Freitag, 2. Februar 2007

Irisches Vorbild?

José Ignacio de Juana Chaos, ETA-Häftling im Hungerstreik wird zur Symbolfigur der baskischen Separatisten und setzt die spanische Regierung unter Druck
Madrid - José Ignacio wiegt nur noch 50 Kilo. Sein Gesicht ist eingefallen, er hat kaum noch Kraft, sich zu bewegen. Nach 83 Tagen im Hungerstreik fürchten die Ärzte um sein Leben. Dennoch entschieden die spanischen Richter, den 51-jaehrigen Terroristen der baskischen Organisation ETA nicht aus dem Gefängnishospital in Madrid zu entlassen.

De Juana gilt als eines der brutalsten Mitglieder der ETA. Er gehörte in den 80er Jahren dem gefürchteten „Kommando Madrid“ an und wurde 1987 wegen 25fachen Mordes zu 3.000 Jahren Haft verurteilt.

Der Richterspruch wurde vom Großteil der Spanier begrüßt. Der Rechtsstaat darf sich solchen Erpressungen nicht beugen, auch wenn das Leben des Häftlings auf dem Spiel stehe, meint die überwältigende Mehrheit der spanischen Gesellschaft. Eigentlich hätte de Juana wegen guter Führung bereits im Herbst 2006 entlassen werden sollen. Die geplante Freilassung führte allerdings zu großen Protesten. Opferverbände errechneten, dass der Terrorist, der keinerlei Reue zeigt und ETA-Morde in seiner Zelle feierte, gerade einmal ein Jahr pro Mord absitzen musste. In zwei Artikeln in der radikalen Baskenzeitung „Gara“ rief de Juana sogar zur Fortführung der Gewalt auf und benannte zwei Justizbeamte als wünschenswerte Attentatsziele.

Mit seiner Vermutung scheint er richtig zu liegen. Neuesten Erkenntnissen zufolge, sollte es keineswegs bei dem Anschlag auf dem Madrider Flughafen bleiben. Ein jüngst verhaftetes ETA-Mitglied erklärte bei einem Polizeiverhör, dass er den Auftrag erhielt, Anschlagsorte in und um Valencia auszuspähen. Der Anschlag sollte in drei Monaten während des America´s Cup in der Mittelmeermetropole stattfinden. Auch die gewalttätigen Demonstrationen der baskischen Unabhängigkeitsbefürworter nehmen wieder zu. Oftmals tragen sie Plakate mit dem Bild von de Juana bei sich. Die baskische Landesregierung warnte, dass de Juana, der unter den Separatisten bereits als „Symbolfigur für die Unterdrückung der spanischen Rachejustiz“ gilt, zum „Märtyrer“ werden könnte, sollte er den Hungerstreik nicht überleben.

Sein Tod könnte sogar zum Ausbruch der Gewalt führen, meint auch Mikel Besabe von der gemäßigten baskischen Linkspartei Aralar und erinnert an den IRA-Terroristen Bobby Sands. Als dieser 1981 nach seinem Hungerstreik gestorben sei, habe das eine Gewaltwelle ausgelöst.Die Regierung von Ministerpräsident Zapatero nutze seinen Aufruf und einen Tag vor seiner Entlassung wurde er zu weiteren 12 Jahren Haft verurteilt. Als „Opfer der spanischen Rachejustiz“ trat de Juana in den Hungerstreik, um zumindest einen Hausarrest zu erwirken.

Dennoch kommt eine Debatte, wie sie derzeit in Deutschland um die vorzeitige Freilassung der beiden ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt geführt wird, in Spanien nicht in Frage. Die baskische Organisation ETA will nach wie vor die Unabhängigkeit des Baskenlandes durch terroristischen Mittel erreichen. Während sich deutsche Politiker wie der Rechtsexperte der Grünen, Hans Christian Ströbele, für die Begnadigung Christian Klars aussprechen, weil von ihm keine Gefahr mehr ausgehe, besteht diese Gefahr in Spanien sehr wohl, wie der Fall „Jesus Ternera“ zeigte. Der ETA-Terrorist wurde erst vor wenigen Jahren aus der Haft entlassen und tauchte schon bald unter, um erneut die Führung der Terrorbande zu übernehmen.

Die ETA hat in den vergangenen 40 Jahren bereits 817 Menschen ermordet und seit dem Bombenattentat am 30. Dezember 2006 auf dem Madrider Flughafen, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen, ist ein Ende auch nicht in Sicht. Mit dem Attentat brach die Terrororganisation ihre neunmonatige „Waffenruhe“. Die spanische Regierung erklärte daraufhin den so genannten „Friedensprozess“ für beendet.

„Vor diesem Hintergrund ist es besonders hart, dass sich viele Regierungspolitiker für die Freilassung von de Juana aussprechen“, erklärt Eduardo Uriarte von der Terroropfer-Vereinigung „Para la libertad“ gegenüber Zeit-Online. Sogar der Vorsitzende der regierenden Sozialisten, Manuel Chavez, sowie der Chef der baskischen Sozialisten (PSE), Patxi López, befürworteten aus „humanitären Gründen“ die Haftentlassung des ETA-Terroristen. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero wollte sich nicht zum Thema äußern und verwies auf die Unabhängigkeit der spanischen Gerichte.

Der Grund für dieses Verhalten liegt für Eduardo Uriarte auf der Hand: „Die Regierung will sich mit solchen Gesten eine kleine Hintertür zur Wiederaufnahme des Dialogs offen halten. Im Mai finden landesweit Kommunalwahlen statt und 2008 Parlamentswahlen. Zapatero baute zur Wiederwahl auf seinen Friedensprozess. Nun steht er vor einem Scherbenhaufen und will zumindest versuchen, sein Prestigeprojekt notfalls für den Wahlkampf wieder zu beleben“. Das weiß auch die konservative Oppositionspartei und nutzt den „Fall de Juana“ medienwirksam aus. „Was passiert, wenn nun alle ETA-Terroristen in den Hungerstreik treten? Kommen die dann alle frei?“, polemisierte Mariano Rajoy, Chef der konservativen Volkspartei (PP). Seine Rechnung geht allerdings nicht auf. Das Ende der Friedensgespräche und die Debatte um die Haftminderung de Juanas haben Zapatero politisch nicht so sehr geschwächt wie erwartet. Das liegt zu einem daran, dass die Mehrheit der Spanier es für richtig hielt, Verhandlungen mit der ETA zu führen. Zum anderen stellt sich die konservative Oppositionspartei bei den Versuchen der Regierung, mit allen Parteien einen Anti-Terrorpakt zu formieren, stur.

Dennoch: Die fehlende Absichtserklärung Zapateros, sich nach dem Madrider Attentat nicht wieder mit den Terroristen an den Verhandlungstisch zu setzen, stößt bei vielen Spaniern auf Kritik. Am Samstag, den 3. Februar, haben zahlreiche Terroropfer-Verbände in Madrid zum Protestmarsch aufgerufen, um neben dem Ende der ETA auch eine klare Absage an zukünftige Gespräche mit den Terroristen zu fordern. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Terroristen immer wieder Waffenruhen ausnutzen, um sich neu zu formieren. Man kann den Etarras einfach nicht trauen, denn früher oder später stellen sie ihre Forderungen nach Unabhängigkeit und die kann keine spanische Regierung erfüllen“, sagt Uriarte, der selbst Mitglied der sozialistischen Partei ist und wegen seiner Stadtrattätigkeit für die Sozialisten in Bilbao sogar seit Jahren auf den Todeslisten der ETA auftaucht.

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