer fremd.
ZEIT: Ihre Karriere trennte Sie noch mehr von den anderen Gleichaltrigen.
Rosenberg: Ich wollte singen und trotzdem sein wie die anderen – aber das ging nicht. Wer im Fernsehen auftritt, gilt als besonders.
ZEIT: Die Familie konnte sich durch Ihren Erfolg ein Haus, einen besseren Lebensstandard leisten. Hat Sie diese Verantwortung belastet?
Rosenberg: Sie war mir durchaus bewusst. Jeder in der Familie fühlte sich angegriffen, wenn einer die Sängerin »M. R.« nicht mochte. Es war unsere Karriere. Wir arbeiteten gemeinsam an der Verbesserung unserer Lebensumstände.
ZEIT: Ihr Vater wurde Anfang der Achtziger Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Berlin. Hat das für die Familie etwas verändert?
Rosenberg: Durch den öffentlichen Umgang meines Vaters mit seiner Vergangenheit wurde auch ich danach gefragt, und ich musste und wollte auch damit umgehen. Er fragte mich: Ist das denn gut? Ich habe ihn angelacht: Wenn du darüber redest, dann kann ich es auch tun. Es hat ihn doch gefreut. Aber er hatte immer noch ein wenig Furcht. Mein Vater erhielt für seine politische Arbeit das Bundesverdienstkreuz. Er hat es getragen.
ZEIT: Nach dem Mauerfall gab es eine ganze Serie von rechtsradikalen Überfällen, auch auf Sinti und Roma. Empfanden Sie das als bedrohlich?
Rosenberg: Mein Gefühl war: Vater hatte Recht, dieses Gedankengut ist doch nicht tot. Als Teenager hatte ich immer gedacht, so etwas kann sich nicht wiederholen. Ich habe viele Freunde, wir leben in einer Demokratie. Nach Rostock, Mölln und Hoyerswerda war ich schockiert. Ich dachte, so etwas werde von Anfang an bekämpft, aber zu Beginn wurde das Problem von Politikern auch noch als harmlos eingeschätzt. Vor kurzem habe ich eine Zahl gelesen, wie viele Menschen durch Gewalt von rechts umgekommen sind. Das war immens. Man kann aber nicht sagen, dass die Bevölkerung das hinnimmt. Das Bewusstsein für rechtsradikale Gefahren ist heute schärfer. Es gab und gibt Aktionen, Lichterketten, Demos.
ZEIT: In den achtziger Jahren waren Sie selbst auf vielen Demonstrationen, Sie gehörten zur Hausbesetzerszene. In Highheels im »Schwarzen Block«?
Rosenberg: Genau. Ich sympathisierte mit Autonomen und Anarchos, ging gegen Rassismus und Atomkraft auf die Straße. Ich war auf vielen Demos. Das war anstrengend, wegen der Schuhe mit den steilen Absätzen, von denen ich mich selten trennte. Genau wie meine Schminke, die bei den Genossen auch nicht gut ankam. Ich dachte mir, das sind eben auch nur Spießer. Anarchie bedeutete für mich nicht Chaos, sondern Freiheit von Herrschaft. Ich glaube, durch die Situation, in die ich hineingeboren wurde, war ich immer politisch. Ich bin aber nie in eine Partei eingetreten.
ZEIT: Mochte die linke Szene Ihre Schnulzen?
Rosenberg: Weiß ich nicht. Ich habe aber nicht nur Schnulzen gesungen. Ich behaupte, die erste deutsche Popsängerin gewesen zu sein. In dieser Zeit machte ich Aufnahmen mit Rio Reiser und Marianne Enzensberger. Ich wurde dann in der taz zur Rockröhre, aber das war ich auch nicht.
ZEIT: Gehörten Sie denn zur Hausbesetzerszene endlich dazu?
Rosenberg: Da galt ich als »etablierte« Schlagertante. Das hat niemand gesagt, aber ich spürte es.
ZEIT: Was ist von Ihren Überzeugungen geblieben?
Rosenberg: Ich engagiere mich noch immer für HIV-Infizierte und gegen Rassismus. Meine Einstellung gegenüber Atomkraft hat sich nicht geändert. Denken Sie an die Opfer von Tschernobyl.
ZEIT: Ihr Mann gab die linke Zeitschrift Radikal heraus und saß in Untersuchungshaft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Rosenberg: Wegen angeblicher Unterstützung! Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung hat aber gesiegt. Der Übergriff der deutschen Justiz auf einen linken Journalisten wurde durch den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments zurückgewiesen. Ich lernte ihn danach kennen, als sein Name auf die Berliner Yorckbrücken und auf Hausdächer gesprüht wurde. Man forderte seine Freiheit, viele Leute waren empört, nicht nur die linke Szene. Wir wussten, wir geben eine lustige Schlagzeile ab: Schlagertante und Exterrorist.
ZEIT: War Schlagertante ein Schimpfwort für Sie?
Rosenberg: Damals schon.
ZEIT: Auf Konzerten sollten Sie aber immer wieder Ihre alten Erfolge spielen wie den größten Hit Er gehört zu mir von 1975.
Rosenberg: Ja, es gab Zeiten, in denen ich Marianne Rosenberg gern um die Ecke gebracht hätte. Es hat was Absurdes, wenn man immer wieder mit dem konfrontiert wird, was man vor 20 Jahren gemacht hat. Ich habe versucht, die öffentliche, durch das Medienbild entstandene Figur der Frau näher zu bringen, die ich in Wirklichkeit war. Inzwischen glaube ich, dass das Kokolores ist. Marianne Rosenberg und das, was wir uns alle darunter vorstellen, kann niemand wirklich sein, auch ich nicht. Wenn man versucht, sein Image zu leben, ist man nicht nur unerfahren oder dumm, man ist verloren. Nennen Sie mich also beruhigt eine Schlagersängerin. Verkaufsschlager für das Volk, das ist das, was ich viele Jahre gemacht habe. War gute Musik dabei.
ZEIT: Wie geht’s Ihnen heute, wenn Sie Er gehört zu mir hören?
Rosenberg: Ganz gut. Als ich vor ein paar Jahren, vor seinem Tod, auf einem Konzert des mittlerweile verstorbenen Barry White war, da wollte ich unbedingt, dass er You’re the first, the last, my everything von 1974 singt. Er hat es als Zugabe gespielt. Ich bin begeistert auf den Stuhl geklettert; er sollte jeden Ton genau so singen, wie ich ihn kannte. Da habe ich diese Sehnsucht der Leute in meinen Konzerten zum ersten Mal verstanden.

Das Interview führte Jana Simon

Marianne Rosenberg wurde 1955 in Berlin geboren. Mit 14 nahm sie ihre erste Platte auf und wurde mit Titeln wie »Er gehört zu mir«, »Marleen« und »Ich bin wie du« zum Schlagerstar der siebziger Jahre. In den Achtzigern trat sie mit gesellschaftskritischen Rockmusikern wie Rio Reiser und Extrabreit auf. Jetzt erscheint ihre Autobiografie: »Kokolores«; List-Verlag, Berlin, 272 Seiten

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