Haiti ist eines der Länder unseres Berichtsgebietes, das nur sehr selten in den Nachrichten auftaucht. Während der vergangenen Monate las, sah und hörte man allerdings ungewohnt viel von dem Staat, der sich eine Insel mit der Dominikanischen Republik teilt und doch einer völlig anderen Welt anzugehören scheint. Die globale Lebensmittelkrise war in aller Munde und Haiti eines der Paradebeispiele. Die Lage im ärmsten Land Lateinamerikas war so dramatisch, dass das hungrige Volk rebellierte, durch die Straßen marodierte, alles kaputt schlug, was ihm in den Weg kam und sogar den Premierminister absetzte. Schlimmer noch, aus lauter Verzweiflung aßen die Menschen Dreck - „Kekse" aus Lehm, mit denen sie wenigstens für kurze Zeit das nagende Gefühl im Magen lähmten.
Bei unserer Landung in Port au Prince waren wir deshalb natürlich sehr neugierig auf diese Kekse, die zum Symbol des Hungers auf Haiti geworden waren. Lange mussten wir nicht suchen, da stießen wir auf Madame Richemé, die vor ihrem Haus untertellergroße beige Fladen in langen Reihen ausgelegt hatte. Sie führte uns in den Hinterhof und zeigte uns, wie sie aus Lehm, Wasser, ein bisschen Öl und Salz einen „Teig" anfertigte, den sie dann in der Sonne trocknen ließ. Selbst die Unerschrockenen unter uns waren unserem einheimischen Mitarbeiter Stanley dankbar, als er uns das Probieren ersparte und repräsentativ für uns alle den obligatorischen Höflichkeitsbissen nahm. Der Gedanke, dass es sich hier um ein Nahrungsmittel der äußersten Not handeln muss, lag nahe.
Tatsächlich ist es so, dass die Kekse zu den günstigsten Lebensmitteln auf Haiti zählen und deshalb hauptsächlich von den Ärmsten der Armen gegessen werden. Doch Madame Richemé erzählte uns auch, dass sie unter schwangeren Frauen sehr beliebt sind und viele Haitianer ihnen sogar homöopathische Eigenschaften nachsagen. Das war schon immer so und hat nichts mit der Lebensmittelkrise zu tun.
Die gibt es auf Haiti, und sie hat viele Gesichter. Aber der Verzehr von Dreck ist keines davon. Deshalb sollte dieses Bild auch nicht als Symbol des Hungers missbraucht werden - so eindrucksvoll es auch gewesen wäre.
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