Jetzt haben sie es. Und sind sie mit einem Schlag andere geworden: Europameister. Damit ist Spanien gewissermaßen Deutschland. Nicht fußballerisch, natürlich nicht, sondern in einem tieferen Sinn. Sie haben aufgeholt und dieselbe Siegeserfahrung gemacht. Wer weiß, vielleicht gewöhnen sie sich daran! Wir kennen die Symptome ja seit dem Klinsmann-Jahr 2006. Es ist der Glaube, die Hürde überspringen, die Spötter zum Schweigen bringen und das ganze lärmende Land hinter sich vereinen zu können. Früher hätte man gedacht, das regelten Geschichte und patriotische Taten, zumal in einer anbetungsbereiten Gesellschaft wie der spanischen. Heute wissen wir, dass man ein paar Männer in kurzen Hosen, jubelnde Frauen mit angemalten Gesichtern und die Fernsehkameras der Welt dafür braucht. Nicht Feierlichkeit, sondern ansteckende Fröhlichkeit ist gefragt. Ein fast siebzigjähriger Trainer hatte eine Vision, und seine Mannschaft, von der niemand vor dem Turnier bei den Journalisten auf der Starliste stand, hat sich im Lauf von vier Wochen in alle Herzen gespielt.
In einem Land voller Streitlust und Selbstzerfleischung
Solange in Deutschland noch keine Fahnen aus den Häusern hingen und Wimpel am Autodach flatterten, wussten wir nicht genau, was das ist: Fahnen nach draußen zu hängen. Spanien ging es damit nicht viel besser. Ein vaterlandsliebender Teil der Gesellschaft zeigte zwar Flagge (und Stiere), hin und wieder sogar mit graphischer Erinnerung an die Franco-Zeit. Doch andere hatten dazu keine Lust. Das Misstrauen gegenüber dem Begriff „Nation“ ist ausgeprägt, und das Wort „Patriotismus“ hat es ähnlich schwer wie in Deutschland. Zu vieles daran ist durch Autoritarismus und Diktatur in Misskredit geraten. Patriotismus, das klingt nach Benutzbarkeit, Willfährigkeit und dumpfem Herdentrott.
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