Mittwoch, 5. September 2007

"Schäuble hat den Schuss nicht gehört"

Dass der Innenminister ein harter Hund ist, hat er zur Genüge bewiesen. Dass er den Schuss offensichtlich nicht richtig gehört hat, ist neu. Ob Online-Durchsuchung, Bundeswehreinsätze im Inneren oder öffentliches Spekulieren über gezielte Todesschüsse gegen islamistische Terroristen - Wolfgang Schäuble hat nie Zweifel daran gelassen, dass für ihn Sicherheit Vorrang vor bürgerlicher Freiheit hat. Sein Vorstoß, das Waffenrecht wieder zu lockern, passt nicht nur nicht zu dieser harten Linie, er entbehrt auch jeder sachlichen Grundlage.

Mehr Waffen bedeuten größere Gefahr

Kein Wunder, dass nicht nur die Opposition, sondern auch Waffenexperten von Ländern und Polizei sofort massiv Sturm dagegen liefen. Je mehr Waffen im Umlauf sind, desto größer die Gefahr, dass sie auch benutzt werden - eine einfache Rechnung. Natürlich sagt das Alter alleine nichts über die potenzielle Gefahr aus, die von einem Waffenbesitzer ausgehen kann. Wichtiger wäre es, die Freigabe von Waffen konsequent von Persönlichkeitsprofil und Reife abhängig zu machen.

Diverse Schulmassaker sowie die steigende Gewaltbereitschaft der deutschen Jugend verdeutlichen aber unbestreitbar, dass großkalibrige Waffen in den Händen von 18-Jährigen definitiv keinen Sicherheitsgewinn bringen. Mit absoluter Sicherheit lassen sich Amokläufe durch die strengeren Auflagen natürlich nicht verhindern, aber das Blutbad von Erfurt - angerichtet von einem 19-jährigen Sportschützen - war nicht zuletzt deswegen möglich, weil dieser großkalibrige Waffen kaufen und besitzen durfte.

Schäubles Argumente ziehen nicht

Die Argumente des Ministers, man habe nicht feststellen können, durch die Verschärfung des Waffenrechts nach dem Massaker von Erfurt vor fünf Jahren, mehr Sicherheit geschaffen zu haben, zudem gelte es, EU-Recht zu vereinheitlichen, sind schnell entkräftet. Ein Blutbad, das Mangels Zugang zu Schusswaffen gar nicht erst stattgefunden hat, lässt sich statistisch auch nicht erfassen. Die EU-Gesetzgebung kann auch auf schärferem, in diesem Fall deutschem Niveau vereinheitlicht werden - zumindest lohnt es sich, dafür zu kämpfen.

Dass die Büchsenspanner im Innenministerium augenscheinlich mit feuchtem Pulver hantiert haben, lässt sich am ungewöhnlich schnellen Rückzug ablesen. Der Gesetzentwurf sei ohnehin nur als Gesprächsgrundlage gedacht gewesen, nun habe man die Argumente eben abgewogen und entschieden, alles beim Alten zu lassen - so die äußerst schwache Begründung dafür, das Vorhaben doch nicht weiter zu verfolgen. Die aufgeregte und völlig überflüssige Debatte hätte man sich aber sparen können, wenn man nur vorher abgewogen hätte. Die Argumente waren alle seit langem bekannt, sicher auch im Innenministerium. Der stets geforderten nachhaltigen Debatte über Jugendgewalt ist dieser Politikstil nicht gerade förderlich.

Wie stark ist die deutsche Waffenlobby?

Statt immer nur anlassbezogen hektisch über Verbote von Gewaltvideos und - Computerspielen oder das Waffenrecht zu debattieren, wäre eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Problematik dringend nötig. Dazu hat der oberste Sicherheitsbeauftragte der Republik so nicht beigetragen.

Über die Motivation für den kaum durchdachten Schnellschuss kann man nur spekulieren. Mögen beim Waffenrecht dankenswerter Weise noch große Unterschiede zu den USA existieren, hat die Waffenlobby in Berlin offenbar mittlerweile einen ähnlich guten Stand wie die in Washington. Schützenvereine und Waffennarren sind die einzigen, die seit Jahren auf die Lockerung des Waffenrechts gedrungen haben. Nur gut, dass 6000 junge Sportschützen, die von der Änderung betroffen wären, doch nicht ganz soviel bedeuten wie die Sicherheit von 80 Millionen Bürgern. Nur gut, dass aus den Anstrengungen der Waffenlobby doch nur ein Schuss in den Ofen wurde.

Schäuble hat seinen Vorstoß zur Lockerung des Waffenrechts als Fehler bezeichnet. In der öffentlichen Diskussion seien die Pläne mit dem Schulmassaker von Erfurt verknüpft worden, sagte der CDU-Politiker dem SWR. Angesichts dieses Eindrucks, "drei Jahre nach Erfurt senkt man die Altersgrenze wieder ab", sei mit fachlichen Argumenten nichts mehr zu machen gewesen. Es sei deshalb richtig gewesen, den Fehler zu korrigieren. Schäuble betonte aber, dass er trotz seines Rückziehers daran festhalte, dass eine einheitliche Altersgrenze zum Erwerb großkalibriger Waffen zu begründen sei. Entscheidend sei der psychologische Eignungstest.

Der Minister hatte am Wochenende vorgeschlagen, das Käuferalter für großkalibrige Waffen für Sportschützen von 21 auf 18 Jahre zu senken. Daraufhin hatte es scharfe Kritik aus der Öffenlichkeit und von Politikern aller Parteien gegeben. Auch mit Schäubles Rückzieher ist die Kritik an seinem Vorgehen nicht beendet.

EU plant keine Erleichterung bei Mindestalter

Schäuble wollte die Altersbegrenzung für den Erwerb großkalibriger Waffen auf 18 Jahre senken - nun zog er seinen Vorschlag zurück.

So wies die Berichterstatterin über die Waffenrichtlinie im Europäischen Parlament, Gisela Kallenbach (Grüne), Schäubles Argumentation zurück, er habe nur Plänen für eine Reform der EU-Richtlinie über den Waffenbesitz und -handel vorgreifen wollen. Dies sei "an der Haaren herbeigezogen", sagte Kallenbach. In der EU sei keine Absenkung des Mindestalters geplant, im Gespräch sei vielmehr eine Verschärfung der Regeln. Kallenbach ergänzte, als eigentlichen Beweggrund für Schäubles Vorstoß könne sie sich "nur einen guten Erfolg der Lobbyisten-Arbeit vorstellen".

Die Richtlinie aus dem Jahr 1991 schreibt für den Kauf von Waffen ein Mindestalter von 18 Jahren vor, die einzelnen EU-Staaten dürfen aber auch strengere Regeln erlassen. In Deutschland war die Altersgrenze nach dem Amoklauf in Erfurt im Jahr 2002 von 18 auf 21 Jahre angehoben worden.
Waffenbesitzer verteidigen Lobbyarbeit

Das Forum Waffenrecht, ein Interessenverband der Waffenbesitzer, warf Schäuble dagegen vor, dieser habe sich populistischem Druck gebeugt. Zugleich verteidigte der Sprecher des Forums, Joachim Streitberger, die Lobbyarbeit seines Verbandes. "Nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit können wir in einer Gesellschaft, in der der Umgang mit der Waffe tabuisiert ist, ohne Vorurteile über die Waffengesetzgebung sprechen", sagte Streitberger. Er betonte, sein Verband habe eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und werde auch weiter hinter den Kulissen daran arbeiten, dass die Altersbegrenzung für den Waffenbesitz in Deutschland gesenkt werde.


Interview zu den Vorstößen des Innenministers

"Schäuble vom Instinkt verlassen"

Online-Durchsuchungen, Bundeswehreinsätze im Inneren, zuletzt der Vorstoß, das Waffenrecht zu liberalisieren: Innenminister Schäuble erntet scharfe Kritik für seine unermüdlichen Vorstöße, zuletzt auch in den eigenen Reihen. Was treibt Schäuble an? Der Politikwissenschaftler Langguth.

Wolfgang Schäuble hat in letzter Zeit immer wieder mit umstrittenen Vorstößen von sich reden gemacht. Nun der Vorstoß in Sachen Waffenrecht - offensichtlich nicht abgesprochen und blamabel für den Minister, weil er ihn wegen massiver Kritik auch aus den eigenen Reihen sofort wieder zurückziehen musste. Was treibt Schäuble, einen solchen Vorschlag zu machen?

Gerd Langguth: Das ist allen rätselhaft. Sein Instinkt hat ihn bei diesem Vorstoß vollständig verlassen. Offenbar ist er der Argumentation einiger Technokraten und der Jägerlobby aufgesessen. Außerdem hat er die politische Dimension unterschätzt und falsch eingeschätzt, welche Wirkung dieser Vorschlag in der deutschen Öffentlichkeit haben würde. Das hängt sicher auch mit einem gewissen Realitätsverlust zusammen, den man bei allen einflussreichen Politikern beobachten kann.

Abgesehen von diesem jüngsten Vorstoß - Schäuble macht ja immer wieder hoch umstrittene Vorschläge zur inneren Sicherheit, zur Online-Durchsuchung oder zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Was steckt dahinter?

Jurist mit Leib und Seele

Langguth: Erstens: Schäuble ist mit Leib und Seele Jurist, und das bestimmt sein politisches Denken und Handeln. Er hat den Anspruch, möglichst alle Schwierigkeiten und Komplikationen, die auftreten könnten, durchzudenken und bereits vorab eine Lösung in der Tasche zu haben. Die Probleme arbeitet er akribisch ab, wie einen Katalog und verliert dabei aus den Augen, dass seine Vorschläge - jedenfalls in dieser Fülle - derzeit in der Bundesrepublik nicht durchsetzbar sind. Zur Person: Gerd Langguth ist Professor für politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Politik der Union. Von ihm sind bereits Biographien über Angela Merkel und Horst Köhler erschienen. Wolfgang Schäuble kennt er seit vielen Jahren.

Zweitens: Als Innenminister weiß er besser als alle anderen Politiker in der Bundesregierung, wie groß die Gefahr eines Terroranschlags in der Bundesrepublik tatsächlich ist. Und er rechnet fest damit, dass es hier zu Anschlägen kommt. Er will unter allen Umständen verhindern, dass er dafür verantwortlich gemacht werden kann.

Drittens - und das wird er selbst sicher nie so formulieren - ist er der Überzeugung, dass er als Opfer eines Anschlags - Maßnahmen zur Terrorbekämpfung oder Schwerstkriminalität mit einer ganz anderen Autorität einfordern kann, als es andere tun könnten.

Unersetzlich als "Bundes-Sherrif"

Schäuble hat eine beeindruckende politische Karriere hinter sich. Er gilt als der erfahrenste Minister im Kabinett Merkel. Was will er persönlich noch erreichen?

Langguth: Schäuble weiß, dass er nie mehr Kanzler wird, und das gibt ihm die Freiheit, das zu fordern, was andere vielleicht nicht fordern würden, weil sie noch was werden wollen und deshalb immer auch in taktischen Kategorien denken. Das tut Schäuble zwar auch. Aber sein Ziel ist es nicht mehr, auf der Karriereleiter noch weiter aufzusteigen. Er will sich in seiner Position unersetzbar machen, als "Bundes-Sheriff", als Law- und Order-Mann, der mit voller Konsequenz gegen Terrorismus und Kriminalität vorgeht. In der Unions-internen Debatte über die programmatischen Ausrichtungen will er der konservative Flügelmann sein, der eine Brücke zum rechten Wählerpotential der Union schlägt.

Als Schäuble im Kabinett erneut Innenminister wurde, dachten viele, er sei altersmilde geworden. Dem ist aber offenbar nicht so. Wie rechts ist Schäuble wirklich?

Langguth: Das was er fordert, sind seine Überzeugungen - und zwar unabhängig vom Rechts-Links-Schema. Es sind seine Überzeugungen als Innenminister.

Was überwiegt, ist schwer zu sagen

Sogar Bundespräsident Horst Köhler hat Schäuble ja bereits kritisiert. Nutzt seine Art, Politik zu machen der Union wirklich?

Langguth: Ja und Nein. Es gibt in der Wählerschaft der Union - aber auch außerhalb - Teile, die eine starke Hand des Staates wollen. Und es gibt in der Bevölkerung eine diffuse Angst vor Terroranschlägen und Kriminalität. Jemand wie Schäuble, der harte Positionen vertritt, ist zur Integration dieser Wählerschaft sicher wichtig. Andererseits vergrätzt er mit seinen Vorschlägen - insbesondere mit dem zur Online-Durchsuchung - gerade auch junge Wähler. Insofern schadet es auch. Was überwiegt, ist schwer zu sagen.

Aber warum macht er immer weiter mit seinen Forderungen, selbst wenn sie nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch in den eigenen Reihen kritisiert werden?

Langguth: Seine Erfahrung ist, dass man seine Ziele nur dann erreichen kann, wenn man mit einer gewissen Sturheit etwas fordert. Das gilt gerade auch für eine Große Koalition. Momentan ist er aber in der Gefahr zu überziehen. Schäuble war immer schon stur, aber Politik ist sein Lebenselixier - gerade wegen seiner Behinderung. Er lebt mit der und für die Politik.

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