Von Gerd Langguth
Wie grandios in der Politik manchmal Wahlversprechen gebrochen werden, lässt sich an Guido Westerwelle wieder sehr schön nachweisen. Vor der Wahl hieß es im "Liberalen Sparbuch" zum Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes der FDP-Bundestagsfraktion, man wolle einen Staatssekretär einsparen. Wörtlich stand da: "Geringerer Ansatz wegen Einsparung eines Staatssekretärs. Einsparungen dienen der Entlastung der Bürger".
Kaum sind die Liberalen im Amt, haben ihre Sparankündigungen also nur noch Erinnerungswert.
Es wird immer häufiger von einem "Vizekanzler" gesprochen - etwa von Thomas Gottschalk, der den neuen Außenminister Westerwelle bei der Feier zur deutschen Einheit am 9. November huldvoll so ansprach. In den Medien geschieht das ständig. Schon Frank-Walter Steinmeier hatte es gern, wenn vom "Vizekanzler" oder "Vizekanzleramt" die Rede war. Doch gibt es in Wahrheit im Grundgesetz den Begriff "Vizekanzler" überhaupt nicht. Im Grundgesetz wird nur vom "Stellvertreter" des Bundeskanzlers (Artikel 69 Abs. 1) gesprochen.
Faktisch ist dieser nur ein Vertreter des Kanzlers, der Stellvertreter leitet etwa die Kabinettsitzungen, wenn der Kanzler - selten genug - im Urlaub oder im Ausland weilt. Wenn etwa von einem "Vizekanzleramt" gesprochen wird, dann ist das formal betrachtet eine Chimäre. Bisher hat sich auch kein Stellvertreter des Kanzlers erdreistet, auf dem Briefpapier das Wort "Vizekanzler" zu verwenden.
Franz Münteferings Sündenfall
In der Großen Koalition fand der eigentliche Sündenfall statt, als sich Franz Müntefering mit Wissen der Kanzlerin im Arbeitsministerium einen größeren Mitarbeiterstab einrichtete, der nichts anderes zu tun hatte als die Arbeit der SPD-geführten Ressorts zu koordinieren. Dies fiel nicht weiter auf, weil das ja im Rahmen eines Ressorts geschah, das sich mit Fragen der Innenpolitik befasste. Als jedoch Steinmeier die Stellvertreterfunktion Merkels in der Großen Koalition übernahm, wurde dort rasch die neue Position eines dritten beamteten Staatssekretärs geschaffen. Das wurde ein gut vernetzter Sozialdemokrat, Heinrich Tiemann.
Das Kanzleramt hatte aber bei diesem Vorgang Bauchschmerzen, weil man bei der Neuschaffung dieser Stelle den Rechnungshof fürchtete. Durch einen formalen Trick wurde dieser Staatssekretärsposten dadurch ermöglicht, dass Tiemann zusätzlich zur Koordinierung der SPD-Innenpolitik einige begrenzte Aufgaben der auswärtigen Politik übertragen wurden, etwa der Energie- und Außenwirtschaftspolitik. Dadurch sollte kaschiert werden, dass eine neue Position geschaffen wurde, die eigentlich mit dem Auswärtigen Amt als solchem überhaupt nichts zu tun hat.
Wie kostenträchtig die Stelle des neuen Staatssekretärs bei Westerwelle sein wird, ist derzeit noch unklar, doch es ist davon auszugehen, dass zusammen mit dem persönlichen Büro (Sekretariat, Fahrer) und den Mitarbeitern wenigstens ein Dutzend Stellen zur FDP-Koordinierung im Auswärtigen Amt dienen werden.
Systembruch im Auswärtigen Amt
Niemand wird grundsätzlich bestreiten können, dass eine solche innenpolitische Funktion im Rahmen des Auswärtigen Amt systemwidrig ist. So sehr man mit der Tatsache wird leben müssen, dass in der unmittelbaren Nähe eines Politikers Personen arbeiten müssen, die das volle parteipolitische Vertrauen des Chefs haben, ist die Grenze dann überschritten, wenn die hochrangige Position eines eigenen Staatssekretärs in erster Linie zur Koordinierung der Parteipolitik genutzt wird. Dazu gibt es Parteizentralen - zumal der betreffende Minister auch Parteivorsitzender ist - und die Fraktionen. Die FDP hat zudem ihr Versprechen, die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre zu reduzieren, nicht eingehalten.
Der Systembruch eines Staatssekretärs für Innenpolitik im Auswärtigen Amt ist nicht nur dem Amtschef Guido Westerwelle anzulasten, sondern auch der Regierungschefin Angela Merkel, die sich um des "lieben Friedens willen" nicht querstellte. Wer weiß, vielleicht wird eines Tages auch die selbständige Partei CSU darauf pochen, einen eigenen Staatssekretär zur Koordinierung der CSU-geführten Ministerien zu erhalten?
Westerwelle wird dem sicher entgegnen, dass er gerade als Außenminister einer besonderen Unterstützung bedürfe - schließlich reise er in aller Welt herum. Steinmeier war in seinen vier Jahren Außenministerzeit immerhin an 406 Tagen im Ausland. Westerwelle, der mit einem imponierenden und anspruchsvollen Reformprogramm angetreten ist, hätte dann aber besser daran getan, wenn er sich ein wichtiges innenpolitisches Ressort hätte zuweisen lassen. Schon seine Vorgänger wie etwa Joschka Fischer, haben erkennen müssen, dass die internationale Welt einen deutschen Außenminister so absorbiert, dass kaum Platz für die Innenpolitik bleibt. Dies trifft insbesondere für einen Parteivorsitzenden zu.
Bedeutungsverlust im Schau-Ministerium
Bisher ist jeder Außenminister durch das Abschreiten roter Teppiche und das Empfangen hochrangiger Gäste schnell auf ein erhebliches Sympathieniveau in den Umfragen geklettert. Sicher war das für den außenpolitischen Novizen Westerwelle ein wesentliches Motiv zur Übernahme dieses Amtes. Doch litt schon sein Ziehvater Hans-Dietrich Genscher darunter, wie sehr Kohl alle wichtigen Fragen der Außenpolitik an sich gezogen hatte.
Merkel hatte ihren ersten Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei einer Reihe außenpolitischer Fragen (zum Beispiel Afghanistan, Verhältnis zu Barack Obama) gekonnt ausgebremst, ihm wenig Möglichkeit zur Profilierung gelassen. Die Außenämter aller Regierungen haben in den vergangenen Jahren durch die sich enorm ausweitende Gipfeldiplomatie an Bedeutung verloren, weil in den jeweiligen Regierungszentralen die inhaltlichen Fragen koordiniert und entschieden werden. Während der Außenminister bei europäischen Gipfeln immerhin noch mit von der Partie ist, sitzt bei den G-20-Staaten der Industrie- und Schwellenländer der Finanzminister mit am Tisch.
Westerwelle wird es so schwerer haben, der Innenpolitik seinen Stempel aufzudrücken, Beliebtheit hin, Beliebtheit her. Reformen werden jedenfalls nicht in der Außenpolitik gemacht. Mit Interesse wird zu sehen sein, was vom Reformprogramm der FDP übrig bleibt und wie Westerwelle dieser Spagat gelingt.
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